fK 1/07 Erler

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Ungestörter Schlaf bei Kindern und Jugendlichen – wichtige Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung

von Thomas Erler

Im Unterschied zum Erwachsenenalter unterliegt die Entwicklung (Ontogenese) des Schlaf-Wach-Rhythmus im Neugeborenen-, Säuglings-, Kindes- und Jugendalter sehr intensiven Veränderungen. In Altersabhängigkeit ist demzufolge auch mit völlig anders gearteten Störungen des Schlaf-Wach-Verhaltens oder während des Schlafes selbst zu rechnen.

Berits vor mehr als 50 Jahren wurden Untersuchungen der fetalen Hirnaktivität durchgeführt, die Aussagen zur intrauterinen Schlafentwicklung zuließen. So zeigt das fetale Gehirn in den ersten Schwangerschaftsmonaten noch eine sehr gleichmäßige Aktivität ohne tageszeitliche Schwankungen. Erst etwa ab der 30. Schwangerschaftswoche (SSW) können Vorformen registriert werden, die Traumphasen entsprechen. Bereits etwa ab der 36. SSW sind dann REM-Phasen (REM = rapid eyes movement = rasche Augenbewegungen = Traumschlaf) deutlich von NREM-Phasen (NREM = non rapid eyes movement = keine Augenbewegungen = Tiefschlaf) abzugrenzen. In diesen Tiefschlafphasen befindet sich das kindliche Gehirn offenbar in absoluter Ruhigstellung, während die Gehirnentwicklung scheinbar mit REM-Schlaf assoziiert ist. Möglicherweise ist dies der Grund dafür, dass in den letzten Schwangerschaftswochen nahezu die gesamte Schlafzeit durch REM-Schlaf geprägt wird.

Im ersten Lebensmonat setzt sich beim Säugling der Schlafrhythmus des ungeborenen Kindes nahezu unverändert fort. Etwa 16-20 Stunden Schlaf pro Tag werden ca. alle zwei bis vier Stunden von Wachphasen unterbrochen.

Im Säuglingsalter sind die Schlaf- und Wachzeiten also noch nicht am täglichen Hell-Dunkel-Rhythmus orientiert. Bereits zu diesem Zeitpunkt kann durch die Praktizierung eines festen Zeitschemas die Entwicklung eines gesunden Schlafrhythmus gefördert werden.

Nach dem sechsten Lebensmonat schläft mehr als die Hälfte der Säuglinge mindestens acht Stunden durchgehend. Trotzdem ist es dann im weiteren Entwicklungsverlauf zu erwarten, dass die bereits erreichten Durchschlafphasen auch wieder durchbrochen werden können. Diese in den ersten Lebensmonaten und sogar -jahren noch sehr instabile Schlafstruktur sollte als Entwicklungsbesonderheit, nicht jedoch a priori als Schlafstörung bezeichnet werden.

Wann sollte ein Baby durchschlafen?
Säuglinge und Kleinkinder (manchmal bis zu einem Alter von etwa fünf Jahren) wachen nachts regelmäßig auf, oft sogar mehrmals. Dies geschieht beim Wechsel der Schlafphasen. Auch das ist normal und nicht krankhaft. Vielmehr kommt es darauf an, wie die Eltern mit diesem nächtlichen Erwachen umgehen. Nächtliches Aufwachen bedeutet nicht unbedingt Hunger, sondern kann auch nur eine normale Orientierungsreaktion darstellen.

Wie viele Stunden sollten Kinder pro Tag schlafen?
Nicht selten suchen besorgte Eltern einen Arzt auf, weil sie meinen, ihr Kind schlafe zu wenig. Tatsächlich ist das Schlafbedürfnis altersabhängig, variiert jedoch individuell sehr stark. Manchmal kommt ein erst vier Monate alter Säugling schon mit zehn bis zwölf Stunden Schlaf am Tag aus und ist deshalb nicht krank. Erwachsene schlafen durchschnittlich sieben bis acht Stunden pro Tag. Da der Säuglingsschlafbedarf pro 24 Stunden fragmentiert gedeckt, d.h. nicht in einem zusammenhängenden Zeitabschnitt absolviert wird, stimmt das Schlafverhalten des Babys mit den elterlichen Schlafbedürfnissen nicht überein. Dies erklärt plausibel, warum sich vermeintliche Schlafstörungen im Säuglingsalter oft als Schlafstörungen der Eltern herausstellen.

