fK 2/03 Schriever

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Kinderunfälle und altersspezifisches Gefahrenbewusstsein

von Jörg Schriever

Auch bei der Betrachtung des Unfallgeschehens ist das Kind nicht als kleiner Erwachsener zu sehen. Entwicklungsbedingte Defizite in den sensorischen, motorischen und gedanklichen Fähigkeiten, der Wahrnehmung und dem Gefahrenbewusstsein führen zu altersspezifischen Unfallhäufungen wie den Sturzunfällen und dem Ersticken im Säuglingsalter, den Vergiftungen und dem Ertrinken im zweiten Lebensjahr sowie den Tierbissen und Fahrradunfällen im Vorschulalter. Die Kenntnis kindlichen Verhaltens ist für Erwachsene wichtig, um sich präventiv auf Unfallsituationen mit Kindern, z.B. als Autofahrer, einzustellen. Dort wo Kindern noch ein entsprechendes Gefahrenbewusstsein fehlt, müssen Erwachsene fürsorgend ihrer Aufsichtspflicht nachkommen.

Epidemiologie

In Deutschland sterben nach der Neugeborenenperiode mehr Kinder an Unfallfolgen (532 im Jahr 2000) als an allen Infektionserkrankungen (122) und Krebs (340) zusammen. Knapp 1,5 Millionen Kinder erleiden pro Jahr einen Unfall, der so schwer ist, dass sie einen Arzt aufsuchen müssen, etwa 250.000 müssen im Krankenhaus behandelt werden. Davon verletzen sich jede Minute zwei Kinder im Bereich Heim und Freizeit, jedes vierte Kind zu Hause und alle 11 Minuten verunglückt ein Kind im Straßenverkehr. Ca. 3.000 Kinderunfälle führen pro Jahr zu einer schweren bleibenden Behinderung. Hauptrisikogruppe sind die Kleinkinder, sie verunglücken vor allen Dingen zu Hause etwa 2,5 bis 3,5-fach häufiger als Schulkinder.

Der Unfallschutz hat eine sozialmedizinische Bedeutung, wenn Unfälle in einer dauerhaften Invalidität enden. Unfälle führen zur erheblichen Belastung der Volksgesundheit, des Gesundheitswesens und des Gesundheitsbudgets. Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAU) verursachen Unfälle im Bereich Heim und Freizeit Kosten von über 4 Milliarden ?/Jahr, Kinder sind daran schätzungsweise mit mehr als 1 Milliarde beteiligt. Unfälle sind keine Zufälle, sie lassen sich zu mehr als sechzig Prozent vermeiden.

Sicherheit ist nicht allgemein mit Kindersicherheit gleichzusetzen. Sehr häufig gelingt es Erwachsenen und selbst Sicherheitsberatern und Ingenieuren nicht, sich in die phantasievolle Welt der Kinder hineinzuversetzen. hierzu ein Beispiel: Mit dem Aufstellen von Blumenkübeln, insbesondere in Vorstadtstraßen und Siedlungsgebieten mit vielen Kindern, hatte man sich mehrere positive Aspekte versprochen. Das Straßenbild sollte aufgelockert, verschönert, verkehrsberuhigt und damit vor allen Dingen sicherer werden. In Wirklichkeit entpuppten sich die Blumenkübel als neue Sichthindernisse, hinter denen für Autofahrer die Kinder nicht erkennbar waren. Zwar sahen die Kinder durch die Pflanzenlücken sehr wohl die Autos, waren aber in ihrer egozentrischen Sichtweise der Meinung, dass die Autofahrer sie genauso sehen. In der Vorstellung, dass in dieser verkehrsberuhigten Straße langsam fahrende Autofahrer auf spielende Kinder Rücksicht nehmen, sind sie dann trotz nahenden Verkehrs auf die Straße gelaufen, so dass es gehäuft zu Unfällen kam. Inzwischen ist diese Art der Verkehrsberuhigung in den meisten Fällen aus dem Straßenbild wieder verschwunden.

