fK 4/04 Valentien

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Über den Zaun geschaut

Frühe familienunterstützende Angebote im internationalen Vergleich

von Stella Valentien

Friedrich Fröbel schrieb 1883 die „Mutter- und Koselieder“. Dieser frühe Elternratgeber lud ein zu ganzheitlicher Förderung auf Basis spielerisch-gemeinsamer Betätigung von Mutter und Kind. Fröbel berücksichtigte darin Erkenntnisse, die erst hundert Jahre später, im Rahmen der internationalen Säuglings- und Kleinkindforschung, wissenschaftlich fundierte Bestätigung fanden: Die Sicht des Kindes als von Geburt an kompetent, und des Erwachsenen als wichtiger Partner der emotionalen Entwicklung sowie als vermittelndes Bindeglied zur Umwelt. Sujets und Anregungen berücksichtigten die kontinuierliche Aneignung von Welt und den Aufbau des Selbst durch das Kind, im Umgang mit sich selbst und seiner Umgebung durch „Hand, Herz und Kopf“.

Familien heute stehen zahlreiche Elternratgeber, Elternschulen, Krabbelgruppen, Babymessen und andere Hilfen von unterschiedlicher Form und Fachlichkeit offen. In vielen Fällen dienen fachlich dargebotene Informationen als Vehikel zur Vermarktung neuer Produkte. Dass die Gründung einer Familie in der Realität andere Farben aufscheinen lässt als die in der Werbe- und Medienwelt genutzten verkaufsfördernden fröhlich-bunten Paletten, ist so bekannt wie schmerzlich zu erfahren, sobald es das eigene Kind und die eigene Familie betrifft.

Ein Kind ändert die Lebenssituation von Paaren und besonders der Frauen grundlegend. Während früher die Geburt als eine körperliche und seelische Belastungssituation gesehen wurde, setzt sich heute die Auffassung von beginnender Elternschaft im Sinne psychosozialer Phasen durch, die zur Bewältigung den Erwerb besonderer Kompetenzen verlangen. Das Leben mit Partner(in) und Kindern in einer Familie ist jedoch einer der wenigen Bereiche, auf die das formelle Bildungssystem nicht vorbereitet. In Untersuchungen werden Zweifel an den eigenen Kompetenzen als „neue“ Mutter und „frischgebackener“ Vater artikuliert. Die erfolgreiche Bewältigung der potentiellen Konfliktsituation Familiengründung misslingt häufig.

Familien brauchen Unterstützung, aber diese kann nur effektiv sein, wenn sie die Bedürfnisse aller Familienmitglieder, die interpersonellen Beziehungen und die Einbettung der Familie in den soziokulturellen Kontext berücksichtigt. Kindliche Entwicklung wird weniger durch Training in Teilbereichen (z.B. Motorik) gefördert, als durch Unterstützung der Mutter- bzw. Vater-Kind Dyade, durch Erweiterung elterlichen Wissens, Vermittlung konkreter Fertigkeiten im Umgang mit dem Kind und Ermunterung zur Nutzung intuitiver Verhaltenspotentiale. Hilfen für Familien müssen Eltern ermöglichen, ihre persönliche Situation zu klären, und Methoden der Selbstreflexion und des Stressmanagement vermitteln. Sie sollten auf der Paar-Ebene unterstützend wirken, Bewusstsein über Rollenmodelle fördern, Kommunikations- und Copingstrategien sowie Konfliktmanagement anbieten und die Situation der Familie als System innerhalb eines Systems sehen, also auf den jeweiligen Bedarf der Eltern vor Ort abgestimmt sein. Schließlich sollten soziale Netzwerkbildung unterstützt und Besonderheiten der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensbedingungen berücksichtigen werden.

Angebotsformen international

In Europa und den USA bestehen sowohl staatlich geförderte als auch durch ehrenamtliches Engagement getragene Angebote der Elternunterstützung in unterschiedlichen Formen. Eine allgemeine Eltern- und Familienbildung findet sich allerdings nicht als integraler Bestandteil der Strukturen aller staatlichen Systeme. Dennoch ist in den letzten Jahrzehnten ein Prozess der Entwicklung von Angeboten und Methoden offensichtlich, der von verhaltenstherapeutischen Interventionen hin zur Stärkung individueller und familialer Ressourcen geht, wobei die Zielgruppen jünger werden. In den 1960er Jahren waren Vorschulkinder im Fokus der Aufmerksamkeit, heute werden zunehmend Familien mit sehr jungen Kindern sowie Mütter, beginnend in der Schwangerschaft, angesprochen und vermehrt Erkenntnisse der Säuglingsforschung berücksichtigt.

