fK 2/03 Henter

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Alle zwei Minuten verletzt sich ein Kind in Deutschland

von Annelie Henter

1,8 Millionen Kinder im Alter bis zu 14 Jahren zogen sich in Deutschland im Jahr 2000 eine Unfallverletzung zu. 303.000 Unfälle davon betreffen Kinder im Vorschulalter. Anders ausgedrückt: von 1000 in Deutschland lebenden Kindern im Alter unter sechs Jahren erleiden 64 eine Unfallverletzung.

Unfallstatistik 2000

Wie die nachfolgende Statistik zeigt, ereignen sich mehr als die Hälfte dieser Unfälle in Heim und Freizeit. Das sollte sicher auch nicht verwundern, da die Kleinen hier die meiste Zeit verbringen.
Unfallverletzungen von Kindern nach Unfallkategorie im Jahr 2000 – absolut und je 1000 Kinder bzw. Versicherte

1) Quote = Unfälle je 1000 Einwohner
2) Untererfassung berücksichtigt
3) Unfälle je 1000 versicherte Kinder
Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bundesunfallkasse, BAuA

32 von 1000 Kindern unter sechs Jahren erlitten im Jahr 2000 zu Hause oder in der Freizeit eine Unfallverletzung, welche ärztlich versorgt werden musste. Im Vergleich zu 1996 (34 je 1000) ist diese Quote relativ konstant geblieben. Die Jungen (38 je 1000) schneiden in der Statistik etwas schlechter ab als die Mädchen (26 je 1000).

Das sind einige ausgewählte Ergebnisse einer im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) groß angelegten repräsentativen Haushaltsbefragung zum Unfallgeschehen in Heim und Freizeit (Kreileder, M; Holeczek, M.: Unfallverletzungen in Heim und Freizeit im Jahr 2000, Sonderschrift S 74 der BAuA, Dortmund/Berlin/Dresden, 2002). Die im Rahmen dieser Studie, die Teil einer europaweiten Aktion ist, erhobenen Daten sind Grundlage für die nachfolgenden Informationen zum Unfallgeschehen der Kinder unter sechs Jahren in Heim und Freizeit.

Deswegen zunächst einige Analyseergebnisse, die sich auf eine Grundgesamtheit von 153.000 Unfallverletzungen der betrachteten Kinder beziehen:

Wohnung und Garten als Unfallschwerpunkte
Jede zweite Verletzung ziehen sich die Kinder im Wohnbereich zu. 14% der Unfälle ereignen sich im Garten, jeweils 6% auf Treppen, Verkehrswegen, in Sporteinrichtungen und auf Spielplätzen.

54% der Unfälle sind Stürze, wobei der Sturz aus der Höhe mit 35% dominiert. Bei jedem fünften Unfall stoßen sich die Kinder an Gegenständen. Verbrennungs- und Verbrühungsverletzungen weisen einen Anteil von 7% auf.

Zur Prävention reicht „geprüfte Sicherheit“ allein nicht aus. In fast jeden zweiten Heim- und Freizeitunfall bei Kindern ist ein Gerät im Sinne des Gerätesicherheitsgesetzes (GSG-Gerät) verwickelt: Elektroherd, Spielplatzgeräte, Fahrräder oder auch Kindermöbel. Technische Mängel spielen allerdings keine Rolle, die falsche Handhabung – vorrangig durch Neugier und Übermut gesteuert – führt häufig zum Unfall.

Häufigste Unfallfolgen: Offene Wunden und Kopfverletzungen

Jeder zweite Unfall hat eine offene Wunde zur Folge, jeder vierte einen Knochenbruch. Des Weiteren sind Prellungen, thermische Verletzungen und Gehirnerschütterungen zu nennen. Mit großem Abstand stehen Kopfverletzungen (47%) auf dem ersten Rang, gefolgt von den Verletzungen an Armen und Händen (31%) sowie Beinen und Füßen (11%). 54% der Unfallverletzungen wurden im Krankenhaus ärztlich versorgt, davon 9% mit stationärer Behandlung, wobei der stationäre Aufenthalt mit durchschnittlich 2,3 Tagen relativ kurz ist. 36% der Unfallopfer wurden vom niedergelassenen Arzt behandelt. Die Verletzungen insgesamt waren immerhin so schwer, dass sich die Kinder im Durchschnitt 21 Tage in ihrer gewohnten Bewegung beeinträchtigt fühlten.

Aufsichtsfehler dominieren bei den Unfallursachen

Bei den Ursachen für häusliche Kinderunfälle dominieren die Fehler Dritter mit 52% deutlich. Das können Fehler anderer Kinder sein, in erster Linie sind es aber Aufsichtsfehler der Erwachsenen. Stolpern, Ausrutschen, Ungeschicklichkeit, Eile, Hast, Übereifer und Übermut sind als weitere Unfallursachen zu nennen.

