12 Aug fK 5/03 Ebert
Wir brauchen einen Dialog auf Augenhöhe
Wie das Ansehen des Erzieherinnenberufs verbessert werden kann
Jörg Maywald im Gespräch mit Sigrid Ebert
Maywald: Wenn man den Beruf der Erzieherin mit anderen Berufen vergleicht, zum Beispiel aus dem Bereich des Handwerks, was macht dann das Besondere an diesem Beruf aus?
Ebert: Ich würde gern auf den Vergleich mit dem Handwerk eingehen. Erziehen ist ja durchaus ein handlungsbezogener Beruf, bei dem es viel um Instrumentelles geht. Auf der anderen Seite ist es eben kein Handwerk, weil es nicht um das Trainieren von ganz bestimmten Handlungen geht, die dann ganz bestimmte Wirkungen zeigen, sondern das berufliche Handeln der Erzieherin ist sehr viel komplexer, widersprüchlicher und auch unübersichtlicher.
Maywald: Was muss eine Erzieherin heutzutage können, um ihren Beruf erfolgreich auszuüben?
Ebert: Heute wird viel darüber diskutiert, was eine Erzieherin wissen muss. Aber es wird viel zu wenig darüber nachgedacht, wie sie es schafft, dieses Wissen umzusetzen, so dass es zu einem professionellen Handeln, zu einem Können, wird. Und dies hat sehr viel mit ihrer Persönlichkeit und mit ihrem Selbstvertrauen zu tun. Es geht weniger um bestimmte Fertigkeiten, sondern darum, dass sie davon überzeugt ist, etwas zu können und dass ihr das, was sie vermitteln will, wirklich wichtig ist.
Maywald: Man könnte dies als Unterschied zwischen Kompetenz und Qualifikation verstehen. Worin besteht dieser Unterschied?
Ebert: Der Begriff der Kompetenz im eigentlichen Sinne kommt aus der Tätigkeitspsychologie. Danach zielt der Begriff nicht auf den Inhalt einer Handlung, sondern wie die Handlung zustande kommt, welche Prozesse im Innern eines Menschen ablaufen. Kompetenz bedeutet, dass derjenige, der eine Handlung unternimmt, das Vertrauen hat, selbst wirksam zu werden. Darin liegt der begriffliche Unterschied zwischen Handlungskompetenz und Qualifikation.
Maywald: Kann man Kompetenzen erlernen?
Ebert: Kompetenzen lassen sich stärken und unterstützen. Die Erzieherinnen müssen aber auch eine gewisse Eignung mitbringen, in dem Sinne, dass ein gewisses Selbstvertrauen im Umgang mit Menschen da ist, dass das Gefühl vorhanden ist, anderen Menschen etwas bieten zu können. So etwas muss vorhanden sein. Aber man kann dies im professionellen Sinne stärken. Und dazu ist die Ausbildung da.
Maywald: Was bedeutet das für die Ausbildungsstätten und für das Verhältnis von Theorie und Praxis?
Ebert: Das bedeutet, die Ausbildung nicht als einen Ort zu sehen, an dem nur permanent neues Wissen hineingeschoben wird. Natürlich muss ein Basiswissen vermittelt werden. Zugleich aber müssen bei den Auszubildenden die vorhandenen Kompetenzen gefördert werden. Hier geht es auch um einen Paradigmenwechsel. Praktika dürfen nicht nur als Austragungsorte von Schulwissen betrachtet werden. Das ist meiner Ansicht nach eine Abwertung der Bildungsressourcen, die in der praktischen Arbeit stecken. Es muss eine Gleichwertigkeit zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung hergestellt werden.
Maywald: Sie sprachen davon, dass Erzieherinnen in komplexen Situationen handeln müssen. Inwieweit spielt hierbei Intuition eine Rolle?
Ebert: Ich bin dazu gekommen, den Begriff der Intuition wieder zu verwenden, natürlich in einer reflektierten Form. Handeln in komplexen Situationen erfordert permanente Entscheidungen. Und wenn man schnell entscheiden muss, spielen letztlich immer auch emotionale Bewertungen eine Rolle. In gewisser Weise muss ich meinen Gefühlen vertrauen können. Ich will dies an einem Beispiel klar machen: Erzieherinnen lernen in der Schule sehr viel über Kommunikation. Sie wissen, dass sie auf ihr Sach-Ohr und auf ihr Beziehungs-Ohr hören müssen. Aber in einer konkreten Situation nimmt niemand einer Erzieherin oder Praktikantin die Entscheidung ab, ob sie ihr Handeln nun nach dem Beziehungs- oder nach dem Sach-Ohr richtet. Das muss sie allein entscheiden. Und wie sie dann entscheidet, das ist letztlich auch eine emotionale Entscheidung, etwas Intuitives. Sie muss blitzschnell eine Rangreihe in ihrem Bewertungssystem aufbauen und dann entscheiden. Und sie muss ein Zutrauen haben, dass sie richtig entschieden hat. Ganz sicher sein kann sie sich natürlich nicht. In diesem Sinne spielt auch Intuition eine Rolle. Dabei ist das Wissen nicht überflüssig, denn sie muss vorher gehört haben, auf welchen Ohren man hören kann.
