06 Aug fK 5/04 Peschel-Gutzeit
Stiefkinder und ihre Familien in Deutschland
Rechtlicher Status und tatsächliche Situation
von Lore Maria Peschel-Gutzeit
Jeder meint zu wissen, was ein Stiefkind, Stiefvater, Stiefmutter ist. Bei näherer Prüfung zeigt sich jedoch, dass der Begriff ebenso undeutlich ist wie die Rechtsbeziehungen, die sich an ein Stiefelternverhältnis knüpfen, und dies, obwohl eine große Zahl von Kindern in Stieffamilien aufwächst. Gewisse Teilbereiche sind in jüngster Zeit gesetzlich geregelt worden: So hat der mit dem Sorgeelternteil zusammenlebende Partner seit zwei Jahren ein so genanntes kleines Mitbestimmungsrecht in Angelegenheiten der elterlichen Sorge. Zum Wohl des Stiefkindes gibt es jetzt die Möglichkeit, sein Verbleiben beim Stiefelternteil anzuordnen, wenn der leibliche Elternteil ausfällt. Andere Bereiche sind unverändert, also nicht geregelt: Das Stiefkind hat gegen den Stiefelternteil nach wie vor keinen Anspruch auf Unterhalt und auch kein Erbrecht.
Stiefkinder: Versuch einer Definition
Nach einer Definition im Deutschen Rechtslexikon von 1992 besteht zwischen einem Stiefkind und dem Stiefelternteil Schwägerschaft ersten Grades in gerader Linie. In einem Urteil vom 14. Juli 1977 schildert das Bundessozialgericht, dass es zur Abgrenzung des Begriffes Stiefkind im wesentlichen drei Stufen gebe: Entweder seien nur die aus einer früheren Ehe des anderen Ehegatten stammenden Kinder gemeint oder aber alle „eingebrachten“ Kinder und damit auch uneheliche oder aber, dritte Stufe, schlechthin alle Kinder des anderen Ehegatten. Das Bundessozialgericht fährt fort, sprachgeschichtliche Hinweise gingen nicht in die Richtung, dass unter Stiefkindern nur die in die Ehe eingebrachten Kinder zu verstehen seien.
Die Uneinigkeit in den Definitionsversuchen hat bis heute angehalten. Stets wurde vor allem darauf Wert gelegt, dass Stiefkinder Kinder sind, die in eine neue Ehe eingebracht werden. Auch dies ist heute nicht mehr eindeutig. Denn ein Stiefeltern-Stiefkind-Verhältnis kann auch dadurch entstehen, dass ein Kind nach künstlicher Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten in die Ehe geboren wird und schließlich auch dadurch, dass nur ein Partner (einer Ehe oder einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft) ein Kind adoptiert.
Generell könnte die Definition eines Stiefkindes also vielleicht lauten: Es ist ein Kind, das nicht mit seinen beiden leiblichen Eltern oder allein mit einem leiblichen Elternteil lebt, sondern mit einem leiblichen Elternteil und einem weiteren Erwachsenen, der mit dem leiblichen Elternteil durch Ehe oder Partnerschaft verbunden ist.
Noch 1992 fehlten besondere zivilrechtliche Regelungen für das Verhältnis zwischen Stiefkind und Stiefelternteil. Es gab weder eine geschlossene Darstellung und Regelung des Stiefeltern-Stiefkind-Verhältnisses im BGB, noch gab es auch nur entsprechende Reformansätze. Die große Sorgerechtsreform von 1980 hatte sich trotz entsprechender Forderungen dieses Themas nicht angenommen. Aber vor allem durch die deutsche Vereinigung im Jahre 1990 entwickelte sich eine Schubkraft und so gibt es nun einige rechtliche Regelungen, die das Stiefkind-Stiefeltern-Verhältnis betreffen und die vor allem das Stiefkind schützen. Zwar haben Stiefkinder nach wie vor keinen unmittelbaren gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen ihre Stiefeltern. Aber was die Beteiligung des Stiefelternteils am Sorgerecht angeht, was die Einbenennung betrifft und was schließlich das Umgangsrecht des Kindes mit dem Stiefelternteil und umgekehrt des Stiefelternteils mit dem Kind angeht, hat sich vieles getan. Damit sind die seit langem erhobenen Forderungen noch keineswegs erfüllt. Aber bekanntlich muss der Atem bei Familienrechtsreformen besonders lang sein und es ist ermutigend, dass in den letzten zehn Jahren einige wichtige Reformen gelungen sind.
