fK 4/04 pekip

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Das Prager-Eltern-Kind-Programm (PEKiP)

Ein gruppenpädagogisches Konzept mit langer Tradition

von Ulla Busch-Löcker

Vor 40 Jahren hörte Prof. Christa Ruppelt anlässlich eines Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Wien das erste Mal Dr. Jaroslav Koch bei einem Vortrag über psychische Deprivation. Ihr Interesse galt seinen Forschungsarbeiten zur Frühpädagogik am Prager Institut für Mutter und Kind. Sie besuchte ihn dort und erfuhr von den positiven Wirkungen entwicklungsangepasster Bewegungsspiele auf die gesamte Kindesentwicklung. Das war die Geburtsstunde des Prager-Eltern-Kind-Programms (PEKiP) in Deutschland.

Christa Ruppelt, die an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum lehrte, hatte die Vision, in Deutschland die von Koch entwickelte Methode in ein frühes Angebot für Eltern zu integrieren. Zusammen mit ihrem Mann Hans Ruppelt und einem Stab von Studentinnen und Pädagoginnen sollte dieses Experiment gelingen.

Bereits 1973 wurde die erste Eltern-Kind-Gruppe in der Familienbildungsstätte Essen gestartet. Im Sinne einer Entwicklungsbegleitung über das erste Lebensjahr sollten dabei zwei wichtige Grundgedanken der Pädagogik der frühen siebziger Jahre verbunden werden: der Gedanke der Prävention und der des Lernens in der Gruppe.

Es folgten Anfragen aus dem Familienbildungsbereich. Unter der Trägerschaft des Deutschen Berufsverbandes für Sozialarbeiter/Sozialpädagogen wurden Weiterbildungen zur Leitung von PEKiP-Gruppen durchgeführt, um dem Bedarf nachzukommen. Erste Kooperationskurse organisierten die Initiatoren mit interessierten Wohlfahrtsverbänden und Krankenkassen. Heute ist PEKiP aus dem Programm vieler Familienbildungsstätten und -werke nicht mehr wegzudenken.

Die Merkmale des PEKiP-Konzepts

Durch PEKiP-Gruppen wurde erstmals ein soziales Netz zwischen Eltern-Baby-Paaren über den Zeitraum des gesamten ersten Jahres gespannt. Eltern und Babys finden hier einen Ort, wo sie in den Mittelpunkt des Gruppengeschehens rücken und in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen werden. Vier Schwerpunkte sind in der Praxis gleichermaßen bedeutsam: (1) Das Kennenlernen und der Austausch der Eltern untereinander; (2) die Unterstützung des Kindes in allen Bereichen seiner Entwicklung; (3) eine Verbesserung der Beziehung zwischen Eltern und ihrem Kind; (4) die Ermöglichung eines frühen Kontaktes von Kindern untereinander.

Eingeladen werden die Eltern mit ihren Babys schon ab der vierten bis sechsten Woche nach der Geburt. In gleichbleibender Zusammensetzung der Gruppe treffen sie sich regelmäßig einmal pro Woche für eineinhalb Stunden. Bei den Treffen lernen die Eltern andere Väter und Mütter kennen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind wie sie. Die Überschaubarkeit von maximal acht Eltern-Kind-Paaren ermöglicht es ihnen, miteinander vertraut zu werden. Gerade weil die Kinder ungefähr gleich alt sind, haben sie gleiche aktuelle Themen und Fragen, die sich aus dem alltäglichen Zusammenleben mit dem Kind ergeben. Das fördert die Solidarität und das Voneinander-Lernen.

Im Zusammensein können die Eltern bei anderen miterleben, wie diese mit ihrem Baby umgehen. Eltern unterstützen sich durch Tipps und Treffen außerhalb der Gruppenstunden. Es ist anzunehmen, dass die Wichtigkeit der Gruppe für die Eltern in den letzten Jahren zugenommen hat. Durch die steigende Mobilität in der Arbeitswelt brechen oft wichtige Stützsysteme für junge Familien durch Herkunftsfamilie und gewachsener Nachbarschaft weg.

Zukünftig bleibt es sicherlich eine Herausforderung, die Teilnahme auch Familien aus sozial schwachen Lebenslagen zu ermöglichen. Gute Erfahrungen sind bereits dokumentiert worden in einem Projekt des „Vereins zur Förderung der Elternfähigkeit von sozial benachteiligten Familien“ in Duisburg und einem Projekt des Bundesfamilienministeriums über „Lebenshilfen für besonders sozial gefährdete Mädchen und Frauen“.