Sicherheitsorientiertes Verhalten ist bei Kindern abhängig von vielen physiologischen und psychologischen Fähigkeiten, die erst im Laufe der Kindheit zunehmend erworben werden. Die Kenntnis dieser Entwicklung ist Voraussetzung für die Toleranz und das richtige Verhalten der Erwachsenen gegenüber der eigenen Welt der Kinder. Sie hat dazu geführt, dass nicht mehr die Erziehung zu einem „sicheren“ Kind, sondern die Gestaltung einer kindersicheren Umwelt in den Vordergrund der Unfallprävention zu stellen ist.

Das kindliche Gefahrenbewußtsein

Das Gefahren- und Sicherheitsbewußtsein entwickelt sich nach Limbourg in drei Phasen:

1. Stufe: Akutes Gefahrenbewusstsein

Während Säuglinge und Kleinkinder in den ersten zwei Lebensjahren kein Gefahrenbewusstsein haben, entwickelt sich dieses danach bis zum 5. bis 6. Lebensjahr durch eigene Erfahrung, aber auch durch Anwesenheit bei Unfällen und Verletzungen von anderen sowie aufklärende Hinweise der Eltern, z.B. Feuer, oder: die Herdplatte ist heiß, ich verbrenne mich; Dornen und Stecknadeln sind spitz, sie stechen.

2. Stufe: Vorausschauendes Gefahrenbewusstsein

Diese Stufe wird mit ca. 8 Jahren erreicht. Die Kinder haben durch Erfahrung gelernt, z.B.: zu heißen Tee kann man nicht trinken; trockene Äste brechen schnell, nicht draufklettern.

3. Stufe: Präventives Gefahrenbewusstsein

Diese Stufe wird erst mit 9 bis 12 Jahren erreicht. Die Kinder sind in der Lage, Gefahren nicht nur zu erkennen, sondern vorbeugende Verhaltensmaßnahmen zu entwickeln und anzuwenden. Beispiele hierfür sind: zum Klettern auf den Baum nehme ich besser eine Leiter; der Weg ist zu abschüssig, ich fahre einen Umweg; ich nehme eine Thermoskanne mit zugeschraubtem Deckel, damit ich mich nicht verbrühe, wenn sie umfällt.

Körperbeherrschung und Wahrnehmung

Nach dem Erlernen der motorischen Grundfunktionen wie Greifen, Sitzen, Laufen folgt im zweiten Lebensjahr die Verbesserung der Feinmotorik und Schnelligkeit bei starker motorischer Unruhe. Ein Kleinkind hüpft, rennt, springt, klettert, fährt Roller, dann Dreirad, dann Fahrrad, andauernd, immer schneller, unkontrolliert und ohne vorausschauendes Gefahrenbewusstsein. Die körperlichen Möglichkeiten übersteigen die übergeordneten Steuerfunktionen, es kommt vermehrt zu Stürzen.

Nach erzwungener Ruhepause im Kindergarten oder in der Grundschule muss der starke Bewegungsdrang abreagiert werden. Durch Austoben auf dem Heimweg mit geringer und fehlender Aufmerksamkeit gegenüber Gefahren steigt die Unfallrate. Emotionen wie Freude und Ärger müssen in plötzliche Bewegung umgesetzt werden, ohne äußeren regulierenden Einflüssen noch zugänglich zu sein. Die Fähigkeit zum plötzlichen Abbruch einer begonnenen Bewegung ist stark verzögert.

Koordination

Die Koordination von Sehen und Motorik entwickelt sich nur langsam. Ein Kleinkind rennt und guckt gleichzeitig nur nach vorne. Gefahren von rechts und links werden dabei nicht registriert. Beim Radfahren im Vorschulalter erfordert das Treten, Gleichgewicht halten und Lenken die ganze Konzentration und Aufmerksamkeit. Eine seitliche Kopfwendung wird begleitet von einer unbeabsichtigten Lenkbewegung in gleicher Richtung. Die Kinder können sich während der Fahrt nicht umschauen, keine engen Achten fahren, nicht blitzschnell bremsen oder plötzlich einem Fußgänger ausweichen. Für die Teilnahme am Straßenverkehr sind sie deshalb in diesem Alter nicht geeignet.

