fK 4/04 Fries

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Entwicklungspsychologische Beratung in der frühen Kindheit

Ein Angebot für die Jugend- und Sozialhilfe

von Mauri Fries und Barbara Bütow

Die Entwicklungspsychologische Beratung (EPB) ist ein niedrigschwelliges Beratungskonzept, das von einer Arbeitsgruppe (Ziegenhain, Fries, Bütow, Derksen, 2004) am Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, entwickelt wurde. Das Grundprinzip der Beratung für Eltern mit Babys und Kleinkindern basiert auf einer wertschätzenden und ressourcenorientierten Haltung gegenüber den Eltern und auf neuesten entwicklungspsychologischen Erkenntnissen der Säuglings- und Kleinkindforschung.

Die EPB sensibilisiert für die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse des Kindes, vermittelt Wissen zur kindlichen Entwicklung und stärkt das elterliche Selbstwertgefühl. Ausgangspunkt der Beratung ist immer die Beobachtung des Kindes mit seinen individuellen Kompetenzen und Bedürfnissen. Dies erscheint zunächst selbstverständlich, aber bisherige Erfahrungen zeigen, dass in der Arbeit mit Familien häufig mit den Eltern über die Kinder und die Situation der Eltern gesprochen wird.

Dabei werden mit den Eltern kurze Videosequenzen von alltäglichen, zunächst gelungenen Interaktionen mit ihrem Säugling oder Kleinkind betrachtet. Die Stärken des Kindes werden zu Beginn als Ausdruck gelingender Interaktionen aufgrund des angemessenem Verhaltens der Eltern interpretiert. Gerade diese wertschätzende Arbeit mit den Videobildern erlaubt es den Eltern, auch bei größeren psychosozialen Belastungen und häufigen Missverständnissen einen veränderten Blick auf ihr Kind zu erhalten und diesen im Alltag zu nutzen. Videoaufnahmen werden also nicht nur zur Diagnostik der Interaktion zwischen Mutter oder Vater und Kind genutzt, sondern insbesondere zur Gewinnung von bildhaften Vorstellungen von ihrem Kind.

Es ist immer wieder sehr eindrücklich zu erleben, wie viel einfacher und nachhaltiger Eltern durch die Bilder Anregungen für kleine Veränderungen im Verhalten gegenüber ihrem Kind bekommen als allein durch Worte. Insbesondere die Eltern, die mit der Jugendhilfe schwierig in Kontakt kommen, profitieren von dieser Art des Videofeedbacks. Erste Schritte eines beziehungsorientierteren Umgangs mit dem Kind werden möglich.

Die Bedeutung früher Prävention wird zunehmend anerkannt. Es ist erwiesen, dass Interventionen, die in der frühen Kindheit ansetzen, von kürzerer Dauer, erfolgreicher und wesentlich kostengünstiger sind als spätere Hilfen. Erfahrungen zeigen jedoch, dass den Fachleuten in der psychosozialen Arbeit nicht immer das notwendige Wissen für die Beratung von Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern zur Verfügung steht.

Gefördert durch das Bundesfamilienministerium hat die Ulmer Arbeitsgruppe in Kooperation mit den Bundesländern Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen im Zeitraum 2001 bis 2003 daher ein Curriculum zur berufsbegleitenden Weiterbildung für Fachkräfte der Jugend- und Sozialhilfe entwickelt und erprobt. Die Erfahrungen der über hundert Teilnehmer(innen) zeigen, dass die EPB in Erziehungsberatungsstellen, in Mutter-Vater-Kind-Einrichtungen, in Familienbildungsstätten und von Sozialpädagogischen Familienhelfern gut einsetzbar ist. Sie bewährt sich ebenso in Frühförderstellen, Sozialpädiatrischen Zentren und Kinder- und Jugendambulanzen. Da in den meisten Regionen jedoch bisher für ein Beratungsangebot mit dem Schwerpunkt Frühe Kindheit keine konzeptionell entwickelten Hilfestrukturen und damit auch keine Finanzierungsmodelle vorliegen, müssen diese entsprechend den rechtlichen und strukturellen Bedingungen der Länder entwickelt werden.

Zur Zeit wird die Weiterbildung über öffentliche und freie Träger der Jugend- und Sozialhilfe sowie von zuständigen Ministerien angeboten und entsprechend den Bedürfnissen der Praxis modifiziert.

Informationen zu dem Weiterbildungskonzept der Entwicklungspsychologischen Beratung unter www.mauri-fries.de

Dr. Mauri Fries ist Psychologin und deutsche Vorsitzende der Deutschsprachigen Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit (GAIMH) e.V.

Barbara Bütow ist Diplompädagogin und Organisationsberaterin in Berlin

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