07 Aug fK 1/04 Kinderrechte aktuell
Am 20. November 1989 wurde in der 44. Vollversammlung der Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte des Kindes einstimmig verabschiedet. Sie ist insofern einmalig, als sie die bisher größte Bandbreite fundamentaler Menschenrechte – ökonomische, soziale, kulturelle, zivile und politische – in einem einzigen Vertragswerk zusammenbindet.
Die in den 54 dargelegten völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards haben zum Ziel, weltweit die Würde, das Überleben und die Entwicklung von Kindern und damit von mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung sicherzustellen.
Inzwischen wurde die Konvention von 192 Staaten ratifiziert. Dies sind mehr, als die Vereinten Nationen Mitglieder haben. Sie ist damit das erfolgreichste Menschenrechtsabkommen überhaupt. In Deutschland trat die Konvention 1992 in Kraft.
In loser Folge stellen wir einzelne Artikel der UN-Kinderrechtskonvention vor und kommentieren ihre Bedeutung auf dem Hintergrund aktueller Debatten um die Rechte des Kindes.
Geburtsregister, Name, Staatsangehörigkeit und das Recht, seine Eltern zu kennen
von Jörg Maywald
Artikel 7 der UN-Kinderrechtskonvention
(Geburtsregister, Name, Staatsangehörigkeit)
(1) Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden.
(2) Die Vertragsstaaten stellen die Verwirklichung dieser Rechte im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und mit ihren Verpflichtungen aufgrund der einschlägigen internationalen Übereinkünfte in diesem Bereich sicher, insbesondere für den Fall, dass das Kind sonst staatenlos wäre.
Mit der Eintragung eines Kindes nach der Geburt in ein offizielles Geburtsregister wird die Existenz und Individualität des Kindes anerkannt: Das Kind erhält den Status eines Rechtssubjekts und wird damit ausdrücklich Träger aller Kinderrechte. Kinder ohne Registrierung haben ein deutlich erhöhtes Risiko, Opfer von Entführung, Verkauf, Handel und anderer ungesetzlicher Praktiken zu werden. Die Pflicht zur Registrierung bezieht sich gleichermaßen auf die Eltern und auf staatliche Stellen und schließt alle in einem Land geborenen Kinder ein, also auch ausländische und staatenlose Kinder, Flüchtlinge und Asylsuchende.
Obwohl die UN-Kinderrechtskonvention nicht vorgibt, welche Daten registriert werden müssen, ergibt sich im Zusammenhang mit anderen Artikeln, dass zur Registrierung zumindest Angaben zu Geschlecht und Name, zu Ort und Zeitpunkt der Geburt sowie zu Name, Adresse und Staatsanghörigkeit beider Eltern gehören. Weitere Angaben z.B. zu Geschwistern, dem Beruf der Eltern, der ethnischen Zugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft können für statistische Zwecke bedeutsam sein, dürfen jedoch nicht zu diskriminierenden Praktiken verwendet werden.
Die Feststellung beider Elternteile ist nicht selten mit Schwierigkeiten verbunden. Aus Sicht des Kindes gibt es keinen Grund, die Mutter, die das Kind zur Welt gebracht hat, nicht zu registrieren. Die z.B. in Frankreich mögliche Praxis der anonymen Geburt ohne Registrierung der Mutter bei Geburt ist aus kinderrechtlicher Sicht abzulehnen. Im Unterschied zur Mutter kann die Feststellung des biologischen Vaters auf praktische Probleme stoßen, wenn die Mutter den Vater nicht benennen will oder kann.
Jedes Kind hat das Recht, von Geburt an einen Namen zu erhalten. Dies gilt auch für ausgesetzte Kinder, bei denen staatliche Stellen für die Namensgebung verantwortlich sind. Das Recht der Eltern, dem Kind einen frei gewählten (Vor-)Namen zu geben, findet seine Grenze dort, wo eine bestimmte Namenswahl mit der Gefahr verbunden ist, das Kind der Lächerlichkeit preiszugeben. Im Interesse des Kindes muss das Namensrecht eines Staates auch die Möglichkeit bieten, im Falle der Wiederheirat eines Elternteils oder bei Adoption des Kindes eine Änderung des Namens vorzunehmen, wobei eine altersgemäße Beteiligung des Kindes sicherzustellen ist.
