fK 1/07 Fries

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Schlaf doch endlich!

Kinder mit Schlafproblemen: Hilfen für Eltern

von Mauri Fries

Schlaf doch endlich!
Kann auch heißen: Wann bist du endlich mal müde?
Ich kann nicht mehr! Lass mich doch mal gehen!
Du schläfst zu wenig!

Aber ob ein Mensch, auch ein kleiner, schläft oder wach ist, kann nur er selbst bestimmen. Die meisten Eltern wissen, dass ihr Baby in den ersten Wochen noch nicht durchschlafen wird und helfen intuitiv ihrem Kind in den Schlaf zu finden. Sie begleiten das normale nächtliche Aufwachen mit Schlafhilfen wie Stillen, Füttern, Schaukeln oder gemeinsamem Schlafen. Je nach Entwicklungsstand des Kindes und der gesamten familiären Situation werden sie ihre Einschlafhilfen reduzieren und ihrem Kind zutrauen eigene Hilfen, wie zum Beispiel den Daumen oder den Nuckel oder etwas anderes zu nutzen.

Eine Begleitung der Schlafentwicklung fordert von den Eltern eine gewisse Sicherheit und Gelassenheit in ihren Handlungen. Das ist nicht immer einfach. Durch Entwicklungskrisen und Krankheiten des Kindes sowie durch besondere Belastungen der Familie oder unbewusste Erinnerungen und Ängste der Eltern kann diese notwendige Sicherheit und Gelassenheit empfindlich gestört werden. Hinzu können gesellschaftlich vorgegebene Vorstellungen kommen, die die Fähigkeiten des Kindes überfordern oder Eltern unter Druck setzen. Verbreitet ist beispielsweise die Vorstellung, dass frühzeitiges alleine Schlafen die Entwicklung einer autonomen und unabhängigen Persönlichkeit des Kindes fördere. Gemeinsames Schlafen unter gesicherten Bedingungen erleichtert jedoch, durch die Anwesenheit der Mutter, in den ersten Lebenswochen und -monaten die Regulation lebenswichtiger Funktionen, führt zu einer längeren Stilldauer und unterstützt die Bindungsentwicklung des Kindes. In den letzten Monaten sind Eltern zusätzlich verunsichert durch die Präventionsempfehlungen zur Vermeidung des plötzlichen Kindstods. Hier sollte darauf geachtet werden, dass die Beschreibung der Risikofaktoren und der möglichen Schlussfolgerungen nicht zusätzlich für eine vitale Verunsicherung der Eltern sorgt. Angst ist ein schlechter Begleiter für das Schlafen.

Dennoch muss man auch anerkennen, dass das nächtliche Erwachen eines Babys und Kleinkindes sehr Kräfte zehrend für Eltern sein kann und alle Familienmitglieder ein Recht auf erholsamen Schlaf haben. Nur wer einigermaßen ausgeschlafen ist, kann am Tage liebevoll mit dem Kind umgehen und den Alltag bewältigen. Schlafprobleme sind in der frühen Kindheit recht verbreitet (je nach Definition und untersuchter Gruppe: 15 bis 40 Prozent, Papousek et al. 2004). Zunächst sind es eher Störungen für die Eltern, die sich extrem erschöpft und in ihrem Bedürfnis nach Zeiten ohne ein forderndes oder schreiendes Kind eingeengt fühlen.

In den ersten Lebensjahren wachen Kinder häufig in der Nacht auf. Sie weinen, schreien, möchten etwas zu trinken haben oder fordern die Anwesenheit ihrer Eltern ein. 30 bis 50 Prozent der Kinder wachen immer mal wieder auf, 15 Prozent jede Nacht (Papousek et al. 2004). Warum fällt es kleinen Kindern so schwer, wenn sie nachts wach werden, wieder einzuschlafen oder überhaupt durchzuschlafen? Einige Antworten lassen sich entwicklungspsychologisch aus der Perspektive des Kindes finden, andere finden wir in den Erwartungen der Eltern sowie in ihrem Verhalten.

