fK 2/01 Peschel-Gutzeit 2

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Stiefkinder und ihre Familien in Deutschland

Rechtlicher Status und tatsächliche Situation

von Lore Maria Peschel-Gutzeit

„Stiefeltern dürfen zwar Windeln wechseln und Vokabeln abfragen, haben aber kein Sorgerecht. Sie dürfen nicht einmal Auskunft verlangen, wenn ihre Stiefkinder im Krankenhaus liegen“ – so lautet ein Zitat aus einem Zeitungsartikel.

Einführung

Stiefkinder und Stieffamilien werden immer zahlreicher. Sie gehören heute zur sozialen Wirklichkeit. Woran liegt das? Während die Zahl der Eheschließungen in Deutschland ständig sinkt, steigt die Scheidungsquote. Sie liegt zur Zeit bei etwa 36%. Das heißt, mehr als jede dritte Ehe wird geschieden. Damit steigt auch die Zahl der Scheidungskinder. Tatsache ist auch, dass viele Geschiedene nicht allein bleiben. Gehen geschiedene Elternteile eine neue Partnerschaft ein, entstehen Stieffamilien.

Wir hören heute von Schätzungen, nach denen in Deutschland von den etwa 10 Millionen Familien mit Kindern zwischen 1,5 und 2,5 Millionen – das heißt bis zu einem Viertel – nicht mehr dem überkommenen Ideal verheirateter Eltern mit leiblichen Kindern entspricht. Jeder kennt sicher entsprechende Fälle aus dem persönlichen oder dem beruflichen Umfeld. Prominente Beispiele im öffentlichen Leben sind zahlreich. Ich offenbare kein Geheimnis, wenn ich in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Familie unseres Bundeskanzlers erwähne.

Kurz: Die „Patchwork-Familie“ ist aus unserer sozialen Realität nicht mehr wegzudenken: Frau oder Mann oder beide bringen leibliche oder adoptierte Kinder in die neue Beziehung mit; beide Partner haben gemeinsame leibliche oder adoptierte Kinder; Kinder, die beim früheren Partner oder der früheren Partnerin leben, kommen zu Besuch. Dies ist die Situation, der wir uns stellen müssen und die die Diskussion in juristischen Fachkreisen schon seit langem beschäftigt.

Rechtliche Situation

Wie geht das bürgerliche Recht mit den Stiefkindern und den Familien, in denen sie leben, um? Zwar ist das Stiefkind keine „Erfindung“ unserer Zeit. Bereits in unseren alten Märchen begegnet uns die – dort meist böse – Stiefmutter. Schon früher bildeten sich also Stieffamilien. Oft heirateten Männer erneut, nachdem die Frauen früh verstorben waren. Das heute über 100 Jahre alte Bürgerliche Gesetzbuch widmet diesen Familien gleichwohl keinen eigenen Regelungskomplex. Die rechtliche Situation der Stiefkinder und ihre Beziehungen zum „anderen“ leiblichen Elternteil sind verstreut an vielen Stellen des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt – oder eben nicht geregelt.

Und die vorhandenen Regelungen werden der besonderen Situation der Betroffenen oftmals nicht mehr gerecht: Denn es gilt der Grundsatz, dass Kinder mit ihrem Stiefelternteil nicht verwandt sind. Andererseits zeigt uns ein Blick ins Grundgesetz, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt sind. Und das Grundgesetz versteht unter einer Familie eine umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern, seien diese ehelich oder nicht ehelich, Adoptiv- oder Pflegekinder oder eben Stiefkinder.

Wo liegen nun die dringendsten Probleme? In welchen Punkten haben wir den Weg zur Verbesserung der Lage der Stiefkinder und ihrer Familien bereits beschritten? Welche Aufgaben müssen noch angepackt werden?

Da ist zunächst das Namensrecht zu nennen:
Kinder behalten ihren Geburtsnamen auch nach einer Scheidung der Eltern und auch dann noch, wenn der sorgeberechtigte Elternteil wieder heiratet. Dies kann für das Kind ein Zeichen persönlicher Identität sein. Es kann aber auch die Integration in die neue Familie erschweren.

