fK 6/09 Haug-Schnabel

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Alltag, Bildung und Förderung in der Krippe

von Gabriele Haug-Schnabel

Im Alltag – in seinen ihn prägenden Handlungen, typischen Abläufen und wiederkehrenden Gestaltungsstrukturen – zeigt sich die Qualität eines Krippenangebots, die beim Kind „ankommt“. Im Alltag muss Raum und Zeit für beglückende Beziehungs- und Ich-kann-Erfahrungen, Hier-gehöre-ich-dazu-Erlebnisse ebenso wie für Warum-ist-das-so-Fragen und deren selbst gewählte Beantwortungswege sein.

Kleinstkinder können nur dadurch Erfahrungen machen, dass sie immer wieder ihre angeborenen Strategien zum Erfahrungserwerb einsetzen können, um durch Erkunden, Spielen, Nachahmen und phantasievolles Gestalten Neues zu entdecken. Dieses werden sie im Abgleich mit bereits vorhandenem Wissen und durch mit Bezugspersonen und anderen Kindern geteilte Erlebnisse zu Erfahrungsmustern strukturieren.

Im Alltag lockt alles, aber nur, wenn sich ein Kind sicher fühlt und nicht Verlassenheitsangst jeden Erkundungsdrang bremst. Erfahrungen sammelt man nicht dadurch, dass man nur zuschauen darf, was von zur Bildungsstunde zusammengeholten Kindern am Forschertisch auf vorgegebene Fragen hin erforscht wird.

Erfahrungen entstehen mitten beim Handeln, sie sind in bestimmten Situationen verankert und brauchen Echt-Leben-Bezug. Sie werden emotional bewertet, indem das Kind bestätigt, überrascht oder irritiert wird. Außerdem sind sie in soziale Zusammenhänge eingebettet, innerhalb derer das Kind feststellt, wie es einer Sache allein, gemeinsam, im Wettstreit oder mit Unterstützung anderer auf die Spur kommt (Schäfer 2008).

Alltagsqualität
Wie muss der Alltag in Krippe und Kindergarten gestaltet sein, damit Ein- und Zweijährige die Voraussetzungen vorfinden, die sie für ihr Wohlbefinden und altersgemäße Welteroberung brauchen? Jeder Tag sollte
– Zugewandtheit, verlässliche Beantwortung, Voraussagbarkeit und Zutrauen der Erzieher(innen) bereit halten;
– mit Wohlgefühl, Fröhlichkeit, voll Bewegungsfreude und Erkundungslust ablaufen;
– die Beobachtung von anderen Kindern und vielfältige Aktionen mit ihnen möglich machen;
– Lernbegeisterung erfahren lassen, indem durch eine gerade gefundene Antwort auf eine sich selbst gestellte Frage bereits eine neue Frage geboren wird;
– eigene Fortschritte spüren und Selbstwirksamkeit erleben lassen: nicht mit mir passiert etwas, sondern durch mich, ich bewirke etwas, ich kann Einfluss nehmen.

Mit seiner Bezugserzieherin eine individuelle, nicht austauschbare Zuneigung zu erleben, lässt beim Kind Zuversicht in erneute Glücksmomente zu, senkt die Schwelle für Kontaktaufnahmeversuche mit Kindern und erhöht die Bereitschaft für aktive Beteiligung am Gruppengeschehen und für kindliche Reaktionen mit hoher Compliance. Die mit Erwachsenen erlebte Beziehungsqualität bereitet die Bühne für die so wichtigen Gleichaltrigen-Kontakte. Bindungssicherheit erlaubt eine aktive Teilnahme an der Kinderwelt, an Aktionen mit gleichaltrigen, jüngeren und älteren Kindern (Wüstenberg & Schneider 2008, Wüstenberg 2009a).

Für die Lebensqualität, die ein Krippenalltag bietet, ist das Verhalten der erwachsenen Bezugsperson, besonders ihre Feinfühligkeit, ihr differenzierter Blick für kindspezifische Bedürfnisse und individuelle Bemühungen, ausschlaggebend. Ein Beispiel aus aktuellen Verhaltensbeobachtungen zur Notwendigkeit eines differenzierten Blicks für individuelle Bedürfnisse:

Übliche Trostrituale, die bei Kindergartenkindern eine Hilfe bei der Affektregulation darstellen, wie z. B. „Komm auf meinen Arm, auf meinen Schoß, dann wird alles wieder gut“ oder „Heile, heile Gänschen“ funktionieren in der Krippe oft nicht. Überraschend viele Kinder lassen sich während der Eingewöhnung und auch noch während des nachfolgenden Betreuungsstarts beim Abschied der Eltern nicht durch nahen Körperkontakt von der neuen Bezugsperson trösten. Das kann sowohl für Kinder gelten, deren Eltern in ihrer körperlichen Art sehr präsent und wirkungsvoll sind, aber sicher auch für Kinder, die Körperkontakt nicht kennen, zumindest nicht als etwas beruhigend Angenehmes.