Um den siebten und achten Lebensmonat tritt eine erste Häufung von Schlafproblemen auf, die die Eltern veranlassen, Hilfe zu suchen. In dieser Zeit kann sich das Kind aufgrund seiner motorischen Entwicklung von der Mutter, dem Vater oder anderen wichtigen Bezugspersonen entfernen. Es robbt und krabbelt selbständig in interessante Ecken der Wohnung oder zu attraktivem Spielzeug, ist also nicht mehr so stark darauf angewiesen, dass ihm etwas Neues angeboten wird. Diese neue Freiheit birgt auch einige Risiken für das Kind. Der interessante Gegenstand macht wider Erwarten Angst, der Weg zurück ist vielleicht blockiert oder eine fremde Person steht plötzlich da. Das Kind fühlt sich von seiner Schutz und Sicherheit gewährenden Bezugsperson allein gelassen. Sinnvollerweise ist das Kind in der Lage, diese mit Rufen, Weinen, Schreien oder Hinkrabbeln auf sich aufmerksam zu machen und damit Nähe und Schutz einzufordern. Etwa in dieser Zeit treten bei den Kindern Fremden- und Trennungsängste auf. In dieser wichtigen Entwicklungsphase stellen unvorbereitete Trennungen eine große Belastungssituation für die Kinder dar. Den damit verbundenen Stress zeigen die Kinder entweder deutlich sichtbar mit lautem Protest oder weniger deutlich mit stillem Rückzug und physiologischen Stresszeichen wie vermehrte Cortisolausschüttung und erhöhte Herzfrequenzen (Spangler & Zimmermann, 1999). Auch das Schlafen wird in dieser Zeit erstmals deutlich als eine Trennung erlebt, die Angst und Unsicherheit mit sich bringt. Um diese Angst und Unsicherheit zu reduzieren, benötigen Kinder wiederkehrende Rituale von erreichbaren Eltern, auf die sie sich verlassen können.

Andere Kinder wiederum erleben in dieser Zeit Eltern, die wenig aufmerksam gegenüber ihren Explorationsbedürfnissen sind, sie kaum ermutigen und Freude bei den täglichen aufregenden Eroberungen zeigen oder aus Angst und Kontrollbedürfnissen das Kind in seiner Neugier und Bewegungslust begrenzen. Manche dieser Kinder versuchen diese Erfahrungen mit vermehrtem nächtlichen Aufwachen und größerem Nähebedürfnis der Eltern zu kompensieren.

Im zweiten Lebensjahr erlebt sich das Kind als zunehmend autonomer aber auch unsicherer in seiner Existenz. Sein Bedürfnis, etwas alleine zu machen, ist sehr ausgeprägt und zugleich schnell zu erschüttern. In kurzen Wechseln besteht das Kind auf seiner Autonomie und benötigt Sekunden später Nähe und Hilfe. Die Aufforderung, ins Bett zu gehen, kann in dieser Zeit als Eingriff in die eigene Autonomie empfunden und mit lautstarkem Protest beantwortet werden. Zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat entwickelt das Kind auch eine Vorstellung von sich als einer eigenständigen Persönlichkeit, die sich klar von anderen Personen unterscheidet. Nun wird ihm bewusst, dass die Eltern gemeinsam schlafen, es selbst aber in der Nacht alleine ist. Es ist in der Lage sich zu orientieren, wo die Eltern schlafen und motorisch geschickt genug, aus dem eigenen Bett zu klettern und zu den Eltern zu laufen. Dies kann sein Schlafen beeinträchtigen und Eltern nehmen das lange Kämpfen ums Einschlafen und die nächtlichen Besuche als Schlafstörungen wahr.

Im dritten und vierten Lebensjahr erlebt das Kind zahlreiche Ängste, weil es für viele Vorgänge, die es beobachtet, keine ausreichenden Erklärungen hat und sich dann mit seiner erwachenden Phantasie behilft. Es beobachtet beispielsweise, dass alles im Staubsauger verschwindet und es ist sich nicht sicher, ob ihm nicht das gleiche passieren kann. Auch die Gardine, die sich bewegt, könnte ja ein Gespenst sein und unterm Bett liegt bestimmt ein Monster auf der Lauer. Diese Ängste und auch auftretende Alpträume verunsichern das Kind. Aus Angst schläft es nicht ein, wird von Alpträumen geweckt und traut sich nicht wieder einzuschlafen.

Häufig ist auch zu beobachten, dass Kinder von viel beschäftigten Eltern bis ins Kindergarten- und teilweise auch ins Schulalter hinein Nähe und Zuwendung nachts einfordern, um so zu einem Ausgleich zu kommen, der ihnen am Tage nicht ermöglicht werden kann. Immerhin schlafen bis zum vierten Lebensjahr 15 Prozent der Kinder ständig und 40 Prozent gelegentlich bei ihren Eltern im Bett (Largo, 2004).

Neben den entwicklungstypischen Erklärungen für Schlafschwierigkeiten, die insbesondere von den Eltern als Schlafstörungen erlebt werden, kommen große interindividuelle Unterschiede der Kinder bezüglich ihres Schlafbedürfnisses hinzu. Ein Kind kann nicht mehr schlafen, als es zu seiner Erholung braucht! Wie die Ergebnisse der Züricher Längsschnittstudie zeigen, gibt es bei den Kindern von Geburt an Viel- und Wenigschläfer. Die Differenz beträgt bis zu fünf Stunden (Bühler & Largo, 1981; Schieche, 2004). So entstehen Schlafprobleme in der frühen Kindheit auch durch eine Diskrepanz zwischen dem Schlafbedürfnis eines Kindes und den Erwartungen seiner Eltern, insbesondere dann, wenn das Schlafbedürfnis des Kindes deutlich unter den Erwartungen seiner Eltern bleibt.

