fK 5/04 Editorial

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Das Reden über Stiefkinder ist oft sprichwörtlich gemeint. Wenn wir davon sprechen, etwas „wie ein Stiefkind“ zu behandeln, so drücken wir damit aus, eine Angelegenheit unbeachtet zu lassen oder zu vernachlässigen. Stiefkinder genießen in unserer Gesellschaft kein hohes Ansehen.

Ein Kind wird zum Stiefkind, wenn es bei einem seiner beiden leiblichen Elternteile lebt und mindestens ein Elternteil eine neue Partnerschaft eingegangen ist. Etwa jedes zwanzigste – in den neuen Bundesländern jedes zehnte – Kind in Deutschland ist ein Stiefkind. Die weitaus meisten Stiefkinder leben mit der leiblichen Mutter und einem Stiefvater zusammen. Für viele existiert neben der Alltagsfamilie die Familie des außerhalb lebenden Elternteils als zweites Zuhause. Eine wachsende Zahl lebt mit Stief- oder Halbgeschwistern in so genannten Patchwork-Familien.

Ob Stiefkinder mit ihrer Situation glücklich sind, hängt von vielen Faktoren ab: die Art und Weise, wie die Kinder die Trennung der Eltern verarbeiten, spielt ebenso eine Rolle wie die Kooperation der leiblichen und sozialen Elternteile. Nicht zuletzt ist von Bedeutung, wie die rechtlichen Beziehungen geregelt sind und inwieweit Stiefelternbeziehungen in den erweiterten Familien und sozialen Netzwerken Wertschätzung und Unterstützung erfahren.

Rechtlich sind Stiefelternverhältnisse nur unzureichend anerkannt. Zwar haben Stiefeltern im Einvernehmen mit dem sorgeberechtigten Elternteil ein Mitentscheidungsrecht in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes. Auch ein Recht auf Umgang des Stiefelternteils besteht inzwischen, sofern dieser mit dem Kind längere Zeit zusammen gelebt hat und der Umgang dem Wohl des Kindes dient. Nach wie vor jedoch haben Stiefeltern keine Möglichkeit, das volle Sorgerecht und die dazu gehörenden Pflichten zu erhalten.

Einen Ausweg sehen viele Stiefeltern darin, das leibliche Kind ihrer Partnerin oder ihres Partners zu adoptieren. Allerdings bestehen in vielen Fällen Bedenken, ob dieser Schritt dem Kindeswohl am besten entspricht. Denn zugleich mit der Adoption durch den Stiefelternteil erlischt nach geltendem Recht das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinem außerhalb lebenden leiblichen Elternteil.

Wenn faktisch ein neues Eltern-Kind-Verhältnis entsteht, ohne dass dafür eine rechtliche Anerkennung ermöglicht wird, ist der Gesetzgeber gefordert. In vielen Fällen wäre dem Kindeswohl gedient, wenn Stiefeltern nicht nur im Alltag, sondern auch als gesetzliche Vertreter Verantwortung für das Kind übernehmen könnten. Entsprechende Vorschläge für eine Reform des Stiefkinderrechts liegen auf dem Tisch. Mehr dazu in diesem Heft.

Mit herzlichen Grüßen

Prof. Dr. Franz Resch, Präsident der Deutschen Liga für das Kind
Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind

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