04 Aug fK 2/05 Härms
Damit Kinder aufblühen
Grüne Lern- und Erlebnisorte im Wohnumfeld schaffen!
von Doris Härms
Wie prägend die Erlebnisse der ersten Lebensjahre für die menschliche Entwicklung sind, wird immer wieder betont. Insbesondere ist hiervon auch unsere Hirnentwicklung beeinflusst. So ist aus der Entwicklungspsychologie bekannt, dass bei Kindern die Anregungsbedingungen der unmittelbaren Wohnumwelt die geistigen und sozialen Fähigkeiten fördern oder hemmen können.
Der Mediziner Hans-Georg Jaedicke benannte bereits vor 25 Jahren die „elementare Bedeutung von Landschaft, Freiraum und naturhafter Strukturen für die Entwicklung des Kindes“. Naturgegebenheiten der Umwelt haben dabei den stärksten Aufforderungswert, von ihnen geht die stärkste Stimulation aus, an der sich die Organe, Funktionen und Anlagen entwickeln können. So lernen die Kinder im Umgang mit der Natur wichtige Prozesse des Lebens wie Wachstum, Veränderbar- und Vergänglichkeit sowie den Wechsel der Jahreszeiten kennen. Die Natur bietet hierzu eine unerschöpfliche Angebotsvielfalt an Erfahrungs- und Spielmöglichkeiten.
Auch werden in der frühen Kindheit Grundeinstellungen des Menschen geprägt. So hängt die Bereitschaft sich im Umweltschutz zu engagieren zumeist von einer gefühlsmäßigen Bindung an die Natur aufgrund eigener Erfahrungen ab.
Kinder lernen, was sie erleben
Unsere Kinder wachsen zunehmend in einer technisierten, naturentfremdeten Welt auf, in der auch häufig ihre sozialen und motorischen Fähigkeiten auf der Strecke bleiben. Grundschullehrer(innen) stellen dann vor allem bei Stadtkindern große Defizite fest, die auch für schulisches Lernen die Voraussetzung bilden. „Kinder, die durch ein entfremdetes Verhältnis zum eigenen Körper kein Raumgefühl entwickelt haben, sind schwer in der Lage, mathematische Zusammenhänge zu erfassen. Kinder, die keine Beziehung zur Natur aufbauen können, verlieren auch die Beziehung zu sich selbst“ (Knauer, R. & Brandt, P).
Um dieser allgemeinen Tendenz der Naturentfremdung entgegenzuwirken, gibt es Einrichtungen und Projekte, wo Kinder in der Großstadt unmittelbare Erfahrungen mit der Natur sammeln können und sich Kenntnisse aneignen bzw. von Betreuungspersonen vermittelt bekommen. Meistens können die Kinder an diesen „Grünen Lernorten“ auch wichtige Erfahrungen des sozialen Miteinanders sammeln und ihre motorischen Fähigkeiten entwickeln.
Oasen in der Hauptstadtwüste
Ein solches Projekt stellt der „Moabiter Kinderhof“ dar, der im Berliner Innenstadtbezirk seit acht Jahren auf dem ehemaligen Lagerplatz des Naturschutz- und Grünflächenamtes auf 1.600 qm am Rande des Fritz-Schloss-Parkes entstanden ist. Als Haupteinzugsbereich stellte sich bald die Zille-Siedlung in unmittelbarer Nähe des Geländes heraus, die sozial als problematisch gilt. So können gerade Kinder, die nicht durch ihre Familien über Waldspaziergänge die Natur kennenlernen, Erfahrungen auf einem Gelände sammeln, das mit seinem kleinen Teich, Sonnenblumen und Beeten als Biotop inmitten der Großstadt geradezu idyllisch wirkt. Das Gelände bietet sich durch seine Eigenheit als Ort zur Identifikation an. Durch ein Lagerfeuer lernen die Kinder beispielsweise ein Naturelement kennen, das sie sonst nur noch bei Feuerzeugen, Streichhölzern oder Kerzen kennen. Auch das Bauen von Bretterbuden und Geschicklichkeitsspiele wie Diabolo oder Stelzenlaufen stellen für die Kinder ein gutes Übungsfeld dar. Dieses Projekt stellt mit seinem kreativen, sozialen und ökologischen Schwerpunkt einen Freiraum zur Entfaltung der sensitiven und motorischen Fähigkeiten zur Verfügung.
Die Kinder werden bei der Pflege von Pflanzen und Tieren von den Mitarbeiter(inne)n angeleitet, wobei Regeln und Grenzen deutlich gemacht werden. Die dadurch geleistete ökologische Erziehung wird als Grundstein für eine nachhaltige Entwicklung gesehen. Kinder- und Schülerläden sowie Hortgruppen können das Gelände mit ihren Angeboten auf Anfrage ebenfalls nutzen.
