fK 2/06 Köpcke

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

„Behindertenrecht“: Menschenrecht auf Gleichheit

von Arnold Köpcke-Duttler

Wenn von Gleichheit als einem Menschenrecht gesprochen wird, so drängt sich erst einmal die Rechtsanwendungsgleichheit aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf. Sie drückt sich in dem allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich) aus, wobei nicht übersehen werden darf, dass diese allgemeine Gleichheit später in den Gedanken der Rechtssetzungsgleichheit übergegangen ist. So geht es nicht nur um die Gleichheit in Anbetracht des Gesetzes, sondern um das gleiche Recht, sich zu beteiligen an der Gesetzgebung. Das Menschenrecht der Gleichheit hat demnach schon aus sich heraus zu tun mit einem Recht auf Teilhabe an den und auf Mitgestaltung der Lebensbedingungen.

Verfassungsrechtlich gesehen, ist der allgemeine Gleichheitssatz eng verbunden mit der Garantie der Menschenwürde und dem Recht der Entfaltung der Persönlichkeit, einem Recht, das – unabhängig von seinem Alter – jedem Menschen zusteht. Das Recht auf Gleichbehandlung, die Abwehr ungerechtfertigter Ungleichbehandlung gehen über ein bloßes Willkürverbot hinaus. Entgegen einer abstrakten und rohen Gleichmacherei ist Folgendes zu bedenken: Wer die innere (formale) Struktur der Gleichheit verfolgen will, sollte davon ausgehen, dass – unterschieden von der Identität – die Gleichheit Verschiedenheit voraussetzt und freigibt. Gleichheit bezeichnet eine Beziehung, eine Relation zwischen verschiedenen Personen. Alles Recht ist dann Ausdruck von Unterschiedenheit und Kunst der Differenzierung. Der Gleichheitssatz fordert eine menschengerechte Gleichbehandlung; dieses menschliche Maß aber kann von seinem Inhalt her schwanken zwischen einer Gleichbehandlung (allen das Gleiche) und deren Gegenteil (jedem das Seine), wobei die letztere Leitlinie von Gerechtigkeit als vermeintlich feste Grundlage abendländischen Rechtsdenkens nicht nur aus dem Christentum des Thomas von Aquin stammt, sondern auch Wahlspruch des preußischen Königs Friedrichs I. war und über dem Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald stand. In dieser weiten Offenheit des Gleichheitssatzes sind der Schritt vom Willkürverbot zum Gebot verhältnismäßiger Gleichheit von Bedeutung, zudem die Verbindung des Gleichheitssatzes mit den Freiheitsgrundrechten, mit Teilhabe- oder Leistungsrechten.

Gleichheit und Differenz
Das auch politisch bedeutsame Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit ist nach dem Grundgesetz aufzuheben in Richtung auf die gemeinsame Würde der Menschen, die freilich auch den Kindern zukommt. Eigentlich müsste dieses Zukommen gar nicht mehr betont werden, wenn nicht immer wieder auch die Frage auftauchte, ob denn die Kinder wohl Träger und Trägerinnen von Menschenrechten überhaupt sein können. Die Gemeinsamkeit im Blick auf die Menschenwürde stimmt mit der Unterschiedenheit der Kinder zusammen. So betont der Sonderpädagoge Andreas Hinz, nicht Integration bilde den Ergänzungspol zur Differenz, sondern Gleichheit. Wenn Gleichheit den ergänzenden Pol zur Differenz bilde, sei Integration das labile, dynamische Gleichgewicht zwischen beiden Polen.

In einer Pädagogik der Vielfalt ergänzen einander Gleichheit und Differenz. Dabei geht es um den Primat von Gemeinsamkeit bei je personaler Unterschiedenheit, um die Anerkennung einer „egalitären Differenz“ – nicht nur als eines pädagogischen, sondern auch als eines rechtlichen Gedankens. Schließlich geht es über das Recht hinaus um eine nicht-justitiable Freude an der Unterschiedenheit in einem nicht-harmonistischen Miteinander der Menschen. Freilich stößt diese Freude in einer kapitalistischen Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft rasch an ihre Grenzen; von daher ist entgegen jeder Sozialdisziplinierung und herrschaftlichen Verfügung eine Stärkung der Kinderrechte geboten, damit überhaupt eine menschengerechte Zukunft der Kinder möglich ist. Die Würde der Kinder lässt sich am ehesten erreichen, wenn ihnen Eigenrechte, mehr Eigensinn und mehr Eigenständigkeit zugestanden werden. Was weit über Verfassungsrecht und Heilpädagogik hinaus fehlt, ist eine stimmige und nachhaltige Politik zugunsten einer lebbaren Zukunft – zum Wohle der folgenden Generationen.

