Fachberatung und Prozessbegleitung bei der Entwicklung eines Klinik Kinderschutzkonzepts

Fachberatung und Prozessbegleitung bei der Entwicklung eines Klinik Kinderschutzkonzepts

Vor über 30 Jahren trat in Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft. Sie legt fest, dass alle Kinder Rechte haben. Dazu gehören unter anderem das Recht auf Vorrang des Kindeswohls, auf Berücksichtigung ihrer Meinung in den sie betreffenden Angelegenheiten, auf Schutz vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Vernachlässigung und schlechter Behandlung sowie auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit.

Die in den letzten Jahren zunehmend in der Öffentlichkeit thematisierten Fälle von Übergriffen und sexualisierter Gewalt in Institutionen betrafen unterschiedliche Sektoren und Einrichtungsarten in Schulen, Kindertageseinrichtungen, in der Kirche oder im Sport. Aus Befragungsergebnissen Betroffener ist ableitbar, dass es auch in medizinischen Einrichtungen Fälle von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gibt (Hoffmann et al, 2021).

2020 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Richtlinie zur Entwicklung von Kinderschutzkonzepten verabschiedet: „Mit dem Ziel, Missbrauch und Gewalt insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen oder hilfsbedürftigen Personen in medizinischen Einrichtungen vorzubeugen, zu erkennen, adäquat darauf zu reagieren und zu verhindern, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) […] seine Qualitätsmanagement Richtlinie entsprechend ergänzt.“ (G-BA, Pressemitteilung vom 16.07.2020)

Eine Umfrage zu Gewalt in Kitas zeigt, dass Kinderschutzkonzepte mit verbindlichen Verhaltensregeln und niedrigschwelligem Beschwerdemanagement grenzverletzendes Verhalten in einer Einrichtung reduzieren können (Maywald, 2019, S. 15ff).

Ein Schutzkonzept mit einem klaren Regelwerk (beispielsweise einem Verhaltenskodex und einer Selbstverpflichtungserklärung) sowie ein niedrigschwelliges Beschwerde- und Beteiligungsverfahren für alle Beteiligten einer Institution helfen, um die Risiken einer grenzverletzenden Umgebung zu reduzieren und um Kinderschutz in Einrichtungen zu gewährleisten; sie sollten daher zu den Standardanforderungen von Institutionen zählen, in den Kinder betreut und versorgt werden.

„Die Kinderrechte sind der rote Faden des neuen Bild
In enger Zusammenarbeit mit einem interdisziplinären Klinikteam hat die Deutsche Liga für das Kind e.V. zwischen September 2023 und Mai 2025 ein umfassendes Schutzkonzept für ein Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie entwickelt und die Grundlagen für die Übertragung des Konzepts in anderen Klinikbereiche, z.B. die Pädiatrie gelegt. Ziel war der Schutz der Kinder und Jugendlichen sowie die konzeptionelle Verankerung aller Kinderrechte im Klinik-Alltag. Der Entwicklungsprozess umfasste:

  • Bestandsaufnahme
  • Sichtung und Bewertung bereits vorhandener, für Kinderschutz relevanter Elemente des Qualitätsmanagements in der Klinik
  • Information der Mitarbeitenden
  • Vorstellung des Projektziels und der Projektbeteiligten
  • Informationen über institutionellen Kinderschutz und Kinderrechte
  • Ist-Stand-Erhebung zur Umsetzung der Kinderrechte
  • Online-Befragung von Patient:innen (zwischen 3 und 17 Jahren) und Mitarbeitenden zur Identifizierung von Stärken, Risiken und Handlungsempfehlungen
  • Auswertung, Aufbereitung und Präsentation der Befragungsergebnisse
  • Erstellung eines Entwurfs für ein institutionelles Schutzkonzept mit:
  • Gefährdungsanalysen für neun typische Schlüsselsituationen im Klinik-Alltag
  • Verhaltenskodex und Selbstverpflichtungserklärung
  • Verfahrensabläufen für verschiedene Fälle von Gewalt und grenzverletzendem Verhalten
  • Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche
  • Gewaltschutz-Präventionsangeboten für Kinder und Jugendliche
  • Praxistransfer
  • Erstellung von Schulungsvideos für Mitarbeitende zur Einführung des neuen Schutzkonzepts, Konzeptinhalten, Anwendung einzelner Konzeptbausteine sowie Grundlagen zu Kinderrechten, Partizipation und Beschwerde
  • Erarbeitung von Handlungsempfehlungen für die nachhaltige Implementierung

Die Entwicklung des Kinderschutzkonzepts hat gezeigt, dass effektiver Kinderschutz in Kliniken nur als dynamischer und partizipativer Prozess gelingen kann. Entscheidend ist dabei:

Verbindlichkeit schaffen
Durch klare Strukturen (Arbeitsgruppen, Verantwortliche Personen) und regelmäßige Reflexion wird Kinderschutz zur gelebten Praxis – nicht nur zur Formalie.

Berücksichtigung der Kinder-Perspektiven
Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen sollte über eine schriftliche Befragung hinausgehen. Partizipative Erhebungsmethoden und kontinuierliche Beteiligungsformate können die Perspektiven der Kinder und Jugendliche noch umfassender abbilden.

Praxisnahe Umsetzung
Materialien wie Schulungsvideos und Handlungsempfehlungen sind ein erster wichtiger Schritt – entscheidend für eine nachhaltige Implementierung sind:

  • Stationsspezifische Anpassungen der Konzeptbausteine
  • Regelmäßige Aktualisierungen des Schutzkonzeptes, insbesondere nach Vorfällen
  • Kinderrechtebildung im Klinik-Alltag
  • Regelmäßige Schulungen der Mitarbeitenden
  • transparente Beteiligungsverfahren in die Abläufe integrieren und Beschwerdeverfahren und -prozesse für Patient:innen vom ersten Tag an zugänglich machen

Für den institutionellen Kinderschutz in Kliniken bietet dieses Projekt eine wichtige Erkenntnis: Die Entwicklung eines institutionellen Kinderschutzkonzepts ist der erste Meilenstein auf dem Weg zu einer kontinuierlichen kinderrechtebasierten Arbeit für eine sichere institutionelle Umgebung für Kinder und Jugendliche. Die entwickelten Konzeptbausteine liefern hierfür eine fundierte Grundlage – ihre Wirkung entfalten sie jedoch erst durch engagierte Teams, die Kinderrechte täglich in der Praxis leben.

Verwendete Literatur

  1. Hoffmann, U., Fegert, J., Jud, A., Clemens, V., Rassenhofer, M.:3 (2021), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online).
    https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1026/0942-5403/a000356
  2. Maywald, J. (2019): Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern: die Kita als sicherer Ort für Kinder. Freiburg Basel Wien: Herder.