09 Jun fK 6/11 Aichele
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Herausforderungen für Deutschland
Von Valentin Aichele
Bereits seit einigen Jahrzehnten wird in Deutschland die gemeinsame Beschulung von behinderten und nicht behinderten Kindern und Jugendlichen kontrovers diskutiert. Nach heutigem Stand liegt Deutschland bei der Integrationsquote behinderter Menschen ins allgemeine Schulsystem im europäischen Vergleich weit zurück.
Die Debatte über die Integration behinderter Menschen ins allgemeine Schulsystem sowie die etwaigen rechtlichen, sozialen, institutionellen und pädagogischen Voraussetzungen für die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems wird vor dem Hintergrund der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (im Folgenden: UN-Behindertenrechtskonvention bzw. Konvention) nun zu Recht neu geführt.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat weltweit einen politischen Willen zur Veränderung ausgelöst. Schon während ihrer Ausarbeitung war eine große Dynamik zu beobachten. Im Rahmen der Vereinten Nationen hat eine überdurchschnittlich große Zahl von Staaten in relativ kurzer Zeit das internationale Vertragswerk erarbeitet. Die internationalen behindertenpolitischen Verbände wirkten aktiv an der Ausarbeitung mit. Sie vertraten das weite Spektrum behinderter Menschen.
Seit der Verabschiedung der Konvention durch die UN-Generalversammlung im Dezember 2006 haben sich bereits mehr als hundert Staaten diesem neuen menschenrechtlichen Übereinkommen angeschlossen, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, wo die Konvention am 26.3.2009 in Kraft getreten ist. Als neue verbindliche Grundlage für die innerstaatliche Behindertenpolitik steht die Konvention für den Politikwechsel von einer Politik der Fürsorge hin zu einer Politik der Rechte.
Das Ziel der Konvention ist: Alle behinderten Menschen sollen ihre fundamentalen Rechte voll und gleichberechtigt mit anderen ausüben können. Wohl kein Staat in der Welt entspricht dieser Zielstellung in der Praxis derzeit schon vollständig. Mit der Konvention verbindet sich deshalb ein großer Arbeitauftrag, der sich an alle Staaten richtet.
Keine Spezialkonvention
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein menschenrechtliches Übereinkommen. Sie stärkt ausschließlich die universellen Menschenrechte. Sie bekräftigt erneut jene fundamentalen Rechte, die jedem Menschen aufgrund seines Menschseins – und daher allen Menschen gleichermaßen – zukommen. Die Konvention tritt damit zu den bereits international anerkannten menschenrechtlichen Grundlagen hinzu. Der besondere Beitrag der UN-Behindertenrechtskonvention liegt im Bereich der inhaltlichen Konkretisierung dieser Rechte.
Es wäre deshalb nicht richtig, die Rechte der Konvention als „Sonderrechte“ „Spezialrechte“ oder „spezielle Rechte“ für behinderte Menschen zu verstehen. Es geht den Vereinten Nationen nicht darum, besondere oder neue Rechte für die Gruppe behinderter Menschen zu schaffen. Vielmehr besteht ihr Anliegen ausschließlich darin, rechtlich besser abzusichern, dass die unterschiedlichen Perspektiven von Menschen mit Behinderungen – vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Lebenslagen und ihrer strukturellen Unrechtserfahrungen – in den allgemeinen Menschenrechtsschutz voll einbezogen und vor allem in der Praxis umfassend beachtet werden.
Verständnis von Behinderung
Die UN-Behindertenrechtskonvention schützt Personen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben. Unter „Behinderung“ versteht sie die gesellschaftlich bedingte Einschränkung ihrer individuellen Rechte. Die Konvention setzt immer dort an, wo die Wechselwirkung zwischen einer individuellen körperlichen, seelischen, geistigen oder sinnesbezogenen Beeinträchtigung mit einer gesellschaftlichen Barriere dazu führt, dass der aktive Gebrauch fundamentaler Rechte wesentlich beeinträchtigt oder vereitelt wird oder nicht gleichberechtigt mit anderen möglich ist.
Hiermit ist das Verständnis von Behinderung anders gelagert als beim rein medizinischen oder rein sozialen Verständnis von Behinderung. Gemäß dem medizinischen Verständnis wird Behinderung als individueller körperlicher, seelischer oder geistiger Mangel gesehen. Behinderung steht für einen „Fehler“ oder eine „Krankheit“. Wegen dieser „Defizit-Orientierung“ ist die medizinische Sichtweise nachhaltiger Kritik ausgesetzt. Diese Perspektive wird von der Konvention, die Behinderung als Teil der menschlichen Vielfalt wertschätzt, ganz entscheidend relativiert.
