fK 2/04 Knabner

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Zu Hause hat alles seinen festen Platz

Jörg Maywald und Dorothea Wudy im Gespräch mit Benjamin Knabner über seine Erfahrungen im Zusammenleben mit sehbehinderten Eltern

frühe Kindheit: Welche typischen Situationen fallen Ihnen ein, wenn Sie an das Zusammenleben mit Ihren sehbehinderten Eltern denken?

Knabner: Einerseits das Leben an sich: es hat bei uns zu Hause alles seinen festen Platz. Das Salz steht da auf dem Regal in der linken Ecke, der Pfeffer steht daneben. Und wenn das nicht so ist, sucht es meine Mutter, ruft uns dann. So haben wir schon von klein auf beigebracht bekommen, wenn wir irgendwas nehmen und es dann zurückstellen, sollte es wieder genau auf diesen Platz kommen. Das ist das erste: alles hat seinen festen Platz.

Das nächste ist, wir haben unseren Eltern immer geholfen. Als wir klein waren, haben sich unsere Eltern natürlich mehr um uns gekümmert. Es war dann so in der Pubertät, da sind wir mit unseren Eltern einkaufen gegangen, wir haben auch beim Wäsche sortieren geholfen, um die Farben zu trennen. Und sonst immer irgendwo mal was vorlesen, oder wenn man irgendwo hingegangen ist, mit der Mutter mitlaufen, sozusagen den Blindenhund ersetzen, in dem Sinne. Zum anderen, wenn man irgendwo einen Film sieht, ich zum Beispiel mit meiner Mutter, will sie sicherlich auch wissen, was da passiert. Dann muss man den Film auch ein bisschen erklären, da ja heute noch nicht alle Filme Audiokommentare haben.

Aber im Grunde, eigentlich war man für die Eltern da und hat vielleicht so mehr Kontakt gehabt mit den Eltern durch die Behinderung als vielleicht in anderen Familien. Wobei ich eigentlich mein Familienverhältnis immer als ganz normal betrachtet habe. Ich hab´s halt hingenommen, es war halt so und es war in Ordnung.

frühe Kindheit: Erinnern Sie sich daran, wie es war, als Ihnen bewusst wurde, dass ihre Mutter nicht sehen kann?

Knabner: An den Moment, wo ich richtig gemerkt habe, dass meine Mutter nichts sehen kann, kann ich mich nicht erinnern. Wenn man klein ist, dann sagt man „Mama guck´mal“ und „Schau mal hier“ und da meinte meine Mutter bloß immer „Du musst es mir geben, ich kann nichts sehen“. Und so hat man es eigentlich von klein auf beigebracht gekriegt, es war eigentlich normal. Es war jetzt nie so: meine Eltern sind anders. Das kam dann eigentlich erst mit einem anderen Umfeld, zum Beispiel als ich in die Schule kam. Die Klassenlehrerin hat mitbekommen, dass meine Mutter blind ist und war dann erst mal ganz verwirrt. Da kriegt man´s eigentlich erst mit, dass es was Außergewöhnliches ist.

frühe Kindheit: Hatten Sie das Gefühl, von anderen geschont zu werden nach dem Motto „Der arme Junge, seine Eltern sehen ja nichts“?

Knabner: Geschont insofern, wenn ich zum Beispiel in der Schule gesagt habe, ich muss mit meiner Mutter zum Arzt, und ich auf die Frage „Warum nicht?“, geantwortet habe, dass sie blind ist, hieß es sofort: „Kein Problem“. Also da gab´s weniger Probleme.

frühe Kindheit: Hatten sie als Kind manchmal Angst, selbst blind zu werden?

Knabner: Ich muss ehrlich sagen, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Erst mal ist es schwer sich vorzustellen, dass man gar nichts mehr sieht. Ich habe ja nun eine Brille, bin selbst kurzsichtig, aber dass ich selbst blind werde, daran habe ich nie gedacht.

frühe Kindheit: Sie sagten, es sei schwer zu verstehen, wie jemand gar nichts sehen kann. Haben Sie es selbst einmal ausprobiert?

Knabner: Ich habe es als kleines Kind mal probiert die Augen zuzumachen und versucht, durch´s Zimmer zu laufen. Das war merkwürdig. Gerade letztens, als ich mit dem Zivildienst angefangen habe, hatten wir eine einführende Woche mit einem unterstützenden Training. Das sollte uns jetzt nicht zeigen, wie man sich fühlt, wenn man blind ist, sondern eher sensibilisieren. Da haben wir zum Beispiel unter der Augenklappe gegessen, was sehr merkwürdig war, weil man sich erst rumtasten muss, wir wussten ja nicht, was auf dem Tisch steht. Wir haben in der Runde gesessen und blind gefrühstückt. Dann auch Lauftraining, dass wir mit den Klienten irgendwo laufen können. Da sind wir auch unter der Augenklappe über die Strasse gelaufen. Und wenn man´s nicht gewohnt ist, ist es sehr merkwürdig. Gerade für Menschen, die sehen konnten und dann blind werden, ist es wesentlich schwerer als für jemand, der damit aufgewachsen ist.

frühe Kindheit: Glauben Sie, dass Sie bestimmte Fähigkeiten entwickelt haben oder entwickeln mussten, die andere Kinder und Jugendliche nicht haben?