In den Gruppenstunden vermittelt die Gruppenleiterin individuelle Spiel- und Bewegungsanregungen, die dem Entwicklungsstand der Babys angepasst sind. Jedes Kind hat dabei in den verschiedenen Entwicklungsbereichen sein eigenes Tempo und seine individuelle effektive Lernzeit. Befreit von einengender Kleidung kann es sich bewegen und seine erworbenen Fähigkeiten aktiv einsetzen. Dabei lernt es sich selbst einschätzen und kann seine Eigentätigkeit spüren (Selbstwirksamkeitserfahrung). Für die Eltern lassen sich die gelernten Spiele ohne großen Aufwand zu Hause wiederholen und auch dem Partner vermitteln. Zeigt ein Baby Kontaktverhalten mit seiner Betreuungsperson, so ermöglichen die gemeinsamen Spiele den Eltern und Kindern einen wechselseitigen freudvollen Austausch. Durch dieses Erleben werden seelische Bedürfnisse befriedigt und das Vertrauen in den anderen und die Zusammengehörigkeit gestärkt.

Von Anfang an wurde im PEKiP auf den Wert und die Bedeutung individueller Begleitung früher Lernprozesse von Kindern hingewiesen. In seiner Sprache signalisiert das Baby seiner Betreuungsperson das Maß seiner Aufnahme- und Kontaktbereitschaft. Lässt sich der Erwachsene in seinem Verhalten dem Kind gegenüber von dessen positiver Gestimmtheit leiten, so ist davon auszugehen, dass das passende Lernniveau für seine individuelle Wahrnehmung und Verarbeitung von Eindrücken erreicht wird. Elterliches Verhalten wird auf diese Weise im gegenseitigen Austausch zwischen einer Über- und Unterforderung für das einzelne Kind gehalten. Das Kind bestimmt dabei den Spielverlauf mit – den Anfang, den Inhalt, das Tempo, die Intensität, die Menge und das Beenden. Kontingenzerfahrungen werden ermöglicht. Spannend wird ein bekanntes Spiel für das Baby gerade dann, wenn die Eltern in ihren Beiträgen variieren und dadurch einen Anreiz geben, die Entwicklung weiter zu differenzieren.

Ein ebenfalls wichtiger Schwerpunkt ist die frühe Erfahrung der Babys mit anderen Kindern. Frühes Kontaktverhalten der Kinder untereinander wurde von Hans Ruppelt bereits 1982 beschrieben. Erste Annäherungen der Kinder laufen über den Blickkontakt, das Lauschen aufeinander bis hin zur aktiven Beschäftigung mit dem anderen und dessen Reaktionen. Die aufmerksam zurückhaltende Begleitung durch die Eltern ermöglicht ihnen Begegnungen mit positivem Ausgang. Erste soziale Erfahrungen werden hier angebahnt, die in besonderer Weise Kinder aus Ein-Kind-Familien unterstützen.

Die Gruppenleitung bereitet den Raum vor und sorgt für eine annehmende Atmosphäre. Sie unterstützt die Kommunikation untereinander, damit alle Teilnehmer von der Gruppe profitieren können. Zur Wahrnehmungsschärfung verbalisiert sie das Beobachtbare, reflektiert Wirkungen mit den Eltern und moderiert die Gespräche unter den Eltern. Wenn es gewünscht wird, gibt sie wichtige Informationen. Sie leitet die Eltern an, ihren eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und selbständig Lösungen zu finden. Lernprozesse bei den Kindern und Eltern werden primär durch Tun und gemeinsames Erleben ausgelöst und können durch das sich anschließende Gespräch bewusst gemacht und wertgeschätzt werden.

Im Konzept der Feinfühligkeit nach Mary Ainsworth findet die Gruppenleiterin einen Maßstab zur Ausrichtung und Überprüfung ihres pädagogischen Handelns. Die Grundlagen der Gesprächsführung nach Carl Rogers und das Gruppenmodell der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn gehören ebenso zum theoretischen Hintergrund jeder Gruppenleiterin. Empirische Untersuchungen und Fallstudien, die kürzlich veröffentlicht wurden, haben die Methode evaluiert.

Der 1988 gegründete PEKiP-Verein mit seiner Geschäftstelle in Duisburg bietet regelmäßig Kurse für die Fortbildung zum/r PEKiP-Gruppenleiter(in) an. Dabei durchlaufen angehende Leiter(innen) – die einen pädagogischen Grundberuf haben – drei Phasen. Diese bestehen aus dem Grundkurs mit Hospitationen und einer anschließenden Gruppensupervision als Praxisbegleitung. Bei erfolgreichem Abschluss erhalten sie ein Zertifikat zur Ausübung der Tätigkeit als PEKiP-Gruppenleiter(in) in der Eltern- und Familienbildung.

Die Literaturangaben sind über die Geschäftsstelle erhältlich.

Ulla Busch-Löcker ist Dipl.-Pädagogin und PEKiP-Ausbilderin in Münster

PEKiP e.V.
Heltorfer Str.71, 47269 Duisburg
Tel.: 0203-712330

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