fK 3/10 Editorial

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Das Interesse am eigenen Körper, Lustempfinden und Sexualität spielen in der Entwicklung des Kindes von Anfang an eine wichtige Rolle. Indem sie ihren Körper entdecken und sich mit anderen vergleichen, entwickeln Kinder ein Bild von sich selbst, das die geschlechtliche Zugehörigkeit einschließt.

Als Lebensenergie ist Sexualität mit allen Facetten menschlichen Seins verbunden. Körperliche, seelische und soziale Prozesse sind bei der Herausbildung von Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung untrennbar miteinander verbunden. Das biologische Körpergeschlecht, die soziokulturell bestimmten Geschlechtsrollenerwartungen und das subjektive Geschlechtserleben sind eng miteinander verschränkt, und zugleich sorgfältig voneinander zu trennen.

Auch wenn die Vorstellung einer eindeutigen Zweigeschlechtlichkeit auf den ersten Blick immer wieder bestätigt wird, hält sie doch einer näheren Betrachtung nicht stand. Jeder Mensch vereint in sich männliche und weibliche Eigenschaften. Sowohl in biologischer als auch in sozialer Perspektive kennen „Sex“ und „Gender“ viele Spielarten und auch die Grauzonen zwischen den Geschlechtern müssen als Varianten des Normalen akzeptiert werden.

Der individuelle und gesellschaftliche Umgang mit Sexualität ist offener, aber auch komplexer und komplizierter geworden. Gerade weil Sexualität als überall verfügbar angepriesen wird, steigt die Gefahr, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu missachten, Machtgefälle auszunutzen und Kinder für erwachsene Zwecke zu missbrauchen.

Sexualerziehung ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Für sie gilt es einerseits, Grenzen zu wahren und Kinder vor Übergriffen jeder Art zu schützen. Andererseits darf eine körper- und sexualfreundliche Erziehung jedoch nicht dazu führen, die Beziehung zu den Kindern zu entsinnlichen, sexuelle Themen zu tabuisieren oder gar Kindern überhaupt Sexualität abzusprechen. Notwendig sind Wertschätzung, behutsame Begleitung und klare Orientierung.

Aber auch die Fachkräfte sind gefordert. Um Kindern sexuelle Bildung zu ermöglichen, sollten Einrichtungen für Kinder über sexualpädagogische Konzepte verfügen, die sexualerzieherische Angebote und Maßnahmen des Kinderschutzes integrieren. Elternabende zur Sexualpädagogik beispielsweise sollten Standard in jeder Kindertageseinrichtung sein.

Voraussetzung dafür ist, dass die mit Kindern tätigen Fachleute selbst ein im Professionalisierungsprozess möglichst geklärtes Verhältnis zu Sexualität haben und Angebote zu psychosexueller Entwicklung und Sexualpädagogik in den Ausbildungen einen angemessenen Stellenwert erhalten. Trotz Omnipräsenz von „Sex“ in den Medien: hier bleibt Vieles erst noch zu entwickeln.

Mit herzlichen Grüßen

Prof. Dr. Franz Resch, Präsident der Deutschen Liga für das Kind
Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind

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