In der Regel wirken hier mehrere Faktoren zusammen und sollten deswegen nicht getrennt gesehen werden, was nachstehend durch ein Beispiel, welches sicherlich zunehmend an Bedeutung gewinnt, verdeutlicht werden soll.

Lars und Anna spielen im Hof Fangen. Anna düst mit ihrem Fahrrad vorweg und Lars auf Inline-Skatern hinterher. Ihre Schutzausrüstung haben beide vergessen. Anna ohne Helm und Lars ohne Knie-, Hand- und Ellbogenschützer. Na wenigstens hat er seinen Helm auf.

Auch das richtige Fallen will gelernt werden. Besser ist besser, denken sich Lars und Anna, als sie ihre Schutzausrüstung anziehen. So „eingepackt“ ist das Spielen doch ungefährlicher.

Typische Unfälle von Kindern

Ein einjähriges Kind krabbelt unbeaufsichtigt durch den Flur und öffnet dabei ein nur angelehntes Babysicherheitsgitter. Das Kind stürzt die Treppe hinunter und erleidet eine offene Wunde im Augenbereich.

Ein Kind hüpft im Schlafzimmer übermütig auf der Matratze herum, während die Mutter die Betten macht. Das Kind verliert den Halt, stürzt vom Bett und schlägt mit dem Kopf an einen Eichentisch. Es erleidet eine offene Wunde im Augenbereich.

Ein Kind hält sich unbeaufsichtigt in der Küche auf, während die Mutter gerade das Essen auf den Tisch stellt, ohne die Herdplatte in der Zwischenzeit abzuschalten. Das kleine Kind (vier Jahre) fasst aus Neugier auf die heiße Platte und verbrennt sich die Hand.

Ein einjähriges Kind krabbelt im Flur. Kurz zuvor ist eine Tür ausgehängt worden, nur ein Scharnier ragt aus dem Rahmen. Die Eltern sind gerade nicht im Zimmer, als das Kind neugierig umherkrabbelt, dabei mit dem Kopf gegen den Türrahmen und das Scharnier prallt und als Folge eine offene Wunde am Kopf erleidet.

Ein Kind steht unbeaufsichtigt und unsicher auf einem Gartenstuhl. Plötzlich verliert es das Gleichgewicht, fällt und landet mit dem Kopf voran auf den Steinfliesen der Terrasse. Es erleidet eine Gehirnerschütterung.

Ein dreijähriges Kind rennt unbeaufsichtigt und auf Socken die Holztreppe im Haus hinauf und hinunter. Es rutscht ab und fällt nach hinten auf die Treppe. Die Folgen: eine Rückenprellung und eine Platzwunde am Kopf.

Kinderunfälle verhüten

Gerade in der Küche sollten Mutter oder Vater einen Platz schaffen, an dem das Kind ungefährdet spielen kann, wenn es in der Nähe seiner Eltern sein möchte.

Beziehen Sie Kinder, je nach Alter, in bestimmte Arbeiten spielerisch ein. Kinder haben Spaß daran, schrittweise den sicheren Umgang mit den Geräten zu lernen, die auch die Erwachsenen benutzen – ob in der Küche oder im Garten. Erleichtert wird dieses Lernen durch extra für Kinder gestaltete Geräte.

Ganz wichtig ist die sichere Einrichtung der Kinderzimmer: Regale müssen fest stehen, Schubladen dürfen nicht ganz herauszuziehen sein. Die Fenster brauchen eine Fenstersicherung. Das Kinderbett sollte ein hohes Schutzgitter haben, und Etagenbetten sollten den vorgeschrieben Anforderungen entsprechen, dazu zählt beispielsweise eine durchtrittsichere Matratze.

Ordnung ist ein weiterer Sicherheitsfaktor. Deswegen sollten die Kinder in ihrem Reich regelmäßig, unter Anleitung dafür sorgen.

Wie sie Spielgeräte auf Spielplätzen sicher nutzen, lernen Kinder am besten unter Anleitung von verantwortungsbewussten Eltern und Erwachsenen.

Ähnliches gilt für das sichere Handhaben von Freizeitgeräten, besonders für schnelle Geräte wie Inline-Skater oder Fahrräder. Geeignete Schutzkleidung sollte auch getragen werden: Kopf-, Knie-, Ellbogen- und Handschutz beim Skaten, Kopfschutz beim Radfahren.

Qualitativ gute Sicherheitseinrichtungen sollten genutzt werden: Treppenabsperrgitter, Herdgitter, Steckdosenschutz, Thermostate in Warmwassereinrichtungen, Rauchmeldeanlagen in Wohnungen.

Dipl.-Statistikerin Annelie Henter ist ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund

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