Knabner: Ich habe sehr früh gelernt, wie man mit Behinderung umgeht. Kinder machen sich ja normalerweise schnell darüber lustig. Ich habe gerade für solche Sachen ein besseres Verständnis entwickelt, denke ich. Und ich habe gelernt, wie man mit blinden Leuten umgeht, wie man sie führt.

frühe Kindheit: Können Sie selbst Blindenschrift?

Knabner: Blindenschrift habe ich jetzt durch den Zivildienst gelernt, ich konnte sie vorher nicht. Früher habe ich nie den Versuch gemacht, obwohl meine Mutter es mir angeboten hat.

frühe Kindheit: Sie haben berichtet, dass ihre Eltern ja doch ein Stück weit auf sie angewiesen waren. Glauben Sie, dass es dadurch für Sie schwerer ist, sich von den Eltern abzulösen?

Knabner: Ich muss sagen, ich bin ein sehr familiärer Mensch. Familie steht bei mir so ziemlich über fast allem. Und ich weiß nicht, ob es daher kommt, dass meine Eltern auf mich angewiesen sind, dass man so als Familie einfach besser zusammengewachsen ist. Alleine deswegen, denke ich, wäre es schon ein ziemlicher Einschnitt für mich, auszuziehen. Ich bin das letzte Kind, danach wohnen meine Eltern sozusagen alleine, da mache ich mir schon einen Kopf. Kommen sie alleine zurecht, wenn sie dann doch mal deine Hilfe brauchen. Deswegen würde ich im ersten Schritt auch nicht allzu weit wegziehen. Ich würde versuchen, in der Nähe meiner Eltern zu bleiben.

frühe Kindheit: Was würde sich für ihre Eltern ändern, wenn Sie ausziehen?

Knabner: Momentan nicht viel, weil ich kaum zu Hause bin. Ich bin nicht so eingebunden. Mein Vater geht hauptsächlich einkaufen, meine Mutter arbeitet an der Humboldt Universität. Sie hat dort eine Halbtagsarbeitsplatzassistentin, die sie hin- und zurückfährt, das ist also auch kein Problem. Wenn die mal nicht da ist, macht´s halt mein Vater. Es würde sich da also nicht viel ändern. Ich habe eigentlich weniger Angst davor, dass meine Eltern nicht klarkommen würden, sondern dass sie alleine sind. Wobei sie Freunde haben, ein festes Umfeld. Die Angst ist vielleicht unbegründet, vielleicht bilde ich mir das ja auch nur ein. Ich denke, das hat jedes Kind, wenn es als letztes die Wohnung verlässt.

frühe Kindheit: Welchen Einfluss hat die Sehbehinderung Ihrer Eltern bisher auf Ihr Leben gehabt?

Knabner: Ich denke, das hat mein Leben nicht so sehr beeinflusst, wie manche vielleicht denken. Ich glaube, die ganze Sache läuft viel normaler ab als die meisten Menschen sich vielleicht vorstellen. Bei uns sind keine Noppen am Teppich, damit meine Mutter nicht umfällt oder solche Scherze, das ist alles ganz normal eigentlich. Meine Eltern haben mir nie was vorgeschrieben, von wegen du musst jetzt mit mir einkaufen gehen oder so. Sie haben gefragt, willst du mit mir einkaufen und ich habe ja gesagt. Ich denke, ich gehe mit Menschen, also mit meinem Umfeld anders um als vielleicht andere Jugendliche.

frühe Kindheit: Was wünschen Sie sich von Ihrer Umwelt im Umgang mit sehbehinderten Menschen?

Knabner: Menschen mit Behinderungen werden in meinen Augen oft noch mit Samthandschuhen angefasst. Ich denke, man sollte mit diesen Menschen ganz normal umgehen, wie man mit jedem anderen Menschen auch umgeht. Das sind keine Aussätzigen oder so. Wenn die Menschen damit klar kommen, dann kann man sie auch so behandeln, wie man jeden anderen behandelt. Das ist eben manchmal so „Oh Gott ein Blinder, furchtbar“. Der Mensch kann nichts dafür, dass er blind ist. Und sich darüber lustig zu machen, ist sowieso unterste Schublade. Aber sie zu verhätscheln, das bringt den Menschen auch nichts. Letztendlich muss jeder selbst mit seinem Leben klar kommen und da ist es gerade für die Menschen, die damit klarkommen, wichtig, das man ganz normal mit ihnen umgeht.

Benjamin Knabner ist 19 Jahre alt und lebt in Berlin. Zur Zeit arbeitet er als Zivildienstleistender beim Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderten Verein (ABSV) in Berlin.

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