fK 2/05 Bausparkasse

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Kinderfreundliche Stadtplanung

Wohnen mit Kindern

Herausforderung und Chance

Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen
(Bearbeitung: Prof. Dr. Franz Pesch, Prof. Dr. Tilman Harlander, Prof. Eberhard Weinbrenner)

Eine kinderfreundliche Planung und Gestaltung von Wohnung, Wohnumfeld und Stadt ist im Kontext des Anspruchs der Kinder- und Jugendpolitik, durch eine umfassende Verbesserung der rechtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen für junge Menschen Chancengleichheit und Optionen für die nachwachsende Generation herzustellen, nur ein, wenn auch ein besonders wichtiger Baustein. Tatsächlich hat sich das Bewusstsein über die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung der Kinder und Jugendlichen seit etwa zwei Jahrzehnten nicht allein in Deutschland, sondern auch im Weltmaßstab grundlegend verändert und erweitert. Marksteine dieser Entwicklung waren die durch Deutschland 1992 ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention oder zuletzt der so genannte Weltkindergipfel im Mai 2002. „Die Kinder zuerst“ ist eines von zehn Prinzipien, die in dem verabschiedeten Abschlussdokument „A world fit for children“ hervorgehoben wurden.

Der Verantwortung für die Herstellung einer kind- und jugendgerechten räumlichen Umwelt kommt dabei ein ganz besonderer Stellenwert zu. Eine kinder- und jugendbejahende Gesellschaft kann sich kinderfeindliche Städte und Wohnumwelten nicht mehr leisten. Öde, natur- und erlebnisarme, dafür aber verkehrsgefährliche Innenstädte waren über Jahrzehnte hinweg nicht allein ein Hauptmotiv für die anhaltende, sozial und ökologisch so bedenkliche „Stadtflucht“ gerade der jüngeren Familien, sondern behindern vor allem auch die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen selbst auf eine häufig irreversible Weise.

Gerade weil die Möglichkeiten für ein ungezwungenes und gemeinschaftliches Spielen von Kindern mit Gleichaltrigen im Straßenraum („Straßensozialisation“) im Zuge von Massenmotorisierung und Stadtsanierung seit den 1960er Jahren weitgehend verschwunden sind, besitzt das Ziel einer kindgerechten Requalifizierung des Stadtraums als Spiel- und Bewegungsraum sowie sozialer Lernort für Kinder und Jugendliche heute einen so hohen Stellenwert.

Beengte Wohnverhältnisse benachteiligen Kinder in ihrer kognitiven und emotionalen Entwicklung auf vielfältige Weise. Im Allgemeinen ist die durchschnittliche Wohnungsversorgung der Kinder in Familienhaushalten in Deutschland inzwischen aber als relativ gut einzustufen. 90% der Familienhaushalte verfügen über ein oder mehrere Kinderzimmer. Mehr als die Hälfte der Kinder hat ein eigenes Zimmer, die andere Hälfte teilt sich das Kinderzimmer mit Geschwistern. Allerdings zeigt sich in der Wohnraumversorgung eine typische geschlechtsspezifische Benachteiligung: Obwohl Mädchen ihre Freizeit eher in Innenräumen verbringen, verfügen sie seltener als Jungen über ein eigenes Zimmer.

Generell weniger günstig stellt sich die Situation für kinderreiche und einkommensschwächere Familien, Alleinerziehende sowie Migrantenfamilien dar. Vor allem in den Ballungsräumen gibt es für diese Gruppen nach wie vor zu wenig ausreichend große und preiswerte Wohnungen. Besondere Nachteile haben Kinder und Jugendliche häufig in Großwohnsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus, die sich zum Teil zu so genannten „sozialen Brennpunkten“ entwickelt haben.

Wenn sich auch die finanziellen und quantitativen Rahmenbedingungen des Familienwohnens durch gezielte wohnungspolitische Fördermaßnahmen weiter verbessern lassen, bestehen in qualitativer Hinsicht doch vielfältige und in der Fachdiskussion unstrittige Möglichkeiten, die Wohnungen und Häuser kindgerechter zu gestalten.