Die Stiefkindadoption
Die Stiefkindadoption gibt es seit langem. Sie nimmt sogar unter allen Adoptionen den größten Raum ein. Aber die Regeln der Adoption haben in den letzten Jahren wichtige Änderungen erfahren.
Das Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1997 (BGBl I 2942) erkennt dem Vater ein Einwilligungsrecht zu, unabhängig davon, ob es sich um ein eheliches oder nichteheliches Kind handelt. Besonders hervorzuheben ist, dass seit Inkrafttreten dieses Reformgesetzes am 1. Juli 1998 der nichteheliche Vater nicht nur bei jeder Adoption seines Kindes, also auch bei einer Stiefkindadoption, einwilligen muss, sondern dass er im laufenden Adoptionsverfahren einen Antrag auf Übertragung des Sorgerechts auf sich selbst stellen kann (§ 1747 Abs. 3 Nr. 3 BGB). Mit dieser Neuregelung ist eine Entwicklung fortgesetzt worden, die noch nicht zum Abschluss gekommen ist: Gemeint ist die Stärkung der Stellung des biologischen Vaters. Konkret bedeutet dies bei der Stiefkindadoption, dass diese heute höhere Hürden zu überwinden hat, wenn die verheiratete oder wieder verheiratete Mutter mit dem Vater des Kindes nicht verheiratet war. Denn diesem ist nun das Recht eingeräumt, dem Adoptionsbegehren der Mutter mit einem eigenen Sorgerechtsübertragungsantrag entgegenzutreten.
Einbenennung
Die Einbenennung des Stiefkindes ist im Rahmen der großen Kindschaftsrechtsreformen seit 1998 erleichtert. Denn nun können der Elternteil, dem die elterliche Sorge für ein unverheiratetes Kind allein oder gemeinsam mit dem anderen leiblichen Elternteil zusteht, und sein (neuer) Ehegatte, der nicht Elternteil des Kindes ist, dem Kind durch Erklärung gegenüber dem Standesbeamten ihren Ehenamen erteilen, wenn sie das Kind in ihren gemeinsamen Haushalt aufgenommen haben (§ 1618 S. 1 BGB).
Das Kinderrechteverbesserungsgesetz vom 9. April 2002 (BGBl I 1239) hat die Streitfrage beantwortet, ob nur das alleinige Sorgerecht die Einbenennung erlaube: Seither ist klar, dass auch bei Fortbestehen der gemeinsamen elterlichen Sorge nach Scheidung der Elternehe der neu verheiratete Elternteil die Einbenennung betreiben kann. Dass dieser ebenso einwilligen muss wie das betroffene Kind, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat, folgt aus dem allgemeinen Namensrecht (§ 12 BGB) und ist im übrigen Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Kleines Sorgerecht bzw. Mitbestimmungsrecht (§ 1687b BGB)
Erst seit dem 1. August 2001 ist im BGB die sorgerechtliche Stellung des Stiefelternteils in einem gewissen Umfang geregelt. Durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften (BGBl I 266) vom 16. Februar 2001 wurde in Artikel 2 Nr. 13 das kleine Sorgerecht des Ehegatten des alleinsorgeberechtigten Elternteils eingeführt und zugleich dieselbe Regelung für den eingetragenen Lebenspartner geschaffen (Artikel 1 § 9). Noch die kurz zuvor in Kraft getretenen Gesetze zur Reform des Kindschaftsrechts, insbesondere das eigentliche Kindschaftsrechtsreformgesetz, hatten keine besonderen Befugnisse des Stiefelternteils für den Fall vorgesehen, in dem das Kind mit einem leiblichen Elternteil und dessen Ehepartner zusammenlebt mit der Folge, dass der Stiefelternteil sich jedenfalls faktisch an der Ausübung der elterlichen Sorge beteiligt.