Für alle Kinder gilt, dass Trösten in diesem Alter noch nicht ritualisiert ablaufen kann, sondern nur ein individualisiertes Trostangebot hilft, über dessen Ablauf die Eltern am meisten Bescheid wissen und informieren können. Das ist auch verständlich, denn Trostformeln wie „Heile, heile Gänschen, wird bald wieder gut“ brauchen für einen Erfolg beim Kind entsprechende Vorerfahrungen seinerseits. Erst nach mehrmals gut ausgegangenem Schreckerlebnis kann dieser Satz im Wiederholungsfall wieder trösten. Allein durch die Erinnerung an das schon mal „Wiedergutwerden“ wird ein soeben erlebter Schmerz oder Schreck erneut als bewältigbar eingestuft, was zur Beruhigung beiträgt.

Genauso braucht es einen offenen, verständnisvollen Blick für kindliche Bemühungen, sich Zusammenhänge verständlich zu machen und diese kontextübergreifend zu überprüfen. Immer wieder ist zu beobachten, dass sich Kinder – je nach momentanem Thema – Lernumgebungen aussuchen, die möglichst viel Anregung für weitere wichtige Informationen bieten.

Ein Kurzprotokoll macht deutlich, dass das momentane Arbeitsthema von Julia (zwei Jahre, vier Monate) zum Schema „etwas einwickeln“ gehört:
Im Puppenbereich: Julia wickelt die Puppe in ein Handtuch.
Im Gruppenraum: Julia wickelt die Puppe in den Vorhang des Puppentheaters.
Am Esstisch: Julia wickelt Besteck in eine Serviette.
Im Atelier: Julia wickelt einen Pinsel in ein Wischtuch.
In der Garderobe: Julia wickelt die Puppe in einen Schal und merkt, dass dieser zu klein ist, die Puppe ganz zu bedecken.
Am Esstisch: Julia wickelt die Puppe und den zu kleinen Schal in eine größere Serviette.
Im Atelier: Julia wickelt ihre Hand in Seidenpapier.
In der Leseecke: Julia versucht erst eine, dann beide Hände der Erzieherin um ihre Hand zu „wickeln“.

Neben einer deutlichen Handlungsabsicht fallen bei dieser Beschreibung über einige Aktivitäten von Julia an einem Tag die vielen Ortswechsel auf, die oft mangels genauer Aufmerksamkeit zur Aussage verleiten, Zweijährige seien überall und nirgends. Bei systematischer Beobachtung zeigt sich, dass dies eine für „Toddler“ (Ein- und Zweijährige) typische motorische Rastlosigkeit ist, die ihren Sinn hat: Der rote Faden des zur Überprüfung anstehenden Erfahrungsmusters wird in allen Aktionen sichtbar. Was kann man in was einwickeln? „Etwas einwickeln“ ist bekanntermaßen ein universell im Kinderspiel zu findendes Schema zur Selbstbildung. Julia macht bewusste Ortswechsel, beabsichtigte Objektwechsel und gezielte Personenwechsel, um an verschiedenen Stellen mit unterschiedlichen Objekten und wechselnden Interaktionspartnern Erfahrungsvergleiche durchzuführen, um Zusammenhänge zu durchschauen und zu verstehen. Sie arbeitet altersentsprechend am mathematischen Verhältnis von Volumen zu Umfang.

Kleinkinder sind „Bildungsnomaden“: Ein- und Zweijährige wechseln mit ihren Gedankenschäfchen immer wieder die Weide, wenn der alte Platz bereits „abgegrast“ scheint, um ihnen neue Gräser und Kräuter zur Sinnesnahrung bieten zu können.

Die klassische Einteilung des Tagesablaufs greift nicht mehr!
Freispiel, Frühstück, Angebot 1 und Angebot 2, Stuhlkreis und raus in den Garten (halbtags); Mittagessen, Mittagsschlaf, Obst, Freispiel und raus in den Garten (ganztags): Kinder unter drei Jahren sprengen diese Einteilung, nicht weil sie nicht genügend anpassungsfähig sind, sondern weil ihre vitalen Bedürfnisse sie noch besonders deutlich die künstlichen Grenzziehungen, zeitlicher wie inhaltlicher Art, dieser Angebotspädagogik spüren und darauf reagieren lassen.

