fK 2/07 Moser

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

MANNE e.V. – Potsdam

Geschlechterbewusste Jungenarbeit in Kindertageseinrichtungen

von Peter Moser

Der 1997 gegründete Verein MANNE e.V. Potsdam nimmt die Lebenssituationen von Jungen und Männern in den Blick und ist Träger der „Fachstelle Jungenarbeit für das Land Brandenburg“. Die Fachstelle Jungenarbeit entwickelt und erprobt Projekte und Arbeitsansätze der geschlechterbewussten Jungenarbeit, bietet Fortbildung und Fachberatung für Mitarbeiter und Einrichtungen in allen sozialen und pädagogischen Bereichen an und fördert die Übernahme von Erziehungsverantwortung durch Männer und Väter. Ein Schwerpunkt der Arbeit sind die Angebote für die Arbeit mit Jungen in Kindertageseinrichtungen.

Mehr noch als in der Familie ist in der Kindertageseinrichtung das Aufwachsen von Jungen und Mädchen durch eine weitgehend völlige Abwesenheit der Männer geprägt. Männer stehen in der Kita kaum für die Begleitung und Erziehung von Kindern zur Verfügung. Dass dies einen Einfluss auf die Lebenslagen und das Verhalten von Jungen hat, wird zunehmend erforscht. Erzieherinnen und Erzieher stehen hier vor einer besonders sensiblen Herausforderung, die aber auch neue Handlungs- und Entwicklungsfelder eröffnet.

Mit seinen Angeboten unterstützt MANNE e.V. Potsdam Erzieherinnen in den folgenden Punkten:
– Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation von Jungen im „Frauenland Kita“;
– Umgang mit jungentypischen Verhaltensmustern;
– Gestaltung einer pädagogischen Umgebung, welche jungenspezifische Bedürfnisse berücksichtigt;
– Zusammenarbeit mit Männern;
– Gestaltung von jungenspezifischen Angeboten;
– Reflexion innerer Männerbilder (Haltungen, Gefühle und geschlechtsspezifische Zuschreibungen gegenüber Männern).

Mehr Männer in Kindertageseinrichtungen
Mit verschiedenen Projekten unterstützt MANNE e.V. Potsdam Männer bei der Übernahme von Erziehungsverantwortung. Dazu gehören:

Väterbildung und -beratung
Im Land Brandenburg gibt es kaum spezifische Angebote für Väter. Im Jahr 2007 möchten wir entsprechend Angebote aufbauen und männliche Mitarbeiter dafür qualifizieren. Bereits jetzt können sich Väter mit ihren Problemstellungen und Fragen bei uns beraten lassen.

Männer in pädagogische Berufe
Im Jahr 2005 konnten wir im Zuge des Modellprojektes „Mehr Männer in die Kita“ mehrere arbeitslos gewordene Männer für ein von uns begleitetes Berufsorientierungspraktika gewinnen und sie qualifizieren. 2006 unterstützten wir mehrere Männer bei ihrem Start in die Selbstständigkeit als mobile Anbieter für Eltern, Kita und Schulen (Informationen unter www.derbuntbaer.de).

Orientierungspraktika für Schüler
Derzeit betreuen wir mehrere Jungen im Alter von 15 Jahren während eines dreiwöchigen Schülerpraktikums in pädagogischen Berufen. Außerdem begleiten wir ca. 20 Jungen im Rahmen des brandenburgischen Zukunftstages.

Jungen brauchen für ihre ganzheitliche Entwicklung möglichst vielfältige unterschiedliche Männer, welche für die verschiedensten Aspekte des männlichen Lebens Vorbild sein können. Männer, die mit Unsicherheit, Niederlagen, Hilflosigkeit genauso gut umgehen können wie mit Kampf und Erfolg. Männliche Erzieher in der Kita sind immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Die vereinzelten Männer gelangen (häufig mit Unterstützung der Frauen) in eine Leitungsposition oder werden zum Experten für Abenteuer, Spaß und Sport. Andere werden wie selbstverständlich für sämtliche Hausmeistertätigkeiten eingesetzt. Männliche Erzieher werden von den Kindern stark in Beschlag genommen. Die Jungen suchen nach Möglichkeiten der männlichen Identifikation, aber auch den Mädchen sind gegengeschlechtliche Bezugspersonen wichtig, um sich an ihnen zu reiben und auszuprobieren.

Übernahme von Erziehungsverantwortung bedeutet für Männer zumeist auch eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Bildern von Männlichkeit und der eigenen männlichen Identität. Sie geraten in Konflikt mit vorherrschenden Bildern und ihren eigenen inneren Lebenskonzepten. Sie erhalten selten Anerkennung von anderen Männern und benötigen ein stabiles Selbstwertgefühl, um die als „weiblich“ geltenden Aufgaben in ihr eigenes Persönlichkeitskonzept zu integrieren. Hierzu gehört auch ein Zugehörigkeitsgefühl zu gleich gesinnten Männern, die ähnliche Entscheidungen getroffen haben.

