fK 1/08 von der Ohe

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Die optimale Ernährung für Säuglinge
Stillförderung durch den Berufsverband Deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC e.V.

von Gudrun von der Ohe

Muttermilch ist die natürliche und artspezifische Nahrung für menschliche Säuglinge und Kleinkinder, so dass ausschließliches Stillen als diejenige Ernährungsform anzusehen ist, an der sich alle anderen Formen der Säuglings- und Kleinkindernährung im Hinblick auf Wachstum, Gesundheit, Entwicklung und alle anderen kurz- und langfristigen Outcomes messen lassen müssen, ohne dass es für Muttermilch wissenschaftlicher Beweise bedarf – so heißt es in den Empfehlungen zur Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern, die im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten Projekts EUNUTNET 2007 veröffentlicht wurden.

In der Globalen Strategie zur Säuglings- und Kleinkindernährung von 2002 steht eindrücklich, dass Mütter eine fachlich richtige Unterstützung zum Stillen erhalten sollten, um einen guten Beginn und ein Fortführen der gewählten Ernährungsform zu sichern und Schwierigkeiten vorzubeugen oder sie zu meistern, z. B. durch Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC und anderes ausgebildetes Gesundheitspersonal. Im EU-Projekt zur Stillförderung, dessen Ergebnisse 2004 veröffentlicht wurden, wird gefordert, dass alle, die mit Schwangeren, Wöchnerinnen und Säuglingen arbeiten, aufgefordert sind, an anerkannten Fortbildungskursen für Laktationsmanagement teilzunehmen und den Titel IBCLC oder eine gleichwertige Qualifikation zu erwerben.

Nicht nur die SuSe-Studie von 2001, sondern auch die regionale Studie aus Bayern zum Stillen von 2006 haben gezeigt, dass mehr als 90 Prozent der Frauen ihre Kinder sechs Monate ausschließlich stillen möchten, aber nur ca. 10 Prozent dieser Frauen ihr persönliches Ziel erreichen. Die vermeintlichen Gründe dafür sind zu wenig Milch sowie wunde Brustwarzen. Bei diesen Problemen bekommen in Deutschland die Familien nach wie vor zu wenig professionelle Unterstützung, weil es an Wissen zum Stillen fehlt. Denn Stillen ist nicht ein Instinkt, Stillen ist eine sozial erlernte Fähigkeit, die in den letzten hundert Jahren verloren gegangen ist. Stillen ist wie Tanzen: Es gibt Naturtalente, viele benötigen jedoch einen Kursus und manche Paare eine Einzelbegleitung, bis das Team die Schritte gelernt hat, so dass es problemlos klappt und auch Spaß macht. Geschichtliches zur Stillförderung in Deutschland und zur Gründung des BDL :
Die Fortschritte bei der industriellen Herstellung von Muttermilchersatzprodukten sowie die weit verbreitete Förderung und Akzeptanz von Ersatznahrung im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts hatten zum Verlust von Stillwissen und Stillerfahrung in den Industriegesellschaften geführt. Babys mit der Flasche zu füttern galt als modern und schick. Die kulturelle Norm des Stillens ging verloren. Früher wussten junge Mütter, dass sie stillen würden und erfuhren Hilfe und Unterstützung von erfahrenen stillenden Müttern in der Großfamilie und der Gesellschaft.

Aus Mangel an Unterstützung wurde 1956 in den USA von sieben Müttern die La Leche Liga gegründet. Die ehrenamtliche Mutter-zu-Mutter-Beratung der La Leche Liga war nun die erste Unterstützung, die es für Frauen gab, die ihre Babys stillen wollten. Anfang der 1970er Jahre wurde die La Leche Liga in Deutschland gegründet. Einige dieser Beraterinnen arbeiteten im Krankenhaus auf Honorarbasis als Stillberaterinnen. Sie berichteten, dass sie bei manchen Situationen an ihre Grenzen stießen. Und um Familien auch in verzwickten Situationen zu unterstützen, reichte das Wissen nicht aus. Weitere Fortbildungen zum Thema Stillen und Laktation waren notwendig.

In den USA gab es mittlerweile professionelle Stillberaterinnen, die ihr Wissen in einem Examen unter Beweis stellen mussten. Dieses IBLCE-Examen fand erstmals 1985 in den USA und in Kanada statt. Im Jahr 1987 gab es die ersten europäischen Stillberaterinnen mit diesem Examen, die den Europäischen Verband VELB gründeten. Die erste deutschsprachige Fachzeitschrift zum Thema Stillen und Laktation erschien 1988, (Informationen unter www.stillen.org/deutsch/fachzeitschrift/geschichte.html).