Tipp: Schlaftagebuch
Wenn zu befürchten ist, der Schlaf reicht nicht aus, sollte über ca. drei Wochen ein so genanntes Schlaftagebuch geführt werden. Hier wird jeden Tag genau eingetragen, von wann bis wann das Kind geschlafen hat, wie oft es aufgewacht ist und wie die Schlafbedingungen gewesen sind (Licht, Lärm, Hitze, wann das Baby unruhig war, wann Nahrungsgaben erfolgten usw.). So können Schlafqualität, Schlafbedarf und ggf. Ursachen für Störungen ermittelt werden.

Bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres verlängern sich die nächtlichen Durchschlafzeiten kontinuierlich. Etwa 15 Stunden Schlafenszeit verteilen sich auf einen langen Nachtschlaf und ein bis zwei kurze Tagschlafzeiten. Einschlafprobleme in diesem Altersabschnitt resultieren sehr häufig daraus, dass die Eltern versuchen, ihrem Kind einen eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus aufzuzwingen. Richtige Schlafbedingungen und die Einhaltung schlafhygienischer Regeln können Ein- und/oder Durchschlafstörungen bei Säuglingen verhindern helfen.

Die richtigen Schlafbedingungen für ein Baby
• Baby nur in Rückenlage und ohne Kopfbedeckung zum Schlafen hinlegen, auch zur Mittagsruhe; optimal ist ein Schlafsack (Sommer- oder Winterversion) ohne zusätzliche Decke, um ein Überdecken von Mund und Nase zu vermeiden; Kissen oder Felle sind als Unterlage nicht geeignet; Kleidung ohne Kordeln
• Zimmer rauchfrei!
• Zimmertemperatur zum Schlafen ca. 16-18 Grad; Baby soll im Schlaf nicht schwitzen, es geht ihm gut, wenn sich der Nacken warm aber nicht schweißig anfühlt
• luftdurchlässiger Matratzenüberzug

Ungestörter Babyschlaf
Die Nacht sollte anders ablaufen als der Tag. An wiederkehrenden Ritualen kann ein Baby erkennen, dass es nun Schlafenszeit ist.

Tipps: (1) letzte Abendmahlzeit immer zur gleichen Zeit verabreichen bzw. einnehmen; (2) Kind immer zur gleichen Zeit, aber wach zum Schlafen legen; (3) nachts bei gedämpftem Licht in ruhiger Atmosphäre die Windeln wechseln; (4) nicht auf jedes Erwachen sofort reagieren.

Tipps zum Verhalten bei nächtlichem Erwachen im Säuglings- und Kleinkindalter: (1) Kind nicht unbedingt und sofort aus dem Bett herausnehmen; (2) kein helles Licht, jedoch beruhigende Worte oder bekanntes Einschlafritual (Lied oder Geschichte) anwenden; (3) Nuckel oder andere Einschlafhilfe anbieten (kleines Kuscheltier o.ä.); (4) wenn Hunger oder Durst unwahrscheinlich sind, nicht zum Trinken oder Essen animieren, gesunde Säuglinge über sechs Monate brauchen in der Regel nachts keine Mahlzeit.

