25 Jun fK 4/09 Loschky
Beratung von Familien im Auftrag Dritter
Gerichtlich angeordnete Beratungen gemäß § 156 FamFG
von Anne Loschky
„Also die Chancen, dass wir das noch mal in der Familie hinkriegen, die gehen gegen Null. Ich sehe da ganz schwarz“, so ein Vater im ersten Gespräch, dass wir mit ihm führten – gezwungener Maßen. Der Sohn (14 Jahre), der fertig gebracht hat, nicht nur zu Hause, sondern auch aus der Schule und verschiedenen Einrichtungen rauszufliegen, ist da optimistischer. Und es wird deutlich, dass er sehr genau weiß, dass er aktuell die Dinge in der Hand hat. Seine Mutter ist sehr zuversichtlich. Sie steht an der Seite ihres Sohnes und glaubt daran, dass es – wie auch immer – einen Weg geben wird. Nur bislang hatten sowohl der Vater als auch der Sohn abgelehnt, mit Dritten Gespräche zu führen. Jetzt müssen sie, auch wenn der Vater schwer verärgert ist, dass es keine Einrichtung gibt, die in der Lage ist, seinen Sohn aufzunehmen. Seine Dienstaufsichtsbeschwerde läuft und „zu allem Überfluss“ – aus seiner Sicht – psychologische Beratung.
„Der Familienrichter hat gesagt, dass wir Beratung machen sollen, ich halte davon nichts, aber auch gar nichts. Das haben wir alles schon versucht, nur, wenn meine Tochter (sechs Jahre) nicht zu ihrem Vater will, da kann ich doch nichts machen, sie wird ihre Gründe haben.“
Bislang waren solche Konstellationen zu Beginn einer Beratung, Therapie oder Mediation Praxis u. a. in stationären Einrichtungen und bei der Aufsuchenden Familientherapie wie sie z. B. als Leistung der Jugendhilfe mit Familien vereinbart wird. Sie sind und waren aber auch Praxis verschiedener Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern in öffentlicher und freier Trägerschaft. Insofern gibt es reichlich Erfahrung mit angeordneter Beratung und Hilfe, und darauf werden sich auch die „Gesetzesreformer“ gestützt haben, wenn sie nun mit Inkrafttreten des FamFG ab 1.9.2009 für die Familiengerichte die Möglichkeit geschaffen haben anzuordnen, dass eine Familie eine Leistung der Jugendhilfe annehmen muss.
Konsequent werden mit dieser Reform die Rechte der Kinder, ihr Schutz und Wohlergehen nun auch in den Verfahren bei Trennung und Scheidung in den Mittelpunkt gerückt. Alle müssen mehr und direkter miteinander sprechen und Hilfe und Unterstützung wird direkt gegeben, notfalls auch angeordnet. Kinder und Jugendliche müssen nun also nicht mehr warten, bis sich möglicherweise in langwierigen Verfahren ihre Situation und Perspektive geklärt hat, sondern sie bekommen, indem ihren Eltern aufgegeben wird Hilfe anzunehmen, direkt Hilfe von außen.
In der Folge sind alle Mitarbeiter(innen) bei öffentlichen und freien Jugendhilfeträgern damit konfrontiert, Hilfe und Unterstützung auch für diejenigen Familien auszugestalten, die dieser Hilfe und Unterstützung ablehnend gegenüberstehen.
Für unsere Arbeit in den Erziehungsberatungsstellen bedeutet dies, dass wir mit Eltern und Familien zusammentreffen, die nicht aus freien Stücken die Beratungsstellen aufgesucht haben, also keine eigenen Anliegen mitbringen, und die uns skeptisch, misstrauisch oder auch feindselig gegenüber stehen. Fachlich sind wir gefordert, unsere Haltung zu verändern und einen Sinn darin zu sehen und uns entsprechend zu engagieren, Familien zu beraten, denen dies von Dritten vorgegeben wurde.
Familien leben isolierter
Offensichtlich ist das Aufwachsen von Kindern in unserer Gesellschaft risikoreicher geworden. Dies gilt besonders für Kinder, deren Eltern getrennt sind und nicht ausreichend miteinander kooperieren, sowie für Kinder, deren familiäre Situation durch Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung geprägt ist.
