fK 2/04 Kinderrechte aktuell

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Am 20. November 1989 wurde in der 44. Vollversammlung der Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte des Kindes einstimmig verabschiedet. Inzwischen wurde die Konvention von 192 Staaten ratifiziert. In Deutschland trat die Konvention am 5. April 1992 in Kraft.

Gemäß Artikel 44 der UN-Kinderrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes regelmäßig Berichte über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der in dem Übereinkommen anerkannten Rechte getroffen haben, und über die dabei erzielten Fortschritte vorzulegen, zunächst innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Konvention und danach alle fünf Jahre.

Deutschland hat seinen ersten Bericht 1994, den zweiten Bericht – mit mehr als zweijähriger Verspätung – im Juli 2001 vorgelegt. Die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hat zu beiden Berichten kritische Stellungnahmen erarbeitet und ihre Sicht zum Stand der Kinderrechte in Deutschland den Mitgliedern des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes erläutert, zuletzt im Rahmen einer so genannten Pre-sessional Working Group am 6. Oktober 2003 in Genf.

Am 16. Januar 2004 hat sich der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf mit dem zweiten Staatenbericht Deutschlands befasst und am 30. Januar 2004 Abschließende Beobachtungen (Concluding Observations) zu dem Bericht veröffentlicht.

Deutschland hat Nachholbedarf in puncto Kinderrechte

UN-Ausschuss kritisiert Bundesregierung wegen Säumnissen bei der Umsetzung der Kinderrechtskonvention

von Jörg Maywald

Nach Prüfung des Zweitberichts der Bundesregierung gemäß Artikel 44 Abs. 1 Buchstabe b

des Übereinkommens über die Rechte des Kindes hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in seinen Abschließenden Beobachtungen vom 30. Januar 2004 deutliche Kritik am Stand der Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland geäußert. Die Kritik bezieht sich sowohl auf mangelnde allgemeine Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention als auch auf die nicht ausreichende Beachtung allgemeiner Grundsätze sowie auf Defizite bei der Umsetzung einzelner Artikel zu Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern.

Allgemeine Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes fordert die Bundesregierung „dringend auf, alles daran zu setzen, die früheren Empfehlungen des Ausschusses, die bisher noch nicht umgesetzt wurden (…) zu beachten“ (Ziffer 6 der Abschließenden Beobachtungen). Zu diesen früheren Empfehlungen gehören unter anderem:

die Rücknahme der Vorbehalte und Erklärungen, die eine vollständige Umsetzung der Konvention verhindern und insbesondere Flüchtlingskindern nicht die gleichen Rechte gewähren wie anderen Kindern;

die Verankerung der Kinderrechtskonvention im Grundgesetz;

durch geeignete Mechanismen sicherzustellen, dass alle Bundes- und Ländergesetze vollständig der Konvention entsprechen;

die UN-Kinderrechtskonvention und deren Umsetzung bei Kindern und Eltern, in der Zivilgesellschaft und auf allen Ebenen der Verwaltung allgemein bekannt zu machen und dabei auch benachteiligte Gruppen wie z.B. Asylsuchende und Flüchtlingskinder zu erreichen;

für alle Berufsgruppen, die für und mit Kindern arbeiten, systematische und kontinuierliche Fortbildungsprogramme zur Unterrichtung über Menschenrechte, einschließlich Kinderrechte, zu entwickeln;

so bald wie möglich das von den Vereinten Nationen beschlossene Ziel zu erreichen, 0,7% des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungshilfe im Ausland bereitzustellen.

In Ergänzung hierzu empfiehlt der Ausschuss der Bundesregierung

die Einrichtung eines „geeigneten ständigen zentralen Mechanismus zur Koordinierung der Umsetzung des Übereinkommens auf Bundesebene, zwischen Bund und Ländern und zwischen den einzelnen Ländern“ (Ziffer 12);

die baldige Annahme des Nationalen Aktionsplans, der alle Bereiche des Übereinkommens erfassen, umfassend und multidisziplinär sein sollte sowie ein Koordinierungs- und Überwachungssystem vorsehen sollte“ (Ziffer 14);

die „Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution auf Bundesebene“, die befugt ist, „Beschwerden über Kinderrechtsverletzungen entgegenzunehmen und in kindgerechter Art und Weise zu untersuchen sowie diese Beschwerden effektiv zu bearbeiten“ (Ziffer 16);

ein System zur „Erfassung der Daten und Indikatoren zu entwickeln, das den Vorgaben des Übereinkommens entspricht und nach Geschlecht, Alter und städtischen bzw. ländlichen Bereichen aufgeschlüsselt ist“ (Ziffer 18).