Seit 1990 gibt es in Deutschland den nationalen Verband BDL, der als „Berufsverband Deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC“ im Vereinsregister eingetragen ist. Mehr dazu unter www.bdl-stillen.de. Seit dem Examen 2007 arbeiten mehr als 1.000 Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC in Deutschland, die ihr Wissen alle fünf Jahre durch Fortbildungen und alle zehn Jahre mit der Wiederholung des Examens nachweisen müssen. So ist gewährleistet, dass diese Experten, zu denen Ärzte und Ärztinnen, Hebammen, Kinderkrankenschwestern, Krankenschwestern und weitere Berufsgruppen gehören, immer auf dem aktuellen Wissensstand sind.

Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC arbeiten frei praktizierend oder in einem Angestelltenverhältnis, z. B. im Krankenhaus, in Arztpraxen, Hebammenpraxen oder Apotheken, in der Geburtsvorbereitung als Ansprechpartnerin zu allen Bereichen des Stillens oder in Einzel- oder Gruppenberatungen für stillende Mütter und Eltern. Dies geschieht interdisziplinär in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Gesundheits- und Sozialberufen. Wer Interesse an Fortbildungen hat, kann sich unter den verschiedenen Angeboten sowohl unter www.bdl-stillen.de als auch unter www.stillen.org informieren.

Traurige Schlagzeilen erreichten uns in den vergangenen Monaten: Babys wurden vernachlässigt oder sogar getötet und es gab Vertauschungen von Babys. Eine Prophylaxe wären hier Babyfreundliche Krankenhäuser. In diesen Kliniken wird die erste Bindung nach der Geburt – ohne Trennung von Mutter und Kind – besonders unterstützt, ebenfalls das 24-Stunden-Rooming-in, d. h. Mutter und Kind bleiben während des gesamten Krankenhausaufenthaltes rund um die Uhr zusammen. Damit sind Babyfreundliche Krankenhäuser bindungs- und familienfreundlich. In fast allen als babyfreundlich zertifizierten Krankenhäusern arbeiten Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC. Stillen unterstützt die Mutter-Kind-Bindung und schützt von daher vor Vernachlässigung und häuslicher Gewalt. Es ist gesamtgesellschaftlich zweifelsfrei erforderlich, dieses Projekt zu unterstützen und zu finanzieren. Es ist die beste und kostengünstigste Prävention, von Anfang an. Informationen zu Babyfreundlichen Krankenhäusern unter www.babyfreundlich.org.

Ein weiteres Problem unserer Gesellschaft sind Fehlernährung, Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Im Jahr 2007 hat die WHO eine Studie hierzu veröffentlicht. In diese waren mehr als 400 Studien einbezogen, welche den Einfluss des Stillens auf die Gesundheit im Erwachsenenalter untersucht hatten. Die Studien (1966-2000) wurden systematisch überprüft und in einer Metaanalyse zusammengefasst. Es zeigten sich positive Langzeitauswirkungen auf Blutdruck, Cholesterinspiegel und intellektuelle Entwicklung, sowie auf die Vermeidung von Diabetes mellitus und Übergewicht bzw. Adipositas.

Die Bundesregierung ist gefordert, die geplanten Präventionsprogramme so zu gestalten, dass die Richtlinien und wissenschaftlichen Erkenntnisse umgesetzt werden. Es reicht nicht, mit dem Programm „Fit statt fett“ erst im dritten Lebensjahr der Kinder zu beginnen, wenn eine primäre Prävention viel früher und Erfolg versprechender einsetzen kann.

Der BDL ist offen für eine Zusammenarbeit – auch auf Bundesebene. Um auch die sozial schwachen Zielgruppen erreichen zu können, ist es allerdings erforderlich, dass die Kosten für im Einzelfall zusätzlich notwendige Beratungen auch von Krankenkassen übernommen werden. Unser Motto heißt nicht ohne Grund:

Ein Baby zu stillen ist ein kostbares Geschenk
– für das Kind, für die Mutter, für die Familie
und für die gesamte Gesellschaft.

Berufsverband Deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC e.V.
Hildesheimer Straße 124 E, 30880 Laatzen
Tel. 0511-87 64 98 60, Fax: 0511-87 64 98 68
E-Mail: sekretariat@bdl-stillen.de
www.bdl-stillen.de

Die Literaturangaben sind über die Geschäftsstelle erhältlich.)

Gudrun von der Oheist Ärztin, Still- und Laktationsberaterin IBCLC sowie Gutachterin der WHO/ UNICEF-Initiative „Babyfreundliches Krankenhaus“ Deutschland. Sie ist Mitglied im Vorstand des Berufsverbandes Deutscher Laktationsberaterinnen (BDL) sowie im Verband Europäischer Laktationsberaterinnen IBCLC e. V. (VELB)

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