Ein Risiko ist die damit verbundene familiäre und soziale Isolation. Viele Familien leben nicht mehr in Verbindung mit anderen Familien, ein Austausch, ein gegenseitiges voneinander Lernen und die unterstützende Hilfe fehlen. Zahlreiche Eltern erleben nicht ausreichend, wie andere Eltern mit ihren Kindern umgehen, sie haben nicht die Chance von ihnen zu lernen. So kann es sein, dass ihre intuitiven Kompetenzen, sich z. B. dem kleinen Säugling zuzuwenden, sich nicht ausreichend entfalten können, weil es kein anregendes Umfeld gibt, in dem mit ihnen gemeinsam das Wachsen und Wohlergehen des Kindes mit Freude beobachtet und gewürdigt werden. Die Zuwendung und Aufmerksamkeit für den kleinen Menschen: „Ja, er kann ja schon laufen!“ bedeutet ja auch immer ein Kompliment an die jungen Eltern und stärkt diese.
Das Gesprächsangebot der Erzieherin in der Kindertagesstätte oder die Einladung der Lehrerin bzw. des Lehrers zum Elternsprechtag werden möglicherweise als Zumutung empfunden und als Einmischung erlebt. Im Beratungsalltag erfahren wir häufig auch von innerfamiliären Kontaktabbrüchen, oft einhergehend mit Trennung und Scheidung. Wir beobachten auch eine thematische Isolierung: Mütter und Väter sprechen untereinander nur über ihren Stress mit dem Ex, mit den Ämtern.
So entsteht oft ein brüchiges Engagement der Eltern für ihre Kinder und ein Zurückweichen vor Anforderungen und Verantwortung. Die Kindern erfahren keine ausreichende Orientierung, erleben wenig Halt und Sicherheit, ihre Entwicklung ist oft ein Spiegelbild dieser Situation: sie sind traurig oder verzagt, ziehen sich von den Erwachsenen zurück, kooperieren nicht mit ihnen, sind unruhig und immer auf dem Sprung, verstehen ihre Gefühle nicht und wissen nicht wohin mit ihnen. So werden sie für die Eltern und andere Erwachsene anstrengend und ein Teufelskreis kommt in Gang. Es gibt noch mehr Anstrengung und die Kritik von Außenstehenden nimmt zu. Rückzug und Feindseligkeit gegenüber den Kindern ist die Folge, Konflikte eskalieren.
So wird ein Eingreifen dringlich. Die Verpflichtung Hilfe anzunehmen – sei es sozialpädagogische Familienhilfe, Familienkrisendienst, Aufsuchende Familientherapie oder auch die Beratung durch eine Erziehungsberatungsstelle –, kann nun bei einem Erörterungstermin vor dem Familiengericht den Eltern und der Familie aufgegeben werden, verbunden damit, bei einem Folgetermin zu hören, inwieweit die Unterstützung angenommen werden konnte. Wir entlassen die Eltern nicht daraus, mit anderen über ihr Leben und das Leben ihrer Kinder zu sprechen, sondern wir ersetzen soziale Kommunikation durch professionell geführte Dialoge.
Hohe Erwartungen an Beratungsstellen
Das Familiengericht in Verantwortungsgemeinschaft mit der Jugendhilfe vertraut auf die Möglichkeiten von Beratung und hat hohe Erwartungen an die Kompetenz der Berater(innen). Es wird darauf vertraut, dass Berater(innen) auf Grund ihrer Erfahrung im Dialog mit schwierigen Menschen in schwierigen Lebenssituationen in der Lage sind, einen Dialog auch auf Anforderung in Gang zu bringen, der Menschen ermöglicht, ihren Blick zu öffnen und eine Veränderung ihres Verhaltens herbeizuführen. Man vertraut darauf, dass sie in der Lage sind, Kontakt zu Kindern aller Alterstufen zu finden, und diesen ermöglichen, sich anzuvertrauen.
Andere lernen von uns, wie notwendig es ist, auch in kritischen Situationen Familien mit Respekt und Achtsamkeit zu begegnen, immer wieder danach zu suchen, welche Ressourcen die einzelnen Familienmitglieder haben und dass Kontakt nicht auf Zuruf entsteht, sondern seine eigene Zeit braucht.
Zusammenarbeit bei angeordneter Beratung
Wird eine Beratung empfohlen, reagiert die Beratungsstelle auf eine Anfrage in ihrer Art und in ihrer Verantwortung. Wird eine Beratung angeordnet, ist es notwendig, dass es unabhängig von dem Einzelfall Absprachen darüber gibt, wie vorgegangen wird. Das bedeutet, dass Berater(innen), Sachbearbeiter(innen) des Jugendamtes und Familienrichter(innen) nicht nur voneinander wissen, sondern auch die jeweiligen Arbeitsbereiche kennen und ihr Vorgehen abstimmen und zueinander passend machen. Für uns Berater(innen) bedeutet dies, dass wir das neue Gesetz verstehen lernen, insbesondere seine Intention und Absicht. Wir müssen u. a. lernen, was Vorrang- und Beschleunigungsgebot heißt, was ein Erörterungstermin ist oder auch was eine Verfahrens- und eine Umgangspflegschaft bedeutet. Und wir lernen so auch voneinander, dass ein Prozess nicht ein Prozess ist und das eine Maßnahme des Jugendamtes eigentlich eine Hilfe für die Familie ist.
