fK 4/07 Grundmann

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

„Unser Ziel ist eine frühzeitige Einschaltung des Familiengerichts in den Hilfeprozess“

Dr. Jörg Maywald im Gespräch mit Dr. Birgit Grundmann, Leiterin der Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung dfes Kindeswohls“ im Bundesministerium der Justiz

Maywald: Der vorliegende Referentenentwurf für ein Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls verfolgt das Ziel, den Schutz gefährdeter Kinder zu verbessern. Warum sieht der Gesetzgeber Handlungsbedarf und welche rechtlichen Schutzlücken bestehen?

Grundmann: In der Praxis werden die Familiengerichte leider häufig sehr spät und weit überwiegend mit dem Ziel angerufen, den Eltern die elterliche Sorge zu entziehen. Da Prävention das beste Mittel ist, um Kinder effektiv vor einer Gefährdung zu schützen, ist unser Ziel eine frühzeitige Einschaltung des Familiengerichts in den Hilfeprozess. Die Gerichte sollen früher und stärker auf die Eltern einwirken können, damit diese besser mit dem Jugendamt oder dem Leistungsträger kooperieren und die im konkreten Fall notwendigen sozialpädagogischen Hilfs- und Unterstützungsangebote annehmen. Der Gesetzentwurf beruht auf den Empfehlungen der interdisziplinären Experten-Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“, die die Bundesministerin der Justiz Zypries im März 2006 vor dem Hintergrund erschütternder Fälle von Kindesvernachlässigung und Jugendkriminalität eingesetzt hatte.

Maywald: Die geltende Formulierung des § 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) knüpft das Recht und die Pflicht des Staates, in Elternrechte einzugreifen, unter anderem an ein unverschuldetes Versagen der Eltern, eine Formulierung, die sich so auch im Grundgesetz (Art. 6 Abs. 3) findet. Diese Hürde soll nun auf der zivilrechtlichen Ebene entfallen. Halten Sie den Reformentwurf diesbezüglich für verfassungskonform?

Grundmann:Ja. Der hohe verfassungsrechtliche Gehalt des Elternrechts bleibt auch bei Streichung des „elterlichen Erziehungsversagens“ gewahrt. Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die nach Art. 6 Abs. 3 Grundgesetz gebotene Prüfung bildet die so genannte Subsidiaritätsklausel. Ein gerichtlicher Eingriff in die elterliche Sorge kommt danach nur in Betracht, wenn die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, die Gefahr für das Wohl ihres Kindes abzuwenden. Nur in diesem Fall greift die verfassungsrechtlich vorgesehene Wächterfunktion des Staates ein. Das „elterliche Erziehungsversagen“ stellt insoweit eine unnötige Hürde dar. Es ist oft schwer zu belegen und seine Feststellung vermindert in vielen Fällen die Kooperationsbereitschaft der Eltern aus menschlich durchaus nachvollziehbaren Gründen. Die Rechtsprechung verzichtet daher zum Teil schon heute darauf, sich auf eine Variante elterlichen Fehlverhaltens festzulegen und zieht teilweise den Eintritt der Kindeswohlgefährdung zur Begründung eines Erziehungsversagens heran.

Maywald: Auch nach geltendem Recht ist es bereits möglich, dass ein Familiengericht bei Gefährdung des Kindeswohls den Eltern Weisungen erteilt, zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen, ohne dass es in diesem Fall zu einer Sorgerechtsentziehung kommt. Der Entwurf sieht nun vor, einige mögliche Rechtsfolgen unterhalb der Schwelle der Sorgerechtsentziehung beispielhaft aufzuzählen. Kann die nun vorgesehene Klarstellung nicht auch auf andere Weise, zum Beispiel durch eine verbesserte Aus- und Fortbildung von Familienrichter(inne)n und Mitarbeiter(inne)n der Jugendhilfe erreicht werden?

Grundmann:Die Konkretisierung der Vorschrift hat in den Stellungnahmen der Länder und Verbände breite Zustimmung gefunden. Sie bietet Familienrichtern, Mitarbeitern in Jugendämtern und nicht zuletzt auch den betroffenen Eltern eine gute Orientierung und verdeutlicht die Bandbreite der möglichen Schutzmaßnahmen – gerade unterhalb der Sorgerechtsentziehung. Das Gesetz wird hier aus gutem Grunde sehr konkret und benennt zum Beispiel die richterliche Anordnung, für einen regelmäßigen Schulbesuch seines Kindes zu sorgen oder Leistungen der Gesundheitsvorsorge wie zum Beispiel Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch zu nehmen. Weitere sehr konkrete Beispiele finden sich auch in der Gesetzesbegründung. So kommt in geeigneten Fällen unter anderem auch die Weisung an die Eltern in Betracht, einen Kindertagesbetreuungsplatz für ihr Kind anzunehmen. Wir wollen mit dieser Aufzählung vor allem erreichen, dass die Familiengerichte nicht erst dann angerufen werden, wenn „das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“ und nur noch mit einer Sorgerechtsentziehung reagiert werden kann.