Gleichheit und soziale Menschenrechte Das Menschenrecht der Gleichheit ist auch eng verbunden mit den sozialen Rechten, mit sozialen Anteilsrechten an den menschlichen Lebensgütern. Gleichheit verbleibt nicht in einer Abstraktion, sondern sie überschreitet die Rechtsgleichheit, insbesondere wenn diese eingeschränkt wird zur Gleichheit unter dem Gesetz, und wird als Anteil an den sozialen Lebensmöglichkeiten, wozu auch das Recht auf Bildung gehört, selbst ein Teil der Freiheit. Soziale Grundrechte, soziale Menschenrechte, vermögen zwischen Freiheit und Gleichheit zu vermitteln; sie stehen in einer selbstverständlichen Nähe zum Gleichheitsprinzip. Die sozialen Grundrechte überschreiten durch ihre Hinwendung zu dem konkreten Menschen und seinen Lebensbedingungen, durch ihre Beziehung auf menschliche Grundbedürfnisse die Abstraktion der Freiheit, die bloße „Freiheit wovon“, und öffnen den Weg zu einer konkreten Freiheit: der „Freiheit wozu“. Die Grundrechte entspringen dem sozialen Recht als einem neuen Typus des Rechts, das seinen Blick dem konkreten Menschen zuwendet, und sollen beitragen zu einem Ausgleich sozialer Ungleichheit. Soweit sie diesen Ausgleich vornehmen, schaffen sie eine konkrete Gleichheit auf dem Wege des Rechts. Der positive Inhalt sozialer Grundrechte ist somit die rechtliche Absicherung tatsächlicher Gleichheit. Das Menschenrecht auf Gleichheit soll die Forderung nach der gleichen Möglichkeit von autonomer Selbstverwirklichung erwecken, einer Selbstverwirklichung mit dem anderen Menschen, auch mit den Kindern. Der soziale Horizont des Menschenrechts auf Gleichheit richtet sich auf die Schaffung neuer Lebensmöglichkeiten, auf Kultur und Lebensqualität, auf die Errichtung eines freien Sozialstaats, unterschieden von einem autoritären Wohlfahrtsstaat, von der Herbeiführung der Gleichheit durch Zwang (Gleichschleifung).

Gleichheit als Protest gegen Entrechtung
Mit dem Menschenrecht auf Gleichheit geht es um eine bestimmte Emanzipationsbewegung, um das Ziel, die Entrechtung Unterprivilegierter und die Spaltung der Gesellschaft in soziale Klassen zu überwinden. Habermas bezeichnet damit den Kampf gegen die Unterdrückung von Kollektiven, denen gleiche soziale Lebenschancen vorenthalten werden, rechtlich: den Kampf um die sozialstaatliche Universalisierung der Bürgerrechte. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass mit dieser Universalisierung der Status abhängiger Arbeit („Erwerbsarbeit“) nicht überwunden, allenfalls gemildert (Habermas: „ergänzt“) wird. Andererseits haben soziale Teilhabe- und politische Teilnahmerechte, Kommunikationsrechte, die allen Menschen gleichermaßen zustehen, in sich auch eine innere Dynamik in Richtung auf eine Befreiung aus dieser Abhängigkeit.