Besonderheiten in der Beratung
Das Besondere der verordneten Beratung beginnt damit, dass wir mit dem örtlichen Jugendamt und dem zuständigen Familiengericht Wege der Zusammenarbeit entwickeln oder weiter festigen und klären. Wir klären insbesondere, ob wir als Berater(innen) am Erörterungstermin teilnehmen oder ob die/der Mitarbeiter(in) des ASD die Familie mit „ihrer Anordnung“ in die Beratungsstelle bringt. Denn eine angeordnete Beratung beginnt immer damit, dass der dritte, vierte oder auch fünfte Stuhl im Erstgespräch besetzt wird: Die/der Anordner(in) nimmt am Erstgespräch teil. Nur so können wir den Eltern gegenüber authentisch als Berater(in) gegenüber treten. Wir können ihnen authentisch zeigen, dass wir einen Arbeitsauftrag übernehmen, aber weder bei der Anmeldung, noch in einem anderen Gespräch die Meinung eines anderen über die Familie übernommen haben. Hierin liegt unsere Chance: in einen Dialog einzutreten, der festgefahrene Strukturen in der Kommunikation, in der gegenseitigen Wahrnehmung und in den gefassten Meinungen über den jeweils anderen „aufweicht“.
Da macht es tatsächlich keinen Sinn, selbst mit einer gefassten Meinung einzusteigen. Würden wir aber auf die Sichtweise der Anordnerin bzw. des Anordners verzichten, würden uns relevante Informationen fehlen und wir würden keine Ankerpunkte haben, könnten den Rahmen der Beratung nicht bestimmen. Unsere Aufgabe ist es ja auch, den Dialog zwischen den Eltern und den Kindern mit der Anordnerin bzw. dem Anordner vorzubereiten. Denn der Abschluss der Beratung besteht darin, dem Gericht oder dem Allgemeinen Sozialdienst eine veränderte Situation, eine einvernehmliche Lösung zurückzubringen. Und diese wiederum soll von den Eltern und/oder Kindern authentisch und glaubwürdig vorgetragen werden können.
Mit der Anordnerin bzw. dem Anordner und der Familie wird beim Erstkontakt die Rahmenvereinbarung geschlossen: an welchen Stellen Kontakt aufgenommen wird, wer mitspricht, wie alle kooperieren, ob es eine Hierarchie der Verabredungen gibt, wer bei Abbruch der Beratung informiert wird, wie der Abschluss der Beratung aussieht, ob es einen mündlichen Bericht gibt etc.
Es wird festgelegt, wer Berater(in) für die Eltern und wer Berater(in) für das Kind bzw. die Kinder ist. Allen Beteiligten wird erklärt, dass eine Beteiligung der Kinder nicht in einer punktuellen Befragung besteht, sondern darin, dass ihnen Zeit und Raum gegeben werden muss, sich eine Meinung zu bilden. Denn gerade bei Kindeswohlgefährdung und bei strittigen Trennungsprozessen stehen die Bedürfnisse, das Wohlergehen und die Meinung und Haltung der Kinder nicht im Zentrum der elterlichen Aufmerksamkeit. Vielmehr werden diese verzerrt wahrgenommen bzw. manchmal sogar – begleitet von Drohungen – unterbunden. Und so sind die Kinder nicht ausreichend gestützt, sich selbst zu vertreten und einzubringen. Für die Berater(innen) der Kinder kommt es daher darauf an, den Kindern mit Geduld und Einfühlungsvermögen zur Seite zu stehen. Sie können nicht ohne Mandat und meines Erachtens auch nicht ohne Beteiligung des Kindes mit den Eltern sprechen. Ihnen muss bewusst sein, dass eine einmalig vorgetragene Meinung noch nicht unbedingt die Meinung des Kindes ist. Sie kann auch „programmiert“ sein, es geht also um eine gefestigte Meinung. So gestalten wir bei der angeordneten Beratung zwei Beratungsprozesse aus, die zunächst voneinander getrennt sind.
