fK 2/00 Springer

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Modernes Stillmanagement

von Skadi Springer

Die Muttermilch ist die optimale Ernährung für den menschlichen Säugling, weil sie seinen ernährungsphysiologischen Bedürfnissen am besten entspricht. Stillen ist jedoch „nicht nur Nahrung für den Körper, sondern auch für die Seele“.

Stillen ist ein Indikator für Gesundheit, für eine gute Mutter-Kind-Beziehung, für eine fürsorgliche Umgebung, für ein günstiges Milieu, das ggf. erst geschaffen werden muss. Stillförderung ist eine internationale, umfassende und gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch in der UN-Kinderkonvention (Die Rechte des Kindes) fixiert ist.

Stillförderung als gesellschaftliche und persönliche Aufgabe

Stillen ist zwar eine natürliche, aber sozial erlernte Fähigkeit. Jedoch auch natürliche Vorgänge bedürfen von Fall zu Fall der Förderung. Im Informationsfluss von Generation zu Generation ging in unseren Industrieländern manches verloren. Vor 25 Jahren entwickelten sich deshalb weltweit Stillselbsthilfegruppen (z.B. La Leche Liga). Die Weltgesundheitsorganisation beauftragte 1992 schließlich alle Regierungen, nationale Komitees zur Stillförderung zu gründen. 1994 wurde die Nationale Stillkommission Deutschlands gegründet. Ihr gehören Vertreter aller Berufsgruppen an, die mit stillenden Müttern und gestillten Kindern Kontakt haben. Sie wirken im Sinne der Erklärung von WHO und UNICEF für Schutz, Förderung und Unterstützung des Stillens (Innocenti-Deklaration 1990).

Stillberatung

Die Initiative „Stillfreundliches Krankenhaus“ von WHO und UNICEF trägt weltweit zur Förderung des Stillens bei. Dabei werden folgende Voraussetzungen für ein erfolgreiches Stillklima definiert: Einheitlichkeit der Beratungsinhalte, Stillrichtlinien, Behandlungs- und Betreuungsprinzipien (Pflegestandard „Stillen“). Stillbeauftragte mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation, z.B. IBCLC (International Board Certified Lactation Consultant) helfen, die Kenntnisse über ein modernes Stillmanagement in die Praxis umzusetzen. Berufsbegleitende Ausbildungsmöglichkeiten für ÄrztInnen, Kinder-/Krankenschwestern, Hebammen und Fachkräfte aus anderen medizinischen und sozialen Bereichen werden von der Nationalen Stillkommission koordiniert.

Vorbereitung auf das Stillen in der Schwangerschaft

Während der Schwangerenbetreuung haben die Hebamme, aber in besonderem Maße der Frauenarzt/die Frauenärztin die Chance, die werdenden Eltern zur natürlichen Ernährung ihres Kindes zu motivieren, auch wenn die Entscheidung der werdenden Eltern über die Art der Ernährung ihres Kindes meist schon vor der Schwangerschaft fällt. Einlageblätter für den Mutterpass und das Früherkennungsuntersuchungsheft für Kinder, die auf wissenschaftlicher Basis informieren und Stillprobleme vermeiden bzw. lösen helfen sollen, sind kostenfrei erhältlich (Bestellung über Fax: 030-84123715, e-mail: stillkommission@bgvv.de)

Bei der Betreuung von Schwangeren sollte die Beurteilung der anatomischen Gegebenheiten (z.B. Flachwarzen, Hohlwarzen) nicht fehlen, um ggf. rechtzeitig mit der indikationsgerechten präpartalen Anwendung von Hilfsmittels (z.B. Brustwarzenformern) eine Besserung des Befundes zu erreichen. Die früher propagierte Vorbereitung der Mamillen (z.B. „Abhärten“ durch Bürsten und Handtuchrubbeln, Einsalben) wird heute abgelehnt, da die Haut malträtiert und der Fettschutzfilm (Montgommery-Drüsen) gestört wird, was das Gegenteil des gewünschten Effektes bewirken kann.

