24 Jul fK 5/06 Proksch
Gemeinsame elterliche Sorge
Veränderungen für Kinder und Eltern nach der Reform des Kindschaftsrechts 1998
von Roland Proksch
Trennung und Scheidung sind Krisensituationen für Eltern, vor allem aber für die betroffenen Kinder. Für Kinder ist die Trennung und Scheidung ihrer Eltern ein völlig anderes Erlebnis als für Erwachsene. Kinder verlieren etwas, das für ihre Entwicklung fundamental ist: die geordnete Struktur der Familie. Bei Trennung und Scheidung ist oft die Beziehung des Kindes zum nicht hauptbetreuenden Elternteil gefährdet. In der Regel ist das die Beziehung des Kindes zu seinem Vater. Kinder brauchen für ihr Wohl aber grundsätzlich beide Eltern. Wenn beide Eltern gemeinsam für die Erziehung ihrer Kinder Verantwortung tragen und ausüben, ist das für alle Beteiligten entlastend. Es ist anerkannt, dass insbesondere heute die Kindererziehung Eltern erheblich fordert. Oft sind Eltern mit dieser Aufgabe überfordert, mindestens überlastet. Die Überlastung kann insbesondere zunehmen bei Eltern, die allein erziehen und die den anderen Elternteil aus der Erziehung ausgrenzen oder gar völlig ausschließen.
Die gemeinsame elterliche Sorge gilt als eine wichtige Möglichkeit, dem entgegenzuwirken und Kontaktabbrüche bzw. Kontaktkonflikte im Interesse von Kindern zu vermeiden bzw. zu verhindern. Das seit dem 1.7.1998 geltende neue Kindschaftsrecht regelt die gemeinsame elterliche Sorge als Quasi-Regelfall.
Ziele der Kindschaftsrechtsreform
Das Kindschaftsrechtsreformgesetz (KindRG) vom 1. Juli 1998 hatte vor allem die folgenden Ziele: – Verbesserung der Rechte der Kinder und Förderung des Kindeswohls auf bestmögliche Art und Weise; – Stärkung der Autonomie der Eltern und ihrer Rechtsposition und, soweit dies mit dem Kindeswohl vereinbar ist, ihren Schutz vor unnötigen staatlichen Eingriffen; – Förderung der Beziehung des Kindes zu seinen beiden Eltern; – Abbau vorhandener rechtlicher Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern.
Schwerpunkte der Reformdiskussion bezogen sich auf die elterliche Sorge, das Umgangsrecht und auf verfahrensrechtliche Flankierungen zur Förderung einvernehmlicher Regelungen. Die Neuregelungen zur elterlichen Sorge waren in der Reform am heftigsten umstritten. Argumentiert wurde, dass die Einführung der gemeinsamen elterliche Sorge als „Quasi-Regelfall“ ignoriere, dass bei Trennung oder Scheidung die elterliche Beziehung in aller Regel derart spannungsbelastet sei, dass die Eltern die elterliche Sorge auch dann nicht über längere Zeit gemeinsam ausüben könnten, wenn sie dies guten Willens anstrebten. Dagegen bewertete die Bundesregierung die Neuregelung als bessere Chance, dem Kind trotz Trennung oder Scheidung den Kontakt zu beiden Eltern zu erhalten (insgesamt zu der Reform vgl. Proksch, Roland, Rechtstatsächliche Untersuchung zur Reform des Kindschaftsrechts, Bundesanzeiger Verlag Köln 2002).
Wirkung der Regelungen zur elterlichen Sorge
Die Neuregelung hat sich bewährt. Die gemeinsame elterliche Sorge ist das bei Scheidung „übliche“ Sorgemodell geworden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts erreichte sie im Jahr 2004 im Bundesdurchschnitt fast 88 Prozent.