Das rechtliche Ideal der Gleichheit geht demnach über die Gleichheit vor dem Gesetz hinaus, über die Gleichheit der Besitzer von Waren. Sie umfasst die ökonomische Gleichheit und geht auf die Überwindung der Unterschiede zwischen den Reichen und Armen. Im Bund mit der Brüderlichkeit, der Geschwisterlichkeit bedeutet sie Gleichheit dessen, was Menschenantlitz trägt, weist sie hin auf die Einheit der Menschheit, das Recht des Anderen, des Nächsten. Den Hintergrund dieses Gleichheits-Pathos bildet der Gedanke der Einheit des Menschen mit dem Menschen, freilich der Einheit angesichts der wechselseitigen Unterschiedenheit. Die Gleichheit als Protest gegen Abhängigkeit und Knechtschaft auf der Suche nach einer menschlichen Gesellschaft hat unter anderem der Philosoph Ludwig Feuerbach gefordert. Feuerbach verstand sich als „Gemeinmensch“, als „Communist“, der das Wesen des Menschen in die Gemeinschaft versetzt. In der Einheit des Menschen mit dem Menschen sei jener Ort bezeichnet, an dem Liebe oder Gerechtigkeit für den Menschen sich zeigen könnten. Nach dieser rechtlichen Anthropologie ist der Mensch immer „Mensch mit Menschen“: soziales Individuum, Mitmensch auf der Suche nach gleicher sozialer Wohlfahrt und Gerechtigkeit. Erneut wird darin damit deutlich, dass Gleichheit nicht Nivellierung bedeutet, dass auch die Rechtsgleichheit dem Gleichschleifen – und sei es das Gleichschleifen der Kinder durch Erziehungsmechanismen – widerspricht.

Gleichheit in Freiheit
Der Rechtsphilosoph Werner Maihofer versteht die Demokratie als Ordnung der Gleichheit in Freiheit, näherhin: das Prinzip einer sozialen Demokratie als größtmögliche und gleich-berechtigte Wohlfahrt des Einzelnen bei einer notwendigen Gerechtigkeit für Alle. Ohne Gleichheit könne die Freiheit nicht bestehen; in der Ordnung der Gleichheit in Freiheit erschöpft sich die Gleichheit nicht in der bloßen Gleichheit der Staatsbürger, auch nicht in der Gleichheit vor dem Gesetz oder der Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber. Über diese Reduktion hinaus geht es (auch) um die Gleichheit der Mitglieder der Gesellschaft in Bezug auf den Gesamtzustand der gesellschaftlichen Lebensbedingungen, um Gleichheit oder Ungleichheit der Vorteile, die einzelne oder Gruppen aus dem Zusammenschluss in der Gesellschaft ziehen, ebenso um die Nachteile, die ihnen aus ihm erwachsen, die sie an ihren Lebensmöglichkeiten erleiden. Spricht Kant von der Idee der Gleichheit der Menschen im gemeinen Wesen, von der egalitären Chance eines jeden, „Glücksgüter“ und „Wohlfahrt“ sich zu verschaffen, nach denen sein Bedürfnis verlangt und die er nach seinen Fähigkeiten erlangen kann, so geht er über eine reduktive Gleichheit hinaus. Gleichheit wird nicht auf das Verhältnis der einzelnen zum Staat beschränkt; sie wird in Hinsicht auf die Gesellschaft und mit dem Blick auf das Wohlergehen, die Befriedigung der Bedürfnisse, die freilich nicht aufgezwungen werden dürfen, auf die Entfaltung der Fähigkeit jedes einzelnen Menschen hin weiter gedacht. Dieser Rechtsgedanke der Gleichheit verschließt sich nicht gegenüber dem eigentümlichen Sachverhalt, dass ein Übermaß an Vorteil für den Einen regelmäßig ein Übermaß an Nachteil für den Anderen bedeutet. Entgegen dem Credo einer prästabilierten Harmonie soll nicht das Prinzip der Freiheit auf dem Weg einer Reduktion der Gleichheit verwirklicht werden; nicht soll um der Freiheit willen die Gleichheit des Menschen zerstört werden, nicht um der Gleichheit willen die Freiheit verkürzt auf ein von Staats wegen nach seiner gesellschaftlichen Nützlichkeit bemessenes Maß an Möglichkeiten zur Befriedigung der Bedürfnisse. Diese umfassende Gleichheit wird geradezu gehalten von der Verschiedenheit der einzelnen Menschen. Die formelle politische Gleichheit aller Bürger hat nach geschichtlicher Erfahrung nicht die wirtschaftliche Gleichheit zur Folge; hinter der formalen Rechtsgleichheit verbirgt sich zu oft die wirtschaftliche Ausbeutung, die „Ungleichheit der Wohlfahrt“, bis hin zur Verknechtung von Menschen. Die formale Garantie durch das Gesetz muss sich transzendieren hin zu realen Chancen in der Gesellschaft, hin zu einer sozialen Demokratie. Von einer ökologischen Demokratie ist hier noch nicht die Rede.