Sehen

Das Sehen von Hell-Dunkel ist ab Geburt möglich. Farbunterscheidungen werden bis zum 5. Lebensjahr gelernt. Die Deutung der Ampelfarben Rot, Gelb und Grün ist für Kleinkinder in der Regel kein Problem. Stereoskopisches Tiefensehen ist aber erst mit 9 Jahren voll ausgebildet und bedeutet vorher eine erhebliche Einschränkung des Entfernungsschätzens. Große Autos und Lkw´s werden näher gesehen als kleine, wenn sie sich auf gleicher Höhe befinden. Die Geschwindigkeitsschätzung ist eine sehr komplizierte Verknüpfung des Sehens von Form, Größe, Bewegung für eine bestimmte Zeit. 3 bis 4-jährige Kinder können nicht einmal ein stehendes von einem fahrenden Auto sicher unterscheiden. Ein gleich schneller lauter Sportwagen wird stets schneller als ein leiser Kombi geschätzt.

Die Akkomodation ist langsam, bei plötzlicher Umstellung von Nah- auf Fernsehen schauen Kinder häufig einen Moment ins Leere. Die Reaktionszeit ist mit 5 Jahren noch etwa doppelt so lang wie bei Erwachsenen, was erklärt, warum Kinder oft vom Straßenrand verzögert starten, wenn plötzlich ein Ball auf die Straße rollt.

Die Hörfähigkeit ist zu etwa 10 dB vermindert. Die Geräuschlokalisation von vorne gelingt in einem Winkel bis zu 30 Grad und wird von der Seite und hinten nicht lokalisiert. Das Gehör wird erst ab 8 Jahren zur Gefahrenwahrnehmung mitbenutzt.

Linkshändigkeit kommt in der Bevölkerung zu 7% vor. Die Unfallhäufigkeit von Linkshändern am Gesamtgeschehen beträgt dagegen ca. 20%. Der Grund ist wahrscheinlich, dass die Umwelt primär für Rechtshänder ausgelegt ist, was ein ständiges Umdenken bei allen Wahrnehmungen und Tätigkeiten erfordert und die Aufmerksamkeit gegenüber Gefahren vermindert.

Links und rechts können schulreife Kinder bei sich unterscheiden, aber erst nach dem 10. Lebensjahr spiegelbildlich auf den Raum übertragen, also fährt das entgegenkommende Fahrzeug auf meiner oder der Gegenseite.

Aufmerksamkeit, Gedanken, Interessen

In den ersten zwei Lebensjahren führt Neugier zu ständigen Entdeckungsreisen, um all das Interessante zu sehen, hören, fühlen und schmecken, was bei fehlendem Gefahrenbewusstsein zu den typischen Haushaltsunfällen wie Vergiftungen, Verbrühungen, Verätzungen und Stürzen führt. Das Denken ist im Alter von 2 bis 6 Jahren egozentrisch und magisch. Jetzt wird das Kind von all seinen Eindrücken, Wahrnehmungen und Gefühlen dominiert. Es geht davon aus, dass alle Anderen im gleichen Moment auf gleiche Art und Weise hören, fühlen und empfinden, wie es selbst. Was ich kann, kann der Andere auch. Kinder glauben deshalb, dass der Autofahrer sie hinter einem Blumenkübel erkennt, wenn sie selbst das Auto sehen und dies besonders bei Dunkelheit, weil ja das Auto die Scheinwerferaugen hat.