Auf dem Gelände der Gartenarbeitsschule in der Birkenstraße im gleichen Stadtteil gibt es sogar extra Beete für Vorschul- und Kindergartengruppen, so dass die Kinder das Keimen, Gedeihen und Heranwachsen von Pflanzen und Früchten miterleben können.
Seit Juni 1997 steht das 8.000 qm große Gelände außerdem einem freien Träger unter dem Motto „Aktiv im Grünen“ für außerschulische Aktivitäten und Kurse zur Verfügung.
Neben Gartenbeeten, Wiese, einem Teich und zum Teil seltenen Bäumen sind u.a. eine Insektenwand, eine offene Feuerstelle sowie ein Lehmofen entstanden. Das Gelände wird ebenfalls seit einigen Jahren von einem Imker genutzt, der Kindergruppen seine Arbeit demonstriert.
Beide Projekte werden durch das zuständige Bezirksamt gefördert und können zur Nachahmung anregen.
Stadtbrachen als Chance
Die allerorts beklagte Knappheit in den kommunalen Haushalten, die auch die Gestaltung und Pflege brachfallender Freiflächen schwieriger werden lassen, sowie das Ausbleiben von Investoren aufgrund der Wirtschaftslage kann in diesem Zusammenhang auch neue Möglichkeiten eröffnen. So gibt es mittlerweile in Berlin Flächen, für die händeringend (Zwischen)nutzer gesucht werden. Die Kommune nimmt hier eine ermöglichende Rolle ein, und die Stadt wird zunehmend von ihren Bewohnern selbst gestaltet. So können auch „Ökologische Spiel(t)räume“ wie sie das gleichnamige Fachbuch des Bundes der Jugendfarmen und Aktivspielplätze entwickelt und vorgestellt hat, wahr werden.
Der hierin entwickelte Leitfaden zur Planung und zum Betrieb zeitgemäßer Aktivspielplätze empfiehlt das Einrichten separater Kleinkindflächen, da die Kleinkinder und die sie begleitenden Elternteile ein größeres Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug haben als ältere Kinder. Dieser Bereich sei insbesondere bei Plätzen mit Tierhaltung wichtig als Verweilort nach dem Besuch der Stallungen.
Wir müssen nicht im Urwald leben, um eine gefühlsmäßige Bindung an die Natur zu entwickeln. Allerdings sollten wir Grüne Lern- und Erlebnisorte in vielfältigen Wohnumfeldstrukturen mit Zonen für Spontanvegetation in unseren Städten entwickeln.
Auch sollten wir verschiedene Möglichkeiten des Naturerlebens mit Kindern im Alltag in der Stadt bewusst nutzen: denn bereits der Balkon oder Mietergärten sind die kleinsten innerstädtischen Freiräume, auf denen beispielsweise Tomaten und Kräuter gezüchtet werden können.
UN-Dekade für die Bildung einer Nachhaltigen Entwicklung
Die pädagogische Ausrichtung solcher Grüner Lern- und Erlebnisräume und des eigenen Handelns lässt sich in den Kontext eines weltweiten Bemühens um Nachhaltigkeit setzen. Darunter ist eine Entwicklung zu verstehen, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen (laut Definition der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, 1987). Durch den Beschluss der Vollversammlung der Vereinten Nationen ist für die Jahre 2005-2014 eine Weltdekade „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen worden. Ihr Ziel ist es, durch Bildungsmaßnahmen zur Umsetzung der in Rio 1992 beschlossenen und in Johannesburg bekräftigten Agenda 21 beizutragen. Die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung sollen weltweit in den nationalen Bildungssystemen verankert werden. Dabei besteht die Hauptaufgabe darin, Menschen die nötigen Kompetenzen und Einstellungen zu vermitteln, dass künftige Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden.
Als Basis für eine Erziehung zur Nachhaltigkeit wird neben der sozialen Kompetenz immer die ökologische Erziehung gesehen. Diese kann nicht nur auf kognitivem Wege stattfinden, sondern hier müssen ganzheitliche Konzepte einer Umweltpädagogik, die den Menschen mit allen Sinnen und vor allem auch auf der Gefühlsebene ansprechen, zum Einsatz kommen.
Denn: „Die Natur zu schützen, ökologische Kriterien zum Maßstab eigenen Handelns zu machen, ist eine Entscheidung, die Engagement verlangt. Engagement geht mit Gefühlen einher“ (Knauer, R. & Brandt, P).
Die Literaturangaben sind über die Geschäftsstelle erhältlich.
Doris Härms ist diplomierte Landespflegerin mit pädagogischer Zusatzausbildung in Berlin.
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