Für den Rechtsphilosophen Gustav Radbruch sind die stoffbestimmte Idee eines menschlichen Rechts, das er als soziales Recht hervorhebt, die Stützung der sozial Ohnmächtigen und die Eindämmung sozialer Übermacht. Grundgedanke des sozialen Rechts ist nicht die Fiktion der Gleichheit der abstrakten Rechtspersonen, vielmehr der der Ausgleichung zwischen ungleichen Menschen, der Unterschiede sozialer Machtpositionen, der Veränderung von Situationen der Ohnmacht. Dieses Verständnis von Gleichheit ergibt sich aus einer bestimmten Sicht des Menschen, die der Psychiater Klaus Dörner später einem technisch-rationalen Menschenbild kritisch hinzugestellt: Menschen sind die Beziehungen, die sie untereinander gestalten, sind die Bedeutungen, die sie sich gegenseitig zusprechen. Von dem „Menschenbild der zwischenmenschlichen Beziehungen“ aus werden das leidfreie Glück und die Dominanz des ökonomischen Werts in einen umfassenden Zweifel hineingezogen. Gleichheit wird hier zum Protest gegen gegebene Ungleichheit; Benachteiligungen, Herabsetzungen werden jetzt erst wahrgenommen. Ziel ist nicht eine abstakte Gleichheit, wohl ein Ausgleich der Lebensbedingungen, ist der Schutz vor Benachteiligungen.

Das Diskriminierungsverbot: Behinderte (Kinder) dürfen nicht benachteiligt werden
Nach Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Mit diesem Benachteiligungsverbot wird der Förderungs- und Integrationsauftrag des Sozialstaatsprinzips verstärkt; bezweckt wird die Anstrengung, die Stellung von Menschen mit einer Behinderung in Recht und Gesellschaft zu verbessern. Das Verbot spricht ein subjektives Abwehr-Grundrecht aus, eine Vermeidung von Nachteilen, die Teilhabe- und Leistungsrechte mit sich führt. Auch wenn die Stärkung von Menschen mit einer Behinderung in der Gesellschaft lediglich Gegenstand einer Staatszielbestimmung sein soll, wie manche Verfassungsrechtler meinen, strahlt das Benachteiligungsverbot auf alle Felder des Zusammenlebens aus im Sinne gegenseitiger Rücksichtnahme und aktiver Toleranz.

Damit seine Grundrechtsqualität noch deutlicher wird, ist über den untergründigen diskriminierenden Sinn des Worts „Behinderung“ näher nachzudenken. Zu häufig bleibt die Rechtsprechung bei der Kombination der drei Bestimmungselemente Schaden, funktionelle Einschränkung, (soziale) Behinderung stehen, gemäß einem medizinischen Modell (impairment, disability, handicap). Das Grundrecht auf Vermeidung einer Benachteiligung, einer rechtlichen Ausgrenzung, der Freiheit von Stigmatisierung wird aber erst dann deutlich, wenn über das Wort Behinderung hinaus ein Recht auf Teilhabe (participation) gedacht und praktisch eingelöst wird. Über das Verbot eines Ausschlusses von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Hand (mit einer Auswirkung auf die privaten Rechtsbeziehungen), über unzulängliche Kompensationen hinaus begründet das Benachteiligungsverbot eine „besondere Verantwortung“ vor den Menschen mit einer Behinderung und für sie.

Für Heilpädagog(inn)en zielt Integration auf die Durchsetzung der uneingeschränkten Teilhabe und Teilnahme behinderter, in ihren Lebensmöglichen gehinderter Menschen an allen gesellschaftlichen Prozessen, vom Kindergarten über die Schule, in der Freizeit, im Wohnen und in der Arbeit. Ausgrenzung und Aussonderung von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen widersprechen der Rechtsidee der menschlichen Würde und dem Benachteiligungsverbot. Integration (ich diskutiere hier nicht die Unterscheidung zwischen Integration und Inklusion) in einem umfassenden pädagogischen Verständnis bedeutet, dass alle Kinder und Jugendlichen in einem gemeinsamen Leben und Lernen, nach Maßgabe ihrer Stärken und Schwächen aneinander Anteil nehmen, sich einer drohenden Stigmatisierung nicht beugen. Im Sinn eines „Menschenrechts auf integrative Bildung“ ist der ethische Hintergrund der rechtlichen Verfassung freizulegen: Der pädagogische Auftrag für eine integrative Erziehung und eine gemeinsame Zeit des Kindergartens und der Schule. Heilpädagogen sprechen von einem Prinzip der „Wiederherstellung der Einheit des Menschen in der Menschlichkeit“: Jedes Kind hat ungeachtet seiner Begrenzungen und mit einem befreienden Blick auf seine Möglichkeiten hin ein Recht auf Erziehung und Bildung.

