fK 4/09 Zypries

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

„Im Verfahrensrecht ging es darum, das neue Recht kinderfreundlich auszugestalten“

Dr. Jörg Maywald im Gespräch mit Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz

Maywald: Am 1. September 2009 tritt das neue Verfahrensrecht in Kraft. Welche Zielsetzungen verbinden sich mit dieser Reform für die Stellung des Kindes vor Gericht?

Zypries: Kinder sind die verletzlichsten Glieder unserer Gesellschaft. Richtschnur unserer Reformen im Unterhalts-, Kindschafts- und zuletzt auch im Verfahrensrecht ist es, ihnen die Situationen zu erleichtern, die für sie ohnehin mit Belastungen verbunden sind. Im Verfahrensrecht ging es ganz konkret darum, das neue Recht kinderfreundlich auszugestalten. Dazu gehört, dass das Gericht schnell Regelungen trifft, das heißt konkret innerhalb von vier Wochen. Der gerichtliche Versuch einer Streitschlichtung wird zudem künftig das gesamte Verfahren bestimmen, damit die für das Kind besonders belastende Konfliktsituation möglichst im Konsens gelöst wird.

Maywald: Wenn es in gerichtlichen Verfahren um Kinder geht, spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Eine lange Verfahrensdauer kann Fakten schaffen, die für das Kind mit nur schwer revidierbaren Folgen verbunden sind. Nach dem neuen Gesetz sollen Kindschaftssachen daher vorrangig und beschleunigt durchgeführt werden. Ein erster Erörterungstermin soll spätestens nach einem Monat stattfinden. Sind die Familiengerichte für ein solches beschleunigtes Verfahren überhaupt entsprechend ausgestattet?

Zypries: Eins ist klar: wenn das Kindeswohl besonders betroffen ist, muss es eine schnelle gerichtliche Reaktion geben. Dieses Vorrang- und Beschleunigungsgebot ist bereits seit Juli 2008 – als vorgezogenes Reformelement – geltendes Recht. Die Gerichte haben sich auch organisatorisch darauf eingestellt. Viele Familiengerichte haben nach unterschiedlichen Modellen mit einer beschleunigten und konzertierten Verfahrensbearbeitung in Kindschaftssachen begonnen. Und die ersten Rückmeldungen zeigen: das Beschleunigungsgebot wirkt, es gibt schneller einen Termin.

Maywald: Die Erfahrung zeigt, dass Umgangsstreitigkeiten zunehmend vor Gericht ausgetragen werden. In diesen Fällen soll das Gericht zunächst auf Möglichkeiten der Beratung, Mediation usw. hinweisen. Um die Möglichkeiten realistisch einschätzen zu können, ist ein Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern der vorhandenen Angebote vor Ort notwendig. Wie sinnvoll sind in diesem Zusammenhang regionale Arbeitsgemeinschaften, an denen neben Familiengericht und Jugendamt auch die Beratungsstellen beteiligt sind, und wie kann für eine solche Zusammenarbeit Verbindlichkeit erreicht werden?

Zypries: Ich finde eine solche Zusammenarbeit gerade im Interesse der Kinder sehr hilfreich. Ein derartiger „Runder Tisch“ bildet sich ja dort, wo sich die verschiedenen – an Familienkonflikten beteiligten – Professionen ihrer Verantwortungsgemeinschaft bewusst werden. Die Familiengerichte, Jugendämter, Beratungsstellen und auch die Anwaltschaft bemühen sich zunehmend um mehr gemeinsame Verantwortung für den Schutz von Familien und insbesondere von Kindern. Eine solche Einstellung ist die Grundlage für eine verbindliche und nutzbringende Zusammenarbeit.
Das FamFG greift diesen Grundgedanken der Kooperation der Professionen auf. Es sieht deshalb einen frühen ersten Termin vor, in dem das Gericht mit allen Verfahrensbeteiligten und dem Jugendamt gemeinsam und aufeinander abgestimmt den Einzelfall erörtert; dessen vorrangiges Ziel ist die einvernehmliche Konfliktlösung. Dabei weist das Gericht nicht nur auf die Beratungs- und Mediationsmöglichkeiten hin. In geeigneten Fällen kann es sogar verbindlich anordnen, dass die Eltern an einer Beratung teilnehmen. Für den Erfolg solcher Beratungen ist eine frühe zeitliche Abstimmung aller Beteiligten unabdingbar.

Maywald: Das neue Recht sieht im Falle einer möglichen Kindeswohlgefährdung ein so genanntes Erörterungsgespräch vor, an dem neben den Eltern in der Regel das Jugendamt und in geeigneten Fällen auch das Kind beteiligt wird. Auf diese Weise wird das Familiengericht mehr als bisher in den Prozess der Entscheidung über Hilfen für Kinder und Eltern einbezogen. Sind Familienrichterinnen und Familienrichter dafür ausreichend qualifiziert und welche Auswirkungen hat dies für die Aus- und Fortbildung dieses Berufsstandes?

