19 Jun fK 4/10 Bach
Von Kindeswohl und Kinderwunsch
Einblicke in die Adoptionsszene
Von Rolf. P. Bach
„Die Annahme ist namentlich für wohlhabende, edel denkende Personen, welche in kinderloser Ehe leben, ein erwünschtes Mittel, diesen Mangel zu ersetzen. Wird dadurch Gelegenheit geboten, insbesondere mittellosen, von Natur aus begabten Kindern eine große Wohltat in materieller wie in geistiger Beziehung zu erweisen und dazu beizutragen, die natürlichen Anlagen derselben zum Besten der Gesellschaft zu vollkommener Entwicklung zu bringen, so wird andererseits durch die Annahme von Kindern sehr häufig ein tief empfundenes geistiges Bedürfnis der Adoptiveltern befriedigt und das Glück ihrer Ehe befestigt. Aber auch bei unverheirateten Personen kann der berechtigte Wunsch entstehen, Kinder anzunehmen, um in deren Erziehung und Versorgung eine Lebensaufgabe zu finden“ (…) Andererseits: „Es lässt sich nicht verkennen, dass manche Bedenken gegen die Annahme erhoben werden können. Man hat darin eine Beförderung der Ehelosigkeit, ein Mittel zur Befriedigung des Eigennutzes auf Seiten des Annehmenden, eine Verwirrung und Verdunkelung der Familienrechte (…) gesehen.“
Abstrahiert man von der altertümelnden Begrifflichkeit des über 100 Jahre alten Textes, der die gesetzlichen Adoptionsregelungen des ersten Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahr 1900 erläutert, so werden sich Kritiker des aktuellen Adoptionswesens in der Bundesrepublik in ihm dennoch wiederfinden. Mehr als 70 Jahre später und in der Folge eines europäischen Adoptionsübereinkommens aus dem Jahr 1963 hat der Gesetzgeber – weit prosaischer – Änderungen im Rahmen einer so genannten. großen Adoptionsreform so begründet: „Die Annahme als Kind darf nur ausgesprochen werden, wenn sie dem Wohl des Kindes dient (…) Die Motive der Annehmenden für die Annahme eines Kindes können vielfältig sein. Es können Erwägungen mitschwingen, die eher die Person des Annehmenden als die des Kindes im Auge haben. Trotzdem darf bei der Wertung durch das Vormundschaftsgericht nur das Kindeswohl den Ausschlag geben. Das Ziel der Annahme soll es sein, dem Kind ein beständiges und ausgeglichenes zu Hause zu verschaffen. Die Annahme soll deshalb nur in Betracht kommen, wenn anzunehmen ist, dass die Ehe der Annehmenden Bestand haben wird.“
Wie sieht es heute aus, mehr als 30 Jahre nach der „großen“ Adoptionsreform 1977 und dem damals so apostrophierten Paradigmenwechsel vom vorrangigen Kinderwunsch nicht mit eigenem Nachwuchs gesegneter Ehepaare hin zum Wohl eines Kindes, dessen leibliche Eltern es nicht selbst versorgen können oder wollen? Sind den hehren Worten ebensolche Taten gefolgt? Was dominiert in der aktuellen Adoptionsszene: der Kinderwunsch oder das Kindeswohl?
Ein kurzer Blick in die amtliche Adoptionsstatistik kann hilfreich sein, diese Frage zu beantworten, wenngleich die sehr detaillierte Statistik, die im Rahmen der Jugendhilfestatistik erhoben wird, von einer Vielzahl von Mängeln geprägt ist. Aber um die tatsächlichen Rahmenbedingungen darzustellen, reicht sie soeben aus.
