fK 4/04 Kinderrechte aktuell

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Am 20. November 1989 wurde in der 44. Vollversammlung der Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte des Kindes einstimmig verabschiedet. Sie ist insofern einmalig, als sie die bisher größte Bandbreite fundamentaler Menschenrechte – ökonomische, soziale, kulturelle, zivile und politische – in einem einzigen Vertragswerk zusammenbindet.

Die in den 54 Artikeln dargelegten völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards haben zum Ziel, weltweit die Würde, das Überleben und die Entwicklung von Kindern und damit von mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung sicherzustellen.

Inzwischen wurde die Konvention von 192 Staaten ratifiziert. Dies sind mehr, als die Vereinten Nationen Mitglieder haben. Sie ist damit das erfolgreichste Menschenrechtsabkommen überhaupt. In Deutschland trat die Konvention 1992 in Kraft.

In loser Folge stellen wir einzelne Artikel der UN-Kinderrechtskonvention vor und kommentieren ihre Bedeutung auf dem Hintergrund aktueller Debatten um die Rechte des Kindes.

Die Identität des Kindes wahren

von Jörg Maywald

Artikel 8 der UN-Kinderrechtskonvention
(Identität)

(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten.

(2) Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteile seiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihm angemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.

Jedes Kind ist einzigartig. Dies trifft nicht nur auf seine körperlichen Eigenschaften und Fähigkeiten zu. Zur Unverwechselbarkeit eines Kindes gehören auch sein Name, die verwandtschaftlichen Beziehungen, seine persönliche Geschichte (Lebensorte, Bindungs- und Sorgebeziehungen, wichtige Entscheidungen etc.) und seine Neigungen einschließlich der geschlechtlichen und sexuellen Orientierung, die ethnische, kulturelle und religiöse Zugehörigkeit sowie seine Sprache und Nationalität. Zusammen begründen diese Eigenschaften die soziale Identität, die jedes Kind zu einem besonderen, von anderen Kindern unterscheidbaren Mitglied der Gesellschaft machen.

In Artikel 8 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, das Recht jedes Kinder auf Erhalt seiner Identität zu achten. Als Bestandteile der zu schützenden Identität werden ausdrücklich die Staatsangehörigkeit, der Name und die gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen des Kindes genannt. In Artikel 8 Absatz 2 sichern die Vertragsstaaten für den Fall, dass einem Kind einige oder alle Bestandteile seiner Identität widerrechtlich genommen werden, zu, ihnen angemessen Beistand und Schutz mit dem Ziel zu gewähren, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.

Die Forderung, einen eigenen Artikel zum Schutz der Identität des Kindes in die Kinderrechtskonvention aufzunehmen, wurde ursprünglich von einem Vertreter Argentiniens in die Entwurfsverhandlungen eingebracht. Der Grund für diese Forderung war das Verschwinden zahlreicher Kinder während der Zeit der argentinischen Militärjunta in den 1970er und 1980er Jahren. Während ein Teil dieser Kinder getötet wurde, wurden andere von kinderlosen Paaren adoptiert. Daraus entstand die Notwendigkeit, die Spur dieser Kinder zu verfolgen und ihre wahre Identität wiederherzustellen.

Obwohl Artikel 8 lediglich drei Bestandteile der Identität – Staatsangehörigkeit, Name und Familienbeziehungen – ausdrücklich benennt, wird bei der vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes immer wieder geforderten ganzheitlichen Betrachtungsweise der Konvention deutlich, dass auch andere Aspekte der kindlichen Identität Schutz verdienen. So ist in Artikel 2 das Recht des Kindes auf Schutz vor jeder Form von Diskriminierung festgelegt. Artikel 16 fordert den Schutz des Kindes vor rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie und seine Wohnung. Artikel 20 sieht vor, dass bei der Erziehung von Kindern, die vorübergehend oder dauernd aus ihrer familiären Umgebung herausgelöst wurden, deren ethnische, religiöse, kulturelle und sprachliche Herkunft gebührend berücksichtigt wird.

Die drei in Artikel 8 ausdrücklich angeführten Aspekte der Identität sind Staatsangehörigkeit, Name und Familienbeziehungen.

Staatsangehörigkeit: Die UN-Kinderrechtskonvention legt nicht fest, auf welche Weise eine Staatsangehörigkeit erworben werden kann. Je nach nationaler Verfassung kann dies durch Geburt und Aufenthalt in einem Land (ius solis) und/oder durch Abstammung (ius sanguinis) geschehen. Sobald aber ein Kind eine Staatsangehörigkeit erworben hat (nach Artikel 7 hat jedes Kind das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben), gilt diese als Teil seiner Identität und somit als achtens- und schützenswert.

Name: Der Name eines Kindes darf nicht willkürlich (z.B. nach Scheidung der Eltern und anschließender Wiederverheiratung oder im Falle einer Adoption) geändert werden. Ausnahmen sind möglich, sofern dies dem Wohl des Kindes dient und das Kind altersgemäß an der Entscheidung beteiligt wurde.

Familienbeziehungen: Obwohl unklar bleibt, welche Familienbeziehungen im einzelnen gemeint sind, wird hier ein wichtiges Prinzip deutlich. Bedeutsam für die kindliche Identität ist nicht nur, Kenntnis davon zu haben, wer die biologischen Eltern sind. Ebenso wichtig (und im Einzelfall sogar wichtiger) können gelebte Beziehungen zu Geschwistern, Großeltern und anderen Personen sein.

Zahlreiche nationale Regelungen tendieren dazu, den Schutz der Identität des Kindes auf die Kernfamilie zu konzentrieren, ohne der Erkenntnis Rechnung zu tragen, dass Kinder auf der Basis eines gesicherten familiären Umfeldes durchaus in der Lage sind, multiple Familienbeziehungen zu leben, mehrsprachig aufzuwachsen und von einer komplexen und multikulturellen Umwelt zu profitieren.

Dr. Jörg Maywald ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind und Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention

Literatur
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.)
Übereinkommen über die Rechte des Kindes.
UN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien
Bonn 2000

UNICEF (Hg.)
Implementation Handbook
for the Convention on the Rights of the Child
(2. völlig überarbeitete Auflage)
Genf 2002

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