Maywald: Es gibt in Deutschland gegenwärtig eine große Diskussion über die Akademisierung der Erzieherausbildung. Wo sehen Sie die Chancen, wo vielleicht aber auch die Risiken einer Akademisierung?
Ebert: Mich stimmt bei dieser Diskussion positiv, dass dadurch auf die Bedeutung einer Reform der Erzieherausbildung aufmerksam gemacht wird. Was mich jedoch skeptisch stimmt, ist, dass die Anhebung auf ein höheres Niveau, also die Akademisierung, als die einzige bildungspolitische Lösung des Problems angesehen wird. Ich denke, das reicht nicht aus. Auch der Verweis auf das Ausland ist hier nicht legitim. Ich habe gute Kontakte in anderen Ländern und wenn Sie sich einmal anschauen, wo dort die akademisch ausgebildeten Erzieherinnen arbeiten, dann ist dies nicht unbedingt immer am Kind, sondern dann sind das häufig übergeordnete Positionen. Wohingegen bei uns es noch nicht einmal selbstverständlich ist, dass die Leitung einer Kindertagesstätte für diese Aufgaben qualifiziert wurde geschweige denn akademisch ausgebildet ist. In Deutschland haben wir es mit einer Ausbildung zu tun, die immer klein gehalten und bevormundet wurde, die immer eine Sackgasse war. Und das finde ich das Fatale an einem Beruf, der künstlich abgeschnitten wird, obwohl gerade die praktischen Erfahrungen pädagogischen Berufen zugute kämen. Ich bin für ein offenes, spiralförmiges Berufsbildungskonzept, für ein Abwechseln von Theorie und Praxis und für einen differenzierten Stellen- und Funktionskegel in den Einrichtungen. Es ist unmöglich, mit einer einzigen Berufsausbildung alle Aufgaben zu bewältigen, die ein Kindergarten heute bewältigen soll. Das ist ein Anachronismus.
Maywald: Ich verstehe dies so, dass Sie sich dafür einsetzen, für Erzieherinnen mehr Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten anzubieten.
Ebert: Ja, eindeutig. Vor allem muss zuerst überhaupt einmal ein Berufsbildungskonzept geschaffen werden. Welche Differenzierung es in diesem Beruf braucht, ist ja bis heute nicht erforscht worden.
Maywald: In der gegenwärtigen Bildungsdebatte wird häufig davon gesprochen, dass Kinder bestimmte Basisfähigkeiten haben müssen, um später schulisch Erfolg zu haben. Was halten Sie davon?
Ebert: Ich kann mit diesen Basisfähigkeiten nicht viel anfangen. Es ist nicht mein Begriff, mit dem ich arbeite. Im Kindergarten geht es zunächst einmal um Selbstbildungsprozesse, um Identitätsentwicklung, um Unterstützung durch Erziehung. Es geht darum, die Neugier des Kindes zu bedienen und seine Entdeckung der Welt und von sich selbst zu unterstützen. Der Begriff der Basisfähigkeiten legt nahe, dass es um isolierte Bereiche geht. Dabei geht es doch um die ganzheitliche Entwicklung, die im frühen Kindesalter zu fördern ist. Es geht um das ganze Kind.
Maywald: Wir haben gegenwärtig eine große Bildungsdebatte. Was müsste sich Ihrer Ansicht nach ändern, so dass Kindertageseinrichtungen fit sind für Kinder?
Ebert: Es geht darum, wie wir den Kindergarten denken. Entscheidend ist, dass wir nicht ein von der Wissenschaft oder Bildungspolitik verordnetes Bild vom Kindergarten haben, sondern vom Kind ausgehen. Kinder verbringen heute sehr viel mehr Zeit im Kindergarten als dies früher der Fall war, die Aufgaben des Kindergartens sind komplexer geworden. Dies muss in eine Bildungs- und Familienpolitik einbezogen werden und letztlich zu einer Bildungskultur des Kindergartens führen. Und dazu gehört auch die entsprechende Berufsausbildung. Ändern muss sich auch die Wertschätzung des Erzieherberufs. In anderen europäischen Ländern ist es selbstverständlich, dass Wissenschaftler und Erzieherinnen gemeinsam Seminare durchführen, weil die Wissenschaft von dem Erfahrungswissen profitieren kann. Hier muss ein Dialog auf Augenhöhe in Gang kommen.
Sigrid Ebert ist Diplom-Psychologin und leitete die Abteilung Aus- und Weiterbildung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Berlin
Sorry, the comment form is closed at this time.