fK 2/04 Rezensionen

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Rezensionen

Das Schweigen brechen

Kinder psychisch kranker Eltern sind lange Zeit vernachlässigt worden: als Angehörige und als von den Auswirkungen der elterlichen Erkrankung am unmittelbarsten Betroffene. Tatsächlich stammen psychisch auffällige Kinder und Jugendliche häufig aus Familien, in denen ein Elternteil psychisch erkrankt ist.

„Ich war die Gesunde, die immer Vernünftige, die Fröhliche, die Erwachsene. Ich war Puffer, Auffangnetz und Abfalleimer in einem“ erinnert sich eine Betroffene an ihre damalige Situation. Sieben eindrucksvolle Fallbeispiele führen im ersten Teil des Buches in die Lebenssituation von Kindern psychisch Kranker ein. Die heute erwachsenen Kinder psychotischer Mütter schildern übereinstimmend ihre Gefühle von Überforderung und Bedrohung, aber auch von Scham und Schuld, für die Erkrankung verantwortlich zu sein und nicht darüber reden zu dürfen.

Im zweiten Teil folgen Autorenbeiträge aus verschiedenen Arbeitsfeldern, in denen über Erfahrungen im Umgang mit den betroffenen Familien berichtet wird. Es zeigt sich, wie hoch der Bedarf nach stärkerer Abstimmung und Vernetzung der zuständigen Berufsfelder und nach der Entwicklung integrierter Behandlungsansätze ist. Im dritten Teil werden bestehende Modelle und Initiativen wie klinische Mutter-Kind-Einheiten oder Angehörigengruppen für Minderjährige vorgestellt. Das vierte Kapitel widmet sich dem Thema Öffentlichkeitsarbeit und erörtert die Möglichkeiten, Kooperationsnetzwerke aufzubauen.

Der mittlerweile in vierter Auflage erschienene Herausgeberband klärt auf und macht deutlich, dass nicht die Krankheit an sich, sondern fehlende Unterstützungsangebote und eine leider immer noch bestehende Tabuisierung psychischer Erkrankungen das Leben für die betroffenen Kinder schwer machen.

Dorothea Wudy

Fritz Mattejat und Beate Lisofsky (Hg.)
… nicht von schlechten Eltern.
Kinder psychisch Kranker.

Bonn 20034, 210 Seiten
12,90 Euro

Zwanzig Röcke für ihre Kinder

Schizophrenie – ein sperriges Wort, das die Kluft zwischen der Welt der „Normalen“ und jener der „Verrückten“ noch größer erscheinen lässt. Das Buch „Die Bettelkönigin“ zeigt, dass es Übergänge und Brücken gibt zwischen diesen Welten. Und dass Geisterstimmen manchmal sogar tröstlich sein können.

„Solange sie Kinder um sich herum hat, ist alles viel leichter für sie“, erklärt Anna, die leibliche Tochter von Hildegard Wohlgemuth alias Inge Himmelblau, genannt Maruschka. Neben Anna gibt es viele weitere Kinder, fiktive und reale, darunter auch jene mehr als zwanzig Waisen, die während des Zweiten Weltkrieges bei der Bombardierung eines Kinderheims in Leipzig ums Leben kamen. Hildegard Wohlgemuth, die damals in dem Heim wohnte, hat als einzige überlebt. Seitdem sieht und hört sie die Geister dieser toten Kinder, die nun alle „ihre“ geworden sind. Nach Stationen im Kloster und in der Psychiatrie lebt sie seit vielen Jahren auf Hamburg’s Straßen und Plätzen, wo sie als ungekrönte Bettelkönigin zu einem bekannten Gesicht geworden ist. Eingehüllt in zwanzig und mehr Röcke verkauft sie dort ihre selbstgemalten Bilder.

Irene Stratenwerth und Thomas Bock schildern das Leben dieser „Bettelkönigin“ und betten es ein in eine fiktive Geschichte, bei der wiederum Kinder die Hauptrollen spielen. Ein bewegendes Buch, bei dem realer Hintergrund und Fiktion auf kunstvolle Weise miteinander verwoben sind.

Für große und kleine Menschen ab ca. 8 Jahren.

Dr. Jörg Maywald

Irene Stratenwerth und Thomas Bock
(mit Zeichnungen von Hildegard Wohlgemuth)
Die Bettelkönigin
Bonn 2001, 104 Seiten
12,90 Euro

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