Die Kindschaftsrechtsreform von 1998 hat dem sorgeberechtigten Elternteil und dem Stiefelternteil nun ermöglicht, dem Kind ihren Familiennamen zu geben. Diese Einbenennung ist nach geltendem Recht aber nicht möglich, wenn die leiblichen Eltern des Kindes auch nach ihrer Scheidung die elterliche Sorge gemeinsam ausüben. Dieses Modell gemeinsamen Sorgerechts auch über die Trennung der Eltern hinaus wird zu Recht begrüßt und hat seine erst praktische Bewährung bereits bestanden. Es soll aber das Kindeswohl fördern und darf nicht dessen Gegenteil bewirken. Deshalb wird es bei den jetzt laufenden Überlegungen zur weiteren Reform des Kindschaftsrechts darum gehen, die Einbenennung auch im Fall gemeinsamer Sorgerechtsausübung der leiblichen Eltern zu ermöglichen.

Hamburg und Sachsen-Anhalt haben deshalb in ihrem gemeinsamen Entwurf eines Kinderrechtsverbesserungsgesetzes vorgeschlagen, in § 1618 BGB eine Einbenennung auch bei fortdauerndem gemeinsamen Sorgerecht der leiblichen Eltern zuzulassen.

Nicht verschwiegen werden darf freilich, dass in der gerichtlichen Praxis Vorbehalte gegen eine Erweiterung von § 1618 BGB geäußert werden. Sie beruhen auf der Erfahrung, dass leibliche Eltern sich zuweilen einer Einbenennung ihrer leiblichen Kinder in eine neue Familie widersetzen. Sicher wirkt eine Namensänderung auch auf das Eltern-Kind-Verhältnis zum anderen leiblichen Elternteil ein. Eventuelle Probleme hierbei müssten am Einzelfall orientiert gelöst werden. Dies sollte eine weitere gesetzliche Neuregelung zulassen.

Aber nicht nur beim Namensrecht wirkt das Spannungsfeld zwischen dem Stiefelternteil, bei dem das Kind lebt und der die tatsächliche Sorge um dieses Kind hat, und dem rechtlich sorgeberechtigten leiblichen Elternteil, bei dem das Kind nicht mehr lebt. In noch viel stärkerem Maße spielt dies bei der Frage des Sorgerechts eine Rolle.

Hierzu zunächst ein Blick über die Grenze: Das Schweizer Recht kennt eine Beistandsstellung des Stiefelternteils für das Kind. Im britischen Recht gibt es eine Vormundschaft für den Stiefelternteil auf Antrag, in Australien entsteht diese sogar durch die Eheschließung mit dem leiblichen Elternteil. Alle diese Regelungen bestehen dort schon seit Jahrzehnten. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch, sich des Rechts der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu erinnern. Deren Familiengesetzbuch sah schon seit 1965 eine Art stiefelterliches Mitsorgerecht vor, indem es bestimmte: „Jeder Ehegatte soll sich für die Erziehung und Pflege auch derjenigen Kinder des anderen verantwortlich fühlen, die nicht von ihm abstammen, aber im gemeinsamen Haushalt der Ehegatten leben“, ohne damit die Erstverpflichtung und Vertretungsbefugnis des leiblichen Elternteils anzutasten (§ 47 Familiengesetzbuch der DDR).

Reformbemühungen im Kindschaftsrecht im wiedervereinigten Deutschland gehen nun dahin, dem Stiefelternteil, der bisher nach Recht der Bundesrepublik keinerlei Sorgerecht hat, wenigstens ein sogenanntes „kleines Sorgerecht“ in Fragen des täglichen Lebens einzuräumen. Denn sicherlich hilft es nicht, mit Vollmachten von Fall zu Fall zu arbeiten. Das ist in den Fällen, um die es geht, einfach nicht praktikabel.

Auch hier hat der erwähnte Entwurf eines Kinderrechtsverbesserungsgesetzes der Länder Hamburg und Sachsen-Anhalt eine entsprechende gesetzliche Änderung vorgeschlagen, indem ein § 1687 b in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt werden soll: Ist der sorgeberechtigte Elternteil wieder verheiratet, hat sein Ehegatte im Einvernehmen mit dem sorgeberechtigten Elternteil die Befugnis zur Mitentscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung des Kindes.

