18 Jun fK 3/11 NZFH
Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen
Unter dem Eindruck mehrerer Todesfälle von Kindern nach schwerer Misshandlung und/oder Vernachlässigung wurden in den letzten Jahren sowohl regional als auch bundesweit Programme und Projekte zur besseren Prävention von Kindeswohlgefährdungen entwickelt. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat im Jahr 2006 das Aktionsprogramm „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ mit dem Ziel auf den Weg gebracht, Frühe Hilfen (Begriffsbestimmung unter www.fruehehilfen.de/wissen/fruehe-hilfen-grundlagen/begriffsbestimmung/) als wirksames, präventives Unerstützungsangebot für Eltern und ihre Kinder (0 bis 3 Jahre) zu etablieren.
Kinder sollen durch eine möglichst wirksame Vernetzung von Hilfen primär des Gesundheitssystems und der Kinder- und Jugendhilfe früher und besser vor Gefährdungen geschützt werden. Das Gesundheitssystem bietet durch seine Angebotspalette (u. a. Gynäkologie, Hebammenhilfe, niedergelassene Pädiatrie) viele Zugangswege zu (hoch) belasteten Familien und dies vor allem in der Zeit rund um die Geburt. Die Kinder- und Jugendhilfe dagegen verfügt über vielfältige Angebote, um gerade diesen Eltern passgenaue Hilfen zur Bewältigung ihrer Lebenssituation anzubieten. Aber auch weitere relevante Akteure (beispielsweise Schwangerschafts- und Erziehungsberatung, Frauenunterstützungseinrichtungen, Betreuungsangebote für Kinder, Justiz und Polizei) sind Teil der Netzwerke Früher Hilfen.
Als zentrales Steuerungsinstrument im Rahmen des Aktionsprogramms hat im März 2007 das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) seine Arbeit aufgenommen. In seiner Trägerstruktur (Abbildung 1) findet sich bereits eine Entsprechung der multiprofessionellen Kooperation zwischen den Systemen. Träger sind die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das Deutsche Jugendinstitut (DJI). Der Sitz des NZFH ist in Köln bei der BZgA. Die Arbeit des NZFH wurde zunächst über die Laufzeit des Aktionsprogramms bis Ende 2010 gefördert. Im Rahmen einer zweiten Förderphase bis Ende 2014 wird die Arbeit des NZFH fortgesetzt. Die Aufgaben und Themenbereiche des NZFH gliedern sich in sechs Schwerpunkte:
(1) Forschung: Wissen generieren und für die Praxis nutzbar machen
Das bereits vorhandene Wissen über Frühe Hilfen, die Zugänge zu (hoch) belasteten Familien und die Vernetzungsstrategien zwischen den unterschiedlichen Hilfesystemen werden generiert und so aufbereitet, dass Akteure vor Ort bei ihrer Arbeit davon profitieren können. Wissenslücken werden durch repräsentative Studien, Expertisen sowie die Förderung der wissenschaftlichen Begleitung von Praxisprojekten geschlossen. So werden die Ergebnisse der vom NZFH geförderten Evaluationen von Modellprojekten (NZFH 2010, Renner & Sann 2010), der Bestandsaufnahme zur kommunalen Praxis Früher Hilfen (Sann 2010) sowie weiterer Forschungsarbeiten aufbereitet, um daraus schließlich Empfehlungen für die Praxis abzuleiten.
(2) Transfer: Gute Praxis unterstützen, weiterentwickeln und übertragen
Hier steht die Unterstützung staatlicher und nichtstaatlicher Akteurinnen und Akteure beim Aufbau Früher Hilfen im Vordergrund. Ziel ist es, die erprobten Ansätze aus den Modellprojekten dauerhaft in die Regelversorgung zu implementieren. Die Umsetzung erfolgt letztlich innerhalb der Kommunen vor Ort. Dort kann das NZFH durch die Ergebnisse, die auf der Wissensplattform zusammengestellt wurden, zum Auf- und Ausbau Früher Hilfen beitragen. Dazu dienen zum Beispiel Kongresse, Tagungen, Workshops, Veröffentlichungen und deren Aufbereitung auf www.fruehehilfen.de. Des Weiteren regt das NZFH durch die „ÜberRegionale NetzwerkeKonferenz Frühe Hilfen – Voneinander lernen“ (Dokumentation der Pilotveranstaltung zu den NetzwerkeKonferenzen abrufbar unter http://www.fruehehilfen.de/netzwerk/veranstaltungen-zu-fruehen-hilfen/veranstaltungsarchiv/01122010-offenburg-voneinander-lernen-ueberregionale-netzwerkkonferenz-fruehe-hilfen/) einen Austausch darüber an, welche Hilfen und Netzwerke sich (regional) bewährt haben und wie eine dauerhafte Implementierung vorangebracht werden kann.