In einem präpartalen Beratungsgespräch sind, besonders bei Erstgebärenden, Hinweise zum Leben mit dem Neugeborenen (Rooming-in Tag und Nacht, Hilfen im Haushalt organisieren, Delegieren von Behördengängen) und häufige Ursachen von Stillschwierigkeiten (Trennung von Mutter und Kind, Belastung durch zu viele Besucher, Versorgung älterer Geschwister, etc.) zu besprechen.

Erlernen von Stilltechniken

Das korrekte Anlegen des Kindes an die Brust ohne zeitliche Einschränkung ist in den meisten Fällen der Schlüssel zum Stillerfolg! Nur wenn das Neugeborene mit weit geöffnetem Mund außer der Mamille auch einen großen Teil der Areola erfasst hat und die Mamillenspitze am Übergang zwischen hartem und weichem Gaumen platziert ist, kann es die Milchreservoire entleeren und die Brustwarzen werden geschont. Sobald Stillen „weh tut“, ist die Anlegetechnik zu überprüfen! Wenn ein zu kurzes, dünnhäutiges Zungenbändchen als Ursache für wunde Brustwarzen und mangelndes Gedeihen identifiziert wurde, sollte es ohne Zeitverzug (möglichst noch am gleichen Tag) vom betreuenden Kinderarzt gelöst werden. Brusthütchen und Brustsalben werden nicht empfohlen, sie sind besonderen Situationen vorbehalten. Meist bessern sich wunde Brustwarzen nur dauerhaft bei Korrektur der Anlegetechnik.

Eltern-Kind-Beziehung

Bei kindlichem und mütterlichem Wohlbefinden trägt ein möglichst ungestörter Mutter-Kind-Kontakt bereits im Kreißsaal zur Prävention von Beziehungsstörungen und Stillschwierigkeiten bei. Das unmittelbar postnatale Bindungsverhalten zwischen Mutter und Kind findet mit dem ersten Stillen einen gewissen Höhepunkt. Erst danach sollte das Neugeborene gebadet, gemessen und gewogen werden!

Vermeidung der Trennung von Mutter und Kind

Eine wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Stillbeginn und eine lange Stilldauer ist die Vermeidung der Trennung von Mutter und Kind. In der Klinik fördert das 24-Stunden-Rooming-in das Selbstvertrauen der Mutter im Umgang mit ihrem Neugeborenen. Ein enger körperlicher Kontakt (Bedding-in, Bedsharing) fördert die Mutter-Kind-Bindung und erleichtert das Stillen nach Bedarf (Abb. 1).

Hautkontakt ist für beide, Mutter und Kind, befriedigend und die Säuglinge weinen weniger. Nicht jedes Schreien von Säuglingen muss ein Ausdruck von Hunger sein. Das „Verlassenheitsschreien“ (separation distress call) ist auch beim Menschen zu beobachten, ähnlich wie bei anderen Säugetierarten. Der postpartale ständige Kontakt unterstützt die Mutter darin, die Signale ihres Kindes richtig zu deuten und erleichtert das Stillen nach Bedarf. Das Kind wird angelegt, wenn es erste Zeichen von Hunger zeigt (Schmatzen und suchende Bewegungen mit geöffnetem Mund, Führen der Hände zum Mund). Nach individuellem Start verlangen die Neugeborenen erfahrungsgemäß mindestens 8 Stillmahlzeiten in 24 Stunden. Mit Etablierung der Laktation und den zunehmenden Trinkmengen vergrößert sich der Abstand zwischen den Stillmahlzeiten und die Schlafpausen für Mutter und Kind werden länger. Nach ca. 4-6 Wochen hat sich meist ein 4-Stunden-Rhythmus eingestellt. Erst wenn das Kind eine Brust leer getrunken hat (fettreiche, sättigende Hintermilch!) wird ggf. noch die andere Seite angeboten. Während der typischen Wachstumsschübe des Säuglings passt sich durch ein häufigeres Anlegen die Muttermilchmenge dem steigenden Bedarf an.