2009 wurden in Deutschland 3.900 Kinder und Jugendliche adoptiert. Damit setzt sich der seit rund drei Jahrzehnten zu verzeichnende Rückgang der abgeschlossenen Adoptionsverfahren weiter fort (minus 7 Prozent gegenüber 2008). In den letzten fünf Jahren hat sich ihre Zahl um mehr als 25 Prozent verringert, seit Beginn der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts um 70 Prozent. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass der Anteil der Stiefeltern- und Verwandtenadoptionen in diesen Jahren immer zwischen 40 und 60 Prozent gelegen hat (2009: rund 55 Prozent), so dass die so genannte Fremdadoption, die gemeinhin als Adoption im eigentlichen Sinne verstanden wird, noch deutlich seltener ist (2009: weniger als 1.700). Rund 1.700 Fremdadoptionen sind bei einer Bevölkerung von mehr als 80 Millionen nicht sonderlich viele. In den Medien und interessierten Kreisen von Politik und Lobbyismus wird dies oft als gesellschaftliches Manko beklagt. Dazu jedoch besteht kein Anlass. Eine Gesellschaftsordnung, die es Eltern und Kindern ermöglicht – selbst unter schwierigen Lebensumständen – zusammen zu leben, erweist sich auch dadurch als sozialpolitisch integer und an den grundlegenden Menschenrechten ausgerichtet. In Skandinavien und den Benelux-Staaten (herkömmliche Wohlfahrtsstaaten) gibt es schon seit vielen Jahren so gut wie keine inländischen Adoptionen mehr. Und auch in etlichen anderen europäischen und nordamerikanischen Staaten liegen die Adoptionszahlen in Relation zur Bevölkerungsgröße unter denen in der Bundesrepublik.
Interessanterweise hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch die Zahl der von den Adoptionsvermittlungsstellen der Jugendämter auf ihre Adoptionseignung hin überprüften und für geeignet befundenen Bewerber, meist Ehepaare aber auch Alleinstehende, mehr als halbiert. Bis in die 1990iger Jahre hinein standen immer mehr als 20.000 Bewerber auf den Wartelisten der Jugendämter. 2009 lag die Zahl nur noch bei 7.200. Im statistischen Durchschnitt kommen etwa fünf Bewerber auf ein zur Adoption anstehendes Kind. Diese Relation ist in größeren Städten mit ihren sozialen Brennpunkten eher geringer, in ländlichen Bereichen und in den „Speckgürteln“ der Großstädte eher höher. Nach Aussagen der Fachkräfte in den Adoptionsvermittlungsstellen aber ist eine Auswahlmöglichkeit zwischen 4,5 unterschiedlichen Bewerbern im Interesse des zur Adoption frei gegebenen Kindes durchaus sinnvoll.
Man kann davon ausgehen, dass sich diese langjährige Entwicklung weiter fortsetzen wird. Die verbreiteten Methoden der Schwangerschaftsverhütung, stark ausgebaute Hilfen für Schwangere und junge Mütter und Familien, auch finanzieller Art, eine vermutlich auch künftig sehr vorsichtige, gelegentlich kritisierte, aber rechtshistorisch und verfassungsrechtlich nachvollziehbare Zurückhaltung der Gerichte bei der Ersetzung elterlicher Einwilligungen in die Adoption (zwischen acht und zehn Prozent aller Entscheidungen) und – vielleicht – auch ein verändertes Bewusstsein über den Wert von Kindern und Familie begründen eine solche Einschätzung. „Mittelalterliche“ Gegenbewegungen wie die Einrichtung von „Babyklappen“ und die Ermöglichung anonymer Entbindung haben – jedenfalls in den letzten Jahren – keine erkennbar gegenteiligen Auswirkungen gezeitigt.
Sinkende Bewerberzahlen sind sicherlich auch Ausdruck frustrierter Hoffnungen aufgrund durchschnittlicher Wartezeiten von fünf Jahren, wenngleich mathematische Durchschnittsrechnungen in diesem Feld untauglich sind, da stets die am besten geeigneten Bewerber für das heute zur Adoption anstehende Kind ausgesucht werden müssen, gleichgültig ob diese sich vor drei Monaten oder drei Jahren beworben haben. Darüber hinaus haben auch die ausufernden und sich immer mehr verbreitenden medizinischen Reproduktionstechnologien dazu beigetragen. All das, was in der Bundesrepublik aufgrund eines restriktiven Embryonenschutzgesetzes (noch) nicht möglich ist, lässt sich in anderen europäischen Staaten (Niederlande, Großbritannien, Spanien, Italien, Ukraine, Russland) und vor allem in Asien und Nordamerika ohne große Schwierigkeiten und völlig legal organisieren. Arztpraxen und Befruchtungskliniken werben weltweit auf mehrsprachigen Webseiten für ihre Dienste, inklusive Anreise, Unterkunft, Dolmetscher, Fahrer, Spendersamen, Ei- oder Embryonenspende, Leih¬mutter und „Tischwein“. Die Kosten dafür sind kaum andere als bei einer legalen inter¬staatlichen Adoption (zwischen 25.000 und 50.000,- Euro). Warum also adoptieren, wenn es auch ein wenigstens in Teilen eigenes, zumindest selbst ausgewähltes oder designtes Kind sein kann?
