fK 5/08 Studnitz

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Partizipation von jungen Flüchtlingen

Ein Projekt des Bundesfachverbandes Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.

von Stefanie Studnitz

Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V. führt seit Februar 2008 ein Projekt zum Thema Partizipation von jungen Flüchtlingen durch. Das dreijährige Vorhaben wird von Aktion Mensch e.V. gefördert und richtet sich primär an junge Flüchtlinge unter 27 Jahren, die noch minderjährig sind oder als Minderjährige in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Weitere Zielgruppen sind Experten aus dem Bereich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) und ehrenamtliche Vormünder.

Seit gut drei Jahrzehnten kommen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland. Fachleute schätzen, dass sich derzeit zwischen 3.000 und 6.000 hierzulande aufhalten. Hinzu kommen etwa 60.000 junge Flüchtlinge, die mit ihren Familien in Deutschland leben. Weder der Politik noch den Wohlfahrtsverbänden ist es bisher gelungen, konkrete Zahlen festzuhalten, die Situation und Lebensbedingungen dieser Kinder und Jugendlichen zu erforschen und daraus für alle Bundesländer einheitlich geltende Richtlinien festzulegen, die sich am Kindeswohl orientieren.

Auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind Träger aller Rechte gemäß der UN-Kinderrechtskonvention
Trotz der Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention und des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) werden die Rechte junger Flüchtlinge und die Maßnahmen ihrer Betreuung und Förderung in Deutschland durch den Vorbehalt zur Konvention sowie durch das Aufenthalts- und Asylrecht massiv eingeschränkt. Da nach dem Asylverfahrensgesetz Jugendliche ab 16 Jahren asylverfahrensfähig sind, bedeutet dies in brutaler Konsequenz, dass in etlichen Kommunen die Inobhutnahme unbegleiteter Minderjähriger unter Hinweis auf das Asylverfahrensgesetz nicht verfügt wird, wenn junge Flüchtlinge Asylgesuche gestellt haben. Die Umsetzung der Neuregelungen des § 42 SGB VIII aus dem Jahr 2005, die zur Inobhutnahme minderjähriger Flüchtlinge ohne Eltern und zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters verpflichten, erfolgt nur schleppend. Statt in Jugendhilfeeinrichtungen werden die Kinder und Jugendlichen häufig ohne jegliche Betreuung in Haftanstalten und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und bleiben ohne gesetzlichen Vertreter auf sich allein gestellt. Jungen Flüchtlingen wird regelmäßig der Zugang zu Schule und Ausbildung verwehrt. Gleichzeitig sind die jungen Flüchtlinge nicht über ihre Rechte informiert, sodass sie diese nicht aktiv einfordern können. Die EU-Asylrechtsrichtlinien, deren Regelungen die Situation der Minderjährigen verbessern könnten, wurden bisher nicht umgesetzt.

Mit jungen Flüchtlingen sprechen – nicht über sie!
Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen in der Arbeit des Bundesfachverbandes ist deutlich geworden, dass junge Flüchtlinge bei der Entwicklung von Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation selten beteiligt und über ihre Rechte nicht umfassend informiert sind. Bisher wurde in der Regel über junge Flüchtlinge gesprochen, aber zu wenig mit ihnen.

Nach den bisher positiven Erfahrungen der Beteiligung von jungen Flüchtlingen im Rahmen mehrerer Veranstaltungen strebt der Bundesfachverband daher nun die gezielte Vernetzung sowie die Förderung der Beteiligung von jungen Flüchtlingen an. Hierzu muss die Qualifizierung der jungen Flüchtlinge im Hinblick auf ihre Fähigkeiten zur politischen Arbeit initiiert und vorangetrieben werden. Gleichzeitig sollen junge Flüchtlinge gezielt über ihre Rechte informiert und darin unterstützt werden, diese auch umfassend wahrnehmen zu können.

Erste Ansätze zum Aufbau von Strukturen werden gelegt, die es jungen Flüchtlingen ermöglichen, sich zu organisieren, sich besser zu informieren und somit stark zu machen für die eigene Vertretung ihrer Anliegen. In regelmäßig stattfindenden Workshops werden sie befähigt, ihre Situation zu reflektieren, eigene konstruktive Forderungen zu erarbeiten und zu vertreten. Sie sind aufgefordert, die hierbei erworbenen Kompetenzen aktiv in den Fachtagungen des Bundesfachverbandes umzusetzen, ihre Situation vor Fachpublikum mit eigenen Worten zu schildern und mit Experten über Problemlagen und Verbesserungsmöglichkeiten zu diskutieren. Die nächste Fachtagung findet vom 30. März bis 1. April 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar statt.

Die Jugendlichen sollen jedoch nicht nur als Ansprechpartner für Vertreter(innen) aus Behörden und Politik zur Verfügung stehen, sondern auch als Multiplikator(inn)en für andere junge Flüchtlinge in ihren Bundesländern wirken.

