fK 1/07 Derksen

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Schlafen lernen

Wie Kinder ihren eigenen Schlafrhythmus finden

von Bärbel Derksen

Säuglinge müssen erst lernen, dass es einen Unterschied zwischen Tag und Nacht gibt. Durch liebevolle Zuwendung, Regelmäßigkeit und Rituale können Eltern ihren Kindern dabei helfen.

Alle Eltern stellen sich bereits in der Schwangerschaft darauf ein, in den ersten Lebensmonaten ihres Babys mit wenig Schlaf auskommen zu müssen. Unruhige und unterbrochene Nächte gehören zum frühen Elternsein dazu, wie Kuscheln, Windeln wechseln, Stillen, Füttern oder Trösten. Babys müssen das Schlafen erst lernen, müssen sich anpassen an einen Tag-Nacht-Rhythmus, an Hell und Dunkel, müssen lernen sich zu entspannen und ruhig zu werden, aber auch aktiv und wach zu sein.

Eltern, deren Babys schon sehr früh durchschlafen, haben es gut und werden von allen anderen Eltern in dieser Zeit sehr beneidet – und die Babys sehr bewundert. Doch dies ist leider eher unüblich. Babys brauchen eine Zeit der Entwicklung und Reifung, manchmal auch die Hilfe der Erwachsenen, um ihren Rhythmus zu finden.

Tag und Nacht erfahren
Wenn Kinder geboren werden, haben sie noch keinen ausgeprägten Schlaf-Wach-Rhythmus. Erst allmählich entwickeln sie einen zirkadianen Rhythmus, das heißt einen Rhythmus, der durch den Tag-Nacht-Wechsel oder Hell-Dunkel-Veränderungen bestimmt wird. Säuglinge und Babys passen sich in den ersten Monaten immer besser an diese Veränderungen und die familiären sozialen Bedingungen an.

Um ihnen den Unterschied zwischen Tag und Nacht zu verdeutlichen, sollte zum Beispiel das Ritual vor dem Schlafengehen möglichst ruhig und entspannt ausfallen. Herumtoben mit den Geschwistern oder mit Papa regt an und macht Spaß, hilft aber nicht unbedingt, den Abend leise ausklingen zu lassen. Außerdem ist es sinnvoll, das Baby nachts nur nach Bedarf, in einem möglichst abgedunkelten Raum, ruhig und still zu wickeln und es nicht zum Spiel anzuregen.
Schon am Tage können sowohl die wachen und aufmerksamen Momente des Kindes als auch die ruhigen Phasen genutzt werden, um den Wechsel und die damit verbundenen Veränderungen von Spielen und Ruhe einzuüben.

Um dem Säugling bei der Entwicklung eines Tag-Nacht-Rhythmus zu helfen, können die Eltern als Zeitgeber dienen. Durch einen vorgegebenen, strukturierten Tagesablauf, regelmäßige Zeiten von Spielen und Schlafen, Essen und Ausgehen, klare Trennung zwischen Tag und Nacht haben die Kinder es leichter, sich mit der Zeit an einen Rhythmus zu gewöhnen und passen sich schneller an. Konstanz und Regelmäßigkeit sind gerade am Anfang bedeutsam, wenn Babys noch keine eigenen Vorstellungen von Zeit haben. Auch eingeführte Rituale helfen, die verschiedenen Aktivitäten voneinander zu unterscheiden.

Das Kind lernt sich kennen
Besonders in den ersten Monaten lernen Babys ihre körperlichen und emotionalen Zustände besser zu steuern. Sie lernen zu schreien und sich wieder zu beruhigen, zu schlafen und aufmerksam und wach zu sein. In den ersten drei bis vier Lebensmonaten entwickeln sie meistens einen Drei- bis Vier-Stunden-Rhythmus von Wachen und Schlafen. Es gibt jedoch auch wie bei Erwachsenen starke individuelle Unterschiede: Babys, die sehr früh durchschlafen und Babys, die häufig in der Nacht aufwachen, kleine „Frühausteher“ oder die kleinen „Langschläfer“.