Die Adoption entwickelt sich also zu einem aussterbenden Rechtsinstitut, die Adoptionsvermittlung – derzeit nach dem Adoptionsvermittlungsgesetz eine kommunale Pflichtaufgabe mit Anforderungen einer personellen Mindestausstattung, die der sozialen Realität nicht mehr gerecht wird – zu einem dahinsiechenden sozialpädagogischen Fachgebiet.
Dessen ungeachtet aber ist die Adoption immer noch – und wie es scheint mehr denn je – ein dringliches Thema für Roman- und Drehbuchautoren, TV-Stories ebenso wie für die große weite Welt der Print- und Internetmedien. Dort finden sich nahezu jede Woche Meldungen über die Adoptionen prominenter oder semiprominenter Schauspieler, Politiker, TV-Moderatoren oder Sportler aus aller Welt. In der Bundesrepublik sind sowohl ein ehemaliger Bundespräsident als auch ein ehemaliger Kanzler ebenso – hoffentlich glückliche – Adoptivväter wie die beiden bekanntesten Fernsehmoderatoren der Nation. Dass Adoptivkinder, die in Prominentenhaushalten landen, nahezu ausschließlich aus dem Ausland kommen, hat darin seine Ursache, dass dort bekanntermaßen sozialpädagogische Prüfkriterien oder lange Wartezeiten keine Rolle spielen, schon gar nicht, wenn politisches Wohlgefallen, großzügige Spenden, andere materielle oder immaterielle Annehmlichkeiten und mediale Aufmerksamkeit zu erwarten sind.
In den letzten Jahren haben auch die weltweiten Bemühungen der Homosexuellenbewegung dazu beigetragen, das Adoptionsthema am Köcheln zu halten. In manchen Staaten können homosexuelle Paare oder Alleinstehende mittlerweile wie heterosexuelle auch adoptieren. In der Bundesrepublik ist zumindest die Adoption des Stiefkindes möglich. Und die Öffentlichkeit delektiert sich daran, wenn ein amtierender Außenminister und dessen Lebensgefährte sich mit Hilfe der Medien über ihren unterschiedlichen Kinderwunsch austauschen.
Nicht zuletzt ist der Handel mit Adoptivkindern weiterhin ein Thema, welches in der Öffentlichkeit und den Medien gerne aufgegriffen wird, obwohl es sich in ganzer Brisanz und massiver Ausbreitung vor allem in den 1980er und 1990er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gezeigt hat und sich seither eher auf wenige wenngleich spektakuläre Einzelfälle beschränkt. Vor allem Kriege, Bürgerkriege und Naturkatastrophen verführen immer wieder wohlmeinende wenngleich ahnungslose, oder aber profitgierige Menschen und Organisationen dazu, Kinder in großer Zahl „retten“ zu wollen und an Adoptionsbewerber in Nordamerika und Europa zu vermitteln oder – je nach Motivation – zu verschachern. Das Erdbeben in Haiti vor einigen Monaten bot dafür ein treffliches Beispiel.
Insgesamt aber wird der tendenzielle Rückgang der Adoptionszahlen in Deutschland mit Sicherheit anhalten. Eine kurzzeitige Gegenbewegung hat es nur nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten Anfang der 1990er Jahre gegeben, weil in der ehemaligen DDR das Pflegekinderwesen bis dahin so gut wie unbekannt war, sodass relativ viele adoptionsbedürftige Kinder in stationären Einrichtungen untergebracht waren, die in den ersten zwei, drei Jahren nach der Vereinigung von bundesrepublikanischen Bürgern adoptiert werden konnten.