Jetzt also kann der Stiefelternteil im Einvernehmen mit dem sorgeberechtigten Elternteil in Angelegenheiten des täglichen Lebens mitentscheiden. Er kann das Kind insoweit auch gesetzlich vertreten. Und bei Gefahr im Verzuge ist er berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind. Diese Regelung gilt nur, solange der sorgeberechtigte Elternteil und sein Ehegatte zusammenleben. Damit ist ein großer Schritt hin zur rechtlichen Harmonisierung in der neuen Ehe getan worden.
Umgangsrecht
Die Kindschaftsrechtsreform von 1998 hat den Stiefeltern ein Umgangsrecht zu solchen Stiefkindern gebracht, mit denen sie längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Bezugspersonen des Kindes, die mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, haben ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser Umgang dem Wohl des Kindes dient (§ 1685 Abs. 2 BGB). Auch mit dieser Regelung wird die soziale Bindung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind anerkannt und es wird daraus eine gesetzliche Folgerung gezogen.
Der Schutz dieser sozialen Bindungen des Kindes und dessen Anerkennung dringt erst allmählich in das Bewusstsein. Das ändert aber nichts daran, dass das Kind den Wunsch haben kann, den bisherigen Stiefelternteil weiter zu sehen. Besteht dieser Wunsch auch auf Seiten des Stiefelternteils, ist er nunmehr realisierbar. Freilich kann das Kind selbst, anders als gegenüber den leiblichen Eltern, einen solchen Anspruch nicht durchsetzen, denn es hat nicht das Recht auf Umgang mit einem Stiefelternteil. Aber wenn es sich um eine gewachsene und krisenfeste Beziehung handelt, besteht nun die Möglichkeit, den Kontakt aufrecht zu erhalten, wenn dieser Wunsch auch beim Stiefelternteil besteht.
Verbleibensanordnung
Das Kindschaftsrechtsreformgesetzes von 1998 hat eine weitere wichtige Neuregelung gebracht: die Verbleibensanordnung nach § 1682 BGB. Nun kann das Familiengericht anordnen, dass das Kind bei dem Stiefelternteil bleibt, wenn der sorgeberechtigte Elternteil ausfällt und der andere leibliche Elternteil das Kind zu sich nehmen will. Hierbei kann das Familiengericht von Amts wegen, aber auch auf Antrag des Stiefelternteils tätig werden. Voraussetzung ist, dass durch die Wegnahme das Wohl des Kindes gefährdet würde.
Diese Regelung ist dem seit 1980 geltenden § 1632 Abs. 4 BGB nachgebildet. Damals wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge bei Pflegefamilien die Möglichkeit eingeführt, das Kind in der Pflegefamilie zu belassen, auch wenn die leiblichen Eltern es zurückforderten, wenn anderenfalls das Kindeswohl gefährdet würde. Mit § 1632 Abs. 4 BGB hat der damalige Gesetzgeber die Bindungslehre ernst genommen, mit anderen Worten, er hat respektiert, dass ein Kind, das sich bei Pflegeeltern eingewurzelt hat, etwa weil den leiblichen Eltern die elterliche Sorge entzogen war, nicht plötzlich und ohne Rücksicht auf seine eigenen Belange aus dieser Pflegefamilie herausgerissen und den leiblichen Eltern zurückgegeben werden darf. Eine ähnliche Situation entsteht, wenn ein leiblicher Elternteil, der wieder verheiratet ist, etwa durch Tod ausfällt. Das Kind hat in dem Haushalt des sorgeberechtigten Elternteils und dessen Ehegatten gelebt und sich dort eingewurzelt. Müsste es in diesem Falle jedoch ohne weiteres zum anderen leiblichen Elternteil überwechseln, würden wieder seine Bindungen an seine Familie, an den Stiefelternteil und möglicherweise auch an Halbgeschwister missachtet.