Während des Schlafes werden verschiedene Schlafstadien zyklisch durchlaufen. Die Phasen wechseln zwischen oberflächlichem, leichtem Schaf, aus dem man leicht aufwachen kann, und dem Tiefschlaf sowie kleineren oder auch mal längeren Wachperioden. Diese Rhythmen verändern sich im Laufe der Lebensspanne. Die Ausbildung eines regelmäßigen Schlafrhythmus hängt von dem Reifungsvorgang des Gehirns ab, welcher von Kind zu Kind verschieden sein kann, wie manche Kinder mit zehn Monaten Laufen können und andere mit 16 Monaten. Am Ende des dritten bis vierten Monats schlafen 70 Prozent aller Säuglinge durch, mit sechs Monaten sind es 90 Prozent. Dabei muss betont werden, dass Durchschlafen bedeutet, dass ein Kind sechs bis acht Stunden schläft ohne aufzuwachen. Es „überschläft“ quasi eine Aufwachzeit bei einem Drei- bis Vier-Stunden-Rhythmus. Dementsprechend ist es unrealistisch zu erwarten, dass ein Säugling zwölf Stunden hintereinander schläft.

Wie viel Schlaf ist gut?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Der Schlafbedarf ist keine feste Größe, sie verändert sich durch die kontinuierliche Entwicklung des Kindes. Da jedes Kind sich unterschiedlich schnell entwickelt, unterschiedlich temperamentvoll ist, verschiedene Fähigkeiten hat sich anzupassen, sich zu beruhigen oder auch aktiv und aufmerksam zu sein und auch die momentane körperliche Befindlichkeit sich verändert, gibt es auf diese Frage keine allgemein gültige Antwort. Insgesamt sollte ein Kind mit genügend Schlaf wach und aufmerksam, dabei meistens zufrieden und aktiv sein und kleine Veränderungen oder alltägliche Störungen gut bewältigen können.

Eltern erleben in der ersten Zeit mit ihrem Baby immer wieder Veränderungen und Überraschungen. An einem Tag haben sie das Gefühl, jetzt hat mein Kind einen Rhythmus, auf den ich mich verlassen kann, dann einige Tage später hat sich vielleicht schon wieder etwas verändert. Diese Veränderungen hängen stark mit den fortlaufenden schnellen Entwicklungsfortschritten des Kindes zusammen und sollten die Eltern nicht entmutigen. Es können kleine Dinge in der Entwicklung sein wie ein neues Lächeln, ein wacheres Gesicht, koordiniertere Bewegungen oder Veränderungen im Tagesablauf, die einen Einfluss auf den Tagesrhythmus haben. Je älter das Kind wird, desto stabiler und zuverlässiger wird sein Verhalten.

Was hilft dem Kind?
Zunächst ist es wichtig, realistische Vorstellungen über die Entwicklung des eigenen Kindes zu bekommen und hohe Erwartungen einzuschränken. Die meisten Babys schlafen erst mit sechs Monaten sechs bis acht Stunden durch.
Eltern sollten von Anfang an auf das Schreien des Babys reagieren und es trösten. Es kann in den ersten Monaten nicht verwöhnt werden. Das Baby braucht die Gewissheit, dass die Eltern da sind, ihm helfen, es schützen und befriedigen. Die intensive Nähe in den ersten Monaten ist notwendig, um Vertrauen und das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit aufzubauen und regt gleichzeitig die Selbstständigkeit des Kindes an. Erst wenn ein Kind sicher ist, kann es auch vermehrt neugierig sein.

Beim Einschlafen ist es gut, das Kind nicht an oder auf der Brust einschlafen zu lassen, ihm nicht die Flasche oder den Schnuller zu halten oder andere intensive Beruhigungsmöglichkeiten anzubieten, damit es seine eigenen – von Hilfe unabhängigen – Einschlaffähigkeiten entwickeln kann.
Wenn Eltern dies möchten, können sie ihr Kind in ihrem Bett schlafen lassen, dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. In vielen anderen Kulturen ist dies üblich und normal. Das Schlafen im gemeinsamen Bett fördert Geborgenheit und emotionale Nähe in der Familie, kann Sicherheit geben und entlastet, wenn die Mutter noch stillt. Dabei ist darauf zu achten, dass ein Kind sicher und fest liegt, nicht zu warm zugedeckt wird und dass ausreichend Platz und Bewegungsfreiheit für die Eltern und das Kind vorhanden sind.

Eigene Fähigkeiten stärken
Die Möglichkeit, gut Ein- und Durchzuschlafen, hängt von den selbstregulatorischen Fähigkeiten – Fähigkeiten, sich selbst zu beruhigen – ab, die ein Kind zunächst tagsüber beim Spiel und in der Gemeinschaft mit den Eltern ausprobiert und erlebt, verfestigt und ausbaut. Ob ein Kind diese Fähigkeit entwickeln kann, hängt nicht nur vom Entwicklungsstand und der Persönlichkeit des Kindes ab, sondern auch vom Verhalten und von der Unterstützung der Eltern.