Wohnung und Haus

Generell hat sich die Meinung durchgesetzt, dass ein familiengerechter Wohnungsbau nicht mehr als drei bis vier Geschosse haben sollte, um noch die notwendigen Blick- und Rufkontakte zwischen Eltern und spielenden Kindern zu ermöglichen. Wegen des direkten Zugangs zu Außenraum bzw. Gartenbereich kommt das freistehende Einfamilienhaus den kindlichen Bedürfnissen nach Naturnähe und spontaner Bewegung zwar in besonderer Weise entgegen, ist aber vor allem in verdichteten Siedlungsräumen aufgrund der Bodenpreise und Siedlungsflächenknappheit für Durchschnittsfamilien immer weniger realisierbar.

Eine Vielzahl experimenteller Wohn- und Siedlungsprojekte zeigt jedoch, dass auch mit Reihenhaus-, Kettenhaus- und Hoftypen in verdichteter niedriggeschossiger Bauweise ähnliche Qualitäten wie im traditionellen Einfamilienhausbau zu erzielen sind.

Das Spektrum möglicher Maßnahmen im Inneren reicht von der kinderfreundlichen Hausordnung und kindgerechten Planung der Wohneingangsbereiche (Türklinke, Aufzugsbedienung in richtiger Höhe etc.) über geschützte Abstellmöglichkeiten für Kinderwagen, Fahrräder, Roller etc., verstärkten Lärmschutz (zu den Nachbarn, aber auch bessere Schalldämmung innerhalb der Wohnung) und die Auswahl strapazierfähiger und naturbelassener Materialien bis hin zu den Wohnungsgrundrissen.

Überkommene Standardgrundrisse mit ihren viel zu großen repräsentativen Wohnzimmern und minimierten Kinderzimmern sind dabei schon lange nicht mehr zeitgemäß. Gleich große, nutzungsneutrale Räume erleichtern die Verwirklichung individueller Wohnkonzepte und einen späteren Zimmertausch bei veränderten Familienstrukturen. Große, strapazierfähige und zentral gelegene Familienräume – z.B. Wohnküche mit direkt zugeordnetem Freiraum (Balkon oder Terrasse) – und klar getrennte Rückzugsräume helfen, Konflikte zu vermeiden. Auch die Diele muss nicht reiner Durchgangsraum sein, sondern kann auch zur Spielfläche für Kinder werden.

Für kleinere Kinder sind offene Sichtbeziehungen wichtig, die ihnen den gewünschten ständigen Elternkontakt beim Spielen ermöglichen. Bei Einfamilienhäusern erlauben „sturmfreie Zugänge“ den Jugendlichen die gewünschte Eigenständigkeit (ungestörte Wege im Haus). Großzügig bemessene Abstellflächen für Spiel- und Sportgeräte, Bastelmaterialien, Musikinstrumente etc. sind in größeren Familien unerlässlich und helfen, viele Reibereien zu vermeiden.

Immer häufiger wachsen Kinder und Jugendliche in neuen Familienformen („Patchwork-Familien“ etc.) auf, oft mit nur einem Elternteil. Mit wandlungsfähigen Grundrissen kann flexibler auf die Vielfalt dieser neuen Haushaltstypen und auf neue Formen der Integration von Wohnen und Arbeiten („Telearbeit“) reagiert werden. So haben etwa Alleinerziehende mit einem Kind in aller Regel einen höheren Raumbedarf als ein kinderloses Paar. Geschiedene und Wiederverheiratete mit Kindern benötigen Platz für die beim anderen Elternteil lebenden, aber regelmäßig zu Besuch kommenden Kinder.

Projekte und Modelle des Mehrgenerationenwohnens können das gemeinschaftliche Zusammenleben stärken und nicht allein für die Kinder, sondern auch für die älteren Menschen ein stabilisierender und entlastender Faktor sein. Besondere Bedeutung gewinnen wohnungsnahe Gemeinschaftseinrichtungen (Gemeinschaftsräume, Babysitting-Dienst, Kinderbetreuung, selbstorganisierte Hausaufgabenbetreuung, Musik-Proberäume, Gästezimmer, Telearbeitsplätze etc.) oder – als Sonderform des betreuten Wohnens – das Thema „Wohnen mit behinderten Kindern“.

Wohnumfeld, Quartier und Stadt

Die Wohnung und das nächste Wohnumfeld konstituieren zunächst einmal das eigentliche „Zuhause“, um das herum Kinder wie auch Erwachsene ihre Aktivität organisieren. In entwicklungspsychologischer Hinsicht ist der Aufbau von räumlicher Orientierungssicherheit und Ortsidentität in der Kindheit von grundlegender Bedeutung: Kinder brauchen nicht nur Bindung an Personen, sondern auch an einen Ort. Ein solches vertrautes Zuhause erfüllt vielfältige Funktionen: Sicherheit, und Geborgenheit, Rückzugsmöglichkeit und Schutz, Intimität und Privatheit, aber auch Stützpunkt und Sprungbrett für die Begegnung mit Freunden und für die Erkundung des noch Unbekannten.