Der Gesetzgeber hat diesen Gedanken zwischenzeitlich an anderer Stelle aufgegriffen: Im Gesetz über die Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften ist die Einführung eines entsprechenden § 1687 b BGB bereits Ende vergangenen Jahres verabschiedet worden. Danach hat der Stiefelternteil im Einvernehmen mit dem sorgeberechtigten Elternteil die Befugnis zur Mitentscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes. Weitergehend ist dort als ein praktisch sehr bedeutsamer Fortschritt geregelt, dass der Stiefelternteil bei Gefahr im Verzuge berechtigt ist, alle für das Wohl des Kindes erforderlichen Rechtshandlungen allein vorzunehmen.

Von ebenfalls großer praktischer Bedeutung für die Stieffamilie sind Fragen des Umgangsrechts. Der Umgang des Kindes mit seinen beiden Eltern gehört zum Kindeswohl. Auf ihn haben die Eltern und auch das Kind selbst einen Anspruch.

Aber wo bleibt das Umgangsrecht eines Stiefelternteils? Oder des Stiefkindes? Hier hat das Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1998 eine Lösung geschaffen. Die Vorschrift des § 1685 des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde entsprechend geändert. Nunmehr sind auch Stiefeltern in den Kreis der umgangsberechtigten Personen einbezogen und – ebenso wie Großeltern und Geschwister – zum Umgang mit dem Kind berechtigt, soweit dies dem Kindeswohl dient.

Und das Stiefkind? Es hat nach der gegenwärtigen Gesetzeslage ein eigenständiges Umgangsrecht nur mit seinem leiblichen Elternteil – nicht aber mit dem Stiefelternteil.

Aus der gerichtlichen Praxis wird nach ersten Erfahrungen gewarnt, das Kind dürfe bei alledem nicht „zum Reisenden in Sachen Umgangsrecht“ werden. Dieser Hinweis ist sicher ernst zu nehmen. Er stellt aber die Reform nicht in Frage. Es wird vielmehr darauf ankommen, dass die Familiengerichte von Fall zu Fall die sachgerechte, d.h. dem Kindeswohl entsprechende Entscheidung treffen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang Folgendes: Neuere begleitende Rechts-Tatsachenforschungen zur Umsetzung des reformierten Kindschaftsrechts haben ergeben, dass die Ausweitung des Umgangsrechts auf nahestehende Personen erst wenig bekannt ist.

Hier soll und muss mit Medienhilfe Abhilfe geschaffen werden.
Es gibt noch eine weitere Errungenschaft der bisherigen Reform des Kindschaftsrechts: § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuches schützt die Stieffamilie und das Kind, indem es dem Familiengericht ermöglicht, ein Verbleiben des Kindes in seiner neuen Familie beim Stiefelternteil anzuordnen, wenn der mit dem Stiefelternteil verheiratete Elternteil des Kindes sein Sorgerecht nicht mehr ausüben kann – z.B. infolge Todes. Das Kind muss in einem solchen Fall nicht mehr zwingend und sofort zum anderen sorgeberechtigten Elternteil umziehen, dem es vielleicht schon längst entfremdet ist.
Diese Regelung hilft jedoch nur vorübergehend, nämlich nur solange, wie das Wohl des Kindes ein Verbleiben in seiner neuen Familie erfordert. Das Familiengericht wird seine Anordnung deshalb in der Regel von vornherein befristen und diese, wenn erforderlich, verlängern.

Stieffamilien, die in diesem Punkt von vornherein eine endgültige Lösung erreichen wollen, sollte deshalb empfohlen werden, über eine Adoption durch den Stiefelternteil nachzudenken. Die Adoption des Stiefkindes ist jedoch nur ein juristischer Notbehelf, der nicht davon ablenken darf, dass die Rechte des Stiefkindes noch nicht ausreichend rechtlich gesichert sind. Denn als Zweck einer Adoption wird heute überwiegend die Fürsorge für familienfremde, bedürftige Kinder angesehen. Mit einer Adoption von Stiefkindern soll hingegen rechtlich erreicht werden, was tatsächlich bereits vollzogen ist, die Eingliederung des Kindes in eine Familie, in der es bereits lebt.