Um die selbstregulatorischen Fähigkeiten des Babys langsam zu fördern, ist es notwendig, ungefähr ab dem dritten oder vierten Monat die elterlichen Beruhigungsmöglichkeiten etwas hinaus zu zögern, wenn das Kind unruhig, unzufrieden oder nörgelig wird oder schreit. Das Kind braucht dann mehr Zeit, eigene Strategien der Beruhigung aufzubauen. Eltern können zum Beispiel zunächst mit beruhigender Stimme oder einer Berührung reagieren, so dass das Kind lernt, diese sanfteren, nicht so intensiven Beruhigungsmöglichkeiten zu nutzen und damit zurechtzukommen. Diese können später auf die Schlafsituation übertragen werden. Jedes Kind kann somit ganz eigene Strategien der Beruhigung und des Einschlafens entdecken. Einige Kinder wippen sich selbst leicht in den Schlaf, viele nehmen einen Schnuller, ein Tuch oder kleine Kissen. Diese Objekte können mit der Zeit immer wichtiger für das Kind werden und schaffen so einen Übergang zwischen den Hilfen der Eltern und den eigenen Beruhigungsversuchen. Die gemeinsam erlebten, täglich befriedigenden Spielsituationen alleine und mit den Eltern sind also notwendig, um einerseits Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und andererseits Sicherheit in der Beziehung zu den Eltern aufzubauen. Dabei kommt es darauf an, dem Kind dem Alter entsprechende Anregungen zu bieten, damit es Eigeninitiative entwickeln kann und es Möglichkeiten hat, sich zu entspannen und zu beruhigen.

Phasen von Anregung und Spiel wechseln mit Pausen und Ruhe ab und können schon im Spiel gelernt werden. Bei dem gemeinsamen Spiel kommt es vor allem darauf an, Spaß und Freude gemeinsam zu teilen. Wenn Kinder hingegen zu sehr stimuliert werden, keinen Raum für eigene Erfahrungsmöglichkeiten haben, lernen sie weniger sich selbst und den eigenen Stärken zu vertrauen. Umgekehrt, wenn ein Kind zu wenig Körperkontakt und emotionale Befriedigung erlebt, kann es sein, dass es in der Nacht die Nähe zu den Eltern einfordert.
Die Beziehung zum Kind ist ein Prozess des Kennenlernens. Mit der Zeit lernen die Eltern, die Signale ihres Kindes richtig zu deuten und entsprechend seinen Bedürfnissen zu handeln.

Rituale
Rituale sind für alle Kinder, aber besonders für kleine Kinder sehr wichtig. Durch die Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit und Konstanz werden sie ein wichtiger Bestandteil der Erziehung, die das Kind in seiner Entwicklung unterstützt und fördert. Typische Rituale beim Zubettbringen sind zum Beispiel das Vorsingen eines Schlafliedes oder das Angucken eines Bilderbuches.
Gerade im Zusammenhang mit Schlafschwierigkeiten helfen konstante Einschlafrituale, Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. In diesen Momenten werden Erinnerungen und Erwartungen aufgebaut, die schnell erinnerbar sind und die den Kindern helfen, sich auf den Schlaf einzustellen, loszulassen und ruhiger zu werden. Vor einer langen Schlafenszeit ist es besonders schön, die vertrauten Beziehungserfahrungen aufzufrischen, damit in der Nacht kein Nachholbedarf notwendig wird.
Gut ist es, vor der Schlafenszeit Streitigkeiten zu beenden, sich wieder zu versöhnen und mit Hilfe von Körperkontakt und Nähe, sanften Liedern oder Gesprächen den Abend ausklingen zu lassen. Vater und Mutter können dabei unterschiedliche, auf sie und ihr Kind passende Rituale entwickeln. Zum Beispiel kann der Vater beim Einschlafen ein Lied singen, die Mutter zeigt ein Buch oder zieht die Spieluhr auf. Wichtig dabei ist, dass diese Einschlafrituale von einer Person beständig bleiben und sich nicht oder nur selten verändern.

Der Beitrag ist die veränderte Fassung des gleichnamigen Artikels in: Eltern-Info, Nr. 18 (2006),Supplement der Deutschen Hebammen Zeitschrift . Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Elwin Staude Verlags GmbH.

Bärbel Derksen ist Diplom-Psychologin und Mitarbeiterin der Elternberatung „Vom Säugling zum Kleinkind“ in Potsdam.

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