25 Jun fK 1/09 Heindel
Der Vater als Teil der Familien-Triade
von Kristina Heindel
Frauen werden schwanger, Frauen bringen Kinder zur Welt. Und traditionell sind es auch heute zumeist Frauen, die sich in den ersten Jahren um den Nachwuchs kümmern. Der Kindsvater spielte in der klassischen Familie lange Zeit eher eine Nebenrolle, wenn es um die Beziehung zum Kind geht. Doch der moderne Mann will mehr. Aktuelle Studien belegen, dass viele nicht damit zufrieden sind, „nur“ die Ernährer der Familie zu sein. Zugleich herrscht große Unsicherheit darüber, wie denn die neue Rolle des Mannes konkret aussehen sollte. Und die Angst davor, in dieser Rolle unmännlich zu wirken, ist tief verwurzelt.
Die heutigen Väter stammen großenteils aus Familien, in denen die klassische Rollenverteilung gelebt wurde. Papa erledigte das Grobe und Schwere, war der Hauptverdiener und setzte die Maßstäbe für die Erziehung der Kinder. Haushalt und Kinder waren Mamas Aufgabengebiet. Wenn erforderlich, ging sie zusätzlich außer Haus arbeiten. Heute ist Frau noch immer dankbar, wenn sie nicht selbst die Löcher in die Wand bohren oder Winterreifen aufziehen muss. Doch wird aus einem Paar eine Familie, erhoffen sich auch die Frauen mehr als „nur“ finanzielle Sicherheit. „In“ ist der teilnehmende Mann, der seine Lebensgefährtin bei ihrer Wandlung vom Frausein zum Muttersein begleitet und sich selbst ebenfalls vom Mann zum Vater wandelt.
Viel hat sich getan in den vergangenen Jahrzehnten. Es ist nicht mehr ungewöhnlich, dass der zukünftige Papa zu den Ultraschall-Untersuchungen mitgeht oder seiner Partnerin während der Geburt beisteht. Zwar nehmen nicht wenige frischgebackene Männer Urlaub oder auch Elternzeit, wenn ein Baby zur Welt kommt, doch nur selten nutzen sie diese Zeit, um intensiv und fürsorglich mit Mutter und Kind zusammen zu sein. Oft gehen sie eigenen Projekten nach und ziehen sich danach wieder ins Arbeitsleben und die „Männerwelt“ zurück. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie genau zu diesem Zeitpunkt alle Verantwortung und Möglichkeiten in Händen halten, ihr zukünftiges Familiensystem entscheidend mitzugestalten. Sicher fehlt ihnen dazu das passende Vorbild, denn Jahrhunderte lang waren es andere Frauen (Hebammen, Doulas, Familienangehörige), die sich um Mutter und Kind kümmerten, und für die Mutter-Kind-Dyade ist es (zunächst) von geringer Bedeutung, von wem sie Sicherheit und Unterstützung erhält. Warum also sollte ein Mann sich in traditionell weibliche Zuständigkeitsbereiche vorwagen? Die Antwort ist so einfach wie wahr: Weil alle Beteiligten, auch er selbst, davon profitieren.
Die Familien-Triade
Eine triadische Familienstruktur, also das Beziehungsdreieck aus Vater, Mutter und Kind, in dem jeder Beziehungspartner gleichwertig und gleich präsent ist, bietet die optimale Basis für die gesunde Entwicklung des Kindes. Erlebt sich das Kind als Teil einer ausgeglichenen Familien-Triade, beruhigt dies seine Ur-Angst und stärkt die eigene Bindungsfähigkeit. Auch die Art der Interaktion der Eltern untereinander, die innerhalb einer funktionierenden Triade meist positiv verläuft, prägt das Kind: Gehen die Eltern achtsam miteinander um, wird es ebenso Achtung gegenüber seinen Eltern entwickeln, was sich wiederum vorteilhaft auf die Eltern-Kind-Beziehung (etwa bei der Erziehung) auswirken wird.
Auch die Partnerschaft profitiert von der Familien-Triade, da sie diese stabilisiert und ihr eine neue Basis schafft. Schwangerschaft und Geburt verändern eine Frau zutiefst. Auf dem Weg zur Mutterschaft werden Urinstinkte und -ängste aktiviert und Hormone ausgeschüttet, durch welche die Mutter die Strapazen der ersten Zeit kaum wahrnimmt. Eine Mutter kann zu Beginn gar nicht anders als in erster Linie für die Kinder da zu sein, ständig um deren Wohlergehen besorgt, oft selbstaufopfernd bis zur Belastungsgrenze. Auch wenn das Baby nicht stündlich Hunger haben sollte, braucht und fordert es oft ununterbrochenen Körperkontakt, Tag und Nacht. Sollte es doch außerhalb von Mamas Arm einschlafen, so wird die Mutter ihren Instinkten entsprechend dennoch stets mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit beim Baby sein. Hat sie (meist unbewusst) das Gefühl, dass ihr Partner sie in ihrer neuen Verantwortung nicht begleitet, oder sie gar für ihre Mütterlichkeit kritisiert, wirkt dies wie eine Bedrohung oder Gefahr, ihre Stressbelastung nimmt zu und es entsteht eine emotionale Distanz zum Partner.