Je nach Alter wird durch die Kinder und Jugendlichen das nähere und weitere Wohnumfeld sehr unterschiedlich als Spiel-, Beobachtungs- oder Kommunikationsraum genutzt. Dabei kann als wichtigstes, alle Altersstufen übergreifendes Bedürfnis das nach sozialem Kontakt insbesondere mit Gleichaltrigen gelten. Die wohnungsnahen Bereiche im Umkreis von zehn bis 30 Metern um die Wohnung, in denen sich vor allem die kleineren Kinder unter sechs Jahren aufhalten, spielen dabei durchaus auch für ältere Kinder, vor allem Mädchen, eine häufig unterschätzte Rolle.

Eine vielseitige Gestaltung dieses näheren Wohnumfelds mit Ecken, Nischen, Vorsprüngen und Bepflanzungen, in die sich die Kinder zurückziehen können („geheime Orte“), kommt dabei ihren Kommunikationsbedürfnissen besonders entgegen. Auch je nach Spieltyp variieren Raumbedarf und Aktionsradius stark. So werden etwa Rollenspiele insbesondere von jüngeren Kindern meist im näheren Wohnumfeld in möglichst ungestörten Räumen durchgeführt, während Versteck-, Ball- oder Bewegungsspiele – mit Sportgeräten (Roller, Inline-Skater etc.) oder ohne – auch ein weiteres Umfeld auf Gehwegen, gering frequentierten Straßen oder geeigneten Grünflächen mit einbeziehen. Vor allem für ältere Kinder ab etwa zehn bis zwölf Jahren und für Jugendliche werden darüber hinaus altersgerechte, nicht von Erwachsenen beaufsichtigte Treffpunkte und institutionalisierte Freizeitangebote zunehmend wichtiger. Damit könnten auch die Konflikte mit jüngeren Kindern entschärft werden, die häufig auf den von den älteren Jugendlichen nur ersatzweise in Anspruch genommenen Spielplätzen zu finden sind.

Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass auf den ausgewiesenen Spielplätzen und -zonen allenfalls ein Viertel aller Spielvorgänge stattfindet. Auf der anderen Seite geht aber durch die Überbauung von Neubaugebieten am Stadtrand, durch die Schließung noch vorhandener Baulücken und die teils legale, teils „wilde“ Ausbreitung des ruhenden Verkehrs ein immer größerer Teil der noch vorhandenen informellen Spielflächen verloren. Umso wichtiger ist die Aktivierung möglichst großer Teile des öffentlichen und privaten Raums (einschließlich der Schulhöfe) als bespielbare Flächen.

Infrastruktureinrichtungen für Kinder und Jugendliche

Kinder- und familiengerechtes Wohnen ist nur in einem unterstützenden Wohnumfeld bzw. Stadtteil möglich. Aus familienpolitischer und städtebaulicher Sicht ist die räumliche Nähe und verkehrsichere Erreichbarkeit einer ausreichenden Zahl von Kindertagesstätten, Kindergärten, Spiel- und Sportplätzen, Jugendeinrichtungen und Schulen von großer Bedeutung. Aber auch zahlreiche eher informelle und selbstorganisierte Angebote und Leistungen wie Hausaufgabenbetreuung, Babysitting usw. können eine wichtige unterstützende Funktion gewinnen.

In sozialer Hinsicht spielen darüber hinaus Initiativen und Einrichtungen eine immer größere Rolle, die auf der Basis einer genauen örtlichen Kenntnis sozialer Problemlagen einzelner Gruppen von Kindern und Jugendlichen (etwa Zuwanderer, Kinder aus „sozialen Brennpunkten“) ganz gezielte Hilfs- und Betreuungsangebote entwickelt haben. Mit Hilfe einer Kombination von staatlicher/kommunaler Hilfe und freiwilligem, ehrenamtlichen Engagement können dabei etwa sportliche Aktivitäten, Musikkurse, Sprachkurse, Theatergruppen etc. gefördert werden.

