fK 4/05 Heinisch

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Von einem guten Anfang hängt alles ab

Baden-Württembergische Elternakademie fördert musikalische Früherziehung

von Renate Heinisch

Heute wachsen viele Kinder bereits in der dritten Generation ohne einen elementaren, aktiven Zugang zum Singen und elementaren Musizieren von Kinder- und Volksliedern auf. Aus dem Familienalltag, dem Kindergarten und der Schule ist Singen, rhythmisches Sprechen und elementares Musizieren weitgehend verschwunden. Die jungen Stimmen können sich daher nicht organisch über einen langen Zeitraum entwickeln, ein elementares und spielerisches Hineinwachsen in musikalische Formen und Klangwelten findet kaum mehr statt. Die Entwicklung des Hörens, Sprechens und rhythmischen Bewegens wird durch diese Singabstinenz gestört.

Junge Menschen singen, wenn sie überhaupt singen, mit kaputten Stimmen in englischer Sprache. In der Regel nehmen sie Musik lediglich passiv, oft nur als Klangtapete im Hintergrund, wahr. Diese defizitäre musikalische Bildung steht neben einer professionellen musikalischen Hochkultur und einer allgegenwärtigen Klangkulisse aus einfachster Popularmusik, eingängigen Musikspots zu Werbezwecken, Wellness-, Schmuse- und Entspannungsmusiken, die unseren Alltag durchdringt.

In den letzten Jahren wird diese negative Entwicklung von vielen Fachleuten aus Bildung, Musikleben, Kultur, Gesellschaft und Medizin beklagt. Versuche, den Kindern die Musik, besonders das eigene Singen, als Lebens- und Entwicklungsmittel zurückzugeben, werden vielerorts unternommen:

– Kinderliedermacher haben Hochkonjunkt.
– Angebote der Musikschulen für musikalische Früherziehung von Kindern ab dem Babyalter finden zunehmende Verbreitung und werden rege nachgefragt.
– Orchester, Theater und sonstige professionelle Musikeinrichtungen bemühen sich vermehrt um ein Kinder- und Jugendpublikum.
– Die medizinische und psychologische Forschung beschäftigt sich intensiv mit der Wirkung von Musik auf die Entwicklung von Gehirn, Intelligenz und Sozialverhalten.

Alle diese Bemühungen sind aber zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht gelingt, das Singen vom ersten Lebenstag wieder in der Familie und weiter im Kindergarten und der Schule als ein selbstverständliches, das Leben und Aufwachsen begleitendes und förderndes Lebensmittel zu verankern.

Viele Kinder erleben nicht mehr, wie Musik entsteht und sie können deshalb auch nicht mitmachen. Die angeborene Fähigkeit zum musikalischen Hören und Agieren geht erschreckend schnell verloren. Die Weichen für den späteren aktiven und passiven Umgang mit Musik werden in der frühesten Kindheit gestellt und dabei kommt es maßgeblich auf die Eltern an. Keine noch so schöne Kinderlieder-CD kann das „live“ gesungene Schlaflied, den „Kochlöffelrap“ in der Küche, die Kniereiter, Verse und kleinen Tänzchen mit Mama und Papa ersetzen.

Schlüsselerlebnisse des Hörens, Sehens, Fühlens und der Bewegung wirken mit- und aufeinander. Sie fördern die allgemeine Wahrnehmungsfähigkeit, Kreativität und Verstand. Das Gefühl für Musik entwickelt sich durch Erfahrungen mit dem Körper, der Stimme, der Sprache, mit Instrumenten und vielfältig klingenden Alltagsgegenständen. Verstand und Gefühl werden gleichermaßen angesprochen. Kinder begegnen Musik immer häufiger, vermittelt durch verschieden Medien. Ihre ersten musikalischen Eindrücke bekommen sie nicht mehr von singenden, musizierenden und tanzenden Menschen im Elternhaus. Sie hören Lieder von der Kassette, Musik aus dem Fernsehen oder Autoradio.

Ausbildung von Musik-Bewegungsmentoren

Der Elternverein Baden-Württemberg e.V. griff diese Entwicklung der letzten Jahre auf und begann 2002 in seinem Projekt der „Baden-Württembergischen Elternakademie (BWEA)“ mit der Ausbildung von Musik-Bewegungsmentoren. Die Baden-Württembergische Elternakademie hilft, Eltern fit zu machen für das Musizieren mit Kindern und nimmt ihnen die Scheu vor der vermeintlich eigenen musikalischen Unzulänglichkeit.