Vielen Männern ist nicht klar, in welcher Extremsituation sich ihre Partnerinnen befinden und welche große Chance dies zugleich für sie als Väter bietet. Indem auch sie ein Bewusstsein für die Bedürfnisse des Babys entwickeln, entlasten sie die Partnerin und schenken ihr Raum zum Kraft schöpfen. Erlebt die Frau ihren Partner als sensibel für ihre Ängste und Unsicherheiten, spürt sie, dass er hinter ihr steht und offen ist für die neuen Aufgaben und Erfahrungen, wird sie wiederum in der Lage sein, auch seine Bedürfnisse wahrzunehmen und zu berücksichtigen.
Nicht zuletzt gewinnt der Mann selbst, wenn er seine fürsorgende Vaterrolle annimmt und ausfüllt. Die intensive Bindung zu seinem Kind, die auch ihn zutiefst verändern wird, entsteht ganz von allein, indem er für sein Baby da ist, dessen Bedürfnisse schon von Geburt an wahrnimmt und auf seine ganz eigene Weise befriedigt. Durch diese Interaktion entwickelt er eine Sensibilität, die seine Sozialkompetenz reifen lässt. Dadurch, dass er die Mutter-Kind-Dyade zur Familien-Triade erweitert, liefert der Vater einen unschätzbaren Beitrag für das Wohlergehen des kompletten Familiensystems – und erlebt zugleich große persönliche Befriedigung.
Aus dem Mann wird ein Vater
Mutter Natur ist weise und hat es so eingerichtet, dass die Wandlung vom Mann zum Vater ohne große Anstrengung vollzogen werden kann. Untersuchungen belegen, dass bereits während der Schwangerschaft auch beim Mann Hormone ausgeschüttet werden, die den Brutpflegetrieb anregen. Durch intensiven Hautkontakt zu seinem Baby werden weitere Hormone ausgeschüttet, die diese Instinkte verstärken, väterliche Verhaltensweisen aktivieren und die Libido verringern. Gleichzeitig empfindet der Mann Zufriedenheit und das Bedürfnis, seiner Partnerin ganz nah zu sein, ohne dass sexuelle Bedürfnisse im Vordergrund stünden. So entsteht die Basis für ein sich selbst erhaltendes System. Je intensiver sich ein Vater einbringt, umso größer wird sein Bedürfnis, diese Beteiligung zu vertiefen, und desto stärker werden der emotionale Zusammenhalt zwischen den Partnern und die Stabilität der Triade.
Papa übernimmt eine Hauptrolle
Die ersten Wochen mit dem neuen Familienmitglied sind in der Regel sehr anstrengend für alle Beteiligten. Das Baby, das in der Schwangerschaft stets warm, satt und geschützt war, gewöhnt sich erst allmählich an das Leben außerhalb des Mutterleibs. Es möchte in den ersten Wochen je nach Bedarf rund um die Uhr gestillt werden und braucht möglichst intensiven Körperkontakt, um optimal zu gedeihen.
Väter haben schon in dieser frühen Phase viele Möglichkeiten, eine intensive Bindung zu ihrem Baby aufzubauen. Zwar kann ein Vater sein Kind nicht stillen, doch er kann ein Umfeld schaffen, das Mutter und Kind schützt und die optimalen Rahmenbedingungen für einen guten Stillstart bietet. Er schützt das Stillpaar vor zu viel oder belastendem Besuch, kümmert sich darum, dass die frischgebackene Mutter im Haushalt weitgehend entlastet wird, oder dass der Kühlschrank stets gefüllt ist mit gesunden, schnell verfügbaren Speisen. Hat er sich übers Stillen informiert, kann er seiner Partnerin bei Anfangsschwierigkeiten eine wichtige Stütze sein, etwa indem er ihr Mut macht, Ruhe und Zuversicht schenkt. Auch kann er dabei helfen, die möglichen Ursachen für die Stillprobleme zu finden und die Hebamme oder eine Stillberaterin um Unterstützung bitten. Es ist erwiesen, dass Frauen, die von ihren Partnern zum Stillen ermutigt werden, länger stillen. Dies ist sinnvoll, denn Muttermilch ist die einzige perfekt auf ein Menschenkind abgestimmte Nahrung, jedem Ersatzprodukt weit überlegen. Mutter, Baby, Familie und Gesellschaft profitieren davon, wenn es mit dem Stillen klappt und das Baby tatsächlich, wie von WHO und UNICEF empfohlen, in den ersten sechs Lebensmonaten ausschließlich gestillt wird.