Einschlägig ist auch eine weitere Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch, nämlich § 1632 Abs. 4 BGB, nach welcher das Familiengericht anordnen kann, dass ein Kind bei seiner Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Herausgabe an einen leiblichen Elternteil gefährdet ist. Diese Vorschrift wendet die Rechtsprechung auch zu Gunsten von Stiefelternteilen an (Palandt-Diederichsen, 60. Aufl., § 1632 Rz. 21).

Wie eingangs erwähnt, besteht zwischen dem Kind und seinem Stiefelelternteil nach dem Gesetz keine verwandtschaftliche Beziehung. Damit ist auch das gesetzliche Erbrecht im Verhältnis zwischen dem Kind und seinem Stiefelternteil ausgeschlossen. Lediglich bei einer Ehe, die im Güterstand der Zugewinngemeinschaft bestand, kann ein Kind einen Anspruch auf Finanzierung einer angemessenen Ausbildung gegen seinen Stiefelternteil erlangen. Aber dieser Anspruch besteht nur, wenn ein Zugewinn real erwirtschaftet worden ist. Außerdem ist er auf dessen Höhe beschränkt (§ 1371 Absatz 4 BGB). Stiefelternteilen, die diese Folge vermeiden wollen, muss auf der Grundlage des geltenden Rechts deshalb wiederum geraten werden, eine Adoption zu erwägen, um das Stiefkind anderen Abkömmlingen gleichzustellen.

Es ist deshalb durchaus geboten, über einen Pflichtteilsanspruch für Stiefkinder nach ihrem Stiefelternteil nachzudenken – jedenfalls soweit dieser zuvor Vermögen vom leiblichen Elternteil des Kindes geerbt hat. Auch dies ist kein neuer Gedanke, sondern eine Anregung, die schon seit langem in der Diskussion erhoben wird.
Natürlich haben Stiefeltern auch ohne Gesetzesänderungen die Möglichkeit, ihren Nachlass mit einem Testament individuell zu regeln. Diese Möglichkeit muss allerdings stärker in das Bewusstsein der Betroffenen gerückt werden.

Abschließend soll noch ein Blick auf Fragen des Unterhaltsrechts geworfen werden. Das geltende Recht kennt keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seinen Stiefelternteil. Auch dies ist eine Folge des Fehlens verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen dem Kind und seinem Stiefelternteil. Dieser Umstand wird seit langem als unbefriedigend empfunden. Der Stiefelternteil kann sich natürlich gegenüber dem Kind vertraglich zu Unterhaltsleistungen verpflichten. Die Frage ist, ob es hierzu stets ausdrücklicher Erklärungen bedarf. Verträge können auch stillschweigend geschlossen werden, beispielsweise dadurch, dass bestimmte Regelungen über längere Zeit von den Beteiligten entsprechend gehandhabt werden. Eine derartige Unterhaltspflicht dürfte aber keinen Bestand mehr haben, wenn die tatsächliche Beziehung zwischen dem Kind und seinem Stiefelternteil nicht mehr besteht.

Fazit

Anknüpfend an das Zitat vom Anfang: Ganz so hoffnungslos wie dort beschrieben ist die rechtliche Situation von Stiefeltern nicht mehr. Aber das Ziel einer angemessenen Regelung von Belangen der Stiefkinder und ihren Familien ist leider noch nicht erreicht. Die Gesetzgebung hat sich der Reform des Kindschaftsrechts und deren Weiterentwicklung der Stiefkinder und ihrer Familien angenommen. Hier heißt es, Geduld und Beharrungsvermögen zu beweisen, um den vielen Stiefkindern unserer Gesellschaft zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ist Senatorin für Justiz in Hamburg und Vorsitzende des Kuratoriums der Deutschen Liga für das Kind sowie Mitglied im Kuratorium des Deutschen Kinderschutzbundes

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