Das muss so sein, weil es nicht um inszenierte Wissensvermittlung, nicht um das Abarbeiten längerfristig vorbereiteter Angebote – einem festen Plan folgend – geht, sondern um den mit professioneller Zurückhaltung aber höchster Aufmerksamkeit zu begleitenden Karrierestart eines Welterkunders.

Da es auch in der Krippe eine Altersmischung und somit altersspezifische Aktivitäten sowie individuelle Interessen gibt, die in der Gruppenbetreuung beantwortet werden müssen, braucht es Professionalität und intelligente Konzepte wie die Binnendifferenzierung (Wüstenberg 2009): Es beginnt mit Raumeinteilungen in Form von leicht abgegrenzten Funktionsbereichen, die unterschiedliche Tätigkeiten und Materialerfahrungen zulassen, die die Kinder bald von selbst aufsuchen. Es handelt sich z. B. um geschaffene Areale für „Tätigkeiten wie elementare Spiele mit Wasser, Sand und Naturmaterialien, Konstruktionsspiele, Bewegungsaktivitäten, Rollenspiele, Rückzugs- und Ausruhbedürfnisse“ (Wüstenberg 2009, S.11).

Spontane Gruppenzusammensetzungen werden möglich, z. B. eine Kleingruppe von zwei bis vier Kindern, die allein oder mit einer Erzieherin mal alters-, mal geschlechts- oder themen-homogene Erfahrungen machen. Um kindorientierte Binnendifferenzierungen vornehmen zu können, sind regelmäßige Beobachtungen und Teamreflexionen der Gruppensituation und Gruppendynamik nötig, die Arbeitsteilungen, situationsbezogene Absprachen und von den Kinderinteressen geleitete (Material-)Angebote nach sich ziehen“ (ebd.).

Auf diesem Wege werden auch intensive Eins-zu-eins-Kontakte möglich, die zugewandtes Eingehen auf ein einzelnes Kind erlauben, z. B. zur Beziehungsstärkung, zur Sprachförderung, zur Sicherung eines vertieften Spiels, eines spezialisierten Erkundungsdrangs oder zur Förderung eines Begabungs- oder Interessensschwerpunkts. So werden die für Altersmischungen nötigen parallelen Tagesabläufe zur Sicherung individueller Entwicklungsbegleitung mit einer sich immer wieder leicht aufspaltenden und wieder zusammengehenden Angebotsstruktur möglich, die jeweils an den unterschiedlichen Rhythmen der einzelnen Kinder und den Bedürfnissen der verschiedenen Altersgruppen orientiert ist (Haug-Schnabel 2009a).

Das neue Bildungsverständnis
Werden aus Macherinnen „Möglichmacherinnen“ (Glöckner-Hertle 2009), aus knappen Routine-Hygienehandlungen individuell gestaltbare Kommunikationszeiten und Beziehungsangebote, aus Bildungsprozessen Beziehungsprozesse mit Möglichkeiten zur Selbstbeteiligung der Kinder am sozialen Leben und an unserer Kultur (Schäfer 2008), werden aus pädagogischen Funktionsträgern lebendige Kontakt- und Erlebnispersonen für die Kinder (Kazemi-Veisari 1995), dann spricht man von einer erfolgreichen pädagogischen Bildungsarbeit.

Im Fokus frühkindlicher Pädagogik steht die vom Kind aktiv betriebene Auseinandersetzung mit seinen Erfahrungen im Hier und Jetzt. Frühkindliche Bildungsmaßnahmen zielen nicht darauf ab, die Zukunft der Kinder vorzugeben, sondern sie mit ihnen gemeinsam zu gestalten. Ein Paradigmenwechsel, der sich noch in den Bildungs- und Orientierungsplänen der Länder niederschlagen muss.

Das heißt, ein Kind stellt Fragen an die Welt und versucht, durch sein selbst organisiertes Tun Antworten zu finden. Es wird von sich aus aktiv und scannt die Umgebung nach Gegenständen, die möglichst vielfältig zu manipulieren und deshalb besonders informativ sind. Oder es versucht, durch vielfältiges Wiederholen und Variieren Zusammenhänge sowie Ursache und Wirkung zu erkennen. Ein Kind sucht sogar eigeninitiativ nach Umgebungen, die seinen Neigungen, Interessen und Fähigkeiten nahe kommen, die „passen“, weil es hier mit Recht am meisten „Erfahrungsbeute“ erwartet: Neues zum Staunen, Bestätigendes, um immer mehr differenzierter zu verstehen. Und dann muss darüber gesprochen, gemeinsam an einer Antwort gebastelt werden.