Im Zweifel entscheiden sich Eltern offenbar für den Behalt der gemeinsamen elterlichen Sorge, auch wenn sie dies nicht als eine (für sie) optimale nacheheliche Gestaltung der elterlichen Verantwortung sehen. Sie erkennen in der gemeinsamen elterlichen Sorge die bessere Alternative, als Eltern miteinander zufriedenstellende Regelungen in Bezug auf ihre Kinder zu treffen.
Eltern bleiben nach erfolgter Scheidung grundsätzlich bei ihrer Entscheidung. Die Sorge, dass Eltern später erneut über die elterliche Sorge streiten, blieb ebenso unbegründet wie die, dass Eltern wegen ihrer Scheidungsprobleme die elterliche Sorge auch dann nicht über längere Zeit gemeinsam ausüben könnten, wenn sie dies guten Willens anstrebten.
Kommunikation und Kooperation von Eltern
Während die gemeinsame elterliche Sorge die Kooperation und Kommunikation von Eltern strukturell fördert, fehlt dies bei der alleinigen elterlichen Sorge. Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge kooperieren und kommunizieren quantitativ und qualitativ mehr und besser als Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge zum Wohl ihrer Kinder. Ihre Beziehungen sind konstruktiver und zufriedenstellender als die Beziehungen zwischen Müttern und Vätern mit alleiniger elterlicher Sorge. Sie setzen vornehmlich auf konsensuale Regelungen. Dadurch können sie eine deutlich bessere Beziehung zueinander gestalten. Dies trägt zu Konfliktentschärfung und Konfliktentlastung bei.
Gerade bei Eltern, die die alleinige Sorge (streitig) anstreben, bleiben aktuelle partnerschaftliche Konflikte für ihre nachehelichen Beziehungen sowie Bestrebungen der Ausgrenzung des anderen Elternteils bestimmend. Der Antrag auf alleinige elterliche Sorge ist nicht Ursache sondern Folge des Konflikts. Richterliche Anhörungen von Eltern, die die alleinige elterliche Sorge anstreben, und ihren Kindern, können dem oft nicht beikommen. Die konflikthafte Beziehung der Eltern verschärft sich nach einer gerichtlichen Entscheidung häufig weiter bzw. bleibt bestehen, zum Nachteil der Kinder. Die positive Gerichtsentscheidung zugunsten des antragstellenden Elternteils „bestätigt“ ihm die mangelnde Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit bzw. -bereitschaft des abgewiesenen Elternteils. Zukünftig kann dieser Elternteil mit dieser Entscheidung gegen den anderen Elternteil argumentieren.
Die alleinige elterliche Sorge führt in hohem Maß zur Ausgrenzung des umgangsberechtigten Elternteils. Insbesondere Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge erleben untereinander ein erhebliches Spannungsverhältnis. Der sehr hohen Zufriedenheit des alleinsorgeberechtigten, hauptbetreuenden Elternteils mit der Alleinsorge sowie mit den (defizitären) Umgangsregelungen steht eine sehr hohe Unzufriedenheit des nichtsorgeberechtigten, umgangsberechtigten Elternteils gegenüber. Der Kontaktabbruch der Kinder zum umgangsberechtigten Elternteil ist bei Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge erheblich. Dies alles ist offenbar konfliktverschärfend. Der Beratungsbedarf von Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge im Vergleich zu den Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge wird demzufolge von den Professionen einhellig als erheblich eingeschätzt.
Bei Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge ist dieses Spannungsverhältnis nicht vorhanden. Ihre Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit ist deutlich ausgeglichener als bei den Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge. Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge gestalten und praktizieren den Umgang mit ihren Kindern im Gegensatz zu den Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge quantitativ und qualitativ großzügig. Sie gestalten und praktizieren Unterhaltsregelungen grundsätzlich zufriedenstellender und zuverlässiger als Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge.
Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge kooperieren und kommunizieren überwiegend zufriedenstellend miteinander. Sie treffen bevorzugt Regelungen selbständig und einvernehmlich. Sie bemühen deshalb deutlich weniger als Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge die Gerichte. So regeln Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge Streitigkeiten mit dem anderen Elternteil zu 66,8 Prozent im Gespräch zwischen Mutter und Vater, Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche lediglich zu 34,9 Prozent.
Umgangskontakte regeln 68,2 Prozent der Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge durch eigene außergerichtliche Vereinbarung und nur zu 14,8 Prozent durch Gerichtsentscheidung. Demgegenüber regeln zwar 43,4 Prozent der Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge Umgangskontakte durch eigene außergerichtliche Vereinbarung, jedoch benötigen 35,2 Prozent eine Gerichtsentscheidung.
Wechselseitige Informationen der Eltern über die persönlichen Verhältnisse ihrer gemeinschaftlichen Kinder erfolgen bei Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge regelmäßig. Sie sind die Ausnahme bei Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge.
Die Defizite von Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge in ihrer Kooperation und Kommunikation miteinander schlagen voll durch zu Lasten ihrer Kinder, vor allem beim Recht ihrer Kinder auf Umgang (§§ 1626 Abs. 3, 1684 Abs.1 BGB). Umgangsstreitigkeiten werden hochkonflikthaft geführt, Maßnahmen der Zwangsvollstreckung werden beantragt. Die Verfahren führen häufig zu einer Konfliktverschärfung, nicht aber zur gewünschten zufriedenstellenden Regelung nachehelicher Elternschaft.
Die Befragungsergebnisse bestätigen frühere Forschungsergebnisse (z.B. Napp-Peters), dass gerade bei Kindern von Eltern, die die Alleinsorge erstritten haben, das Risiko des Kontaktabbruchs zum umgangsberechtigten Elternteil erheblich ist. Nicht selten verfolgen sie eine klare Abgrenzung zum umgangsberechtigten Elternteil und beeinträchtigen damit (auch) das Umgangsrecht ihrer Kinder. 34 Prozent der umgangsberechtigten Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge haben im Jahr 2001 bereits gar keinen Umgangskontakt (16,8 Prozent „nur selten“) zu ihren Kindern, gegenüber 5 Prozent (9 Prozent) der Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge und 9,2 Prozent (12,7 Prozent) der Eltern, die die gemeinsame elterliche Sorge leben, weil ihr streitiger Antrag auf Übertragung der Alleinsorge abgewiesen wurde.
Nach den Befragungsergebnissen spricht viel für die Annahme, dass die Regelung von Umgangskontakten durch Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge bzw. ohne elterliche Sorge ein größeres Konfliktpotential birgt als die Notwendigkeit der gemeinsamen Regelung von Kindesangelegenheiten durch Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge.
Die positiven strukturellen Wirkungen der gemeinsamen elterlichen Sorge werden insbesondere bei einem Vergleich mit den Eltern deutlich, die die gemeinsame elterliche Sorge gegen ihren Willen leben müssen, weil ihr (streitiger) Antrag auf Alleinsorge gerichtlich abgewiesen worden ist. Bei grundsätzlich gleicher Streitintensität wie Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge zum Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens tendieren sie mit einigem Abstand zu ihrer Scheidung bei Streit-, Umgangs- und Unterhaltsregelungen in ihrem Verhalten zu dem der Eltern, die die gemeinsame elterliche Sorge mangels Antragstellung behielten.
Regelung des Unterhalts
Während die finanzielle Situation der Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge und alleiniger elterlicher Sorge grundsätzlich vergleichbar ist, ist die Unterhaltssituation für Kinder von Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge deutlich besser als die von Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge.
So geben 93,5 Prozent der barunterhaltspflichtigen Väter mit gemeinsamer elterlicher Sorge an, dass sie gegenwärtig Kindesunterhalt bezahlen. 86,7 Prozent der unterhaltsberechtigten Mütter mit gemeinsamer elterlicher Sorge bestätigen den Erhalt von Kindesbarunterhalt. Bei den Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge geben 88,4 Prozent der unterhaltspflichtigen Väter an, dass sie Kindesunterhalt leisten. Lediglich 67,1 Prozent der Mütter bestätigen dies.