Gegenstände sind interessant, wenn man mit dem Roller fährt, in das Heu springt, auf den Baum klettern kann. Das Spielen wird phantasievoll und magisch. Das Dreirad wird zum Rennwagen, sich persönlich überschätzend ist man selbst der Supermann. Der Stuhl ist böse, wenn man ihn umfährt, eine Hexe hat ihn in den Weg gestellt. Ihre Aufmerksamkeit können sie nicht teilen, sie folgt immer dem stärksten Reiz, ohne Wichtiges oder auch Gefährliches von Unwichtigem zu unterscheiden. Die Vermischung von Realität und Phantasie, hohe Ablenkbarkeit, wechselnde und mangelnde Aufmerksamkeit sind die wichtigsten Gründe für die erhöhte Unfallquote dieser Altersstufe.

Phantasiespiele werden etwa ab dem 7. bis 10. Lebensjahr abgelöst durch sportliche und soziale Aktivitäten. Allerdings entspricht das Übertreten von Verboten, Handeln wider besseren Wissens, unbedacht aus dem Augenblick heraus etwas Verrücktes zu tun, typisch kindlichem Verhalten. Das Fahrradfahren wird zunehmend schneller, z.T. mit akrobatischen Einlagen, die Unfallhäufigkeit steigt. Ein vorausschauendes Gefahrenbewußtsein ist vorhanden, wird aber negiert, wenn beispielsweise Eltern keinen Fahrradhelm tragen. Das Allgemeinverhalten der Erwachsenen hat in dieser Altersstufe eine wichtige Vorbildfunktion.

Zwischen dem 10. Und 15. Lebensjahr gleichen logisches Denken, Wahrnehmung, Konzentration und präventives Gefahrenbewusstsein dem der Erwachsenen. Allerdings kann richtiges Sicherheitsverhalten wider besseren Wissens durchbrochen werden infolge Imponiergehabe vor der Gruppe, wo risikoreiches Verhalten als Mut fehlgedeutet und die Abgrenzung von der Erwachsenenwelt bewundert wird, z.B. beim Bahnsurfen.

Unfallneigung und psychosoziale Faktoren

Wenn Konzentrationsschwäche, motorische Unruhe, Ungeschicklichkeit und Impulsivität unfallfördernde Faktoren sind, so trifft dies insbesondere für die hyperaktiven Kinder (Zappelphilipp) und die Tagträumer des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) zu. Häufig betroffen sind auch ungelenke Kinder mit einer motorischen Komponente alleine oder in Kombination mit anderen Verhaltens- und Wahrnehmungsstörungen.

Den Unfalltyp I definiert Köhler als ein starkes außenweltzugewandtes, kontaktfreudiges, dynamisches, angstfreies, erlebnisorientiertes, sich selbst überschätzendes Kind und grenzt davon den mit 20% wesentlich seltener vorkommenden seelisch belasteten Typ II ab. Diese Kinder sind empfindlich, seelisch leicht verletzlich, abgespannt, lustlos, machen sich ständig Sorgen, blicken ängstlich in die Zukunft, klagen über Kopfschmerzen und andere Unpässlichkeiten. Angst ist nicht immer gleichzusetzen mit Vorsicht, sie führt zu einem zögernden, unkonzentrierten und damit unsicheren Verhalten.

Jeder kennt kindliche „Unglücksraben“, welche die genannten Faktoren zeigen. In der Gesamtbetrachtung des Unfallgeschehens machen sie eine kleine Gruppe aus, welche allerdings gezielt gefördert werden kann.

Soziale Faktoren sind vielfältig und beispielsweise von Matheny untersucht worden. Kleinkinder verunfallen häufiger in engen, unaufgeräumten Räumen mit hohem Lärmpegel und unregelmäßigen Essens- und Schlafzeiten, bei labilen Eltern und zerrütteten Ehen. Die inneren Spannungen und affektiven Belastungen absorbieren die Aufmerksamkeit und verkürzen die Wahrnehmung von Gefahrensignalen. Kinder einkommensschwacher Gruppen verunfallen häufiger, weil für sie die o.g. Wohn- und Umweltbedingungen häufiger zutreffen.

