06 Aug fK 6/04 Editorial
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
Noch nie in der Geschichte der Menschheit ging es den Kindern bei uns gesundheitlich so gut wie heute. Zugleich gibt der Gesundheitszustand eines beträchtlichen Teils der Kinder in Deutschland Anlass zu großer Sorge. Manche Erkrankungen und Entwicklungsstörungen haben drastisch zugenommen. Was auf den ersten Blick befremdlich, ja geradezu paradox klingt, löst sich beim näheren Hinsehen als Nebeneinander gegenläufiger Entwicklungslinien auf.
Gemessen an einigen Eckwerten hat sich die Gesundheitslage im vergangenen 20. Jahrhundert tatsächlich sehr günstig entwickelt: Die Säuglingssterblichkeit ist von rund 21 Prozent auf etwa 0,5 Prozent, also auf weniger als ein 40stel zurückgegangen. Zahlreiche Infektionskrankheiten haben ihren Schrecken verloren, die Sterblichkeit von Kindern bis 15 Jahren verringerte sich von 1 Prozent auf rund 0,02 Prozent, also um den Faktor 50.
Parallel zur Steigerung der Lebenserwartung der Kinder – und ihrer Eltern – rückt die Frage nach der Lebensqualität immer mehr in den Vordergrund. Neben das Ziel „add years to life“ ist „add life to years“ getreten. Gemessen an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonven-tion, die Kindern in Artikel 24 das Recht auf das „erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“ zuspricht, stehen wir heute vor gänzlich neuen Herausforderungen.
Etwa jedes fünfte Kind in Deutschland leidet unter Entwicklungs- und Verhaltensstörungen. Bereits bei Säuglingen und Kleinkindern sind Eltern-Kind-Bindungs- und Regulationsstörungen (exzessives Schreien, Schlaf- und Fütterprobleme) weit verbreitet. Später kommen Bewegungsmangel und Übergewicht, Sprachentwicklungsstörungen und psychosoziale Auffälligkeiten hinzu. Beunruhigend ist auch die hohe Zahl von Kindern mit chronischen und umweltmitbedingten Erkrankungen wie zum Beispiel Neurodermitis und Allergien.
Ursachen für diese neuartigen Krankheits- und Störungsbilder sind ein ungünstiges Zusammenspiel von konstitutionellen Faktoren, gesundheitlichem Fehlverhalten und belastenden Lebensverhältnissen. Besonders betroffen sind Kinder, die in Armut aufwachsen und ein bildungsfernes soziales Umfeld haben sowie Kinder aus Migrantenfamilien.
Unter dem Titel „Die neuen Kinderkrankheiten – Gesundheitsrisiken der jungen Generation“ hat die Liga für das Kind am 29./30. Oktober ihre diesjährige Jahrestagung in Heidelberg durchgeführt. Neben der Diskussion von Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten ging es um die gesundheitspolitischen Konsequenzen. Gefordert wurde u.a. die rasche Umsetzung von Präventionsmaßnahmen im Rahmen des von der Bundesregierung angekündigten Nationalen Aktionsplans „Für eine kindergerechte Welt“. Wir dokumentieren in diesem Heft die wichtigsten Ergebnisse der Tagung.
Mit herzlichen Grüßen
Prof. Dr. Franz Resch, Präsident der Deutschen Liga für das Kind
Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind
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