Jugendkonferenz von „Jugendliche ohne Grenzen“
Im Rahmen des Projektes ist eine Kooperation mit „Jugendliche ohne Grenzen“ entstanden, eine Initiative junger Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich gegen Abschiebung und Diskriminierung und für ein Bleiberecht und bessere Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland einsetzt. Mit Unterstützung des Bundesfachverband UMF e.V. organisieren die Jugendlichen ohne Grenzen vom 19. bis 22. November eine Konferenz für 60 Jugendliche, die parallel zur Innenministerkonferenz in Potsdam stattfindet. Geplant sind in diesem Zusammenhang neben thematischen Workshops und einer öffentlichen Galaveranstaltung eine große Protestaktion am 20. November, dem Tag der Kinderrechte, die von Jugendliche ohne Grenzen gemeinsam mit dem Aktionsbündnis Hier Geblieben!, GRIPS Theater, Flüchtlingsrat Berlin, Flüchtlingsrat Brandenburg u. a. veranstaltet wird (Donnerstag, 20. November 2008, 17.00 Uhr, Hauptbahnhof Potsdam, Informationen unter www.jogspace.net).

Jugendliche und Kooperationspartner herzlich willkommen
Für sein Partizipationsprojekt sucht der Bundesfachverband UMF e.V. noch Kooperationspartner aus dem Bereich der Wohlfahrtsverbände, Stiftungen und Nicht-Regierungsorganisationen. Auch finanzielle Unterstützung durch institutionelle Partner und Spender ist willkommen und notwendig (Konto: 88 99 803, Bank für Sozialwirtschaft, BLZ: 700 205 00).

Stefanie Studnitz ist Projektreferentin im Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V. in München.

Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.
Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge wurde im Oktober 1998 als Zusammenschluss von Einzelpersonen und Organisationen, die in der Betreuungsarbeit mit unbegleiteten Minderjährigen tätig sind, gegründet. Derzeit sind etwa 100 Einzelpersonen und rund 50 Organisationen Mitglied des Verbandes. Der Verband ist bundesweit tätig und steht in enger Kooperation mit den Wohlfahrtverbänden und zahlreichen Kinderrechtsorganisationen, Flüchtlinshilfeorganisationen und Menschenrechtsverbänden in Deutschland. Über das europaweite Netzwerk „Separated Children in Europe Programs“, dessen deutscher Partner der Bundesfachverband ist, bestehen Kontakte zu Partnerorganisationen in nahezu allen europäischen Staaten.
Der Bundesfachverband ist Mitglied in der „National Coalition zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention“, der „Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen“ und im „Forum Menschenrechte“. Er ist Projektpartner von UNHCR Deutschland und terre des hommes Deutschland. Ein weiterer enger Kooperationspartner ist Pro Asyl.

Die wichtigsten Ziele des Verbandes sind:
• vorbehaltlose Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in nationales Recht
• Durchsetzung des Vorrangs des Kindeswohls auch bei ausländischen Minderjährigen
• kindgerechte Unterbringung von allen unbegleiteten Minderjährigen
• Bestellung von Vormündern für alle unbegleiteten Minderjährigen
• effektive Vertretung von allen Minderjährigen in aufenthalts- und asylrechtlichen Verfahren
• kindgerechte Gestaltung von Asylverfahren
• Einführung der Schulpflicht für alle Minderjährigen
• Umsetzung des Rechts auf schulische und berufliche Ausbildung
• adäquate Beteiligung von jungen Flüchtlingen
• Anwendung von rechtsstattlichen Methoden zur Altersfestlegung in strittigen Fällen
• Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für junge Flüchtlinge

Als Interessensvertreter von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland formuliert das Netzwerk fachliche Standards für die Arbeit mit jungen Flüchtlingen und strebt deren Umsetzung auf fachlicher, politischer und administrativer Ebene an.
Derzeit werden zwei Projekte durchgeführt: Im Rahmen eines vom Europäischen Flüchtlingsfonds geförderten Projekts steht gemeinsam mit dem Projektpartner UNHCR die Verbesserung der Situation von unbegleiteten Minderjährigen im Vordergrund. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Beobachtung der Umsetzung der EU-Richtlinien zur Asylrechtsharmonisierung und der Verbesserung der Aufnahmesituation, insbesondere der Einführung eines umfassenden und qualitativ hochwertigen Clearingverfahrens. Daneben wird die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans „Für ein kindergerechtes Deutschland“ begleitet und die Situation von ehemaligen Kindersoldaten, die ins Bundesgebiet geflüchtet sind, untersucht. Im zweiten, von „Aktion Mensch“ geförderten Projekt, steht die Partizipation junger Flüchtlinge im Mittelpunkt.

Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.
Nymphenburger Str. 47, 80335 München
Tel.: 089-202 440 13
E-Mail: info@b-umf.de
www.b-umf.de

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