Das soziale Verständnis von Behinderung richtet – wie die Konvention auch – den Blick auf die gesellschaftlichen Barrieren, die Menschen behindern. Dieses Verständnis macht Behinderung allerdings im Wesentlichen an der Einschränkung sozialer Teilhabe fest. Dagegen stellt die UN-Behindertenrechtskonvention – dem Menschenrechtsansatz verpflichtet – darauf ab, ob der gleichberechtigte Gebrauch der fundamentalen Rechte beeinträchtigt oder vereitelt wird.
Inklusion als Leitbegriff
Der Anwendungsbereich der Konvention erstreckt sich auf alle denkbaren existentiellen Lebensbereiche. Sie deckt das gesamte Spektrum der bürgerlichen, politischen sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensbereiche ab. Dazu gehören etwa die Freiheit und Sicherheit der Person, Meinungsfreiheit, politische Teilhabe sowie Bildung, Arbeit, Gesundheit, Wohnen, Familie, Freizeit und Kultur. Der Schutz der Konvention erfasst konsequent sowohl den öffentlichen als auch den privaten Raum.
Für all diese Bereiche bestimmt die UN-Behindertenrechtskonvention Inklusion als Leitbegriff und erhebt ihn zu einer Forderung. Doch warum zieht sich die Forderung nach sozialer Inklusion wie ein roter Faden durch die Konvention?
Weltweit haben behinderte Menschen die Erfahrung sozialer Ausgrenzung gemacht. Sie machen diese Erfahrung bis heute. Soziale Ausgrenzung kann verschiedene Formen haben, wie etwa die Verweigerung der gleichen Anerkennung vor dem Recht, Alltagsdiskriminierung, strukturelle Benachteiligung, rechtliche Entmündigung, mangelhafte Wertschätzung, Stigmatisierung und Bevormundung, örtliche Aussonderung, unüberwindbare Hindernisse im Alltag etc. Die UN-Behindertenrechtskonvention stellt eine Antwort auf diese Erfahrungen dar. Hiergegen setzt sie die Forderung nach einer freiheitlichen und gleichberechtigten Inklusion in die Gesellschaft und untermauert dies mit individuellen Ansprüchen für alle Lebensbereiche.
Schon jetzt lässt sich feststellen: Die im Namen der Inklusion verlangte Öffnung gesellschaftlicher Bereiche für die wirksame Teilhabe von behinderten Menschen geht über das hinaus, was traditionell mit Integration gemeint ist. Es geht nach der Konvention nicht nur darum, innerhalb bestehender Strukturen Raum zu schaffen auch für Behinderte, sondern darum, die gesellschaftlichen Strukturen selbst so zu gestalten und zu verändern, dass sie der realen Vielfalt menschlicher Lebenslagen – gerade auch von Menschen mit Behinderungen – von vornherein gerecht werden.
Die deutsche Übersetzung
Die Abgrenzung der Begriffe Inklusion und Integration wird wissenschaftlich diskutiert. Diese Abgrenzung ist zusätzlich relevant geworden durch die deutsche Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die den Begriff der Inklusion meidet und auf den Integrationsbegriff abstellt, etwa auf ein „integratives Bildungssystem“.
Wichtig sind in diesem Zusammenhang zwei Informationen: Erstens ist die internationale Diskussion zum Recht auf Bildung behinderter Menschen gerade mit dem Inklusionsbegriff aufs Engste verbunden. Wenn man also verstehen will, was im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention gemeint ist, muss man sich am Inklusionsbegriff orientieren. Zweitens ist die deutsche Übersetzung nicht verbindlich. Entscheidend ist der Inhalt der Konvention, wie er durch die sechs authentischen Sprachfassungen repräsentiert wird.
Das Recht auf inklusive Bildung
Bildung ist ein Menschenrecht! Das Menschenrecht auf Bildung ist bereits in früheren menschenrechtlichen Übereinkommen anerkannt worden. Für seine Verankerung ist Artikel 13 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zentral. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 24 Absatz 1) haben die Staaten dieses Menschenrecht erneut anerkannt. Sie konkretisieren seinen Inhalt jedoch weiter aus.
Das Recht auf inklusive Bildung nach der Konvention ist im Zusammenhang mit den anderen menschenrechtlichen Übereinkommen zu verstehen. Danach besteht das Recht auf Bildung altersunabhängig und gewährt jedem Menschen die Freiheit auf lebenslanges Lernen. Es ist sowohl ein eigenständiges Menschenrecht als auch ein unverzichtbares Mittel zur Verwirklichung anderer Menschenrechte.
Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Die UN-Behindertenrechtskonvention fügt dem eine neue inhaltliche Note hinzu: Bildung soll die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung bringen und die Achtung vor der menschlichen Vielfalt stärken. Sie soll Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft befähigen. Bildung spielt also für den Einzelnen innerhalb einer Gesellschaft, die die Forderung nach sozialer Inklusion von Menschen mit Behinderungen voll verwirklichen möchte, eine zentrale Rolle.
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention haben die Staaten anerkannt, dass behinderte Menschen ein Recht auf den Zugang zum allgemeinen Schulsystem haben. Es sind ihnen dort sinnvolle Bildungsangebote zu machen. In der Regel soll für alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung, die allgemeine Schule der Ort ihrer Bildung sein. Behinderte und nicht behinderte Kinder und Jugendliche sollen gemeinsam unterrichtet werden.
Die UN-Behindertenrechtskonvention geht dabei davon aus, dass ein inklusives Bildungssystem dem individuellen Anspruch auf inklusive Bildung am besten gerecht werden kann. So kann soziale Ausgrenzung behinderter Kinder und Jugendlicher im Schulbereich am Ehesten vermieden werden. Die Konvention sieht in der Bildung einen Schlüsselbereich, um zu erreichen, dass Menschen mit Behinderungen ein Leben innerhalb – und nicht am Rand – der Gesellschaft ermöglicht wird. Diejenigen Bildungssysteme, die für behinderte Menschen noch keine volle Zugänglichkeit zum allgemeinen System hergestellt haben, sollen eine solche Öffnung ermöglichen.
Die Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention sind allerdings nicht gleichbedeutend mit der pauschalen Abschaffung des Förderschulwesens. Im Sinne einer Ausnahme können auch nach der Konvention spezielle Förderräume aufrechterhalten werden, wenn der Staat – in Übereinstimmungen mit den Betroffenen – dafür überzeugende Gründe darlegen kann, die nach Abwägung den vorrangigen Inklusionsansatz zurückstehen lassen. Allerdings ist die Regelschule im Sinne der Konvention der Ort, an dem Förderung regelmäßig stattfinden soll.
Vor dem Hintergrund der bestehenden Systeme in den Bundesländern ist damit vielerorts eine Verlagerung der sonderpädagogischen Kompetenzen von der Förderschule an die Regelschule nötig. Es ist deshalb geradezu absurd, den Begriff der Inklusion zum Vorwand für den Abbau sonderpädagogischer Fachkompetenz zu nehmen.
Inklusion im Einzelfall: angemessene Vorkehrungen treffen
Das Recht auf Zugang zur Regelschule für behinderte Menschen wird in der UN-Behindertenrechtskonvention dadurch inhaltlich qualifiziert, dass der Staat sogenannte „angemessene Vorkehrungen“ zu seiner Verwirklichung treffen muss (Artikel 24 Absatz 2 c) in Verbindung mit Artikel 2 der Konvention). Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ bezeichnet ein rechtliches, in Deutschland noch nicht hinreichend verankertes Konzept. Danach sollen in einer individuellen Situation die bestehenden Gegebenheiten so angepasst werden, dass eine sinnvolle, bedarfsgerechte Beschulung gewährleistet ist.
Solche Anpassungen können der Bau einer Rampe oder einer behindertengerechten Toilette, die Bereitstellung von sonderpädagogischer Unterstützung oder eine Schreibzeitenverlängerung sein. Es kann genauso die zieldifferenzierte Beschulung in einer bestimmten Klasse bedeuten wie die Anwendung der Binnendifferenzierung als Methode. Wichtig ist, dass es bei angemessenen Vorkehrungen um den Abbau von situationsbezogenen individuellen Barrieren geht, nicht um Barrierefreiheit im allgemeinen Sinne. Diese situationsbezogenen Barrieren zu überwinden und angemessene Lernbedingungen zu schaffen, macht es im Zweifel erforderlich, dass die Verantwortungsträger zusätzliche Mittel bereitstellen.
Umsetzung
Verpflichtungen, die aus der UN-Behindertenrechtskonvention erwachsen, richten sich primär an die Träger der staatlichen Gewalt. Angesprochen sind hiermit in Deutschland zunächst die Parlamente auf der Ebene von Bund und Ländern. Diese haben die Konvention im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung umzusetzen. Neben den Parlamenten sind auch Behörden und Gerichte sowie die Körperschaften des Öffentlichen Rechts unmittelbare Adressaten dieser Normen, da sie an Gesetz und Recht gebunden sind.
