23 Jul fK 2/07 Kinderrechte aktuell
Kinderrechte aktuell
Kinderrechte ins Grundgesetz
In jüngster Zeit wird diskutiert, die Rechte von Kindern ausdrücklich verfassungsrechtlich zu verankern. Nachdem im August 2006 die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, und der Bundespräsident a.D. und ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Roman Herzog, eine Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz befürwortet haben, fand am 20. November 2006 eine Öffentliche Anhörung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages „Kinderrechte in die Verfassung“ statt. Die dort versammelten Expter(inn)en sprachen sich fast einmütig für die Aufnahme der Rechte von Kindern in die Verfassung aus. Im Zuge dieser Diskussion hat sich die National Coalition (NC) für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention erneut mit dem Thema befasst. Nachfolgend dokumentieren wir Auszüge einer entsprechenden Positionierung der NC vom 11.4.2007.
Positionierung der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention zur Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung
Die National Coalition (NC) für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) in Deutschland ist ein bundesweiter Zusammenschluss von mehr als 100 Organisationen unter Rechtsträgerschaft der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ). Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um eine bessere Förderung und Umsetzung der Kinderrechte spricht sich die NC erneut nachdrücklich für die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz aus.
Grundgesetzergänzung als Staatenverpflichtung
Seit dem 5. April 1992 ist die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 geltendes Recht in Deutschland. Gemäß Artikel 4 der Konvention hat Deutschland als Vertragsstaat die Verpflichtung übernommen, „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte“ zu treffen. Zu den in diesem Sinne geeigneten und notwendigen Maßnahmen zählt auch die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz. Entsprechend hat der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes – wie schon nach dem Ersten Staatenbericht Deutschlands – in seinen Abschließenden Beobachtungen (Concluding Observations) zum Zweiten Staatenbericht gemäß Artikel 44 der UN-Kinderrechtskonvention die Bundesregierung am 30.1.2004 erneut aufgefordert (Ziffer 10), die Aufnahme der Rechte des Kindes nach der UN-Kinderrechtskonvention in das Grundgesetz vorzunehmen.
Vorgaben des Europarechts
Was die UN-Kinderrechtskonvention als völkerrechtliche Vorgabe formuliert, hat bereits Eingang in das europäische Recht gefunden. Mit Zustimmung Deutschlands sind die Kinderrechte ausdrücklich in die am 7.12.2000 verabschiedete Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufgenommen worden. (…)
Deutschland steht somit in der Verantwortung, die in der EU-Grundrechte-Charta niedergelegten Grundrechte des Kindes aktiv umzusetzen. Der aus der UN-Kinderrechtskonvention dort ausdrücklich aufgenommene Vorrang des Kindeswohls bietet eine zusätzliche Begründung für eine Ergänzung des Grundgesetzes.
Kind als Rechtssubjekt und Vorrang des Kindeswohls
Die Präambel der UN-Kinderrechtskonvention betrachtet Kinder als gleichwertige und gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft mit der allen Menschen innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte. Aufgrund der Entwicklungstatsache wird Kindern zugleich ein Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung zuerkannt. Damit zielt die Konvention auf ein Bild des Kindes, dem die grundsätzliche Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit mit eigener Würde und dem Anspruch auf Anerkennung seiner Individualität zugrunde liegt. Die Konvention erkennt damit eine Subjektstellung des Kindes an. Als Kind bezeichnet die Konvention (Artikel 1) jeden jungen Menschen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.