Unfallprophylaxe

Gerade wegen dieser physiologischen Defizite sind im Kindesalter die meisten Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen. Eltern bedürfen einer intensiven Gefahrenaufklärung. Ihre primäre Bereitschaft, etwas für die Gesundheit der Kinder zu tun, ist groß. Sie selbst lernen dabei sicheres Verhalten und Kinder, die in einer sicherheitsorientierten Umwelt aufwachsen, behalten diesen Anspruch auch als Erwachsene.

Gesetze haben erst dort ihr Recht, wo Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führt. Die Anschnallpflicht für alle Pkw-Insassen hat die Zahl tödlicher Unfälle für Kinder deutlich gemindert. Beim Kauf von Gebrauchsgegenständen sollte man auf DIN- und EN-Normen sowie die Zeichen „GS“ (geprüfte Sicherheit) und „CE“ achten.

Kinder haben ein im Grundgesetz verankertes Recht auf Unversehrtheit. In der UN-Kinderrechtskonvention von 1989, die seit April 1992 auch in Deutschland in Kraft ist, wird das Recht der Kinder auf Sicherheit und Schutz als vorrangiges Rechtsgut bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund hat der 104. Deutsche Ärztetag 2001 mit großer Mehrheit „die Prävention von Unfällen“ als ärztliche Aufgabe deklariert und empfohlen, ein nationales Unfallpräventionsprogramm aufzubauen.

Im Gegensatz zur erfolgreichen Prävention der Verkehrsunfälle – hierfür ist das Verkehrsministerium politisch zuständig, die Bundesanstalt für Straßenwesen betreibt Forschung und der Verkehrssicherheitsrat kombiniert im Rahmen seines Projektes „Kind und Verkehr“ alle Aktivitäten – wird die Bekämpfung der Heim- und Freizeitunfälle im Vergleich zu anderen Industrienationen in Deutschland bisher vernachlässigt. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert deshalb die Bundesregierung und alle Parteien auf, per Bundestagsbeschluss die Prävention von Unfällen im Bereich Heim und Freizeit der Vermeidung von Verkehrsunfällen gleichzustellen.

Als ihren Beitrag haben die kinderärztlichen Verbände bereits vor einigen Jahren Merkblätter zur Unfallprophylaxe mit altersspezifischen Schwerpunkten erstellt und in das bestehende Vorsorgeprogramm für Kinder (U1 bis U9) integriert. Die bisher freiwillige Ausgabe sollte verbindlich werden, da dies die einzige Maßnahme ist, welche flächendeckend mehr als 90% der Eltern und ihrer Kinder erreicht. Eine Beratung zur Unfallprophylaxe sollte in den Leistungskatalog aufgenommen werden. Hierzu einige Beratungsbeispiele typischer Kinderunfälle:

Sturzunfälle (U2-U9)

Säuglinge fallen von der Wickelkommode, aus Tragetaschen oder Wippen, Gitterbetten oder Kinderwagen, besonders jedoch aus dem Hochstuhl und dem Gehfrei. Auf dem Wickeltisch sollte das Kind nie unbeaufsichtigt gelassen werden, sonst muss es mitgenommen oder auf den Boden gelegt werden. In der Kindertragetasche sollte das Kind immer angeschnallt sein.

Kleinkinder stürzen auf Treppen, vom Sessel, aus dem Fenster oder über den Balkon.

Schulkinder stürzen aus dem Hochbett, beim Klettern von Bäumen, Mauern oder Geländern und speziell von Sportgeräten wie Skateboard, Inline-Skater und Fahrrad.

Die Lauflernhilfe („Gehfrei“) gilt als das gefährlichste Verwahrgerät im Säuglings- und Kleinkindesalter. Die häufigste Unfallgefahr mit dem Gehfrei ist der Sturz von der Treppe, meist zwischen dem 7. und 14. Lebensmonat. Im Rahmen der U4 und U5 sollte daher vom Kauf eines Gehfreis konsequent abgeraten werden.