Beim gesunden, reifen Neugeborenen, das nach Bedarf gestillt wird, besteht in den ersten Lebenstagen und bis zum Alter von 4 bis 6 Monaten keine Notwendigkeit, Flüssigkeiten oder Nahrung zuzufüttern!

Alternative Fütterungstechniken

Es gibt Kinder, die (wieder) schwer an die Brust zu gewöhnen sind, wenn sie erst einmal Nahrung mit der Flasche bekommen haben. Um dem Risiko einer sog. Saugverwirrung vorzubeugen, wird der stillenden Mutter geraten, während der Zeit des Trinkenlernens an der Brust Saugerflaschen und Beruhigungssauger zu vermeiden. Eine ggf. notwendige Zufütterung von Flüssigkeiten oder Nahrung ist mit z.B. Becher-, Finger-, Löffelfütterung vorzunehmen (Abb. 2:). Das oft sehr ausgeprägte Saugbedürfnis wird an der Brust befriedigt (bei korrektem Anlegen sind keine wunden Brustwarzen zu befürchten).

Kompetente Hilfe bei Stillschwierigkeiten

Nach zunächst erfolgreichem Ingangkommen der Laktation, treten schon bald nach der Entlassung aus der Entbindungsklinik nicht selten Stillprobleme auf (z.B. vermuteter Milchmangel). Auch in der Folgezeit können rezidivierend sog. Stillkrisen eintreten, in denen die betreffenden Mütter rasche Unterstützung benötigen. Es stehen zur Verfügung: Beratung in der Entbindungsklinik, Hebammenhilfe, Laktationsberaterinnen IBCLC, örtliche Stillgruppen, Stillambulanzen.

Dauer des Stillens

Die Zahl der Kinder, die über den ersten Geburtstag hinweg teilgestillt werden, zeigt eine erfreuliche, steigende Tendenz. Besonders berufstätige Mütter mit Säuglingen sehen im Stillen eine wichtige Kompensation der notwendigen Trennung von ihrem Kind und genießen die innige Zweisamkeit beim Stillen. In unserer Gesellschaft ist Stillen von älteren Kindern jedoch noch nicht die Norm, obwohl die Vorteile des Stillens über das erste Lebenshalbjahr hinaus weiterbestehen. Kaum eine der traditionellen Kulturen und Gesellschaften stillt ihre Kinder weniger als ein Jahr. Das natürliche Abstillalter liegt nach Dettwyler und Lawrence zwischen 2,5 und 7 Jahren! Es gibt keine „genormte“ Stillzeit. Jedes Mutter/Eltern-Kind-Paar entscheidet in Abhängigkeit von seiner jeweiligen Lebenssituation mit den individuelle Vorstellungen und Werten, über die Länge der Stillzeit.

Dr. med. Skadi Springer ist Kinderärztin und Laktationsberaterin IBCLC an der Universitätskinderklinik Leipzig

Die Rechte des Kindes (UN-Kinderkonvention)

Artikel 24 (2) Die Vertragsstaaten ….treffen geeignete Maßnahmen, um …..e) sicherzustellen, dass allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere Eltern und Kindern, Grundkenntnisse über die Gesundheit und Ernährung des Kindes, die Vorteile des Stillens….vermittelt werden, dass sie Zugang zu der entsprechenden Schulung haben…

Innocenti-Deklaration (Auszug), Florenz 1990:

über Schutz, Förderung und Unterstützung des Stillens:
……alle Regierungen sollten Bedingungen schaffen, die das Stillen fördern und die es stillwilligen Müttern ermöglichen, ihre Säuglinge vier bis sechs Monate ausschließlich zu stillen und bei geeigneter und ausreichender Beikost solange Mutter und Kind es wünschen….

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