Außerhalb der Stillzeiten kann der Mann sein Baby wickeln, baden und tragen. Durch die Berührungen und die körperliche Nähe entsteht ganz automatisch eine eigene, enge Bindung zwischen Vater und Kind. Ein Baby zu tragen hat viele Vorteile. Getragene Babys haben weniger Stresshormone im Blut, sind entspannter, weinen weniger und schlafen besser. Sie speien seltener und haben nicht so viele Blähungen. Ein Vater, der sein Baby im Tragetuch trägt, kann dabei trotzdem seinen eigenen Interessen nachgehen, denn er hat beide Hände frei. Die Bewegung, die das Baby beim Tragen erfährt, fördert seine neurologische Entwicklung und schult den Gleichgewichtssinn. Die intensive Nähe befriedigt ein Urbedürfnis, was es dem Baby leichter macht, selbständig und unabhängig zu werden. Zudem werden durch korrektes Tragen Hüftfehlstellungen vermieden oder sogar korrigiert.
Eine gute Tragehilfe stützt die Wirbelsäule des Babys, so dass es nicht zusammensackt und sein Rücken rund bleibt. Auch Nacken und Köpfchen werden gestützt. Wenn sich die Tragehilfe von Kniekehle bis Kniekehle des Traglings erstreckt, nimmt es automatisch die Spreiz-Anhock-Haltung an, in der sich seine Knie etwa auf Höhe seines Bauchnabels befinden. Das Becken kippt automatisch nach vorn und der kleine Rücken rundet sich. Auch der Tragende profitiert von einer guten Tragehilfe, denn sie verteilt das Gewicht des Traglings optimal auf Schultern, Rücken und Hüfte, so dass auch längeres Tragen nicht zur Last wird. Keinesfalls sollten beim Getragenwerden die Beine des Babys gerade nach unten hängen, und niemals sollte es mit dem Gesicht nach außen getragen werden. Diese Position ist anatomisch unnatürlich und kann bleibende Schäden verursachen. Auch hat das Kind keine Möglichkeit, sich an den Körper der tragenden Person anzuschmiegen, wenn er müde oder überreizt ist. Es lohnt sich, eine gute Tragehilfe sorgfältig auszuwählen. Bei Bedarf kann Mann sich in Stillgruppen, Familienzentren oder bei besonders dafür ausgebildeten Trageberaterinnen informieren und das korrekte Tragen zeigen lassen.
Die meisten Väter sind tagsüber viel außer Haus und können daher nur wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen. Eine einfache Möglichkeit, dies zu kompensieren und die Bindung zwischen Papa und Kind zu vertiefen, ist gemeinsam zu schlafen. Darf das Baby mit ins Elternbett, sind die Nächte für die ganze Familie in der Regel entspannter. Die Kleinen schlafen ruhiger und tiefer, wenn sie die körperliche Nähe der Mutter spüren und auch nachts nach Bedarf gestillt werden. Papa schläft weitestgehend durch, wacht in der Früh neben dem kleinen Spross auf und genießt vor dem Aufstehen noch einige Minuten ganz bewusster Nähe. Viele Eltern fürchten den plötzlichen Kindstod (SIDS), doch Untersuchungen haben gezeigt, dass das Stillen und die körperliche Nähe zur Mutter im gemeinsamen Bett sogar einen schützenden Effekt vor SIDS haben können. Weitere Aspekte, die beim gemeinsamen Schlafen beachtet werden sollten, lassen sich im Internet unter dem Stichwort „Co-Sleeping“ finden.
Väter leisten eigene wertvolle Beiträge zur Entwicklung ihrer Kinder und darum sind sie so wichtig. Untersuchungen zeigen, dass sich die Interaktion zwischen Vater und Kind auf die Entwicklung des Selbstbilds, die späteren Einstellungen und Verhaltensweisen viel prägender auswirkt als die zwischen Mutter und Kind. Darum ist es gut, dass Papa nicht ein Mamaersatz bei deren Abwesenheit ist, sondern parallel zur Mutter seine männlichen Elemente ins Familiensystem einbringt.
Kristina Heindel ist Stillberaterin und SAFE®-Mentorin in Inning.
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