In den USA existieren breit angelegte Programme zur Förderung elterlicher Kompetenzen durch Elternschulung bei Risiko- und Hochrisikogruppen, darunter „Early Head Start“ sowie ein heterogenes Angebot für moderat bis gut Verdienende. Eine Angebotsform in Großbritannien, Irland, den Niederlanden und den USA sind Hausbesuche durch trainierte Laien, die Eltern in belasteten Familien auf niedrigschwelligem Niveau erreichen. Diese Programme sollen Eltern aus Risikofamilien unterstützen, indem sie u.a. das Erreichen von Bildungsabschlüssen fördern. Ein weiterer Ansatz verbindet Elternschulung und Tagesbetreuung, so die „Family Centers“ in den USA; die an Françoise Dolto orientierten „Maisons Verts“ in den Beneluxstaaten, Frankreich und Italien oder die „Early Excellence Centers“ in England.

In vielen europäischen Ländern überwiegen – wenn auch regional begrenzt – Angebote mit kurativem Ansatz für Risikogruppen. Im medizinischen Bereich existieren Unterstützungsformen wie Säuglingspflegekurse, Gesundheitsberatung u.a. Angebote, die allgemeine Beratung und Unterstützung anbieten, sind eher in Modellprojekten zu finden. In Holland greift ein pflegerisch-medizinisch unterstützendes System ab Geburt des Kindes, das Aspekte der Familienbildung, Psychologie und Pädagogik berücksichtigt. In Deutschland und Österreich sollen, mit gesetzlich verankertem Rahmen, familienbildende Angebote alle Eltern ansprechen und primär präventiv wirksam werden.

Familienbildung in Deutschland

Familienbildungsangebote in Deutschland finden sich in großer Heterogenität in einem unübersichtlichen Feld. Familienbildung findet im institutionalisierten und im nicht oder schwach institutionalisierten Bereich statt. Trotz gesetzlicher Verankerung im Kinder- und Jugendhilfegesetz (§ 16 Absatz 1 und 2 SGB VIII) existieren keine bundesweiten Richtlinien, teilweise fehlen auch landesrechtliche Regelungen. Angebote werden von Trägern der Erwachsenenbildung und der Jugendhilfe, im Rahmen des SGB V durch medizinische Fachkräfte, frei arbeitende oder an Geburtskliniken gebundene Kinderärzte und Hebammen sowie auf Vereins- und rein kommerzieller Ebene gemacht, aber auch von Eltern im Rahmen von Selbsthilfe frei organisiert.

Stark nachgefragt werden einzelne institutionalisierte Angebotsformen im ersten Lebensjahr, z.B. Eltern-Kind-Gruppen. Sehr verbreitet ist das Prager Eltern-Kind-Programm (PEKiP). In den letzten Jahren entwickelten die Bundesarbeitsgemeinschaften für Familienbildung der großen Träger der Freien Wohlfahrt verstärkt eigene überregionale Kursangebote für professionell geleitete Treffen. Auch Elternbriefe, die über die Entwicklung des Kindes informieren, stellen eine verbreitete und wirksame Unterstützungsform dar. Ehrenamtlich organisierte Angebote bzw. solche mit schwacher Institutionalisierung können im ersten Lebensjahr des Kindes offene Müttertreffen, Baby-Gruppen, Stillcafes o.ä. sein.

Methoden und Inhalte früher familienbildender Angebote zeigen sich überwiegend Kind- bzw. Mütter-orientiert. Sie sollen elterliche Kompetenzen und Fähigkeiten unterstützen, die Eltern-Kind-Beziehung stärken sowie den Eltern helfen, soziale Netzwerke zu bilden. In Eltern-Kind-Gruppen werden beide Ebenen während wöchentlicher Spiel- und Gesprächstreffen einbezogen.