Es gibt keine unmusikalischen Kinder. Es gibt keine unmusikalischen Eltern. Die BWEA richtet ihr Angebot „Ausbildung zu Musik-Bewegungsmentoren“ an alle Erziehungspartner: Eltern, Großeltern, Erzieher(innen), Lehrer(inne) – und an alle Interessierte.

Eltern, die als Mentoren ausgebildet werden, unterstützen andere Eltern in ihrer Elternarbeit im Bereich der Musikerziehung von Kindern und Jugendlichen in Familie, Kindergarten und Schule, vertreten die Bedeutung der Musikerziehung sowie des gemeinsamen Musizierens und Singens in der Gesellschaft.

Die Ausbildung der Mentoren wird in lokalen Strukturen in Baden-Württemberg durchgeführt (z.B. Stuttgarter Musikschule, Hohner Konservatorium, Fachschule für Sozialpädagogik Tübingen, Jugendmusikschule Bad Mergentheim und Musikschule Mannheim) und wurde in Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Kultusministerium, den Fachschulen für Sozialpädagogik, den Jugendmusikschulen und Musikhochschulen entwickelt und praktiziert. Die angebotene Ausbildung zum Musik-Bewegungsmentor wurde erstmalig generationen- und disziplinenübergreifend konzipiert. Zu Beginn der Mentorenausbildung findet ein Kinderliederkonzert statt. Hierfür konnten namhafte Kinderliedermacher gewonnen werden: Die Mentorenausbildung in Bad Mergentheim beispielsweise wurde mit einem Liederkonzert von Fredrik Vahle eingeleitet; die Ausbildung in Tübingen/Mössingen von Unmada, alias Manfred Kindel.

Themen der Ausbildung:

  • Singen und Sprechen, Spracherwerb, das erste Schlaflied, Fingerspiele, Handgesten- und Gebärdenspiele, Kniereiter und Spiellieder, Eltern-Kind-Singen
  • Tanz und Bewegung, Bewegungsspiele, Kindertänze und Körperwahrnehmung
  • Anleitung zum gemeinsamen Musikhören mit den Kindern und zum Umgang mit Medien (Kassette, CD, PC, Video, Fernsehen), Gemeinsames Erleben eines Kinderliederkonzertes
  • Musizieren mit dem Kücheninstrumentarium, mit Naturmaterialien und elementaren Instrumenten
  • Information über musikalische Begabung, musikalische Entwicklung, Fördermöglichkeiten und Kinderstimmbildung, Einzelstimmbildung für Mentoren; Gespräch und Anleitung, um das Interesse am Musizieren mit Kindern zu fördern
  • Bedeutung des Volksliedgutes

„Jedem Menschen von Kindheit an ist der persönliche kreative Umgang und das Erlebnis mit Musik zu gewähren, zu schenken! Das heißt, dass es ein Menschenrecht auf musikalische Betätigung und Entfaltung gibt, dass Musik, aber nicht nur Musik, sondern alle Künste, das Tanzen ebenso wie das Theaterspielen, das Malen und das Bildhauern zu den „Kulturtechniken“ in Kindergarten und Schule gehören sollten, wie Lesen, Schreiben und Rechnen und nicht nur, um gelegentlich zwischen den Hauptfächern für ein wenig Entspannung zu sorgen“ (Prof. Widmer, Salzburg).

Dies will die Baden-Württembergische Elternakademie auch mit dem Projekt „Bedeutung der Musikerziehung im frühkindlichen Bereich von Behinderten und nichtbehinderten Kindern für Eltern und Großeltern; Förderung des lebensbegleitenden Lernens durch Zusammenarbeit von Eltern und Großeltern aus den Ländern Deutschland, Litauen, Österreich, Ungarn und Slowakei“ (Grundtvig 2) erreichen.

Dr. Renate Heinisch ist Direktorin der Baden-Württembergischen Elternakademie in Boxberg.

Baden-Württembergische Elternakademie
Rathausgasse 14, 97944 Boxberg
Tel.: 07930-88 51, Fax: 07930-88 52
www.elternakademie-bw.de

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