fK 4/05 Barenboim

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Mit Musik kann man sich überall auf der Welt verständigen

Jörg Maywald im Gespräch mit Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und Initiator eines Musikkindergartens für Berlin

Maywald: Auf Ihre Initiative hin wird im Herbst in Berlin ein Musikkindergarten eröffnet.
Was wollen Sie damit erreichen?

Barenboim: Dass die Musik zum festen Bestandteil im Alltag der Kinder wird.

Damit ist allerdings gemeint, dass die Kinder nicht nur singen und tanzen und vielleicht ein Instrument zu spielen anfangen, sondern dass eine Erziehung in dieser Art und Weise als eine Erziehung zum Leben verstanden wird. Hierbei geht es nicht darum, eine schöne Stimmung durch schöne Klänge zu bekommen, sondern um eine Erziehung für das Leben. Daher steht nicht Musikerziehung, sondern Erziehung von Kindern durch Musik im Vordergrund.

Maywald: Kinder – wie auch Erwachsene – hören zwar immer mehr Musik; aktives Singen und Musizieren jedoch bleibt vielen Menschen verschlossen. Was geht hierdurch verloren?

Barenboim: Verloren geht ein wichtiger Teil menschlichen Ausdrucks, der jenseits der gesprochenen Sprache liegt. Musik hat außerdem einen Zugang zu den Emotionen und lehrt denjenigen, der aktiv Musik macht, viel über sich selbst, über andere und über so grundsätzliche, aber schwierige Beziehungen zwischen Zeit und Inhalt, Individuellem und Gemeinsamem und vielem mehr. Davon nichts zu wissen, macht einen leicht blind für alles Tiefere, für das, was hinter der oberflächlichen Klangfassade liegt, die heute gern auf CDs zusammengemischt und mit Aufschriften versehen wird, Musik für diese oder jene Momente des Lebens.

Maywald: Es ist bekannt, dass Musik sich positiv auf viele Bereiche der Persönlichkeit auswirkt. Welche Zusammenhänge sind für Sie besonders wichtig?

Barenboim: Ich glaube, wirkliches Zuhören wird sehr schwierig, wenn man Kinder nicht in der wichtigen Entwicklungsphase bis zum Alter von sechs Jahren besonders mit dem Sinnesorgan Ohr vertraut macht, wie wir ja aus der Hirnforschung lange wissen. Und nicht zuhören zu können ist wirklich für alle Bereiche des Lebens sehr gefährlich. Wir müssen anfangen, nachzudenken, wie wir die Kinder dazu bringen können, dass sie in dieser optisch dominierten Welt so viel auch mithilfe des Ohrs erfahren können. Das lehrt die Musik.

Maywald: Was würden Sie einem Kind antworten, wenn es Sie fragt: „Warum soll ich Musik machen?“

Barenboim: Weil Musik einer der besten Lehrer für das Leben ist, es großen Spaß machen kann und Musik sogar mehr als eine universale Sprache ist, mit der man sich überall auf der Welt verständigen kann.

Maywald: Haben Sie selbst als Kind die Musik für sich allein „entdeckt“ oder waren hier erwachsene Förderer maßgeblich?

Barenboim: Ich wurde in ein musikalisches Elternhaus hineingeboren und nahm die Musik wie eine Muttersprache auf. Da meine beiden Eltern Klavierlehrer waren und ich jedes Mal, wenn die Türglocke läutete, wusste, es kam jemand zur Klavierstunde, wuchs ich in dem Glauben auf, alle Menschen spielen Klavier. Erst später begriff ich, dass manche Menschen es nicht tun.

Maywald: Einige Musikkindergärten werden die Situation nur wenig verändern. Was müsste geschehen, damit alle Kinder von der Begegnung mit Musik profitieren können?

Barenboim: Die Musik hat einen großen Teil ihrer Stellung in der Gesellschaft verloren. Um vielen Kindern die Vielzahl der positiv geförderten Entwicklungsmöglichkeiten durch die Musik zu eröffnen, müssten die entscheidenden Personen sich von den zahlreichen Forschungen zur Musik und nicht nur – und damit zu spät – vom Symptom schlechter Schulergebnisse beeindrucken lassen.
Mein Wunsch ist eine zur Nachahmung anregende Wirkung unseres Musikkindergartens, mit dem wir noch in diesem September in Berlin starten wollen.

Weitere Informationen: www.musikkindergarten-berlin.de

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