Bildung verantwortlich. Die Bundesländer sind nach der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, die volle Verwirklichung des Rechts behinderter Menschen auf Bildung im Rahmen eines inklusiven Bildungssystems zügig und mit aller Kraft anzustreben. Damit ist die Herausforderung angesprochen, das bestehende System mit allen geeigneten Mitteln und im Rahmen der verfügbaren Ressourcen entschlossen fortzuentwickeln. Der gemeinsame Unterricht im allgemeinen Schulsystem soll sobald wie möglich flächendeckend stattfinden. Die damit verbunden Prozesse sind von den staatlichen Trägern partizipativ und transparent zu gestalten.
Aus der UN-Behindertenrechtskonvention folgt aber zusätzlich, dass auch schon bevor der Aufbau eines vollständig inklusiven Bildungssystems abgeschlossen ist, Menschen mit Behinderungen der Zugang zum allgemeinen System zu ermöglichen ist. Denn bereits heute ist gemäß der Konvention (Artikel 24 Absatz 2) „sicherzustellen“, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden.
Sofern eine Person es wünscht, muss ihr Zugang zum Regelschulsystem deshalb möglich sein. Bei der Behandlung eines entsprechenden Antrags spielt das Konzept der angemessenen Vorkehrungen eine zentrale Rolle. Nach der Konvention ist die Versagung angemessener Vorkehrungen, die den Staat oder den privaten Schulträger nicht „unbillig belasten“, eine Diskriminierung. Dies ist eine klare Aussage.
Daraus folgt, dass, wenn die inklusive Beschulung der Regelfall ist, ein Antrag auf Regelbeschulung immer nur im Ausnahmefall abgelehnt werden kann. Sicherlich handelt es sich immer um eine Einzelfallentscheidung. Die Entscheidungsfindung geht aber von dem Grundsatz aus, dass einem Antrag regelmäßig stattzugeben ist. An die Begründung einer etwaigen Ablehnung, insbesondere an die Versagung einer angemessenen Vorkehrung und damit an den Nachweis der unbilligen Belastung, sind hohe Anforderungen zu stellen. Der bloße Verweis etwa auf die bestehenden Gegebenheiten oder fehlende Ressourcen reicht nicht aus, um zu begründen, warum der Zugang zum Regelschulsystem nicht gestattet werden kann.
Das Amt der Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen empfiehlt deshalb von internationaler Seite (Bericht des Amtes der Hochkommissarin für Menschenrechte 2009, Ziff. 52 und 53): Die Bundesländer müssen zuerst das Recht der behinderten Menschen auf Zugang zum allgemeinen Bildungssystem auf der Ebene des Landesschulrechtes in Form eines Rechtsanspruches umfassend verankern. Soweit das noch nicht geschehen ist, sind gesetzliche Anpassungen erforderlich. Auch die Verpflichtung aus der Konvention, angemessene Vorkehrungen zu gewährleisten, muss in diesem Zuge gesetzlich klar geregelt werden. Die Regelungen müssen so sein, dass Behörden sie vollziehen können und die betroffene Person notfalls ihre Rechte wirksam einklagen kann.
Weiter wird empfohlen, die Anforderungen an ein inklusives Bildungssystem in formalem Sinne weiter zu konkretisieren. Angesprochen wird damit die Entwicklung von allgemeinen Standards. Diese zielen darauf, dass behinderte Menschen gleichberechtigt mit anderen von ihrem Recht auf Bildung voll Gebrauch machen können. Diese Standards sollen die menschenrechtlichen Anforderungen wie Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Angemessenheit und Anpassungsfähigkeit von Bildung beachten und sind schrittweise zu verwirklichen.
Die Ressourcenfrage
Die UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 4 Absatz 2) verpflichtet jeden Vertragsstaat, die Umsetzung der in ihr verankerten Rechte „unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel“ voranzutreiben. „Ressourcen“ in diesem Zusammenhang meinen nicht nur den Posten in einem bereits beschlossenen nationalen Haushalt. Vielmehr umfasst dieser Begriff die gesamten Finanz-, Sach- und Personalmittel oder sonstigen Mittel eines Staates. All diese Mittel sind zum Zwecke der Umsetzung der menschenrechtlichen Verpflichtungen aus der Konvention in Betracht zu ziehen. Damit wird keinem Staat etwas abverlangt, was er nicht zu leisten imstande wäre, da er „nur“ die Ressourcen einsetzen muss, die er hat.