Das Eingehen auf die individuelle und die Paarebene im Bereich der frühen Elternschaft, mit Methoden wie Selbsterfahrung und -reflexion sowie dem Training kommunikativer Fähigkeiten, findet sich international erst in wenigen Angeboten. Der Deutsche Familienverband modifizierte ein amerikanisches Modell für das Programm „Wenn aus Partnern Eltern werden“.

In Deutschland kann die aktive Teilnahme an ehrenamtlicher Tätigkeit (z.B. in einem Mütterzentrum oder durch die Leitung von Gruppen) für Frauen gewisse Chancen für eine berufliche Qualifizierung beinhalten. Die Problemfelder der aktuellen familienbildenden Praxis in Deutschland, die auch für die Angebotspalette im ersten Lebensjahr gelten, können wie folgt beschrieben werden: Randständigkeit der Familienbildung innerhalb des Jugendhilfebereichs; geringe Vernetzung (auf Trägerebene sowie zwischen stark und schwach institutionalisierten Ebenen); Unübersichtlichkeit des Feldes; mangelnde Professionalität, geringe Vergütung der Fachkräfte; fehlende Niedrigschwelligkeit der an bildungsnahen Bevölkerungsschichten orientierten Angebote; Fehlen der Männer.

Forschungsstand

Auf internationaler Ebene existieren repräsentative Forschungsergebnisse, deren Daten allerdings teilweise unterschiedlich interpretiert werden. Auch wird Methodenkritik hinsichtlich der Verfahren der Implementation und Evaluation von Programmen geübt. Tendenziell wird eine gewisse Effektivität von Angeboten für Gruppen mit geringen demographischen Risiken festgestellt. Bei Nichtrisikogruppen wurden in den meisten Fällen keine Effekte, bei Hochrisikogruppen auch negative Effekte gefunden. Alle Ergebnisse sind von schwacher Signifikanz. Eine frühe (schon in der Schwangerschaft beginnende) und regelmäßige Teilnahme der Eltern an für die jeweilige Zielgruppe maßgeschneiderten Angeboten wird als wichtige Vorraussetzungen für positive Resultate gesehen.

Zur Effektivität von Angeboten in Deutschland lassen sich keine überzeugenden Aussagen treffen, da vorhandene Studien nicht repräsentativ sind. Stichprobenartige Befragungen von Mittelschichtmüttern ergaben, dass tendenziell positive Effekte von Angeboten zu finden sind, die sich auf das Selbstbewusstsein der Mütter, ihre Einschätzung eigener Kompetenzen und eine bessere Eltern-Kind-Beziehung beziehen. Der Programmnutzen lag für die Interviewten besonders hoch im Bereich des Austauschs mit anderen Eltern und etwas geringer bei Faktoren, die einen besseren Umgang mit dem Kind betrafen.

Ausblick

In den USA und Europa ist eine Entwicklung hin zu Angeboten und Ansätzen zu beobachten, die das „Empowerment“ von Familien im Blickpunkt haben und am sozioökologischen Modell Bronfenbrenners orientiert sind. Evaluationsergebnisse bestätigen ansatzweise die Wirksamkeit dieses Ansatzes. Wünschenswert wäre es, hier verstärkt weiter zu arbeiten, und Aktivitäten der Familienbildung mehr in den Fokus sozialer Unterstützungssysteme zu rücken. In den Bereichen Vernetzung, Professionalisierung sowie Evaluation sind Lücken zu schließen, damit durch qualitätvolle primäre Prävention familiäre Potentiale eröffnet werden können. Dies würde dem Entstehen von inter- und intrapersonalen Konflikten bis hin zu psychischen Erkrankungen und dissozialem Verhalten entgegenwirken, die kurative und regulierende Maßnahmen erforderlich machen, deren Kosten Investitionen in der Phase der Familiengründung bei weitem übersteigen dürften.

Die Literaturangaben sind über die Geschäftsstelle erhältlich.

Stella Valentien ist Dipl.-Pädagogin in Berlin

Literatur
PAT, STEP, PEKiP, PIKLER und CO.
Angebote zur Förderung elterlicher Kompetenzen und kindlicher Entwicklung im ersten Lebensjahr
(150 Seiten incl. zahlreicher Tabellen)
Berlin 2003
Bezug über: Vollrads TONSAAL e.V.
E-Mail: tonsaal@aol.com

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