Die Krippen auf dem Weg von der Betreuungs- zur Bildungseinrichtung – was heißt das für die Kinder und ihre pädagogischen Fachkräfte? (1) Es gibt für Kinder keine Bildung ohne persönliche Bindungen, ohne engagierte Anteilnahme. Wer Bildung will, muss sich auf Bindungen einlassen. Die Feinfühligkeit gegenüber den Bedürfnissen des Kindes ist ausschlaggebend (Grossmann & Grossmann 2008). (2) Es öffnet sich nicht täglich um 11 Uhr ein Bildungsfenster! Lernen findet nicht nur in Angebotszeiten, im Forscherzimmer nach festem Plan, sondern täglich, dauernd, überall statt!

Was muss in einem Kleinstkind vorgehen, das mit anderen zusammen an einen Stundenplan gebunden zum Lernen an einen bestimmten Ort zusammengerufen wird, um über vorgegebene Fragen auf vorbereitete Weise nachzudenken? Vielleicht: „Haben hier alle Angst um meine Bildung? Warum sonst würden sie mir die Wirklichkeit extra in künstliche, didaktische Häppchen aufbereiten und servieren (Kazemi-Veisari 1995) und mir echte, auch ungeordnete Erfahrungen vorenthalten? Warum darf nicht jeder Tag für mich spannend sein und Neues bringen, indem ich aktiv daran beteiligt bin, Themen aus meinem direkten Lebensumfeld zu erschließen?“

Die Krippe ist kein Kindergarten für die Kleinsten
Die Unterdreijährigen passen nicht, werden aber passend gemacht, trotz anderer Bedürfnisse und einer anderen Art der Welteroberung. Beziehungs- und Bildungsgeschehen sind in diesem Alter noch untrennbar verbunden. Viele exklusive Kontakte mit der Bezugserzieherin oder in der Kleingruppe sind wichtig.

Die Kindergartenpädagogik für die Kleinen „runterzubrechen“, ist keine Lösung für die Krippe: Dicke Stifte statt dünner Stifte? NEIN! Fingerfarben, Schaum- und Pfützenmalen. Kleine Stühle statt großer Stühle? NEIN! Hocker, Kisten, Höhlen. Arbeiten an niedrigen Tischen? NEIN! Auf dem Boden, im Wald, im Baumhaus.

Wie fördern?
Kinder sind auf der Suche nach Bekanntem und nach Neuem, nach Bestätigung und Innovation – eine höchst erfolgreiche Strategie zur Wissensvermehrung, die nur die Voraussetzungen „Gelegenheit“ und „Ermutigung“ braucht. Es geht um eigenaktive Beteiligung an Bildungssituationen jedweder Art.
Aktive Beteiligung wird durch zugewandte Beziehungsangebote, liebevolle Pflege, achtsame Begleitung und emotionalen Halt möglich. Eine feinfühlige, responsive Entwicklungsbegleitung ist besonders dann wichtig, wenn das Kind im Gruppengeschehen mit Unerwartetem und Unverständlichem konfrontiert wird. Bei Irritation darf es nicht allein gelassen werden. Alles kommt in Gefahr, wenn die Feinfühligkeit zwischen Erzieherin und Kleinstkind aufs Spiel gesetzt wird, wenn die jeweiligen Bedürfnislagen der einzelnen Kinder nicht mehr richtig eingeschätzt und beantworten werden können, wenn kindliche Notsignale ungehört bleiben und Appelle nach Regulationshilfe ins Leere laufen (Ahnert 2004).

Möglichmachen bedeutet Förderung, denn Krippenkinder sind aktive, autonome und kompetente Wesen und das müssen sie selbst spüren. Zum Beispiel: In Bildungstagebüchern oder Portfolios werden der individuelle Lern- und Entwicklungsweg und die „Schöpfungen“ eines Kindes dokumentiert, um dem Kind seine Entwicklungsforschritte, seine besonderen Fähigkeiten und seine Spur, die es in der Einrichtung hinterlassen hat, als Erfolg vor Augen zu führen (Bensel & Haug-Schnabel 2009).