Weiterhin sieht Artikel 7 das Recht jedes Kindes vor, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben. Damit soll vor allem verhindert werden, dass Kinder staatenlos aufwachsen. Die Verpflichtung, einem Kind die Staatsangehörigkeit des Landes zu verleihen, in dem es geboren wurde, ist damit nicht verbunden. In der Praxis gibt es sowohl Staaten, deren Rechtssysteme davon ausgehen, dass Kinder automatisch die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern erwerben (ius sanguinis) als auch andere, in denen die Staatsangehörigkeit an den Geburtsort (ius soli) geknüpft ist. Aber auch Mischsysteme kommen vor. So zum Beispiel in Deutschland, wo hier geborene Kinder von Eltern mit ausländischem Pass unter bestimmten Voraussetzungen die Staatsangehörigkeit ihres Geburtslandes erwerben können und in manchen Fällen (vorübergehend) auch eine doppelte Staatsangehörigkeit möglich ist.
Schließlich enthält Artikel 7 soweit möglich das Recht jedes Kindes, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden. Nach Auffassung des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes sind unter den Eltern gleichermaßen die genetischen, Geburts- und sozialen Eltern des Kindes zu verstehen. Dieses ganzheitliche Konzept von Elternschaft geht davon aus, dass ein Wissen über diese Personen – nicht in jedem Fall der persönliche Kontakt mit ihnen – für die Identitätsbildung des Kindes von großer Bedeutung ist. Die Einschränkung, dass Kinder „soweit möglich“ das Recht haben, ihre Eltern zu kennen, bezieht sich auf unterschiedliche Situationen. Erstens betrifft es Fälle, in denen die Identität eines Elternteils nicht feststellbar ist, zum Beispiel weil die Mutter den Vater nicht identifizieren kann oder das Kind ausgesetzt wurde. Zweitens kommt es vor, dass die Mutter sich weigert, den Vater zu identifizieren. Hierunter fallen extreme Situationen, wenn das Kind beispielsweise das Ergebnis einer inzestuösen Beziehung oder einer Vergewaltigung ist. Selbst wenn die Mutter gesetzlich verpflichtet ist, den Vater anzugeben, bestehen praktisch kaum Möglichkeiten, dies zu erzwingen. Drittens geht es um Fälle, in denen die Gesetze eines Staates vorsehen, dass ein Elternteil nicht identifiziert werden soll.
Die dritte Fallgruppe ist besonders umstritten, da hier das Recht des Kindes, seine genetischen Eltern zu kennen, anscheinend ohne Not beschnitten wird. Zwei Untergruppen sind zu unterscheiden. Zum einen gibt es zahlreiche Staaten, in denen das Recht von Adoptivkindern, ihre genetische Herkunft zu erfahren, gesetzlich eingeschränkt ist. Erfahrungen mit der so genannten offenen Adoption zeigen demgegenüber, dass die Offenlegung der genetischen Herkunft in der Regel dem Wohl des Kindes dient. In den wenigen Fällen, in denen das beste Interesse des Kindes einer Offenlegung (vorläufig) entgegensteht, sollte zumindest sichergestellt werden, dass dem Kind zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit erhalten bleibt, Informationen über seine genetische Herkunft zu erhalten. Die zweite Untergruppe betrifft die Anonymität von Ei- bzw. Samenspendern im Falle künstlicher (in vitro) Befruchtung. Argumente, das Wohl des Kindes werde durch eine Offenlegung beeinträchtigt, sind schon aus Gründen des medizinischen Nutzens dieser Informationen für das Kind hinfällig. Ernster zu nehmen sind Einwände, denen zufolge mögliche Spender(innen) abgeschreckt würden aus Angst vor einer Konfrontation mit ihrem biologischen Kind oder weil sie mit Unterhaltsansprüchen konfrontiert werden könnten. Erfahrungen aus Österreich und Schweden zeigen jedoch, dass solche Ängste unbegründet sind und dass Unterhaltsansprüche für diese Fälle gesetzlich ausgeschlossen werden können.
Das Recht des Kindes, von seinen Eltern betreut zu werden, ist für die Fälle eingeschränkt, in denen die Eltern ausfallen oder die elterliche Fürsorge nicht dem Kindeswohl dient. Die Beweislast liegt hier bei den staatlichen Stellen, denn die UN-Kinderrechtskonvention geht zu Recht davon aus, dass unter normalen Umständen die Eltern am besten geeignet sind, „das Kind bei der Ausübung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen“ (Artikel 5).
Jörg Maywald ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind und Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
Literatur:
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.)
Übereinkommen über die Rechte des Kindes.
UN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien
Bonn 2000
UNICEF (Hg.)
Implementation Handbook
for the Convention on the Rights of the Child
(2. völlig überarbeitete Auflage)
Genf 2002
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