Entwicklungsbedingte Irritationen des Schlafverhaltens sowie Diskrepanzen zwischen den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes und den Erwartungen der Eltern lassen sich in der Regel durch eine Entwicklungsberatung (Papousek et al., 2004, Ziegenhain et al., 2004) der Eltern reduzieren oder beseitigen. Eine Beratung sollte neben der Aufklärung über Entwicklungsbesonderheiten auch an der Alltagsstrukturierung der Familie ansetzen und gemeinsam nach Möglichkeiten der Erholung der Eltern suchen. Hilfreich sind beispielsweise Fragen nach vermissten Formen der Erholung und gemeinsamen Überlegungen, wie sie unter den nun mal anstrengenden Lebensumständen mit einem Baby oder Kleinkind verwirklicht werden können. Beratung wird in solchen Situationen von den Eltern oft als eine Art Erlaubnis empfunden, etwas für sich zu tun. Gelingt es den Eltern, ihre eigene Erschöpfung zu reduzieren, werden sie wieder gelassener auf die Schlafschwierigkeiten ihre Kindes reagieren und dem Kind somit mehr Sicherheit geben können. Manchmal sind scheinbar einfache Ideen erst dann denkbar. Warum sollte ein Kleinkind nicht mit seinem Geschwisterkind in einem Zimmer schlafen können? Kinder mögen es, mit vertrauten Personen in einem Zimmer zu schlafen. Es erleichtert ihnen das Durchschlafen. Vielleicht schätzen die Eltern aber auch das gemeinsame Schlafen, sind jedoch verunsichert durch die Meinung anderer oder befürchten, dass ihr Kind nie das elterliche Schlafzimmer verlassen werde.

Einer Reihe von Eltern, die sich mit Schlafstörungen ihres Kindes an entsprechende Beratungsstellen wenden, reicht diese Form von Beratung nicht aus. Ihnen scheint es schwer zu fallen, ihre eigene Gelassenheit wieder zu gewinnen sowie ihrem Kind das selbstregulierte Schlafen zuzutrauen und es auf dem Weg dahin zu begleiten. Erarbeitete Einschlafrituale und entsprechende Verhaltensweisen wie Abwarten erster Unmutszeichen können zu Hause nicht umgesetzt werden. Stattdessen fühlen sich die Eltern ohnmächtig, hilflos, enttäuscht, irgendwie verlassen und allein, manchmal auch wütend oder in Konkurrenz zum Kind (Barth, 2004). Die Handlungen ihrem Kind gegenüber sind unklar, ambivalent und signalisieren in Einzelfällen dem Kind, dass Schlafen etwas Gefährliches ist. Damit geht die nötige Sicherheit des Kindes, mit eigenen Hilfen ein- und durchzuschlafen, verloren oder kann gar nicht erst entstehen.

Die Eltern sehen ihr Kind als jemanden, den man nicht alleine lassen kann, weil er dann sofort klammert, weint und Nähe sucht. Es alleine einschlafen zu lassen, erscheint ihnen wie eine unzumutbare Forderung an das Kind, auch dann, wenn das Kind von seiner Entwicklung her kurze Trennungen bewältigen kann. Das tägliche zu Bett gehen dauert oft Stunden und endet nicht selten mit Gefühlen von Hilflosigkeit oder Wut. Nach einigen Wochen und Monaten leiden die Paarbeziehung und die gesamte Familie unter diesen Schlafstörungen. In solchen Situationen schlafen die Kinder deutlich weniger als diejenigen ohne Schlafstörungen, sie sind tagsüber quengliger und unausgeschlafener, wachen nachts öfter auf und benötigen viel mehr Zeit zum wieder Einschlafen als Kinder ohne Schlafstörungen (Schieche, 2004).