Es geht beim Fördern darum, möglichst viele Erfahrungen selbst machen und bislang nicht Erfahrenes erfahrbar machen zu lassen. Der Erwachsene öffnet eine Tür, damit das Kind von selbst hindurch gehen kann (Haug-Schnabel & Schmid-Steinbrunner 2002). Jedes Kind muss sich selbstwirksam und als Ursache von Wirkungen erleben, um einen Sinn darin zu sehen, sich auch weiter anzustrengen und an seinen Erfolg zu glauben (Ahnert & Gappa 2008).

Endlich ist auch frühe Konfliktbegleitung ein Förderthema im Alltag geworden (Haug-Schnabel 2009b). Frühe Konfliktanlässe brauchen viel Beachtung, denn es wird schon vor dem zweiten Geburtstag um mehr Erfahrung, um mehr Wissen gekämpft. Geschützte Aktivitätsbereiche, nur möglich durch Binnendifferenzierung, lassen Konzentration zu und verringern Aggressionen und Stress. Simoni und Kolleginnen (2008) konnten nachweisen, dass Kleinstkinder darum kämpfen, (1) bei ihren Aktivität nicht unterbrochen oder gestört zu werden und (2) genau jene Gegenstände zu erobern, mit denen andere sich intensiv und sichtlich beglückend beschäftigen, nicht um sie zu „besitzen“, sondern um dadurch die Möglichkeit zu haben, gleiche Manipulationen durchzuführen und somit gleiche Erfahrungen zu machen. Simoni regt an, Aussagen wie „Lass sie, sie hat es zuerst gehabt“ durch eine andere Aussage zu ersetzen, z. B. „Stör sie nicht, lass sie bitte ihr Spiel fertig machen, dann bist du dran. Und ich pass auf, dass auch du dann deine Ruhe hast!“

Alltag, Bildung und Förderung stellen hohe Anforderungen:
– an die Haltung zum Kind und zu seinen Eltern, die Kinder haben und berufstätig sein wollen;
– an den Blick auf das Kind, der auf dessen psychologischer Bedürftigkeit aber gleichwertig auf dessen altersgemäße Fähigkeiten und Interessen gerichtet sein sollte, die bestimmte Voraussetzungen und jeweils entwicklungsadäquate Unterstützung brauchen;
– an das pädagogische Fachpersonal, das über eine positive emotionale Grundgestimmtheit, fundiertes Entwicklungswissen sowie über Spezialinteressen und -fähigkeiten für Kinder dieser Altersgruppe verfügen muss;
– an die Rahmenbedingungen wie z. B. die Fachkraft-Kind-Relation, die, je jünger die Kinder sind, umso mehr ein Prädiktor für positives Erzieherverhalten darstellt (Viernickel & Schwarz 2009a+b);
– an Ausbildung und Qualifikation des pädagogischen Fachpersonals, um professionelle Entwicklungsbegleitung zu gewährleisten, die selbstständig und aktiv werden lässt.

Eine Lerngeschichte für Lora-Li (zweieinhalb), aufgeschrieben von Marlies am 16.3.2009
Lora-Li, weißt du eigentlich, dass Du Dich schon mit Mathematik beschäftigst?
Immer wieder haben wir beobachtet, dass Du Stoffstücke aus der Stoffkiste der Größe nach ordnest. Einen Stoß große und einen Stoß kleine Stoffstücke legst Du neben dich. Groß und Klein interessieren Dich gerade.
Heute haben wir ein Moosgärtchen unter dem Kastanienbaum angelegt und Carla, Artur, Sela und Du haben die Moospolster mit den kleinen Gießkannen gegossen. Beim erneuten Auffüllen Deiner Kanne am Wasserhahn hast du beobachtet, wie Sandra mit einer großen Kanne die Geranien in den Blumenkästen am Fenster gießt. Sofort bist Du zum Gartenregal gegangen, hast Dir auch eine große Gießkanne geholt und sie neben dem Wasserhahn auf den Boden gestellt. Du hast mehrmals Deine kleine Kanne gefüllt und das Wasser in die große Gießkanne geleert. Mit einer Füllung von sieben (7) kleinen Kannen hast Du die große Gießkanne zum Moosgärtchen gezogen. Du und Carla haben dort gemeinsam aus der großen Kanne Wasser über das Moos gegossen.
Du hast begriffen, dass der Inhalt vieler kleiner Kannen in eine einzige große passt. Ich bin gespannt, welche Unterschiede Du als nächstes untersuchst.

Die vollständige Fassung einschließlich der Literaturangaben ist über die Geschäftsstelle erhältlich.

PD Dr. Gabriele Haug-Schnabel ist Verhaltensbiologin und Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen in Kandern.

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