Auch im Bereich der Stiefkindadoption bestehen erhebliche sozialpädagogische, mittlerweile auch rechtspolitische Bedenken, die in Vorschlägen münden, Stiefelternteile doch eher an der elterlichen Sorge ebenso wie an der Unterhaltsverpflichtung für das Stiefkind teilhaben zu lassen, als sie durch die künstliche Konstruktion einer leiblichen Verwandtschaftsbeziehung zu Ersatzeltern zu stilisieren, die sie für die meist ja schon älteren Kinder und Jugendlichen tatsächlich gar nicht sein können.
Von einer der aktuell regierenden Bundestagsparteien wird seit vielen Jahren schon – auch in jüngster Zeit wieder – durch Anfragen und Anträge der Eindruck erweckt, als könne man durch höhere Altersgrenzen für Adoptionsbewerber Adoptionszahlen in die Höhe treiben. Kundige wissen, dass dies kompletter Unfug ist, da es einerseits ohnehin gesetzlich keine obere Altersgrenze für Adoptionsbewerber gibt, sondern lediglich in den „Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung“ der Landesjugendämter ein Altersabstand von etwa 40 Jahren als sinnvoll angesehen wird, was kein ernst zu nehmender Pädagoge und Entwicklungspsychologe bestreitet. Dessen ungeachtet aber würde eine gesetzlich programmierte Erhöhung der Adoptionsbewerberzahlen ja keineswegs die Zahl adoptionsbedürftiger Kinder erhöhen. Gleiches gilt auch für Bestrebungen derselben Partei, beidseits berufstätigen Adoptionsbewerbern ebenso wie homosexuellen Lebenspartnern männlichen oder weiblichen Geschlechts bessere Adoptionsmöglichkeiten einzuräumen. Deutlich wird aus solchen Bemühungen lediglich, dass dadurch die Interessen unfreiwillig kinderloser, älterer Paare des akademischen, gehobenen Mittelstandes und damit das Wählerklientel dieser Partei bedient werden sollen. Offenbar geht man davon aus, dass das viel berufene „Kindeswohl“ in einer derartigen familiären Konstellation per se schon irgendwie gewahrt würde.
Auch die interstaatliche Adoption, die erstmals mit der Verabschiedung des Haager Übereinkommens über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (1993) und ihrer Umsetzung in die innerstaatliche Gesetzgebung der Bundesrepublik (2002) eine umfassende Regelung erfahren hat, wird weder aktuell noch mittelfristig den „Bedarf“ an adoptierbaren Kindern decken können.
Derzeit weiß niemand, wie viele Kinder aus dem Ausland zum Zwecke der Adoption oder als schon adoptierte Kinder einreisen. Die amtliche Adoptionsstatistik weist zwar jedes Jahr einige hundert adoptierte Minderjährige mit ausländischer Nationalität aus (2009: rund 1.000), differenziert jedoch nicht danach, ob es sich um Fremd-, Stiefkind- oder Verwandtenadoptionen handelt, ob diese Kinder bereits lange Zeit in der Bundesrepublik leben oder gar hier geboren sind, oder auch ob sie im Rahmen des Familiennachzugs mit eingereist sind und erst später adoptiert werden. Auffällig ist zudem, dass die Zahlen der der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption (BZAA) gemeldeten Kinder, die in sehr unterschiedlichen Stadien des Vermittlungsprozesses erfasst werden, regelmäßig um 30 bis 50 Prozent höher liegen als die der amtlichen Adoptionsstatistik, die den gerichtlichen Abschluss eines Adoptionsverfahrens verzeichnet. Die Vermittlungszahlen der anerkannten Auslandsvermittlungsstellen freier Träger sprechen ebenfalls dafür, dass die amtliche Statistik grob irreführend ist. Private oder Selbstbeschaffungs-Adoptionen im Ausland, die nach deutschem Recht – trotz aller in- und ausländischer Kritik – weiterhin möglich sind, werden oftmals gar nicht erfasst, weil ein entsprechendes Anerkennungsverfahren lediglich fakultativ ist und im Regelfall einer so genannten Volladoption im Ausland die Beischreibung der Adoption beim Standesamt ausreichend ist. Nach vorsichtigen Schätzungen wird man wohl von rund 1.000 bis 1.500 interstaatlichen Adoptionen in der Bundesrepublik ausgehen können.
