fK 5/09 Daveri

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Sprachliche Bildung und Elternbildung im Elementarbereich

Die Förderprogramme Griffbereit und Rucksack KiTa

von Livia Daveri

Griffbereit und Rucksack KiTa sind Förderprogramme für die frühkindliche Bildung von Kindern aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte. Sie sind Programme der RAA (Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien) in Nordrhein-Westfalen. Ziele von Rucksack KiTa und Griffbereit sind die Förderung der Mehrsprachigkeit und die Stärkung der allgemeinen Entwicklung von Kindern aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte sowie eine koordinierte, systematische Zusammenarbeit zwischen Eltern und Bildungsinstitution. Griffbereit und Rucksack KiTa bieten Eltern und Erzieher(inne)n eine praktische und konkrete Orientierungshilfe für die Förderung der Kinder an.

Die Schullaufbahn vieler Kinder aus Zuwandererfamilien ist aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse in Deutsch oftmals beeinträchtigt. Für die Kinder ist es häufig schwer, die deutsche Sprache, aber teilweise auch die Muttersprache sicher zu erlernen, da ihnen in den ersten Lebensjahren oft Möglichkeiten des systematischen Spracherwerbs fehlen.

Griffbereit und Rucksack verstehen sprachliche Bildung als durchgängige gemeinsame Aufgabe der an der Erziehung und Bildung beteiligten Personen und Institutionen. Sprachliche Bildung ist ein wesentlicher Teil der Persönlichkeitsentwicklung und ein zentraler Bereich der frühen Bildung. Sie beginnt in der Familie und wird ergänzt und fortgeführt in Kindertageseinrichtungen und den nachfolgenden Bildungsinstitutionen. Die Eltern sind in allen Phasen der sprachlichen Bildung wichtig und in ihrer elterlichen Verantwortung von Anfang an gefordert. Dabei wird Mehrsprachigkeit der Kinder stets als Potenzial gesehen.

Kleinstkindforschung und Hirnforschung haben Erkenntnisse vermittelt, dass früh, aber nur kurzzeitig geöffnete Zeitfenster für das optimale Aufnehmen von Sprache(n) es angemessener erscheinen lassen, die pädagogischen Anstrengungen zu intensivieren und zwischen Familie und Bildungseinrichtung aufeinander auszurichten, um Kindern so früh wie möglich Sprache(n) zu vermitteln. Dieser Lernprozess ist nicht auf eine Sprache begrenzt. Die optimalen Lernphasen enden aber früh. Nach drei Jahren endet der erste Entwicklungsschub, der zweite geht bis zur Pubertät. Entscheidend für die Zukunft eines Kindes ist also, was es in den ersten Jahren erlebt, um daraus zu lernen. Verpasste Momente für den Spracherwerb lassen sich nur sehr schwer nachholen. Kinder brauchen also eine an Entwicklungsverläufen orientierte Gestaltung von Bildungs- und Lernmöglichkeiten. Sie benötigen für ihre Entwicklung Anregungen und Erwachsene, die sich um sie kümmern.

Griffbereit: Eltern lernen, wie man Kinder in Sprachspiele verwickeln kann
Griffbereit zielt auf die frühkindliche Erziehung im Alter von 1-3 Jahren ab und stellt eine wichtige Grundlage zum Erwerb von Sprachkompetenz dar.

Griffbereit wird zweisprachig eingesetzt, d. h. die Arbeit in der Gruppe erfolgt in der Muttersprache und in Deutsch. Das Programm richtet sich vorrangig an Familien mit Zuwanderungsgeschichte, bezieht aber auch deutschsprachige Kinder und ihre Eltern mit ein und beinhaltet somit die Chance der „gelebten Integration”. Dabei kann die Doppelsprachigkeit durch eine zweisprachige Person gewährleistet werden oder durch zwei Kursleiterinnen, die jeweils eine Sprache – Deutsch und eine weitere Muttersprache – durchgängig anbieten.

Mit Griffbereit werden Eltern als Experten für das Erlernen der Muttersprache und die allgemeine Förderung ihrer Kinder angesprochen. Im Programm Griffbereit lernen Eltern, wie sie ihre Kinder beiläufig und regelmäßig in entwicklungsfördernde Kommunikations- und Sprachspiele verwickeln können. Sie werden durch Anleitung und mithilfe von Arbeitsmaterial auf die Förderung ihrer Kinder vorbereitet und in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt. Die Griffbereitgruppe findet entweder in der Kindertageseinrichtung, die die Kinder besuchen (werden), oder in Familienbildungsstätten statt. So werden die Eltern frühzeitig mit den Bildungsinstitutionen vertraut gemacht, die die Entwicklung ihrer Kinder mit unterstützen sollen. Die vertiefende Förderung der Kinder erfolgt zu Hause und ist ganz auf die häusliche und lebensweltliche Situation abgestellt.

Die Durchführung des Programms ist für die Dauer von 64 Wochen möglich. Eine Griffbereitgruppe setzt sich im Idealfall aus sieben bis zehn Elternteilen mit ihren Kindern zusammen.

Das Programm Rucksack KiTa
Das Programm Rucksack KiTa geht die Förderung von Kindern im Elementarbereich mehrdimensional und systematisch an: Es berücksichtigt die Entwicklung der Kinder in Bezug auf ihre Lebenswelt und ihre Familie. Es hat ebenso das Bildungssystem „Kindertageseinrichtung“ und die in ihm Agierenden im Blick. Eltern und Erzieher(innen) werden Partner für die (Sprach)Förderung der Kinder.

