fK 5/11 Kinderrechte aktuell

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Kinderrechte aktuell

Die UN-Kinderrechtskonvention ist in Deutschland am 5. April 1992 völkerrechtlich in Kraft getreten. Anlässlich der Ratifikation würdigte die Bundesregierung die Konvention als „einen Meilenstein in der Entwicklung des internationalen Rechts“, da es „erstmals in der Geschichte des Völkerrechts die Rechte des Kindes umfassend in einem internationalen Vertragswerk mit weltweitem Geltungsanspruch“ verankert. Vor allem auf Drängen der Bundesländer galt die Kinderrechtskonvention zunächst allerdings nicht uneingeschränkt. In mehreren Erklärungen, die anlässlich der Ratifikation abgegeben wurden, formulierte Deutschland Vorbehalte, die eine Reduzierung der Verpflichtungen beabsichtigten.

In einer Erklärung gab Deutschland zu Protokoll, „dass das Übereinkommen innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung findet“ und lediglich „völkerrechtliche Staatenverpflichtungen“ begründet. Kinder bzw. deren Vertreter sollten sich also nicht unmittelbar – zum Beispiel vor Gericht – auf Rechte nach der Konvention beziehen können. Diese Erklärung hatte zur Folge, dass die Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechts- und Verwaltungspraxis zwei Jahrzehnte lang kaum eine Rolle spielte.

Nach zweifacher Aufforderung seitens des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes, mehreren Entschließungen des Deutschen Bundestags und anhaltender Kritik von Nichtregierungsorganisationen hat die Bundesregierung 2010 die Vorbehalte endlich zurückgenommen. Seit dem 15. Juli 2010 gelten die Rechte nach der Konvention vorbehaltlos für alle in Deutschland lebenden Kinder.

Aus Anlass der Rücknahme der Vorbehaltserklärung durch die Bundesregierung veröffentlichte das Deutsche Institut für Menschenrechte eine von Dr. Hendrik Cremer verfasste Publikation, in der die Geltung und Anwendbarkeit der Kinderrechtskonvention in Deutschland nach der Rücknahme der Vorbehalte dargestellt wird. Im Folgenden dokumentieren wir „Zusammenfassung und Fazit“ dieser Publikation (Cremer, H., 2011: Die UN-Kinderrechtskonvention. Geltung und Anwendbarkeit in Deutschland nach der Rücknahme der Vorbehalte. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte, S. 26 f.).

Die UN-Kinderrechtskonvention

Geltung und Anwendbarkeit in Deutschland nach der Rücknahme der Vorbehalte

Die Bundesregierung hat im Juli 2010 mit der Rücknahme der Vorbehaltserklärungen den Weg dafür frei gemacht, dass die Bestimmungen der Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtspraxis berücksichtigt werden. Die Bestimmungen der Kinderrechtskonvention sind geltendes Recht in der deutschen Rechtsordnung. In der Normenhierarchie haben sie den Rang einfacher Bundesgesetze. Die deutschen Rechtsanwendungsorgane, Gerichte wie auch die vollziehende Gewalt, sind demzufolge an die Normen der Kinderrechtskonvention gebunden (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz).

Völkerrechtliche Normen können in der deutschen Rechtsordnung unmittelbar Anwendung finden und somit in direkter Anwendung die Entscheidungsgrundlage im Einzelfall bilden, möglicherweise auch in Kombination mit weiteren Normen – etwa des rein nationalen Rechts.

Ob eine Norm subjektive Rechte begründet, ist nicht entscheidend. Auch Rechtsätze des allein objektiven Rechts können unmittelbar anwendbar sein und müssen von Behörden und Gerichten beachtet werden. Dabei können völkerrechtliche Bestimmungen auch nur in Teilen zur unmittelbaren Anwendbarkeit geeignet sein. Völkerrechtliche Bestimmungen, die subjektive Rechtspositionen begründen, sind in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich unmittelbar anwendbar.