In der Subjektstellung des Kindes ist veranlagt, dass die Unverwechselbarkeit jedes jungen Menschen zu achten und ein eigenständiges Recht zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu gewährleisten ist. Dabei ist zu ergänzen, dass dies für den heranwachsenden Menschen als sich entwickelndes Wesen ein Recht auf Entwicklung bedeutet, das zunehmende Verantwortung für sich selbst einschließt, wie es auch in Artikel 6 Absatz 2 der UN-Kinderrechtskonvention geregelt ist. Das in Artikel 12 Absatz 1 UN-Kinderrechtskonvention kodifizierte Recht, sich in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten zu äußern und seine Meinung dem Alter und seiner Reife entsprechend berücksichtigt zu finden, ist der unverzichtbare Ausdruck dieser grundlegenden Rechtsstellung als Subjekt .Diese die Würde des Kindes als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft widerspiegelnden Rechte stützt die UN-Kinderrechtskonvention durch zahlreiche Einzelregelungen zum Schutz, zur Förderung und zur Sicherstellung der Partizipation in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten ab.
Die Subjektstellung des Kindes wird durch Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention mit einem besonderen Vorrang ausgestattet. Artikel 3 (Wohl des Kindes) der UN-Kinderrechtskonvention lautet:
„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. (…)“
Bei diesem bereichsunabhängig formulierten Vorrang des Kindeswohls (best interest of the child) handelt es sich um unmittelbar anzuwendendes (self executing) Völkerrecht. Die UN-Kinderrechtskonvention sichert auf diese Weise die Rechte des Kindes im Widerstreit mit anderen Interessen durch ein zwingendes Abwägungsgebot verfahrensrechtlich ab. Die Verpflichtung für alle staatliche Gewalt, bei allen kinderrelevanten Entscheidungen die Interessen des Kindes vorrangig zu berücksichtigen, kommt einer Staatszielbestimmung gleich, im Gesamtbereich staatlichen Handelns für kindgerechte Lebensbedingungen Sorge zu tragen.
Kernelemente einer Grundgesetzergänzung
Entsprechend der Vorgaben aus dem internationalen (UN-Kinderrechtskonvention) und europäischen Recht (EU-Grundrechte-Charta) sollte die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz die folgenden Kernelemente umfassen:
(1) Das Recht des Kindes auf Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit;
(2) Das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung, Artikel 6 Absatz 2 UN-KRK;
(3) Das Recht des Kindes auf Schutz (u.a. vor Gewalt, Artikel 19 UN-KRK), Förderung (u.a. auf Bildung, Artikel 28 UN-KRK, bestmögliche Gesundheit, Artikel 24 UN-KRK und auf einen angemessenen Lebensstandard, Artikel 27 UN-KRK) und Beteiligung (u.a. Berücksichtigung der Meinung des Kindes entsprechend Alter und Reifegrad, Artikel 12 UN-KRK);
(4) Der Vorrang des Kindeswohls bei allen Kinder betreffenden Entscheidungen, Artikel 3 UN-KRK;
(5) Die Verpflichtung des Staates, für kindgerechte Lebensbedingungen Sorge zu tragen, Artikel 4 UN-KRK.
Die verfassungsrechtliche Stellung des Kindes nach dem Grundgesetz
Aus den Vorgaben des übernationalen Rechts ergibt sich ein Gebot der Rechtsangleichung, soweit das nationale Recht dahinter zurück bleibt. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zwar rechtsgrundsätzlich anerkannt, dass das Kind „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Artikel 1 Absatz 1 und 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) ist“ (BVerfGE 24, 119 (144)). Auch das (unmündige) Kind ist Grundrechtsträger. Das Grundgesetz selbst bringt dies aber nicht unmittelbar zum Ausdruck. Kinder werden in dem grundlegenden Artikel 6 GG im Zusammenhang mit dem elterlichen Erziehungsrecht genannt, wonach „Pflege und Erziehung der Kinder (…) das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht“ sind. Die Subjektstellung des Kindes, das heißt die Anerkennung des Kindes als eigenständige Persönlichkeit, wird dabei aber nicht deutlich. (…)