Die Regelmäßigkeit der Kindesunterhaltszahlungen erklären 91,3 Prozent der barunterhaltspflichtigen Väter mit gemeinsamer elterlicher Sorge; 80,5 Prozent der Mütter mit gemeinsamer elterlicher Sorge bestätigen dies. Bei den Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge geben 85,4 Prozent der unterhaltspflichtigen Väter an, dass sie den Kindesunterhalt regelmäßig leisten; hier bestätigen dies 58,8 Prozent der Mütter mit alleiniger elterlicher Sorge. Unstimmigkeiten über den Kindesunterhalt verneinen 67,7 Prozent aller Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge bzw. 51,9 Prozent mit alleiniger elterlicher Sorge.
Meinungen von Kindern zur Reform
Kinder erleben und finden es gut, dass heute mehr als früher Bedeutung auf ihre Meinung gelegt wird. Dies betonen insbesondere die älteren bzw. heute volljährigen Kinder, wenn sie sich an ihre Beteiligung im Scheidungsstreit durch Jugendämter oder Gerichte erinnern. Überwiegend empfanden sie sich gut aufgenommen von den Fachkräften der Jugendhilfe und den Richter(inne)n.
Die nacheheliche Situation finden Kinder am zufriedenstellendsten, wenn sie ihre bisherige Situation beibehalten können, also ihre gewohnte Umgebung und ihren gewohnten Alltag erhalten können und der alltägliche Streit beendet ist. Wenn sie dann erleben, dass die Eltern wieder miteinander „normal“ reden oder „normal“ miteinander umgehen, ist das noch einmal mehr entlastend.
Problematisch ist nach wie vor die Situation von Kindern, deren Eltern sich über den Aufenthaltsort der Kinder streiten und die das „alte Kampffeld Umgangsrecht“ nicht verlassen (können). Oft spüren Kinder (und vor allem Jugendliche) aber, dass diese Frage ein Machtspiel der Eltern ist oder wird. Hier fühlen sie sich zu oft in Loyalitätskonflikten, z.B. wenn sie über den anderen Elternteil ausgefragt werden oder erleben, dass ein Elternteil es gar nicht gerne sieht, dass das Kind bei dem anderen Elternteil lebt oder zu ihm geht.
Bewertung der Reform aus Sicht der Eltern
Der neue rechtliche Rahmen nach dem Kindschaftsrechtsreformgesetz wird von den Eltern grundsätzlich als entlastend und als Fortschritt bewertet. Dies gilt für Mütter wie Väter. Die Regelungen zur elterlichen Sorge und zum Umgangsrecht, die verbesserten Möglichkeiten zur Durchsetzung der Rechte der Kinder, deren Beteiligung vor Gericht und im Jugendamt, sowie der beraterische Schwerpunkt des neuen Rechts finden Zustimmung. Kritik wird geäußert an der effektiven und schwierigen Durchsetzbarkeit von Umgangsregelungen, insbesondere auch von gerichtlichen Entscheidungen zum Umgang von Kindern mit ihren Eltern. Das sei auch nach dem neuen Recht nicht besser geworden.
Mütter und Väter nehmen überwiegend dieselbe Position ein, je nachdem, ob sie mit oder ohne ihre Kinder leben. Der nacheheliche Kontakt von Müttern oder Vätern zu ihren gemeinschaftlichen Kindern scheint ein zentrales Moment zu sein für das subjektive Wohlbefinden der Eltern und für die Art und Weise ihrer Beziehung, Kooperation, Kommunikation und wechselseitigen Information. Mütter und Väter, die mit ihren Kindern zusammenleben bzw. zufriedenstellenden Kontakt zu ihnen haben, sind grundsätzlich mit ihrer Situation und mit dem neuen Recht zufriedener als Eltern, die von ihren Kindern getrennt leben und keinen oder nur wenig Kontakt zu ihnen haben. Dies gilt für Eltern aller Bildungs- und Einkommensgruppen wie auch für Eltern beider Sorgegruppen.