Ein Staat besitzt bei der Bestimmung über die Verwendung seiner Ressourcen weite Gestaltungsspielräume. Er muss unterschiedliche Politikbereiche im Blick haben. Bildung ist nur eines von ihnen. Hierbei bieten Menschenrechte dem Staat immer eine Orientierung als positive Grundsätze, um seine politischen Prioritäten richtig zu setzen. Meiner Einschätzung nach sind in den Ländern ausreichend Ressourcen vorhanden, um den Aufbau und die Unterhaltung eines inklusiven Bildungssystems in angemessener Zeit zu erreichen.
Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention ohne inhaltlichen Vorbehalt angenommen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass bei den Ländern der erforderliche politische Wille vorhanden ist, das Recht auf inklusive Bildung zu verwirklichen. Bei der Gewährleistung der Menschenrechte handelt es sich um ein zentrales gesellschaftliches Anliegen, das nicht nur das Selbstverständnis unserer Gesellschaft im Kern betrifft, sondern den breiten Konsens über alle politischen Lager darstellt. Das begründet schon die legitime Erwartung, dass Bund und Länder ihre verfügbaren Mittel einsetzen, um das Übereinkommen umzusetzen.
Nicht zuletzt führt die Bindung an die Konvention zur Beweislastverschiebung zulasten des Staates: Dieser steht nunmehr immer unter Druck, seine Entscheidungen regelmäßig und nachvollziehbar darzulegen.
System der Überwachung
Nach der UN-Behindertenrechtskonvention soll der Umsetzungsprozess von nichtstaatlichen Kräften durch ein System der Überwachung (Monitoring) begleitet werden. Zum Bereich der Überwachung gehört etwa der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Committee for the Rights of Persons with Disabilities), der die Umsetzungsprozesse in Deutschland von internationaler Warte aus befördern und überwachen soll.
Nicht zuletzt verlangt die UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 33 Absatz 2) den Aufbau eines unabhängigen nationalen Mechanismus. Der Mechanismus hat nach der Konvention das Mandat, die konventionseigenen Rechte zu fördern und zu schützen sowie die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Deutschland kritisch wie konstruktiv zu begleiten. Bundestag und Bundesrat haben mit Entscheidung über das Ratifikationsgesetz bestimmt, dass das Deutsche Institut für Menschenrechte (mit Sitz in Berlin) diese Aufgabe erfüllen soll. Vor dieser Entscheidung sind die behindertenpolitischen Verbände konsultiert worden. Sie haben diese Entscheidung begrüßt.
Die Monitoring-Stelle wird sich in den kommenden Jahren unter anderem damit befassen, ob und wie das Recht auf inklusive Bildung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland umgesetzt wird. Sie wird Politikberatung betreiben, Studien erstellen, Veranstaltungen organisieren sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit machen. Die Monitoring-Stelle hat beispielsweise die Möglichkeit, parallel zum offiziellen Regierungsbericht – von sich aus und aus unabhängiger Position heraus – dem oben genannten UN-Fachausschuss über die Implementierungserfolge beziehungsweise Umsetzungsschwierigkeiten in Deutschland zu berichten.
Zusammenfassende Bemerkungen
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Meilenstein für den nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz. Sie bekräftigt die universellen Rechte aller Menschen und konkretisiert ihren Inhalt aus der Perspektive der Menschen mit Behinderungen.
Die Konvention sieht Behinderung in der Wechselwirkung von individuellen Beeinträchtigungen mit den einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, soweit der volle und gleichberechtigte Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten beeinträchtigt oder vereitelt wird. Damit stellt sie die gesellschaftlich bedingten Strukturen in Frage, die Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen Beeinträchtigungen oder mit Sinnesbeeinträchtigungen bei ihrer Rechtsausübung im wörtlichen Sinne behindern.
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention haben die Staaten anerkannt, dass behinderte Menschen ein Recht auf den Zugang zum allgemeinen Schulsystem haben. Daher sind ihnen dort sinnvolle Bildungsangebote zu machen. Nach der Konvention soll der generelle Ort dieser Angebote für alle, ob mit oder ohne Behinderung, die allgemeine Schule sein. Die deutschen Bundesländer stehen damit vor der Herausforderung, mit zügigen, zielgerichteten und wirksamen Schritten ein inklusives Bildungssystem aufzubauen und zu unterhalten. Darüber hinaus ist bereits jetzt der Zugang behinderter Menschen zum Regelschulsystem zu öffnen, um dem individuellen Recht schon heute Geltung zu verschaffen.
Dr. Valentin Aichele ist Leiter der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin.
Literatur
Bericht des Amtes der Hochkommissarin für Menschenrechte, United Nations (2009): Thematic study by the Office of the High Commissioner for Human Rights on enhancing awareness and understanding of the Convention of the Rights of Persons with Disabilities, UN Doc. A/HRC/10/48 vom 26. Januar 2009.
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