(3) Qualifizierung: Kompetenzen stärken und interdisziplinäres Lernen ermöglichen
An der Umsetzung der Frühen Hilfen und des präventiven Kinderschutzes sind unterschiedliche Professionen (Mediziner(innen), Sozialpädagog(inn)en, (Familien-)Hebammen, Schwangerschaftsberaterinnen, Psycholog(inn)en etc.) beteiligt. Der Erfolg ihrer Arbeit ist unter anderem davon abhängig, inwieweit sie qualifiziert sind. Wie die Bestandsaufnahme bei den Jugend- und Gesundheitsämtern nachweisen konnte, besteht noch erheblicher Qualifizierungsbedarf auf der Fachebene. Gerade im Bereich der professionsübergreifenden Fort- und Weiterbildungen und des interdisziplinären Lernens sieht das NZFH einen Schwerpunkt seiner weiteren Arbeit.
(4) Kommunikation: Öffentlichkeit herstellen und für Frühe Hilfen werben
Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit werden in erster Linie Multiplikator(inn)en bei ihrer Arbeit mit belasteten Familien unterstützt. Durch Fachpublikationen werden sie über die relevanten Forschungs- und Praxisentwicklungen informiert. Über die Internetplattform www.fruehehilfen.de können sie zeitnah Informationen zum Themengebiet und zur Arbeit des NZFH abrufen. Die allgemeine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des NZFH hat zum Ziel, die Bevölkerung über das Thema Frühe Hilfen und die Arbeit der Fachkräfte zu informieren. Außerdem ist geplant, dass Materialien für (werdende) Eltern zum Einsatz in der Praxis bereitgestellt werden, um deren Erziehungskompetenz zu stärken und sie zu motivieren, Hilfen in Anspruch zu nehmen.
(5) Kooperation
Das NZFH arbeitet über verschiedene Gremien und Arbeitsgruppen eng mit Wissenschaft, Fachpraxis und Ländern sowie kommunalen Spitzenverbänden zusammen.
(6) Lernen aus Problematischen Kinderschutzverläufen
Auf Grundlage des gemeinsamen Beschlusses der Konferenz der Regierungschefs der Länder (MPK) und der Bundeskanzlerin vom 12. Juni 2008 wurde das NZFH außerdem mit dem Aufgabenbereich „Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen“ beauftragt. Ziel des neuen Projektbereiches ist es, die (Weiter-)Entwicklung einer Fehlerkultur im Kinderschutz in Deutschland zu unterstützen und durch systematische Fallanalysen für die Zukunft zu lernen und ähnliche Verläufe zu verhindern helfen.
Das NZFH bearbeitet diesen Auftrag auf zwei Ebenen. Erstens wurde das Forschungs- und Praxisentwicklungsprojekt „Aus Fehlern lernen. Qualitätsmanagement im Kinderschutz“ auf den Weg gebracht. Das Projekt begleitete bundesweit 42 Kommunen mit ihren für den Kinderschutz verantwortlichen Jugendämtern und unterstützte sie in einem dialogischen Qualitätsentwicklungsprozess. Die Ergebnisse werden derzeit als Forschungsbericht und Praxisleitfaden aufbereitet, damit sie von weiteren Kommunen genutzt werden können.
Zweitens erfolgt der Aufbau der so genannten Plattform für einen regelhaften Erfahrungsaustausch zu problematisch verlaufenden Kinderschutzfällen. Hierzu werden nationale und internationale Forschungsergebnisse und Entwicklungen zusammengetragen und ausgewertet. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt vor allem in der Entwicklung von Methoden zur Analyse von (problematisch verlaufenen) Kinderschutzfällen.
Literatur
NZFH (2010). Modellprojekte in den Ländern. Zusammenfassende Ergebnisdarstellung. Köln.
Renner I., Sann A., NZFH (Hrsg.)(2010). Forschung und Praxisentwicklung Früher Hilfen. Modellprojekte, begleitet vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen. Köln.
Sann A. (2010). Bestandsaufnahme. Kommunale Praxis Früher Hilfen in Deutschland. Teiluntersuchung 1: Kooperationsformen. NZFH (Hrsg.). Köln.
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