Die Subjektstellung des Kindes lässt sich daher nach dem Grundgesetz zwar durch Auslegung umschreiben. Angesichts der rechtlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit bedarf es aber unbedingter Klarstellung, auch soweit dies den objektiven Gehalt der Verfassung nicht verändert, sondern „nur“ deklaratorisch wirkt. Eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung von Kinderrechten würde zur Folge haben, dass die Elternverantwortung bewusster an den Rechten des Kindes – seiner Subjektstellung und seinen Rechten auf Schutz, Förderung und Beteiligung – ausgerichtet wird. Dadurch würden die Interessen des Kindes in der Praxis ein höheres Maß an Anerkennung finden als dies bisher der Fall ist. So ist nach der geltenden Rechtslage (Artikel 6 Absatz 3 GG) die Grenze für die Notwendigkeit des Staates, in das Elternrecht einzugreifen, sehr weit gezogen und setzt erst dann ein, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Das Kindeswohl kann jedoch sehr viel früher berührt sein, ohne dass es zu einer direkten Gefährdung des Kindes kommt. Würden eigene Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen, würde sich bei der verfassungsrechtlichen Abwägung zwischen der Elternstellung und der Stellung der Kinder eine Veränderung der Gewichtung ergeben, mit der Folge, dass das Elternrecht nicht mehr in einer Weise wie derzeit die Belange und Interessen der Kinder dominieren könnte. (…)
Kinderrechte und Elternrechte
Bedenken gegen eine Verfassungsänderung werden bekanntlich unter dem Gesichtspunkt geäußert, vermehrte Kinderrechte könnten das verfassungsmäßig garantierte Elternrecht aushöhlen. Dabei werden jedoch das elterliche Abwehrrecht gegen die Einmischung des Staates und Grundrechte des Kindes unzulässig gegeneinander ausgespielt. Es bedarf einer Unterscheidung des elterlichen Abwehrrechtes gegenüber dem Staat einerseits und des so genannten Pflicht-Rechtes – der Elternverantwortung – gegenüber dem Kind andererseits.
Richtig ist, dass die Aufsicht des Staates kraft des Wächteramtes nach Artikel 6 GG der Verwirklichung der Rechte des Kindes in besonderer Weise verpflichtet ist und damit Eingriffe in das Erziehungsverhalten der Eltern verbunden sein können. Auszurichten ist dies am Wohl des Kindes. Dies ist jedoch bei der Ausübung der Elternverantwortung der ebenfalls verbindliche Bezugspunkt. Auch die Elternverantwortung hat sich am Wohl des Kindes auszurichten. Daher haben elterliche Verantwortung und staatliches Wächteramt dieselbe Zielrichtung: die Verwirklichung der Rechte des Kindes als Ausdruck des Kindeswohls. Eltern und staatliche Gemeinschaft sind gleichermaßen verpflichtet, das Kindeswohl zu verwirklichen. (…) Die gebotene Verfassungsergänzung durch Rechte des Kindes ist daher grundsätzlich ungeeignet, das elterliche Erziehungsrecht zugunsten des Staates in Frage zu stellen. Aus den Garantien des Artikels 6 GG können daher Einwände gegen die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz nicht hergeleitet werden.
Zusammenfassung
Durch die ausdrückliche Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz kommt Deutschland als Vertragsstaat der UN-Kinderrechtskonvention einer Staatenverpflichtung nach und setzt Vorgaben der EU-Grundrechte-Charta in nationales Recht um. Ein solcher Schritt ist in besonderer Weise geeignet, das allgemeine Bewusstsein für die Rechte von Kindern zu stärken und die Position des Kindes sowohl gegenüber dem Staat als auch im Konfliktfall gegenüber den eigenen Eltern zu verbessern. Die Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung würde die elterliche Verantwortung dafür stärken, die Rechte des Kindes tatsächlich zur Geltung zu bringen und die Berücksichtigung von Kindesinteressen im politischen Raum fördern. Nicht zuletzt würde Deutschland durch die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz international dokumentieren, welchen hohen Rang auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht die Gesellschaft hierzulande dem Wohl und den Rechten der Kinder beimisst.
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