Unterhalt des Stiefkindes
Einen echten zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch hat das Stiefkind nach wie vor nicht. Denn es ist mit dem Stiefelternteil verschwägert und nicht verwandt und die Unterhaltspflicht beruht – außer bei Ehegatten – im BGB auf Verwandtschaft.
Freilich hat das Stiefkind einen Ausbildungsunterhaltsanspruch (§ 1371 Abs. 4 BGB) und dies bereits seit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes, also seit dem 1. Juli 1958. So alt dieser Anspruch ist, so wenig ist er in der Praxis bekannt. Zuzugeben ist, dass er eine Reihe von Voraussetzungen hat, die nicht ohne weiteres zu erfüllen sind. Er schafft eine Möglichkeit, dem Stiefkind, dessen leiblicher Elternteil verstorben ist, aus dem verdoppelten Erbanspruch des überlebenden Ehegatten, also des Stiefelternteils, eine Ausbildung zu finanzieren, wenn und soweit der Erbteil, genau genommen die Hälfte des Erbteils, hierfür ausreicht.
Ehegattenunterhalt
Die Stiefmutter, die während der Ehe ein Kind versorgt, hat nach Scheitern dieser Ehe keinen Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1570 BGB. Dieser Betreuungsunterhalt umfasst nur leibliche Kinder der Ehegatten.
Dennoch können die ehelichen Lebensverhältnisse durch die Versorgung vorehelicher Kinder etwa des Mannes durch die Ehefrau geprägt sein mit der Folge, dass die Ehefrau sich während der Ehe eine eigene Lebensgrundlage nicht hat schaffen können. In diesen Fällen kann ein Unterhaltsanspruch nach § 1576 BGB in Betracht kommen. Bei dieser Vorschrift muss freilich zusätzlich geprüft werden, ob die Versagung von Unterhalt unter der Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig wäre.
Fazit
Einiges hat sich, gerade in den letzten Jahren verändert, es sind richtige Ansätze erkennbar. Vieles ist aber nach wie vor ungeregelt. Wer im Stiefkindfall ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis herstellen will, ohne dass zwischen Kind und Erwachsenem eine Verwandtschaft besteht, wird auch heute noch das Institut der Stiefkindadoption wählen müssen. Dies ist nicht nur beschwerlich, sondern trifft im Grunde auch den Sachverhalt nicht. Ein echtes Adoptivkind gewinnt mit den Wahleltern eine neue Familie.
Das gilt für das Stiefkind gerade nicht: Es hat und behält einen leiblichen Elternteil und gewinnt dessen bereits vorhanden Partner oder Ehegatten nur rechtlich hinzu. Im übrigen ändert sich an seiner tatsächlichen Situation nichts.
Mit der Stiefkindadoption entstehen aber die gewünschten rechtlichen Beziehungen: Das Stiefkind wird gesetzlicher Erbe, der Stiefelternteil erhält ein selbstverständliches Mitsorgerecht, es entstehen gegenseitige Unterhaltspflichten. Dies alles ließe sich aber auch in der Weise regeln, dass der Gesetzgeber bei Stieffamilien aus dem kleinen Sorgerecht ein echtes und vollständiges machte, indem er echte Unterhaltspflichten und -rechte schaffen würde und auch ein Erbrecht. Der Gesetzgeber des Erbschaftssteuergesetzes war hier schneller und vorausschauender: Das Stiefkind gehört ebenso wie das leibliche Kind zu den Kindern gemäß Steuerklasse I und hat denselben hohen Freibetrag wie dieses (§§ 15, 16 ErbStG). Was dem Erbschaftssteuergesetzgeber gelingt, sollte dem Gesetzgeber des BGB auch möglich sein!
Der Beitrag ist die gekürzte und veränderte Fassung eines Artikels in „Familie, Partnerschaft, Recht“, Heft 2/2004. Die vollständige Fassung einschließlich der Fußnoten ist über die Geschäftsstelle erhältlich.
Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ist Rechtsanwältin und Senatorin a.D. in Berlin
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