fK 5/11 Editorial

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Zwischen zwei und drei Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut, in manchen Regionen bereits jedes vierte Kind. Besonders häu-fig trifft es Kinder von Alleinerziehenden, aus Familien mit mehr als zwei Kindern und aus zugewanderten Familien. Hinzu kommen Flüchtlingskinder sowie Kinder aus Familien ohne einen legalen Auf-enthaltsstatus.

Der Hinweis, vielen Kindern in anderen Ländern ginge es doch noch viel schlechter, hilft nicht weiter. Erst der Alltagsvergleich mit Anderen, denen es wesentlich besser geht, rückt ein bestehendes Übermaß an sozialer Ungleichheit ins Bewusstsein. Die Erfahrung, von gleichbe-rechtigter Teilhabe an gesellschaftlichen Errungenschaften ausge-schlossen zu sein, ist gerade für Kinder besonders bitter.

Armut ist nicht allein materielle Unterversorgung. Obwohl die meisten Eltern, die unter Armutsbedingungen leben, viel dafür tun, ihrem Kind Nachteile zu ersparen, zeigen sich die Folgen auf vielen Ebenen. Der Gesundheitszustand armer Kinder ist ebenso unterdurchschnittlich wie ihre Teilnahme an präventiven Angeboten und die Inanspruchnahme psychosozialer Dienste. Viele von Armut betroffene Kinder können ihre Potentiale nicht voll entwickeln und ihr Bildungserfolg entspricht bei weitem nicht ihren Möglichkeiten.

Kinderarmut ist ein vielschichtiges Problem, daher dürfen die Lösun-gen nicht nur auf einer Ebene ansetzen. Die Stärkung der individuellen Resilienz benachteiligter Kinder gehört ebenso dazu wie der Ausbau und vor allem eine gezielte qualitative Verbesserung der In-frastruktur. In der Realität ist oft noch das Gegenteil der Fall: Kitas, Schulen sowie Sport- und Freizeiteinrichtungen sind in belasteten Regionen oft schlechter ausgestattet als in den Vierteln der Reichen.

Besonders viel versprechend sind ganzheitliche Ansätze, die an die unterschiedlichen Bedarfe angepasst sind und Kinder und Familien an der Planung und Durchführung beteiligen: Kitas und Schulen mit ei-nem hochwertigen Speisenangebot, das vor Ort zubereitet wird, El-tern-Kind-Zentren mit niederschwelligen gesundheitspräventiven An-geboten oder Stadtteilzentren, die mit Sportvereinen und Kultureinrich-tungen kooperieren.

Armut hat aber auch strukturelle Ursachen. Viele Menschen kommen nicht mehr aus eigener Kraft aus ihrer prekären Situation heraus. Die besten Angebote für Kinder greifen zu kurz, wenn Dauerarbeitslosig-keit und Perspektivenmangel die familiäre Situation prägen und die gesellschaftliche Spaltung zwischen Arm und Reich zunimmt. Die von der Aktion Mensch schon vor Jahren gestellt Frage „In welcher Ge-sellschaft wollen wir leben?“ ist weiterhin aktuell. Hier sind politische Konzepte zur Armutsbekämpfung gefragt sowie die Einsicht, dass mangelnde Solidarität mit den Armen den Zusammenhalt in der Ge-sellschaft insgesamt bedroht.

Mit herzlichen Grüßen

Prof. Dr. Franz Resch, Präsident der Deutschen Liga für das Kind
Prof. Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind

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