Nach wie vor kommt Spielplätzen für die Freizeitgestaltung im Wohnumfeld eine zentrale Bedeutung zu. Obwohl viele von ihnen einseitig auf die Bedürfnisse allein der kleinen Kinder ausgerichtet sind und darüber hinaus nur zu häufig durch ihre einfallslose Gestaltung und ihren schlechten Pflegezustand wenig Attraktivität aufweisen, sind sie doch grundsätzlich eines der wenigen für Kinder noch verbliebenen städtischen Refugien.

Spielplätze müssen, darüber herrscht heute – wenigstens in der Theorie – Konsens, vielfältig nutzbar und selbst gestaltbar sein, sie sollten eine große Vielfalt an Aktivitäten erlauben und durch eine abwechslungsreiche, möglichst naturnahe Gestaltung auch zu vielfältigen Aktivitäten herausfordern. Dabei gilt es insbesondere auch die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen sowie von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen. Jungen etwa bevorzugen im allgemeinen Spielplätze mit viel Platz für Ball- und Bewegungsspiele, Mädchen schaukeln besonders gern oder nutzen den Spielplatz auch als Treffpunkt zum gemeinsamen Plauschen und Beobachten. In – konfliktreichen – Einzelfällen kann auch eine (vorübergehende) Betreuung durch eine Fachkraft angeraten sein.

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Es ist ein Bestandteil des veränderten Verständnisses der Rechte von Kindern und Jugendlichen, auch ihrer direkten Beteiligung an allen sie betreffenden Planungsfragen und Entscheidungen über ihre Lebensbedingungen einen herausragenden Stellenwert zuzumessen. Damit können nicht allein die betreffenden Kinder- und Jugendprojekte qualitativ verbessert, sondern auch wichtige Lernerfahrungen in unterschiedlichen Formen demokratischer Mit- und Selbstbestimmung gemacht werden.

Inzwischen gibt es auf kommunaler Ebene zahlreiche Mitwirkungsmodelle und Formen der Beteiligung: institutionalisiert (Jugendgemeinderäte, Kinder- und Jugendparlamente, Kinderbeauftragte, Kinderbüros etc.) und offen, projektorientiert (Zukunftswerkstätten für Kinder und Jugendliche, Jugendhearings, Jugendforen, Videostreifzüge im Quartier etc.).

Gerade bei Kindern zielt Beteiligung zunächst einmal auf eine möglichst wenig formalisierte, praktische, im gemeinsamen Miterleben gewonnene Erkundung der Bedürfnisse: Notwendig ist ein allseits offener Dialog, durch den allein situations- und bedarfsangemessene Lösungen gefunden werden können.

Bei der gemeinsamen Arbeit in offenen Arbeitskreisen, Projektgruppen und Zukunftswerkstätten ist eine unabhängige Moderation unerlässlich. Wichtige Erfolgsbedingungen sind zudem eine didaktische Begleitung der Kinder und Jugendlichen ohne Beeinflussung und Bevormundung, der Einbezug aller Bevölkerungsgruppen unabhängig von sozialer Stellung und ethnischer Herkunft, eine zeitnahe Umsetzung der Vorschläge der Beteiligten und vor allem: Kinderbeteiligung muss Spaß machen, sonst verliert sie allzu schnell ihre Anziehungskraft.

Insbesondere im Bereich der Spielplatzplanung und Schulhofumgestaltung sind Beteiligungsprojekte mit Kindern und Jugendlichen mit außerordentlich großem Erfolg durchgeführt worden. Wo sie gelingen, erweisen sich solche Projekte nicht allein als wesentlicher Beitrag in der Gestaltung einer lebens- und liebenswerteren Umwelt, sondern oft genug auch als Initialzündung, manchmal auch als dauerhaftes Ferment zur Stabilisierung des wichtigsten Elements sozialen Lebens in Nachbarschaft und Quartier: aktive, solidarische Gemeinschaftlichkeit.

Der Artikel ist die gekürzte Fassung eines Kapitels der Broschüre „Wohnen mit Kindern. Öffentliche Räume – Wohnräume – Spielräume“, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen, Schwäbisch Hall 2002.

Bearbeiter: Prof. Dr. Franz Pesch, Prof. Dr. Tilman Harlander, Prof. Eberhard Weinbrenner.

Die Broschüre ist erhältlich bei der ARGE Baden-Württembergischer Bausparkassen unter Fax: 0791-4653 39, E-Mail: arge-ba-wue.bsk@schwaebisch-hall.de

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