Besonderheiten des Schlafes bei Kleinkindern
Viele Eltern verfolgen mit großer Sorge die Tendenz im Kindergartenalter, dass ihre Kinder auf den Mittagsschlaf verzichten wollen. Meist ist er auch tatsächlich nicht mehr erforderlich. Mittagsschlaf sollte deshalb nicht erzwungen werden, weil er dem Kind den nötigen „Schlafdruck“ nehmen kann.
In diesem Alter spielen in zunehmendem Maße unterschiedlichste Parasomnien eine Rolle: Jactatio capitis et corpus (Rhythmisches Wackeln von Kopf und/oder Körper im Schlaf), Bruxismus (Zähneknirschen), Enuresis nocturna (nächtliches Einnässen), Parvor nocturnus (Nachtschreck), Somnambulismus (Schlafwandeln) oder Albträume. Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen ergeben sich dabei medikamentöse Therapieoptionen. Vielmehr steht die Einhaltung schlafhygienischer Regeln im Vordergrund. Noch vor einer evtl. medikamentösen Therapie, die nur bei besonderem Leidensdruck in Erwägung zu ziehen wäre, kommen autogene Entspannungsverfahren mit suggestiven Inhalten („Immer wenn ich das Bett verlasse und meine Beine den Boden berühren, kehre ich sofort ins Bett zurück“) zur Anwendung.

Schlafhygieneregeln für das Kindesalter
• Regelmäßige Einschlaf- und Aufstehzeiten praktizieren. Schlafrituale wie Lied singen, beruhigende Musik hören, Geschichte erzählen o.ä. fördern diese Regelmäßigkeit.
• Das Kind wird erst dann zum Schlafen gelegt, wenn es müde ist.
• Zubettgehen sollte Spaß machen und keine Strafe darstellen.
• Das Bett ist zum Schlafen gedacht. Im Bett sollten die Kinder weder Lesen, noch Spielen, Fernsehen oder gar Herumtoben.
• Zwischen Abendmahlzeit und Zubettgehen sollte genügend Zeit sein, leichte Kost kann Schlaf fördernd wirken.
• Koffeinhaltige Getränke sind für Kinder generell zu vermeiden.
• Sport oder aufregende Aktivitäten wie Fernsehen, Computerspiele, spannende Lektüre u.a. vor dem Schlafengehen behindern einen erholsamen Schlaf.
• Störende Lichtquellen, Lärmgeräusche und extreme Temperaturen im Schlafzimmer des Kindes sollten beseitig oder reduziert werden, kurz: das Ambiente muss stimmen.
• Möglicherweise schläft ihr Kind deshalb nachts schlecht, weil der Mittagsschlaf nicht mehr nötig ist (Schlafbedarfsermittlung).
• Nachts werden viele Informationen des Tages verarbeitet – träumen ist normal. Ein Kind ist ausgeschlafen, wenn es rasch wach wird und sich tagsüber aktiv beschäftigt.

Schlafprobleme im Schul- und Jugendalter
In groß angelegten Studien konnte festgestellt werden, dass Schulkinder innerhalb einer Schulwoche ein bis zwei Stunden weniger Schlaf finden, als in der Ferienzeit und am Wochenende. Es ist davon auszugehen, dass dieser Schlafmangel mit erhöhter Nervosität und Ängstlichkeit korreliert. Eine Verkürzung der Schlafdauer vor Mitternacht und der damit verbundene erhöhte Schlafdruck am Tage führen zu vermehrten Anstrengungen des Schulkindes, sich selbst zu stimulieren. Reizoffenheit, Provokationen und motorische Überaktivität können als Folgeerscheinungen auftreten. Einer chronischen Schlafdeprivation ist am Besten vorzubeugen, wenn dem Kind tagsüber genügend Möglichkeiten geboten werden, sich geistig und motorisch herauszufordern, aber in der wichtigen Stunde vor dem Einschlafzeitpunkt keine Störungen durch äußere Stimulation wie z.B. Fernsehen, Computerspiele, Hausaufgaben, Stresssituationen bestehen.

Diagnostik im schlafmedizinischen Funktionslabor
Die zunehmende Häufigkeit schlafmedizinischer Probleme bei Kindern führte in den 1990er Jahren zur Entwicklung zahlreicher Schlaflabore an Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) überwacht die Anforderungen an die fachliche Qualifikation und technische Ausstattung dieser Einrichtungen. An von den Ableiträumen separierten Aufzeichnungsplätzen arbeiten Assistenten mit speziellem somnologischen (schlafmedizinischem) Ausbildungsprofil.