Maywald: Dem Entwurf zufolge soll in § 1696 Abs. 3 angefügt werden, dass das Familiengericht seine Entscheidung in der Regel nach drei Monaten überprüfen soll, sofern von familiengerichtlichen Maßnahmen zunächst abgesehen wurde. Was soll mit dieser Pflicht zur Überprüfung erreicht werden?

Grundmann:Bislang ist das Familiengericht, das in einem Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung keine Maßnahme anordnet, nicht verpflichtet, diese Entscheidung später noch einmal zu überprüfen. Die Erfahrungen in der Praxis zeigen jedoch, dass das Absehen von einer konkreten gerichtlichen Anordnung leicht zu einer Verschlechterung des Hilfeprozesses führen kann: Zum einen wächst die Zurückhaltung der Jugendämter, das Familiengericht erneut anzurufen. Zum anderen ist der Druck, den das laufende Verfahren auf die Eltern ausübt, unmittelbar beendet. Die Überprüfungspflicht soll gewährleisten, dass das Gericht erneut tätig wird, wenn sich die Kindeswohlsituation nicht den Erwartungen des Gerichts entsprechend verbessert oder sogar verschlechtert.

Maywald: Neben Änderungen im materiellen Zivilrecht schlägt der Referentenentwurf eine Reform verfahrensrechtlicher Bestimmungen im FGG vor. Diejenigen Verfahren, welche die Person eines Kindes betreffen, sollen durch das Familiengericht mit Vorrang und beschleunigt durchgeführt werden. Außerdem soll das Gericht im Vorfeld einer Entscheidung die Eltern, das Kind und das Jugendamt an einen Tisch bringen, um in einem Gespräch zu erörtern, wie einer möglichen Gefährdung begegnet werden und welche Folgen die Nichtannahme notwendiger Hilfen haben kann. Auf welchen Erkenntnissen beruhen diese Vorschläge?

Grundmann:Da die Dauer eines Verfahrens über das Sorge- oder Umgangsrecht für Eltern und Kinder sehr belastend sein kann, soll das Vorrang- und Beschleunigungsgebot zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer führen. Eine Verkürzung der Verfahrensdauer von Sorge- und Umgangsverfahren ist auch wegen des kindlichen Zeitempfindens besonders wichtig.
Die Einführung der „Erörterung der Kindeswohlgefährdung“ im Verfahrensrecht soll dazu beitragen, die Eltern noch stärker als bisher in die Pflicht zu nehmen und gegebenenfalls auf sie einzuwirken, öffentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und mit dem Jugendamt zu kooperieren. Eine derartige Erörterung der Kindeswohlgefährdung ist schon nach dem geltenden Recht nicht ausgeschlossen. Diese Möglichkeit wird aber in der Praxis nicht in ausreichendem Umfang genutzt.

Maywald: Welche Veränderungen in der Zusammenarbeit zwischen Familiengerichten und der Kinder- und Jugendhilfe – insbesondere den Jugendämtern – erwarten Sie, sofern die Reform wie geplant vom Gesetzgeber verabschiedet wird?

Grundmann:Effektiver Kindesschutz setzt voraus, dass Familiengerichte und Jugendämter ihre jeweiligen Aufgaben im Sinne einer „Verantwortungsgemeinschaft“ wahrnehmen. Dazu sollten sie das Bewusstsein für ihre unterschiedlichen Rollen schärfen und zugleich konstruktiv und zielorientiert zusammenwirken. Dies gilt auch für die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie etwa der Polizei, der Jugendstaatsanwaltschaft, den Jugendgerichten und der Schule. Hierzu soll die Regelung beitragen: Sie fördert die frühzeitige Einschaltung der Familiengerichte in den Hilfeprozess und ermöglicht es den Familiengerichten, die Eltern stärker in die Pflicht zu nehmen. So kann frühzeitig etwas unternommen werden, wenn sich die Eltern einer Kooperation mit dem Jugendamt und sozialpädagogischen Hilfen verschließen.

Maywald: Wie sieht der Fahrplan des Bundesministeriums der Justiz für die anstehenden parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs aus und welche Einwände sind Ihrer Ansicht nach zu erwarten?

Grundmann:Nachdem das Bundeskabinett den Gesetzentwurf im Juli beschlossen hat, ist für September der erste Durchgang im Bundesrat vorgesehen. Wir hoffen, dass der Entwurf das parlamentarische Verfahren zügig durchläuft und Anfang 2008 im Bundestag verabschiedet werden kann. Wir gehen davon aus, dass die Länder bei den Beratungen eine Mehrbelastung der Familiengerichte monieren werden. Die Verbesserung des Kindesschutzes muss uns aber höhere Ausgaben wert sein. Außerdem muss man berücksichtigen, dass durch ein frühes und präventives Eingreifen oftmals langwierige spätere Verfahren und hohe Folgekosten – z.B. für eine notwendige Heimunterbringung – vermieden werden können.

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