fK 3/08 Rezensionen

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Buchrezensionen

Alles Leben ist Problemlösen

Was wissen Säuglinge bereits im ersten Lebensjahr? Was bringen Babys mit auf die Welt? Wie entsteht das Denken? Bei der Erforschung des Denkens von Säuglingen mangelt es an Fragen ganz sicher nicht.

Noch bis in die 1960er Jahre ging man davon aus, dass Säuglinge kaum etwas von ihrer Umwelt wahrnehmen. Mit seinen Forschungen zu den Folgen früher Deprivation zeigte René Spitz erstmals, welche fatalen Folgen durch Vernachlässigung für das körperliche, seelische und geistige Wohl von Kindern entstehen und wie wichtig emotionaler Austausch und sozialer Kontakt für die gesunde Entwicklung sind. Nach rund einem halben Jahhundert Forschung zur Entwicklung des Denkens legt die Entwicklungspsychologin Sabina Pauen mit ihrem Buch „Was Babys denken“ eine Zwischenbilanz vor.
Die Autorin erläutert und diskutiert zahlreiche Experimente aus der Säuglingsforschung. Detailreich und leicht verständlich erklärt sie, welche Hindernisse bei Experimenten mit Säuglingen überwunden werden müssen und wie ideenreich die Forscher hierbei vorgehen. In den Ergebnissen wird deutlich, wie eng Wahrnehmungsentwicklung, motorische und soziale Entwicklung mit der Entstehung des Denkens zusammenhängen.
Das Buch ist keine Anleitung für Eltern, wie sie einen „Albert Einstein“ zaubern können, sondern eine Bereicherung für Experten und Laien, die sich für die Anfänge des Menschsein interessieren.

Sabine Beckmann

Sabina Pauen
Was Babys denken
Eine Geschichte des ersten Lebensjahres
Verlag C.H. Beck
232 Seiten
17,90 €

Pädagogische Grundannahmen auf dem Prüfstand

Erkenntnisse der Neurobiologie rütteln an den Grundfesten der Pädagogik. Sind wir nur Objekte unseres Gehirns? Gibt es überhaupt so etwas wie den „Freien Willen“? Ist Erziehung sinnlos?

Die rasante Entwicklung der Neurobiologie zur führenden „Lebenswissenschaft“ fordert die Pädagogik und mir ihr die gesamten Sozialwissenschaften heraus. Nicht mehr die Person des Menschen steht im Mittelpunkt des neuen Wissens, sondern sein zentrales Nervensystem. War das Gehirn nach bisherigem Verständnis das wichtigste Organ des sich selbst bestimmenden Menschen, so soll es nun umgekehrt sein: das sich selbst organisierende Gehirn bestimmt angeblich den Menschen. Begriffe wie Verantwortung, Schuld oder Mündigkeit drohen dabei auf der Strecke zu bleiben. Otto Speck, einer der führenden Heilpädagogen im deutschsprachigen Raum, nimmt die Herausforderung an. Nicht im Sinne eines plumpen Beharrens auf traditionellen anthropologischen Auffassungen, sondern durch kritische Prüfung der neuen Befunde. In seinem Buch „Hirnforschung und Erziehung“ setzt sich der Autor detailliert mit zahlreichen Erkenntnissen der Neurobiologie auseinander. Er erkennt an, dass das Gehirn in seiner individuellen Entwicklung wesentlich von seiner Umwelt geformt wird, ohne dabei jedoch die Annahme eines autonomen Ich aufzugeben, von dessen Entscheidungen gelingendes Leben wesentlich abhängt. Das anspruchsvolle und zugleich spannend zu lesende Buch schließt mit der Aufforderung zum interdisziplinären Gespräch. Von den Erziehungswissenschaften muss dabei – so der Autor – erwartet werden, dass sie ihr anthropologisches Wissen um die neuen neurobiologischen Erkenntnisse erweitern und zugleich auf grundlegend wichtigen Konzepten bestehen: Selbstbewusstsein, Wertorientierung und Menschenwürde.

Dr. Jörg Maywald

Otto Speck
Hirnforschung und Erziehung
Eine pädagogische Auseinandersetzung mit neurobiologischen Erkenntnissen
Ernst Reinhardt Verlag
192 Seiten
19,90 €

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