24 Juni fK 1/10 Editorial
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
Etwa zehn Prozent aller Neugeborenen kommen zu früh, das heißt vor der 37. Schwangerschaftswoche, zur Welt. Rund ein bis zwei Pro-zent werden vor der 32. Schwangerschaftswoche und damit zwei Monate und mehr zu früh geboren. In Deutschland betrifft dies insge-samt etwa 60.000 Kinder pro Jahr, Tendenz leicht steigend. Diese Kinder haben ein hohes Risiko für spätere Entwicklungsstörungen, die von schwerer Behinderung bis hin zu Aufmerksamkeitsstörungen und Teilleistungsschwächen reichen. Hinzu kommt eine besondere Anfäl-ligkeit für Folgeprobleme, wie zum Beispiel erhöhte Infektanfälligkeit und Erkrankungen der Atemwege.
Die Gründe und auslösenden Faktoren für eine Frühgeburt sind viel-fältig und nicht immer eindeutig zuzuordnen. Organische Ursachen wie Erkrankungen der Gebärmutter oder Infektionen – die selbst psy-chosozial mitbedingt sein können – spielen ebenso eine Rolle wie ungesunde Lebensweisen (Rauchen) oder seelische Belastungen. Eine weitere Ursache sind vermehrte Mehrlingssschwangerschaften als Folge zunehmender reproduktionsmedizinischer Aktivitäten.
Frühgeborene sind nicht nur für das medizinische Personal eine große Herausforderung, sondern ebenso für die Eltern. So wie dem Kind eine wichtige Zeit der Vorbereitung auf die Geburt fehlt, werden auch die Eltern vorzeitig mit ihrer neuen Rolle konfrontiert. Aufgrund der notwendigen intensivmedizinischen Betreuung des Kindes sind Kör-perkontakt und Bindungsaufbau erschwert bzw. erst verzögert mög-lich. Hinzu kommen häufig Schuldgefühle vor allem bei Müttern, ihrem Kind nicht ausreichend Reifezeit geboten zu haben.
In dieser Situation benötigt die gesamte Familie umfassende Hilfen, die gleichermaßen auf das Kind, die Eltern und auf die Beziehung zwischen Mutter, Vater und Kind zielen. Medizinische und psychoso-ziale Unterstützung müssen dabei Hand in Hand gehen. Der internati-onale Vergleich zeigt, dass diese Hilfe am besten in Perinatalzentren mit integrierter Nachsorge gelingt, die Erfahrungen bündeln und inter-disziplinär ausgerichtet sind. Familienzentrierte Neonatologie und Rooming-in auch für kranke Neugeborene lauten die Stichworte, die hierbei für die seelische Gesundheit von großer Bedeutung sind.
Sämtliche medizinischen Errungenschaften können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht in jedem Fall gelingt, ein un-reifes Kind ins Leben zu begleiten. Manche Kinder sterben vor oder bald nach ihrer Geburt. Bisher besteht erst bei Kindern mit einem Geburtsgewicht ab 500 Gramm die Möglichkeit der amtlichen Regist-rierung. Eine von Eltern gegründete Initiative fordert nun den Gesetz-geber auf, diese Grenze aufzuheben, um alle geborenen Kinder in das Personenstandsregister eintragen zu können. Damit verbunden wäre das Recht der Eltern, ihr verstorbenes Kind in einem eigenen Grab bestatten zu lassen, um auf diese Weise den Trauerprozess zu erleichtern. Es bleibt zu wünschen, dass diese Initiative politisches Gehör findet und Erfolg hat.
Mit herzlichen Grüßen
Prof. Dr. Franz Resch, Präsident der Deutschen Liga für das Kind
Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind
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