Im Rahmen des Sozialgesetzbuchs VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) wird die Behinderung junger Menschen unter dem Gesichtspunkt des Wechselspiels zwischen Jugendhilfe und Eingliederungshilfe für Menschen mit einer Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch XII bedacht. Die komplizierte Regelung (§ 10 Abs. 4 Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz) der verschiedenen Zuständigkeiten sollte alsbald geändert werden. Körperlich oder geistig Behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte junge Menschen werden immer noch dem Sozialgesetzbuch XII zugeordnet, seelisch verletzte (behinderte) Kinder und Jugendliche dem Sozialgesetzbuch VIII. Diese Aufteilung in Kinder und Jugendliche, die in ihrer Leiblichkeit gehindert, in ihren geistigen Fähigkeiten gestört sind einerseits, und jene, die in ihrer seelischen Gesundheit verletzt sind, sollte schon wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes endlich beendet werden. Die Aufspaltung der Eingliederungshilfe nach der Art der Behinderung, eine Trennung, die mit Streitigkeiten über Leistungszuständigkeiten und mit monetären Überlegungen zu tun hat, nicht von der anthropologischen Ganzheit des Kindes und des Jugendlichen ausgeht, führt zu Abgrenzungsmanövern, Zuständigkeitsstreitigkeiten und neuen Diskriminierungen, die sich entgegen dem Gleichheitssatz und dem Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes (und der Länderverfassungen) weit entfernen von dem Recht auf Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 1 Sozialgesetzbuch IX), einem Recht, das auch Kindern und Jugendlichen zukommt.

Ausblick
Das Überschreiten der rechtlichen Gleichheit zeigt sich deutlich in dem Folgenden: Max Horkheimer, einer der Begründer der Kritischen Theorie, zweifelt am Ende seines Lebens das Wort „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ an und schlägt diese Übersetzung vor: „Liebe deinen Nächsten, er ist wie du.“ Negativ gesprochen: Gleichheit ist nicht die allgemeine Erniedrigung zu einem kargen Leben, bedeutet nicht das Absehen von der menschlichen Person, das Abschleifen, die Erniedrigung. Sie geht darauf, die Gemeinsamkeit angesichts der Unterschiedenheit wahrzunehmen und, wenn es nur geht, sich freundlich miteinander zu unterscheiden. In seiner Absicht, Zusammenhänge zwischen praktischer Rücksichtslosigkeit und idealistischer Moral, das Nebeneinander zartester Rücksicht und zynischer Härte zu klären, hat Horkheimer in seiner 1936 geschriebenen Abhandlung „Egoismus und Freiheitsbewegung“ auch die Rolle der Kinder bedacht. Das grausigste Tagewerk werde von der Freundschaft und dem Lächeln gegenüber dem Kind umrahmt. Je tiefer die gesellschaftlich Schwachen sich ducken müssten, desto höher steige das Symbol der natürlich Schwachen, der Kinder und ehrenwerte Greise. Die Gemeinsamkeit der in Schwäche Gehaltenen und in ihrer Stärke Gehinderten ist demnach zu suchen, eine Gemeinsamkeit, in der das Recht der Kinder, anders zu sein, geachtet und die menschliche Würde jedes Kindes deutlich wird.

In dem noch immer zu sehr durch das Recht der Vertragsstaaten vermittelten UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes heißt es immerhin in Artikel 23 Absatz 1: „Die Vertragsstaaten erkennen an, dass ein geistig oder körperlich behindertes Kind ein erfülltes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen soll, welche die Würde des Kindes wahren, seine Selbständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft erleichtern.“ Von dieser die Vertragsstaaten verpflichtenden Proklamation müssen weitere Schritte zum Recht des Kindes gegangen werden.

Die vollständige Fassung einschließlich der Literaturangaben ist über die Geschäftsstelle erhältlich.

Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Rechtsanwalt und Diplom-Pädagoge in Marktbreit.

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