Insoweit erscheint konsequent, dass Eltern ohne elterliche Sorge und ohne Kinder mit ihrer Situation sehr unzufrieden, Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge, die mit ihren Kindern leben, dagegen eher zufrieden sind. Dies gilt für Eltern aller Bildungs- und Einkommensgruppen.
Bewertung der Reform aus Sicht der Professionen
Aus Sicht der Richter(innen) wurde die Verbesserung der Rechte der Kinder überwiegend sehr gut bis gut erreicht. Insbesondere die verfahrensrechtlichen Flankierungen (Anhörung, Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, Verfahrenspfleger, begleiteter Umgang, Vermittlungsverfahren bei Umgangskonflikten), aber auch die Schaffung konkreter subjektiver Rechtspositionen (Umgangsrecht als Recht des Kindes; Erweiterung des Kreises umgangsberechtigter Personen) haben nach ihrer Auffassung zu einer deutlichen Verbesserung der Rechtsstellung der Kinder geführt.
Rechtsanwaltschaft und Jugendämter bewerten die Verbesserung der Rechte der Kinder zurückhaltender. Aus ihrer Sicht dominiert in (noch zu) vielen Fällen die Erwachsenen- bzw. Elternperspektive. Dies werde bei Streitigkeiten um den überwiegenden Aufenthaltsort der Kinder und insbesondere in Umgangskonflikten sichtbar.
Die Stärkung elterlicher Autonomie sehen die Hälfte der Richter(innen), fast drei Viertel der Jugendämter, jedoch lediglich ein Drittel der Rechtsanwaltschaft als sehr gut oder gut erreicht. Eltern setzen häufiger und intensiver als vor dem Kindschaftsrechtsreformgesetz auf eigene Regelungen. Sie würden sich besser als vor der Reform für die gemeinsame Arbeit an einer eigenverantwortlichen Regelung gewinnen und davon überzeugen lassen, dass eine eigene Reglung die zu bevorzugende Alternative sei. Demzufolge habe dieser Aspekt in der Beratungsarbeit Priorität. Die Rechtsanwaltschaft erlebt Eltern allerdings noch zu oft in der Position, eine Konfliktentscheidung von Experten zu erwarten. Eltern könnten (oder wollen) sich häufig nicht vorstellen, die „richtige“ Regelung selbständig und gemeinsam zu finden.
Dass die Beziehung des Kindes zu beiden Eltern sehr gut oder gut gefördert wurde, meinen circa ein Drittel der Professionen. Überwiegend vertreten sie die Auffassung, dass dies lediglich teilweise gelungen ist. Zu oft herrsche noch „Besitzdenken“ der Eltern in Bezug auf ihre Kinder vor. Das werde vor allem beim elterlichen Streit um die Alleinsorge, um den überwiegenden Aufenthalt des Kindes, um Umgangsrechte und um die wechselseitige Information und Mitwirkung deutlich. Jugendämter und Rechtsanwaltschaft erleben sehr oft hautnah, wie Eltern sich ihre Kinder gegenseitig streitig machen bzw. Kinder vom anderen Elternteil fernhalten. Zwar haben die neuen rechtlichen Regelungen wie z.B. begleiteter Umgang, Vermittlung und Verfahrenspfleger deutliche Verbesserungen erbracht. Die „harten“ Fälle sind jedoch nach wie vor kaum zu klären. Konsequenzen habe z.B. ein dem Umgang „widerstreitender“ Elternteil kaum zu fürchten. Eine lange Verfahrensdauer und die Zurückhaltung der Gerichte bei der Zwangsvollstreckung würden solche Haltungen von „widerstreitenden“ Eltern belohnen.