Mittels einer so genannten Polysomnographie (Aufzeichnung mehrerer Lebensparameter während des natürlichen Schlafes) können Informationen über das Schlafprofil selbst oder aber Störungen, die den Schlaf beeinträchtigen, gewonnen werden. Oft können aber Schlafstörungen schon durch eine detaillierte Erfragung der Problemsituation (Anamnese bzw. Krankheitsgeschichte) oder durch Einsatz eines Schlaf-Wach-Protokolls diagnostiziert und dann auch therapiert werden.

Anwendungsgebiete der Polysomnographie im Pädiatrischen Schlaflabor
Bei folgenden Krankheitszuständen oder -entitäten kann mit auffälligen Veränderungen des Schlafprofils, der kardiorespiratorischen oder zentralen Regulation u.a. gerechnet werden. Diese sollten deshalb im Rahmen eines differenzialdiagnostischen Vorgehens auch schlafmedizinisch Beachtung finden (Untersuchungsspektrum eines Kinderschlaflabors):

Erkrankungen der Atemwege
– hyperplastische Tonsillen, adenoide Vegetationen
– chronische, therapieresistente Infektionen der oberen oder unteren Atemwege
– Atembehinderungen während des Schlafes
– obstruktive Atemwegserkrankungen
– Aspirationssyndrom
– Fehlbildungen (z.B. Zwerchfelldefekte)

Erkrankungen des Herz- Kreislaufsystems
– kongenitale Herzfehler
– tachykarde oder bradykarde Herzrhythmusstörungen
– Kardiomyopathien

Nervensystem und Psyche
– schlafbezogene Epilepsien
– Dyssomnien, Parasomnien
– neuromuskuläre, neurovegetative Störungen
– Enuresis nocturna
– posttraumatische Störungen
– allgemeine Verhaltensstörungen unklarer Genese

Magen-Darm- und Stoffwechselerkrankungen
– Gastroösophageale Refluxkrankheit
– Fehlbildungen des Magen-Darm-Traktes
– connatale Stoffwechselstörungen mit gestörtem Schlaf – Wach – Rhythmus
– endokrinologische Erkrankungen; Nebenwirkungen von Medikamenten (z.B. kombinierte Polysomnographie mit STH-Nachtprofil bei v.a. Kleinwuchs)

SID (Plötzlicher Säuglingstod) – Prophylaxe
– ehemalige Frühgeborene ab rechnerisch etwa 44. Schwangerschaftswoche
– Risikoneugeborene

Kiefer-Mund-Gesichtschirurgische Erkrankungen
– angeborene Fehlbildungen (z.B. Pierre-Robin-Sequenzen, Z.n. operativer Korrektur von Spaltbildungen u.a.)
– Traumafolgen mit Wachstumshemmungen oder Verschiebungen der Skelettmuskulatur
– Dysgnathien
– Osteomyelitis

Myopathien (Muskelerkrankungen)

Genetische Erkrankungen mit schlafbezogenen Störungen

Zusammenfassung
Die Entwicklung des Schlafes, aber auch das Auftreten von Störungen des Schlafes unterliegen einer Altersabhängigkeit. Für die Beurteilung eines Schlaf-Wach-Rhythmus in verschiedenen Altersgruppen bedarf es deshalb detaillierter Sachkenntnis. So sind beispielsweise Schlafbesonderheiten im Säuglingsalter nicht alle gleichbedeutend mit Schlafstörungen und bedürfen nicht zwingend therapeutischer Intervention sondern fachmännischer Aufklärung. Tatsächliche Dyssomnien (Schlaf selbst gestört) oder Parasomnien (Störungen die während des Schlafes auftreten) sind ebenfalls in unterschiedlicher Häufigkeit und Ausprägung in Abhängigkeit vom Alter der Betroffenen anzutreffen.

Die Literaturhinweise sind über die Geschäftsstelle erhältlich.

PD Dr. Thomas Erler ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus.

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