Aber sowohl die staatlichen Vermittlungsstellen als auch diejenigen in freier Trägerschaft (anerkannte Auslandsvermittlungsstellen) verzeichnen in den letzten Jahren deutliche Rückgänge. Bei den Auslandsvermittlungsstellen, die einen Großteil der offiziellen Vermittlungen durchführen, lag dieser Rückgang in den letzten fünf Jahren bei mehr als 30 Prozent. Viele „klassische“ Herkunftsstaaten ausländischer Adoptivkinder, die früher eine wesentliche Rolle im Adoptionsgeschehen gespielt haben, wie Thailand, die Philippinen, Indonesien, Sri Lanka, Vietnam, Brasilien, Peru, Bolivien oder Chile lassen internationale Adoptionen nur noch in begrenztem Umfang oder nur noch für ältere, chronisch kranke oder behinderte Kinder und Jugendliche zu, die im Lande selbst nicht vermittelt werden können. Dies gilt seit einigen Jahren auch für die meisten ost- und südosteuropäischen Staaten, aus denen nach der Auflösung des kommunistischen Machtbereichs Anfang der 1990er Jahre sehr viele Adoptivkinder kamen.
Derzeit kommen Kinder in begrenzter Zahl nur noch aus Bulgarien, der Ukraine und der Russischen Föderation. Doch auch in diesen Staaten nehmen vor allem die politischen Vorbehalte gegenüber der interstaatlichen Adoptionsvermittlung massiv zu. Verbesserte ökonomische Bedingungen oder sozialpolitische Auflagen der Europäischen Union gegenüber Beitrittskandidaten tragen ein Übriges zu dieser Entwicklung bei. Da die Volksrepublik China, aus der weltweit gesehen immer noch die meisten Adoptivkinder stammen, jedwede Vermittlung in die Bundesrepublik ablehnt, weil auch dort politisch auf eine drastische Reduzierung der Vermittlungszahlen hingearbeitet wird, bleiben als Ausweichstaaten nur noch jene im südlichen Afrika übrig, die durch die Bemühungen diverser Showprominenter adoptionsspezifische Berühmtheit erlangt haben. Aktuell gehört beispielsweise Äthiopien zu den zahlenmäßig größten Herkunftsstaaten ausländischer Adoptivkinder weltweit. Die nordafrikanischen sowie etliche zentralafrikanische Staaten müssen sich zumindest mit dieser Problematik nicht herumschlagen, da die dort geltende islamische Rechtsordnung (Scharia) eine Adoption im europäischen Sinne nicht kennt und in den meisten Staaten sogar verbietet.
Die „klassische“ Adoption eines familienfremden Kindes – gleichgültig ob im Inland oder aus dem Ausland – wird also in absehbarer Zeit der Rechts- und Sozialgeschichte angehören. Die „wohlhabenden, edel denkenden Personen“ werden ihre „große Wohltat“ nur noch in Ausnahmefällen praktizieren können und sich statt dessen den Technologien der Reproduktionsmediziner ausliefern oder aber ihrem Leben einen irgendwie anders gearteten Sinn verleihen müssen.
Für die vielen tausend Kinder und Jugendlichen, die jedes Jahr in der Bundesrepublik Hilfen zur Erziehung außerhalb ihrer Familien in Anspruch nehmen müssen, werden sich Gesetzgeber, sozialpädagogische Wissenschaft und Praxis andere Modelle einer familiären Ersatzunterbringung und -versorgung ausdenken müssen, um die dauerhafte und sündhaft teure stationäre Unterbringung zu vermeiden. Ein gut organisiertes, fachkundig betreutes, rechtlich und finanziell abgesichertes Pflegekinderwesen böte sich dafür an. Die elementaren Rahmenbedingungen dafür sind vorhanden. Der zunehmende Druck auf die kommunalen Haushalte lässt die Hoffnung nicht unbegründet erscheinen, dass in diesem Bereich endlich ernsthafte und nachhaltige Schritte unternommen werden.
Rolf P. Bach ist Jurist und Sozialpädagoge sowie Leiter der Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstelle und Zentralen Behörde für Auslandsadoption der vier norddeutschen Bundesländer (GZA) in Hamburg).
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