Die Gleichstellung zwischen ehelichen und nicht-ehelichen Kinder bewerten die Professionen einvernehmlich als sehr gut oder gut erreicht. Genannt werden hier die entsprechenden Neuregelungen über die gleichen Rechte der Kinder auf Umgang und auf Kindesunterhalt. Die Differenzierung der Regelung der elterlichen Sorge bei nichtehelichen Kinder (Alleinsorge der Mutter als Regelfall) wird allerdings teilweise als nicht gelungen und mindestens für die Fälle des (langen) nicht ehelichen Zusammenlebens von Eltern als wenig überzeugend bewertet.
Notwendigkeit der Flankierung der Reform
Entscheidend für eine gelingende gemeinsame Elternschaft ist vor allem eine unterstützende Beratungsintervention der scheidungsbegleitenden Berufe. Die Fähigkeit von Eltern zur eigenverantwortlichen Konfliktregelung ist nachhaltig zu fördern. Sie müssen in die Lage versetzt und motiviert werden, ihre Konflikte selbständig und einvernehmlich zu regeln, statt sie zur „Fremdentscheidung“ an Dritte zu delegieren.
Das Kindschaftsrechtsreformgesetz zielte auf eine Verbesserung der Rechte der Kinder bei gleichzeitiger Stärkung der Rechtsposition der Eltern. Die Fähigkeit von Eltern beider Sorgegruppen zur Sicherung und Förderung des Wohls ihrer Kinder und zur selbständigen und eigenverantwortlichen Konfliktregelung wird, je nach Elternsituation, unterschiedlich herausgefordert. Hierfür benötigen sie in unterschiedlicher Weise angemessene, geeignete Angebote der Beratung und Unterstützung.
Die Stärkung der Elternautonomie bedeutet für die Eltern zwar mehr eigene Entscheidungsautonomie, aber nicht gleichzeitig vorhandene Entscheidungskompetenz. Vielmehr generiert die verstärkte Entscheidungsautonomie in vielen Fällen zunächst Beratungsnachfrage, insbesondere bei der Rechtsanwaltschaft und den Jugendämtern. Gerichtliche Streitigkeiten können dabei häufig verhindert werden. Dies war aber ein wichtiges Ziel des Gesetzgebers.
Die Annahme von unterstützender Beratung und Hilfe durch die (Scheidungs-)Eltern ist jedoch noch deutlich defizitär. Dies gilt auch für Mediation. Kindschaftsrechtliche Streitigkeiten werden immer noch nur in sehr geringem Umfang durch Mediation angegangen bzw. geregelt. Vor Ort ist daher zu überprüfen, wie die Annahme von Beratung und Mediation verbessert werden kann.
Die vorhandenen Beratungsmöglichkeiten werden als (noch) nicht ausreichend bewertet. Richter(innen) und Rechtsanwält(innen) sehen Bedarf nach kürzeren Wartezeiten, qualitativ besseren und zahlreicheren sowie vielfältigeren Angeboten. Rechtsanwält(innen) sehen Bedarf nach Mediation als Standardangebot vor Ort. Das Beratungsangebot vor Ort ist daher entsprechend auszubauen.
Zur Förderung vor- bzw. außergerichtlicher Angebote zur eigenverantwortlichen Konfliktregelung (z.B. durch Familienmediation) müssen solche Angebote gebührenrechtlich bevorzugt werden. Die weitgehende Begrenzung staatlicher Unterstützung auf „Prozess-Kostenhilfe“ ist nicht konsequent. Die Regelungen des Rechtsberatungsgesetzes gilt es so anzupassen, dass sie die Akzeptanz und Anwendung von vor- bzw. außergerichtlichen Angeboten zur eigenverantwortlichen Konfliktregelung fördern und nicht behindern.
Prof. Dr. jur. Roland Proksch ist Professor an der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg. Er war bis 30.9.2006 deren Präsident.
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