Zypries: Gerade Fälle von Kindeswohlgefährdung zeigen, dass Richterinnen und Richter auch als Moderatoren und als Psychologen gefordert sind. Es gibt zahlreiche und regelmäßige Fortbildungen zum Familien- und Kindschaftsrecht in allen seinen Fragestellungen – zum Beispiel an der Deutschen Richterakademie, einer von Bund und Ländern getragenen überregionalen Fortbildungseinrichtung. Dort, aber auch bei anderen familienrechtlichen Tagungen wird die vom neuen Gesetz verstärkt geförderte interdisziplinäre Zusammenarbeit ebenso wie die Mediation bereits berücksichtigt. Einzelne Tagungen widmen sich beispielsweise nur familiengerichtlichen Themen wie der Anhörung von Kindern. Neben überregionalen Fortbildungen bieten auch die Bundesländer verschiedene Veranstaltungen zum FamFG in eigener Verantwortung an. Die theoretische Vermittlung der notwendigen Kenntnisse über das neue Verfahrensrecht in Kindschaftssachen ist auch in der Ausbildung der Richterinnen und Richter sichergestellt. Grundzüge des Familienrechts gehören zu den Pflichtfächern des Studiums. Die Inhalte des Studiums berücksichtigen auch notwendige Schlüsselqualifikationen wie Gesprächsführung, Streitschlichtung, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit.

Maywald: Mit Inkrafttreten des FamFG wird aus dem bisherigen Verfahrenspfleger der Verfahrensbeistand. Seine Aufgabe besteht darin, das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Dies ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die unter anderem rechtliche und psychologische Kenntnisse voraussetzt. Warum hat es der Gesetzgeber versäumt, Mindestanforderungen an die Qualifikation des Verfahrensbeistandes gesetzlich festzulegen?

Zypries: Ich halte eine gesetzliche Festlegung zwingender beruflicher Qualifikationen des Verfahrensbeistands nicht für geboten. Das Gesetz gibt dem Gericht auf, einen geeigneten Verfahrensbeistand für das Kind zu bestellen, quasi als dessen Anwalt. Dieser muss persönlich und fachlich in der Lage sein, die ihm übertragenen Aufgaben wahrzunehmen. Wichtig ist doch vor allem, dass der Verfahrensbeistand Zugang zum Kind findet und dessen individuelle Bedürfnisse in das Verfahren einbringen kann. Durch ein hohes Maß an Flexibilität bei der Bestellung des Beistands wird den Gerichten ermöglicht, genau einen solchen geeigneten Verfahrensbeistand zu finden. Da ist sicherlich sowohl pädagogischer als auch juristischer Sachverstand gefragt. Eine gesetzliche Einschränkung auf bestimmte Qualifikationen würde aber andere geeignete Bezugspersonen des Kindes als Verfahrensbeistand ausschließen. Man sollte dabei nicht vergessen, dass der Verfahrensbeistand auch ehrenamtlich und nicht nur berufsmäßig tätig wird.

Maywald: Unter den bisher bereits berufsmäßig tätigen Verfahrenspflegerinnen und Verfahrenspflegern hat die in § 158 Abs. 7 FamFG getroffene Regelung, die Vergütung ihrer Aufwendungen zukünftig zu pauschalieren, große Unruhe ausgelöst. Insbesondere wird argumentiert, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle Gespräche mit den Eltern und im Umfeld des Kindes notwendig sind, deren Aufwand bei den vorgesehenen Fallpauschalen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Folge – so wird befürchtet – könnte sein, dass die Interessen von Kindern vor Gericht nicht mehr angemessen vertreten werden können. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Zypries: Nun, in dem von mir vorgelegten Gesetzentwurf war keine Pauschalvergütung vorgesehen, sondern eine Beibehaltung des bisherigen Vergütungssystems, das eine Abrechnung nach Aufwand und Stundensätzen vorsah. Die Pauschalvergütung ist erst im Gesetzgebungsverfahren auf Drängen der Länder eingefügt worden, die sich davon Einsparungen für ihre Justizhaushalte versprechen. Immerhin haben wir dann in einem harten Kampf wenigstens durchsetzen können, dass in der 2. Instanz die Pauschale wieder fällig wird, wenn der Verfahrenbeistand seine Aufgaben nach Einlegung eines Rechtsmittels erneut wahrnimmt. Mehr war leider mit den Ländern nicht zu machen.
Im Grundsatz wird nun am 1. September 2009 das Vergütungssystem von der bislang einzelfall- und aufwandsbezogenen Vergütung auf eine Fallpauschale umgestellt. Diese Pauschale wird durch zusätzliche Aufgaben des Verfahrensbeistands – also der aktiven Mitwirkung an einer einvernehmlichen Konfliktlösung durch Gespräche mit den Eltern – von 350 € auf 550 € angehoben.
Ich gehe davon aus, dass die neue Vergütungsregelung zu einer angemessenen Honorierung der berufsmäßig tätigen Verfahrensbeistände führen wird. Sie erlaubt eine Mischkalkulation aus aufwändigen und weniger aufwändigen Fällen. Man sollte auch berücksichtigen, dass die Pauschale bei mehreren Geschwisterkindern für jedes einzelne Kind anfallen wird. Auch das selbständige Verfahren der einstweiligen Anordnung bringt einen selbständigen Vergütungsanspruch des Verfahrensbeistands mit sich. Und schließlich sollten wir nicht vergessen, dass die Abrechnung der Vergütung deutlich einfacher wird.