Allgemeine Grundsätze

In Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze der Konvention (Nichtdiskriminierung gemäß Artikel 2, Vorrang des Kindeswohls gemäß Artikel 3, Berücksichtigung des Kindeswillens gemäß Artikel 12) äußert sich der Ausschuss besorgt über die „De-facto-Diskriminierung ausländischer Kinder und über Vorfälle von Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern haben“ (Ziffer 23). Er empfiehlt daher der Bundesregierung, über das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz hinaus die administrativen und juristischen Maßnahmen zu verstärken, um De-facto-Diskriminierungen von ausländischen oder Minderheiten angehörigen Kindern zu verhindern und zu beseitigen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss sicherzustellen, „dass der allgemeine Grundsatz zum Wohl des Kindes in sämtliche Gesetze und Etats sowie in alle Entscheidungen in Justiz und Verwaltung und in alle Projekte, Programme und Leistungen, die einen Einfluss auf Kinder haben, angemessen eingebunden wird“ (Ziffer 27).

Schließlich wird empfohlen, den Grundsatz der Achtung der Meinungsfreiheit des Kindes besser sicherzustellen und in diesem Zusammenhang „besonderes Gewicht auf das Recht jedes Kindes auf Mitwirkung in Familie, Schule, sonstigen Institutionen und Gremien und in der Gesellschaft insgesamt zu legen – unter besonderer Berücksichtigung benachteiligter Personengruppen“ (Ziffer 29).

Weitere Empfehlungen

Bürgerliche Rechte und Freiheiten von Kindern: In Hinblick auf die Diskussion um ein Kopftuchverbot an Schulen empfiehlt der Ausschuss, Bildungs- und andere Maßnahmen zu ergreifen, „um insbesondere auf dem Gebiet der Religions-, Gewissens- und Gedankenfreiheit eine Kultur des Verstehens und der Toleranz zu entwickeln, und zwar unter anderem durch die Vermeidung von Maßnahmen, die eine bestimmte Religionsgruppe ausgrenzen“ (Ziffer 31).

Familiäre Umgebung und alternative Betreuung: Neben der vollständigen Umsetzung der einschlägigen internationalen Abkommen für Fälle Internationaler Adoptionen und Kindesentführungen aus und nach dem Ausland (Ziffer 37 bzw. 39) wird empfohlen, verstärkt Aufklärungskampagnen durchzuführen, um Kindesmissbrauch zu verhindern und zu bekämpfen und die Forschung und Ausbildung in diesem Bereich zu verbessern (Ziffer 41).

Elementare Gesundheit und Wohlfahrt: Es wird u.a. empfohlen, die Bekämpfung des Drogen- und Alkoholmissbrauchs unter Kindern und Eltern zu verstärken (Ziffer 43), Selbstmordpräventions-Programme durchzuführen (Ziffer 45) und eine Studie über die rechtwidrige Praxis genitaler Verstümmelung von in Deutschland lebenden Mädchen in Auftrag zu geben. Außerdem empfiehlt der Ausschuss, Anzahl und Qualität von Kinderbetreuungsdiensten zu erhöhen (Ziffer 49) und die Kinderarmut zu bekämpfen (Ziffer 51).

Bildung, Freizeit und Kultur: Der Ausschuss empfiehlt u.a., die Bildungsangebote zu den Menschenrechten weiterzuentwickeln und die Einrichtungen für Kinder mit Lernschwierigkeiten weiter auszubauen (Ziffer 53).

Besondere Schutzmaßnahmen: Zu den Empfehlungen des Ausschusses gehören die volle Anwendung der Kinderrechte auf Flüchtlingskinder (Ziffer 55), die Bekämpfung von sexueller Ausbeutung und Menschenhandel (Ziffer 57), Hilfsmaßnahmen für Straßenkinder (Ziffer 59), die Verbesserung der Jugendgerichtsbarkeit (Ziffer 61) und eine zügige Ratifizierung und Umsetzung der Fakultativprotokolle zur UN-Kinderrechtskonvention, betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten bzw. den Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornografie (Ziffer 62).

Dr. Jörg Maywald ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind und Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention

Literatur
UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes
Abschließende Bemerkungen: Deutschland
Genf 2004
(offizielle deutsche Übersetzung der Bundesregierung, Berlin 2004)

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