Die Kinderrechtskonvention enthält in ihrem materiell-rechtlichen Teil (Artikel 1 bis 41 der Kinderrechtskonvention) eine große Anzahl von Bestimmungen, die subjektive Rechte beinhalten und damit unmittelbar anwendbar sind. Dabei sind nicht nur die einzelnen Rechte des Kindes im besonderen Teil des Übereinkommens (Artikel 6 bis 41) unmittelbar anwendbar. Gleiches gilt beispielsweise für die allgemeine Querschnittsklausel des Artikel 3 Absatz 1 Kinderrechtskonvention und das Diskriminierungsverbot (Artikel 2 Absatz 1 Kinderrechtskonvention) in Verbindung mit einem jeweiligen Konventionsrecht.

Welchen konkreten Inhalt die in der Kinderrechtskonvention kodifizierten Rechte haben und welche Rechtsfolgen aus ihnen in ihrer Beachtung und Anwendung im Einzelfall resultieren können, ergibt sich aus der Interpretation des jeweiligen Rechts.

Da völkerrechtliche Verträge in Deutschland – im Unterschied zu vielen anderen Staaten – lediglich den Rang einfacher Bundesgesetze haben, wären in der deutschen Rechtsordnung Kollisionen mit anderen Bestimmungen des rein nationalen Rechts zunächst denkbar. Das Bundesverfassungsgericht hat daher unter Bezugnahme auf die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine Rechtsprechung entwickelt, nach der das nationale Recht völkerrechtskonform anzuwenden und auszulegen ist, um mögliche Normenkollisionen mit rein innerstaatlichen Rechtsnormen auszuschließen und Völkerrechtsverstöße Deutschlands zu vermeiden. Auch die Verfassungsbestimmungen des Grundgesetzes sind demnach im Lichte bestehender Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsverträgen auszulegen. Die Kinderrechtskonvention ist daher auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes zu berücksichtigen.

Die in der Kinderrechtskonvention kodifizierten Rechte können also nicht nur in direkter Anwendung als Entscheidungsgrundlage im Einzelfall Anwendung finden. Sie können ebenso über die konventionskonforme Anwendung und Auslegung innerstaatlichen Rechts Anwendung finden und somit ebenfalls den entscheidenden rechtlichen Maßstab im Einzelfall bilden.

Entscheidend ist, dass den menschenrechtlichen Garantien der Vertragsnormen in jedem Einzelfall Vorrang eingeräumt wird. Die nationalen Gerichte und Behörden sind gehalten, die Bestimmungen der Kinderrechtskonvention in jedem Einzelfall so zu berücksichtigen und anzuwenden, dass sie den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands Wirksamkeit verleihen. Ob eine Norm der Kinderrechtskonvention unmittelbar oder im Wege der konventionskonformen Auslegung innerstaatlichen Rechts Anwendung zu finden hat, hängt auch vom jeweiligen Einzelfall ab – insbesondere vom jeweiligen Rechtsgebiet und der bereits bestehenden Regelungsdichte nach nationalem Recht.

(…) Eine wichtige Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist schließlich auch, dass sie die Möglichkeit eröffnet, vor dem Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf die Grundrechte des Grundgesetzes und die Kinderrechtskonvention Rechtsverletzungen geltend zu machen. Neben der Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde kann es dabei ebenso Konstellationen geben, in denen die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Bundesverfassungsgericht in Erwägung zu ziehen ist. Hält ein Gericht ein entscheidungserhebliches Gesetz für nicht vereinbar mit der Kinderrechtskonvention und daher für verfassungswidrig, kommt seitens der Gerichte auch eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht (Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz) in Betracht.

Um Kindern den Weg vor die Gerichte möglichst zu ersparen, sollte der Gesetzgeber die Kinderrechtskonvention – etwa im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen – endlich umsetzen. Die Rechte von Kindern sind in der deutschen Rechtsordnung – wie im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Regierung angekündigt – umfassend zu stärken.

Die Broschüre „Die UN-Kinderrechtskonvention. Geltung und Anwendbarkeit in Deutschland nach der Rücknahme der Vorbehalte“ steht zum Download bereit unterwww.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/die_un_kinderrechtskonvention.pdf

Dr. Hendrik Cremer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte. Er ist Experte für die UN-Kinderrechtskonvention.

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