Maywald: Gesetzliche Reformen sind immer mit Unwägbarkeiten, bisweilen auch mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Wird es eine begleitende Rechtstatsachenforschung geben, um solche Nebenwirkungen des neuen Verfahrensrechts gegebenenfalls erkennen und abfedern zu können?

Zypries: Wie auch bei der ZPO-Reform ist eine zeitnahe Evaluierung der FGG-Reform geplant. Die dafür notwendigen ersten Umstellungen in der statistischen Erfassung der Verfahren sind bereits vorgenommen worden. Die Grundlagen für die Untersuchung sind damit geschaffen. Diese Untersuchung soll nicht nur die Verfahren in Kindschaftssachen bzw. vor dem Familiengericht erfassen, sondern die gesamte Reform. Dabei ist mir auch wichtig zu erfahren, wie sich die Regelungen des Allgemeinen Teils – wie zum Beispiel des geänderten Instanzenzuges – in der Praxis bewähren werden.

Maywald: Gemäß Artikel 12 Abs. 2 der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder das Recht, „in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter (…) gehört zu werden“. Was halten Sie von dem Vorschlag, Kindern auch in behördlichen wie zum Beispiel jugendamtlichen Verfahren einen Verfahrensbeistand zur Seite zu stellen, wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht?

Zypries: Der Verfahrensbeistand ist eine Rechtsfigur des gerichtlichen Verfahrens; so ist er auch im Zuge der Kindschaftsrechtsreform als „Anwalt des Kindes“ entstanden. Was das behördliche Verfahren beim Jugendamt angeht, darf man nicht vergessen, dass – anders als zum Beispiel eine Schulbehörde – das Jugendamt selbst wegen seines gesetzlichen Beratungs- und Schutzauftrags quasi als „Anwalt des Kindes“ fungiert. Kinder und Jugendliche können sich zudem auch selbständig an das Jugendamt wenden, sie haben im jugendamtlichen Verfahren schon jetzt eine gesetzlich geregelte Beteiligtenstellung.

Maywald: Das Inkrafttreten des FamFG fällt praktisch mit dem Ende dieser Legislaturperiode zusammen. Soweit es um Kinder geht, wird von kinderrechtlicher Seite weiterer Reformbedarf gesehen. Wichtige Stichworte sind die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz, die Einführung des gemeinsamen Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern sowie die Möglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare, ein fremdes Kind zu adoptieren. Was ist Ihre Meinung zu diesen Forderungen mit Blick auf die kommende Legislaturperiode?

Zypries: Ich setze mich nachdrücklich dafür ein, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Entsprechende Formulierungsvorschläge für eine Änderung von Art. 6 GG habe ich bereits sowohl der Kinderkommission des Deutschen Bundestages als auch meiner Partei unterbreitet. Mit dem Vorstoß für Kinderrechte im Grundgesetz sind wir aber bisher immer an der CDU/CSU und damit an der fehlenden Zwei-Drittel-Mehrheit gescheitert.
Was das gemeinsame Sorgerecht für nicht verheiratete Eltern angeht, müssen sich nach der Kindschaftsrechtsreform von 1998 die Eltern darüber einig sein oder heiraten, ansonsten ist allein die Mutter sorgeberechtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, diese Regelung und ihre Anwendung der Praxis zu beobachten. Deshalb habe ich vor kurzem eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, um zu klären, ob diese Regelung tatsächlich dem Kindeswohl entspricht oder ob wir beim gemeinsamen Sorgerecht etwas verändern müssen. Ein ganz wesentlicher Punkt wird sein, herauszufinden, welche Beweggründe diejenigen Mütter haben, die keine Sorgerechtserklärungen abgeben. Wenn wir über weit reichende Gesetzesänderungen wie ein gemeinsames Sorgerecht auch für nicht miteinander verheiratete Eltern diskutieren, dann sollte das auf einer fundierten wissenschaftlichen Grundlage erfolgen, die alle am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten überzeugt. Deshalb sollten wir das Ergebnis dieser Studie erst einmal abwarten. Zur Frage des gemeinsamen Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare haben wir seit kurzem fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt, das die Lebenssituation von Kindern in Regenbogenfamilien untersucht hat. Die Studie hat ergeben, dass Kinder in Regenbogenfamilien genauso gut aufwachsen wie in anderen Familienformen. Für das Kindeswohl besteht kein Unterschied zwischen gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Eltern. Aus Sicht des Gesetzgebers gibt es also keinen Grund, Regenbogeneltern die gemeinsame Adoption zu verweigern. Ich meine, wir sollten unsere Verantwortung jetzt auch wahrnehmen und im deutschen Recht die Voraussetzungen für eine gemeinsame Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare schaffen.

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