Um eine Zusammenarbeit mit Vätern in der Kita verstärkt zu erreichen, bedarf es einer eigenen Ansprache und spezifischer Angebote für Väter. Das bedeutet auch, den Begriff der Niedrigschwelligkeit auf Väter anzuwenden. Dazu gehören nicht nur väterfreundliche Zeiten, sondern auch die Art und Weise, wie Väter angesprochen werden. Väter fühlen sich in der Kita häufig unwohl. Sie reagieren vor allem auf Anfragen, die mit Abenteuer und Aktion verbunden sind oder die bei ihren Stärken und Fähigkeiten ansetzen. Auch ein geschlechtshomogenes Setting unterstützt eine mögliche Zusammenarbeit. Im Kontakt mit anderen Vätern erkennt der Mann, dass er mit seinen Fragen, Bedürfnissen, Gefühlslagen und Problemen nicht alleine dasteht. Er kann sich mit anderen Vätern verbinden und sich an ihnen orientieren, während auf gemischtgeschlechtlichen Elternabenden viele Väter eher zurückhaltend agieren oder die Aufgabe lieber gleich den Müttern überlassen.

Modellprojekte der Jungenarbeit in Kitas
In Kooperation mit Kindertageseinrichtungen und Schulhorten entwickelt und begleitet MANNE e.V. Potsdam Modellprojekte der geschlechterbewussten Jungenarbeit, bzw. geschlechterbewussten Pädagogik für Jungen und Mädchen. Zwei dieser Modellprojekte („Liebeschule“ sowie „Jungen- und Mädchentage“ an der freien Schule Potsdam erhielten Preise als „Best-Praxis-Projekte“ von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung bzw. von der bundesweit agierenden Servicestelle: „Neue Wege für Jungen“ (www.neue-wege-fuer-jungs.de).

Bereits mit Eintritt in den Kindergarten ordnen Jungen und Mädchen sich selbst und die anderen einem Geschlecht zu. Dabei handelt es sich um einen komplexen sozialen Bildungsprozess, in welchem Jungen und Mädchen herausfinden wollen und müssen, was es bedeutet ein Junge bzw. ein Mädchen zu sein. Wenn man sie lässt, bilden Jungen und Mädchen daher zunehmend häufiger geschlechtshomogene Spielstrukturen als geschlechtsgemischte Spiele. „Falsches“ d.h. geschlechtsuntypisches Verhalten wird durch die Gruppe sanktioniert. Geschlechterbezogenes Rollenverhalten wird im Spiel häufig sogar überbetont und eingeübt. Es wird deutlich, dass Kinder als Mädchen bzw. als Junge anerkannt werden und dazugehören wollen. Sie wollen sich als Mädchen und als Junge selbst erkennen können. Gefühlsqualitäten, Bedürfnisse und Verhaltensweisen, die den Erwartungen der Umwelt, also den wirkenden Bildern und Mustern von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit entsprechen, werden anerkannt und verstärkt. Gefühle und Bedürfnisse, die nicht diesen Vorstellungen entsprechen, werden eher abgewertet und verdrängt.

Auf Grund des Fehlens von Männern erleben Jungen zu wenige Möglichkeiten, sich mit unterschiedlichen Männern zu identifizieren und sich an diesen zu orientieren. Ihnen fehlen differenzierte Bilder, was Männer tun, wie sie sprechen, fühlen, wie sie riechen und sich ihr Körper anfühlt. Wo konkrete, lebendige Männer fehlen, entwickeln Jungen eine abstrakte und eingeschränkte Vorstellung von Männlichkeit und männlichem Verhalten. Diese Männlichkeitsbilder sind zumeist vom Heldentum und von Eigenschaften wie Stärke, Leistung, Erfolg haben, Sieger sein, Rationalität und Gefühlsverdrängung geprägt. Die erlaubten Verhaltensmöglichkeiten von Jungen sind dann oft geschlechtsspezifisch eingeschränkt. Verletzlich zu sein, weich zu sein, oder auch mit anderen Jungen Körperkontakt haben zu wollen, gilt als unmännlich. Jungen fehlt es dann an emotionalem Austausch, wobei es hier wiederum vor allem die als „weiblich“ empfundenen Gefühle, Bedürfnisse und Verhaltensmöglichkeiten sind, die in Jungenbeziehungen häufig ausgeblendet werden.

Jungenspezifische Angebote berücksichtigen daher in der Regel jungentypische Bedürfnisse nach Bewegung, Aktion, Abenteuer und beschäftigen sich häufig mit der Integration von als „weiblich“ geltenden Verhaltensmuster für Jungen, Auf diese Weise werden die Handlungsmöglichkeiten jenseits von etablierten Geschlechterrollen erweitert.

MANNE e.V. – Potsdam
Information, Beratung, Bildung für Jungen und Männer
Kiezstrasse 16, 14467 Potsdam
Tel.: 0331-748 08 97
E-Mail: info@mannepotsdam.de
www.mannepotsdam.de

Peter Moser ist Sozialpädagoge und Fachreferent der Fachstelle Jungenarbeit bei MANNE e.V. – Potsdam.

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