Die Verhaltensweisen des Kindes werden von den Eltern unbewusst mit unverarbeiteten Trennungserlebnissen verknüpft. Die betroffenen Eltern spüren den eigenen Schmerz und möchten diesen auf keinen Fall dem Kind zumuten. Anstatt ihr Kind mit Gelassenheit in den Schlaf zu begleiten, befinden sie sich in der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen eher unbewussten Vergangenheit. Das Verhalten des Kindes, das beispielsweise weint, wird dann oft als Bestätigung der eigenen Vorstellungen interpretiert. So ein weinendes Kind kann man ja nicht alleine lassen. Grundsätzlich ist das für das Säuglings- und Kleinkindalter ja auch richtig, aber das Befinden des Kindes wird mit dem eigenen gleichgesetzt. Die Anwesenheit der Mutter oder des Vaters kann das Kind nicht wirklich beruhigen, da der betroffene Elternteil mit seinen eigenen Gefühlen von Traurigkeit, Verlassenheit oder Bedrohung konfrontiert ist. Fragt man dann nach der Kindheit der Eltern, treten nicht selten Erfahrungen von frühen Trennungen von bedeutsamen Bezugspersonen, von Verlusten oder von liebloser Behandlung auf.

Gelingt es in der Beratung, Eltern einen Zugang zu ihrer eigenen Vergangenheit so zu vermitteln, dass sie eine Verbindung zwischen ihrer Geschichte und den wiederkehrenden Gefühlen bei den abendlichen Einschlaf- und nächtlichen Durchschlafproblemen spüren, sind sie manchmal verblüffend schnell in der Lage, die Signale des Kindes als Ausdruck des Befindens des Kindes zu sehen und es dann klarer entwicklungsangemessen beim Schlafen zu unterstützen. Aus der Beratung wird dann eine Eltern-Säuglings-Psychotherapie (Fraiberg, 1980; Barth, 1998, 2003), die diesen Aspekt der Beziehung im Erleben der Eltern thematisiert und gegebenenfalls Eltern zu einer eigenen vertieften Verarbeitung ihrer Situation ermutigt.

Eine entwicklungspsychologische Perspektive auf das Kind kann nicht nur bestimmte Formen von Schlafproblemen verdeutlichen, man findet auch Anhaltspunkte in der Entwicklung der Kinder, die helfen, Überforderungen der Kinder zu vermeiden und die Schlafentwicklung zu unterstützen. Erfährt ein Säugling in den ersten Wochen eine feinfühlige und zuverlässige Reaktion auf seine Bedürfnisäußerungen nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht, lernt er aufgrund der Reaktion seiner Umwelt, dass unangenehme Gefühle wichtig sind, weil sie eine veränderungsbedürftige Situation signalisieren, die das Kind selbst nicht verändern kann (Grossmann & Grossmann, 2004).

Für die Bearbeitung von Gefühlen wie Angst, Ärger, Wut, Trauer, die ja auch nachts auftreten können, benötigt er zunächst die Hilfe der Erwachsenen. In solchen Situationen allein gelassen, ist es Stresssituationen ausgesetzt, für die es noch keine ausreichenden eigenen Bewältigungsstrategien besitzt. Mit zunehmender kognitiver Reife lernt es eigene Fähigkeiten zur Beruhigung zu nutzen und erst dann Hilfe einzufordern, wenn diese nicht ausreichen. Längere zusammenhängende Schlafzeiten ermöglichen Eltern selbst zunehmende Freiräume für die eigene Erholung und andere gewünschte Aktivitäten.

Wiederkehrende Abläufe beim Ins-Bett-Bringen tragen zusätzlich zur Sicherheit des Kindes bei, sich auf die Trennung einzulassen. Mit der Sprachentwicklung des Kindes erwirbt das Kind weitere Möglichkeiten der Versicherung, indem es mit den Eltern über Abläufe und Gefühle reden, Kompromisse aushandeln und Versprechen einfordern kann. Mit etwa dem 18. Lebensmonat entwickelt es ein Zeitverständnis, mit dem es kurze Zeiträume überblicken kann, was ihm wiederum die Bewältigung von Trennungen erleichtert. Erfahrungen mit eigenen Bewältigungsmöglichkeiten und die Sicherheit, sich im Bedarfsfall an die Eltern wenden zu können, werden ihm die nötige Sicherheit geben, bei Entwicklungsherausforderungen ein neues Gleichgewicht zwischen den eigenen Möglichkeiten und der Unterstützung durch die Eltern zu finden.

Eltern benötigen Zuversicht für die Entwicklung ihres Kindes: Es wird nachts durchschlafen, das Elternbett verlassen und die Bedürfnisse der Eltern verstehen lernen. Diesen nicht immer einfachen Prozess können Eltern umso gelassener bewältigen, je mehr sie auf ihre eigene Erholung achten und wenn nötig, Hilfe bei anderen oder in professioneller Beratung suchen.

Übersicht über Beratungsstellen bei Schlafstörungen unter www.gaimh.de.

Dr. Mauri Fries ist Entwicklungspsychologin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Supervisiorin und selbständig tätig mit dem Schwerpunkt Weiterbildung, Supervision und Beratung im Bereich „ Frühe Kindheit“

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