Fahrradunfälle (U7-U9)

Rechtlich müssen Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr den Gehweg benutzen und beim Überqueren einer Fahrbahn absteigen. Der Fahrradhelm, mit Sicherheitsnorm EN 1078 und GS-geprüft, soll eine Aufprallenergie bis zu einer Geschwindigkeit von 15 km/h neutralisieren und kann so 85% der Kopfverletzungen durch Fahrradunfälle vermeiden.

„Erst Roller, dann Rad“ – weil dieser das ideale Gleichgewichtstraining für das spätere Radfahren bietet. In der Regel sollte ein Fahrrad nicht vor dem 5. Lebensjahr für das Kind angeschafft werden.

Das Absteigen nach rechts so früh wie möglich üben. Es bietet den lebensrettenden Fluchtweg auf den sicheren Gehweg und läßt das Fahrrad als Knautschzone zurück.

Ersticken (U4-U6)

Bei Säuglingen möglichst kein Kissen sondern einen Strampelsack benutzen. GS-geprüftes Kinderbett und Laufstall verwenden. Gitterstäbe, auch an Treppen, dürfen max. 7,5 cm Abstand haben. Keine Kleinteile im Bett oder zum Spielen geben, die in den Mund passen, z.B. Münzen, Murmeln, Würfel, Weintrauben, vor allem nicht Nüsse und gallertartige Süßigkeiten. Auf Halsketten verzichten. Schnuller nur am Band, das kürzer als der Halsumfang ist und nur mit Sicherheitsklemme verwenden. Keine Kinderjäckchen mit Bändchen am Hals, keine Kordeln an Kapuzen oder Anoraks, besser Druckknöpfe und Body verwenden

Ertrinken (U5-U8)

Wegen des schweren Kopfes im Vergleich zum Körper ist das Kleinkind bis zum 3. Lebensjahr nicht in der Lage, seinen Kopf dauernd über Wasser zu halten. Auch danach ermüden Kinder beim Schwimmen schnell. Durch die Schwere des Kopfes wird der Schwerpunkt nach oben verlagert, weshalb Kinder rasch über Brüstungen und Geländer oder in Tonnen, Becken, Schwimmbäder und Biotope fallen. Kleinkinder können bereits in Wassertiefen von weniger als 10 cm ertrinken, z.B. in Badewannen, Duschen und Eimern.

Vergiftungen

90% aller Vergiftungsunfälle betreffen Kleinkinder im Alter zwischen 10 Monaten und 4 bis 5 Jahren. Ein besonderer Stellenwert kommt allen Laugen (WC-Reiniger), ätherischen Ölen sowie Petroleum und Lampenöl zu. Negativ fallen auch Verätzungen durch den Gebrauch ökologisch empfohlener 25%-iger Essigessenz auf. Sehr giftige Pflanzen sind Eisenhut, Schierlingsarten, Bilsenkraut, Engelstrompete, Herbstzeitlose und Seidelbast.

Tierunfälle

An ca. 2% aller Unfälle sind Tiere beteiligt, davon sind über 90% Bissverletzungen, vorwiegend von Hunden, aber auch von Pferden. In 20% der Fälle spielt provokantes Verhalten der Kinder eine Rolle, zu 80% erfolgt der Biss unvermutet. Kleinkinder erleiden besonders Kopf- und lebensgefährliche Halsverletzungen, Jugendliche und Erwachsene Bisse in Arme und Beine.

Unfälle sind keine Zufälle, sie lassen sich zu mehr als 60% vermeiden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte jeder durch die Gestaltung einer sicheren, kinderfreundlichen Umwelt und Verbesserung seines präventiven Gefahrenbewußtseins mithelfen.

Dr. med. Jörg Schriever ist Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin im Kreiskrankenhaus Mechernich und Unfallbeauftragter des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendmedizin

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