17 Aug fK 2/03 Ellsäßer
Thermische Verletzungen im Kindesalter und soziale Risiken
von Gabriele Ellsäßer und Johann Böhmann
Ein Großteil der thermischen Verletzungen könnte vermieden werden. Durch verstärkte Ursachenforschung und vorbeugende Maßnahmen (z.B. Rauchmelder) ließe sich eine Menge menschliches Leid verhindern.
Thermische Verletzungen gehören zu den fünf häufigsten Unfallursachen bei den tödlichen Kinderunfällen. Brände in Privatwohnungen sind dabei die häufigste Ursache für die tödlichen thermischen Verletzungen. Dreiviertel der Betroffenen sterben einen Erstickungstod. In den meisten Fällen sind brennende Zigaretten Auslöser des Brandes, nicht selten ist Alkohol- oder anderer Drogenkonsum der Eltern mit im Spiel. Thermische Verletzungen durch Verbrühungen entstehen dagegen am häufigsten durch das Überschütten des Körpers mit heißer Nahrung oder Flüssigkeiten. Seit 1993 verbrennen bzw. verbrühen sich in Deutschland jedes Jahr ca. 6.600 Kinder so schwer, dass sie stationär behandelt werden müssen. Hochrisikogruppe sind das Säuglings- und Kleinkindalter und das männliche Geschlecht. Bedeutsame Risikofaktoren sind nach einer UNICEF-Studie u.a.: Armut, niedriger Bildungsstand, allein erziehende Eltern, Arbeitslosigkeit, niedriges Alter der Mutter bei der Geburt, kinderreiche Familien und Drogenkonsum.
Soziale Risiken und Unfallhäufigkeit
Analyse der Einschulungsuntersuchungen im Land Brandenburg 1994-2000
Seit 1994 wird im Land Brandenburg – übrigens bisher als einzigem Bundesland in Deutschland – in Zusammenhang mit der ärztlichen Einschulungsuntersuchung gezielt nach schwereren Unfällen (Verbrühungen/Verbrennungen, Knochenbrüche, schwerere Schnittverletzungen, Gehirnerschütterung) bis zum Zeitpunkt der Einschulung gefragt. Die Ergebnisse werden dort mit den Daten über soziale Merkmale (Alter, Geschlecht, Erwerbstätigkeit sowie Schulbildung der Eltern und Anzahl der Kinder im Haushalt) verglichen. Anhand dieser Daten ergeben sich folgende Erkenntnisse: Ca. 15-20% der Schulanfänger (5 bis 6 Jahre) haben bereits einen Unfall gehabt. Auffallend ist, dass sich die Jungen im Vergleich zu den Mädchen häufiger (50% vs. 40%) verletzten. Die drei häufigsten Unfallorte sind: der häusliche Bereich (ca. 66%), der Kindergarten (ca. 20%) und der Straßenverkehr (ca. 7%). In Zusammenhang mit dem sozialen Umfeld (Erwerbstätigkeit, Schulbildung) finden sich im Beobachtungszeitraum durchgehend höhere Unfallraten von Verbrühungen bei Kindern aus sozial schwächeren gegenüber denen aus sozial stärkeren Familien (Abb.1).
Des Weiteren passierten signifikant mehr Unfälle in Mehrkindfamilien im Vergleich zu Einkindfamilien (Abb. 2).
Soziale bzw. herkunftsbedingte Risiken und Unfallhäufigkeit
Unfallmonitoring Delmenhorst
Die Stadt Delmenhorst ist die einzige Kommune in Deutschland, die seit 1998 ein gemeindebezogenes Unfallmonitoring durchführt. Einzugsbereich dieses Monitorings ist die Stadt Delmenhorst sowie die Gemeinde Ganderkesee (Bevölkerungsbezug: 17.580 Kinder <15 Jahre im Zeitraum 1998-2000). Die Behandlungs- und Unfalldaten werden kontinuierlich von allen Kindern erfasst, die im Krankenhaus, in den Notfallambulanzen und in einer unfallchirurgischen Praxis ärztlich versorgt werden müssen. Dadurch sind erstmalig auch Aussagen zu thermischen Verletzungen im Kindesalter und zu Risikogruppen bzw. Risikofaktoren möglich.
Ergebnisse: Im Zeitraum 1998-2000 wurden 7.955 Kinderunfälle (<15Jahre) registriert, darunter 195 Unfälle durch thermische Verletzungen. Dabei zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Merkmalen, die das Herkunftsland betreffen, Alter und Geschlecht. Nichtdeutsche Kleinkinder haben auffallend häufiger thermische Verletzungen und Auslöser sind häufiger heiße Flüssigkeiten als bei den gleichaltrigen deutschen. Auch hier sind nichtdeutsche Jungen erheblich stärker gefährdet als deutsche (Abb. 3).
Bewertung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes
Bei einer Bewertung der internationalen Literatur zu thermischen Verletzungen und sozialen Risikofaktoren lässt sich feststellen, dass der sozio-ökonomische Status sich als relativ stabile Einflussgröße erwiesen hat und folgende Risikofaktoren bedeutsam sind: niedriger Ausbildungs- und Berufsstand, niedriges Einkommen und schlechte Wohnverhältnisse. Als besonders gefährdet gelten Haushalte in dicht bevölkerten, multikulturellen und materiell benachteiligten Gemeinden. Wirksame Präventionsmaßnahmen wie die Installation von Rauch- und Feuermeldern sind wiederum vom sozio-ökonomischen, aber auch sozio-kulturellen Hintergrund abhängig.
Fazit für die Prävention
Notwendige Voraussetzung für eine wirksame Prävention ist eine epidemiologische Analyse des Unfallpanoramas in Deutschland, unter Berücksichtigung folgender, die Risikogruppen charakterisierender Merkmale: Alter, Geschlecht, Nationalität, sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Besonderheiten. Wie bereits das Delmenhorster Unfallmonitoring zeigt, können wirksame Strategien zur Risikominimierung und Kostenersparnis erfolgreich auf der Basis eines gemeindeorientierten Unfallmonitorings entwickelt werden.
Ziel muss es sein, produkt- und umgebungsbezogene Gefahren zu ermitteln und diese zu entschärfen. Dabei stellt eine mit der Basisuntersuchung der Kinder (z.B. U-Untersuchungen der Kinderärzte) standardisierte persönliche Information der Eltern einen wichtigen Baustein dar. Außerdem sollten die verfügbaren präventiven Maßnahmen, wie Rauchmelder, deren Effektivität unbestritten ist, als Standardeinrichtung, insbesondere in sozial schwachen Wohnvierteln, Verbreitung finden. Nicht zuletzt gilt es, akteursbezogen zu informieren, d.h. Lehrer, Betreuer, Medien sowie politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger zu mobilisieren, damit thermische Verletzungen in Zukunft vermieden werden können.
Dr. Gabriele Ellsäßer ist wissenschaftliche Leiterin des Forums Unfallprävention im Deutschen Grünen Kreuz und Leiterin des Landesgesundheitsamtes Brandenburg
Dr. Johann Böhmann ist Chefarzt der Kinderklinik in Delmenhorst
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