Rucksack zielt auf die Förderung der Muttersprachenkompetenz, des Deutschen und der allgemeinen kindlichen Entwicklung ab. Dabei werden die Eltern als Experten für das Erlernen der Muttersprache angesprochen, nicht orientiert an ihren Defiziten, sondern an ihren Stärken. Durch Anleitung und mit Hilfe von Arbeitsmaterialien werden sie auf die Förderung der Muttersprache vorbereitet und u.a. in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt. Die Eltern treffen sich einmal in der Woche für zwei Stunden in der Kindertageseinrichtung und setzen gemeinsam Aktivitäten um, die sie in der Woche mit ihren Kindern zu Hause durchführen sollen. Während dieser Treffen lernen sie den Wert von Literatur, Bilderbüchern, Liedern, den Wert des Spielens und Malens sowie der Verbindung von Sprache und Handeln für die Entwicklung ihres Kindes in der alltäglichen Beschäftigung kennen. In der Regel nehmen am Programm Eltern mit geringen deutschen Sprachkenntnissen und/oder bildungsfernem Alltag teil. Mit der kontinuierlichen Vermittlung des Programms über eine längere Zeit wächst auch ihre muttersprachliche Kompetenz – ein Zuwachs, der sich unmittelbar auf die Sprachentwicklung ihrer Kinder auswirkt.

Die Anbindung an die Kindertagesstätte ist sehr wichtig und für die RAA eine Bedingung für die Weitergabe des Programms, denn hier soll die Förderung in der deutschen Sprache parallel zu der Arbeit der Eltern erfolgen. Die Kindertagesstätten verpflichten sich, das Programm der Eltern mit ihrem Konzept der Zweitsprachenvermittlung zu koordinieren. Die Erzieher(innen) integrieren möglichst parallel das Thema der Woche der Elterngruppe sprachlich in ihren Kindergartenalltag. Dafür steht ein Handbuch zur Verfügung, das konkrete Vorschläge für die Förderung von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) im Regelbetrieb oder in gesonderten Sprachfördergruppen beinhaltet.

Rucksack KiTa ist nicht nur ein Sprach- und Lernprogramm, sondern reflektiert soziokulturelle Themen aus den Erfahrungsfeldern der Familien mit Zuwanderungsgeschichte, Schule, Alltag, Freizeit, Feiertage, Feste und Religion. Die soziokulturell aufbereiteten Themenfelder sind gleichzeitig Anregung für die Kindertageseinrichtung, ihren Alltag interkulturell zu gestalten. Elternbegleiterinnen, Eltern und Erzieher(innen) sind im Projekt Lernende und Gebende zugleich.

Rucksack KiTa ist zeitlich zunächst auf neun Monate angelegt, kann aber auch weiter gefasst werden und später durch Rucksack Schule für Kinder in der Grundschule fortgeführt werden. Eine Rucksack KiTa-Gruppe setzt sich im Idealfall aus sieben bis zehn Elternteilen zusammen.

In der Praxis sind eine Reihe unterschiedlicher Anwendungsvarianten entwickelt worden, die es ermöglichen, auf die jeweiligen Bedürfnisse vor Ort genauer eingehen zu können. Zur Sicherung eines einheitlichen Qualitätsniveaus und für eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung ist ein Rucksack KiTa-Zertifizierungsverfahren entwickelt worden, das seit 2009 eingesetzt wird.

Griffbereit oder Rucksack-Elternbegleiterinnen können Mütter, die sowohl ihre Muttersprache als auch die deutsche Sprache gut beherrschen, oder Erzieher(innen)mit Zuwanderungsgeschichte werden, fürGriffbereit auch professionelles Personal der Familienbildungsstätte. Elternbegleiterinnen müssen für ihre Aufgabe qualifiziert, angeleitet und regelmäßig begleitet werden. Sie werden für ihre Tätigkeit honoriert.

Griffbereit und Rucksack KiTa wurden in Deutschlandvon der RAA implementiert und weiterentwickelt. Bundesweit werden zur Zeit 369 Rucksack Kita- und 76 Griffbereit-Gruppen durchgeführt.

Ziele von Griffbereit und Rucksack KiTa
(1) Förderung von Mehrsprachigkeit bei Kindern aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte: Wertschätzung und Förderung der Muttersprache sind grundlegende Merkmale beider Programme. Die Mehrsprachigkeit der Kinder ist im Prozess sprachlicher Bildung eine Chance, die es zu nutzen gilt. Mehrsprachigkeit ist eine Schlüsselqualifikation für soziale und berufliche Teilhabe in dieser Gesellschaft.
(2) Stärkung der Erziehungskompetenz: Die Eltern werden als Erziehungsexperten gestärkt und als unabdingbare Partner für Erziehung und Bildung ihrer Kinder anerkannt. (3) Stärkung des Selbstwertgefühls der zugewanderten Eltern und deren Kinder: Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der zugewanderten Eltern werden durch das eigene Lernen und die Übernahme von Aufgaben gestärkt. Das gestärkte Selbstbewusstsein der Eltern drückt sich in einer verantwortlichen Mitarbeit und in einem engagierten Austausch mit den Erzieher(innen) aus.
(4) Stärkung der Interkulturellen Pädagogik und des Mehrsprachenkonzepts der Einrichtung: Die Einrichtung übernimmt die Verantwortung für die Entwicklung und die Förderung der Kinder in Bezug auf ihre Mutter- und Zweitsprache. Sie entwickelt ein Konzept für die Zusammenarbeit mit Eltern, das Mehrsprachigkeit und Interkulturalität berücksichtigt. In diesem Rahmen öffnet sie sich für ein interkulturelles Team und die teilhabende Rolle der Eltern.

www.rucksack-griffbereit.raa.de

Livia Daveri ist Mitarbeiterin in der Hauptstelle Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) in Nordrhein-Westfalen.

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