Angeordnete Beratung mit den Eltern
Geht es in der Beratung der Kinder vor allem darum, ihnen zu helfen sich auszudrücken, sich zu zeigen und zu verstehen, was gerade mit dem eigenen Lebensweg geschieht, so hat die Beratung der Erwachsenen eigene Schwerpunkte und fachlichen Anforderungen. Gerade in der angeordneten Beratung spielen die Einstellung und Werte der Eltern eine große Rolle, die Frage, ob man an Veränderung glaubt, überhaupt Hoffnung hat, dass sich die Dinge zum besseren wenden können, und ob man überhaupt etwas bewirken kann.
Die Tiefe der Überzeugungen und die Verletzungen und Belastungen der Eltern in ihrer Lebensgeschichte, werden oft – gerade wenn Eltern Beratung und „dem Sprechen“ gegenüber ablehnend eingestellt sind – übersehen und übergangen. Auch wenn es richtig ist, sich auf das Machbare und den nächsten kleinen Schritt zu konzentrieren, ist es wichtig, im Dialog auch die übergreifende Fragen und Einstellungen aufzuwerfen. Man braucht aber auch beraterische Erfahrung und Standvermögen, um den Kontakt aufrechtzuerhalten und auch bei heftigen Konflikten vermitteln zu können.
Gleichzeitig richten wir unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf die Familie, sondern auch auf die angrenzenden familiären und sozialen Systeme und erforschen, wie die Beziehungen und Übergänge gesehen und wie sie ausgestaltet werden. Oft ist es den Eltern gerade bei Trennung und Scheidung gelungen, Freunde und Freundinnen, aber auch Erzieher(innen) und Lehrer(innen) für den eigenen Standpunkt und die eigene Sichtweise zu gewinnen und von ihnen wird nun das Zusammenwirken der Eltern nicht ausreichend unterstützt. Nicht selten hören wir auch von heftigen Konflikten in der Nachbarschaft. Ein runder Tisch, bei dem unter unserer Moderation alle Stimmen gehört werden und Zusammenarbeit oder zumindest Stillhalteabkommen vereinbart werden können, macht hier Sinn.
Zum Schluss
„Es macht möglicherweise einen Unterschied, ob man Zwang und Freiwilligkeit als einander ausschließende alternative Zustände betrachtet oder ob man Zwang als schützenden Zaun versteht, der Freiwilligkeit umgibt“, formulierte Karl Heinz Pleyer bereits 1996. So ist der „Dritte Stuhl“ oder der Zaun, also die Anordnung, immer wieder Thema. Innerhalb dieses Raumes aber haben wir die Chance Dialoge zu gestalten. Ob diese Dialoge hilfreich sind, das wissen wir weder bei der Aufnahme einer freiwillig in Anspruch genommene Beratung, noch bei einer angeordneten. Doch wenn es eine Chance dafür gibt, dann sollten wir diese vor allem im Interesse der Kinder ergreifen und somit etwas dafür tun, dass diese geschützt und sicher aufwachsen.
Anne Loschky ist Diplom-Psychologin und Familientherapeutin und Mitarbeiterin einer Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern in Bremen.
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
§ 156 Hinwirken auf Einvernehmen
(1) Das Gericht soll in Kindschaftssachen, die die elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung, den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Es weist auf Möglichkeiten der Beratung durch die Beratungsstellen und -dienste der Träger der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere zur Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung hin. Das Gericht soll in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit der Mediation oder der sonstigen außergerichtlichen Streitbeilegung hinweisen. Es kann anordnen, dass die Eltern an einer Beratung nach Satz 2 teilnehmen. Die Anordnung ist nicht selbständig anfechtbar und nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar.
(2) Erzielen die Beteiligten Einvernehmen über den Umgang oder die Herausgabe des Kindes, ist die einvernehmliche Regelung als Vergleich aufzunehmen, wenn das Gericht diese billigt (gerichtlich gebilligter Vergleich). Das Gericht billigt die Umgangsregelung, wenn sie dem Kindeswohl nicht widerspricht.
(3) Kann in Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, eine einvernehmliche Regelung im Termin nach § 155 Abs. 2 nicht erreicht werden, hat das Gericht mit den Beteiligten und dem Jugendamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erörtern. Wird die Teilnahme an einer Beratung oder eine schriftliche Begutachtung angeordnet, soll das Gericht in Kindschaftssachen, die das Umgangsrecht betreffen, den Umgang durch einstweilige Anordnung regeln oder ausschließen. Das Gericht soll das Kind vor dem Erlass einer einstweiligen Anordnung persönlich anhören.
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