fK 4/11Lübke

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

„Ich bin dann mal weg“

Der Übergang von der Krippe in den Elementarbereich

Von Torsten Lübke

Kinder müssen sich heute sehr früh auf ein Leben einstellen, das immer wieder Veränderungen und Übergänge mit sich bringt. Damit sie diese ohne Schaden bewältigen können, werden den Kindern Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit und Anpassungsvermögen an neue Situationen und Flexibilität abverlangt. Übergänge werden heute in der Pädagogik als besonders bedeutsame Lebensabschnitte gesehen, in denen die Kinder eine neue Identität ausbilden.

Was ist ein Übergang?
Übergänge sind ein fester Bestandteil im Leben der Menschen und stellen diese vor immer neue Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben.
Übergänge kennzeichnen unterschiedlich tiefe und weitreichende, biografische Einschnitte im menschlichen Lebenslauf.
Der Übergang ist die Zeit zwischen zwei Entwicklungsphasen. Übergänge markieren sowohl die Phase der Trennung als auch die des Neubeginns und sind von unterschiedlichen Gefühlen begleitet wie Stolz und Freude, aber auch Ängste und Befürchtungen.
Markante Übergänge in den ersten Lebensjahren sind die von der Familie in eine Kindertagesstätte und von der Kindertagesstätte in die Schule. Dabei steht das Kind im Mittelpunkt, beteiligt sind jedoch auch die Eltern und die Fachkräfte in Kindertagesstätten.
Bei einem Übergang handelt es sich nicht um ein zeitlich eng umgrenztes Ereignis, sondern um einen längerfristigen Prozess. Wichtig ist, das man darauf achtet dem Kind für diesen Prozess soviel Zeit einzuräumen wie es benötigt.

Veränderung der eigenen Identität
Nach dem Wechsel von der Krippe in den Elementarbereich fühlt sich das Kind „älter“ und „größer“ und erlebt einen höheren Status gegenüber den Kindern, die noch weiter in der Krippengruppe verweilen.
Der Wandel der Identität gilt nicht nur für das einzelne Kind, sondern auch für die Familie. Dies zeigt sich darin, dass die Familie ihr Kind bewusst mit seinen sich nun veränderten Bedürfnissen im Elementarbereich wahrnimmt und es bei der Bewältigung seiner neuen Anforderungen unterstützt.

Veränderung der Rolle
Zur Rolle des Kindes in der Familie kommen nun neue Rollenerwartungen des Elementarbereiches auf das ehemalige Krippenkind zu. Die Erwartungen an Selbständigkeit und Selbsttätigkeit wachsen und die unmittelbare Unterstützung durch vertraute Bezugspersonen wird gelockert. Das Kind muss nun eigenständig beobachten und überlegen, wie es sich verhalten soll um diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Neue Beziehungen
Das Kind knüpft neue Beziehungen. Zu den neuen Kindern im Elementarbereich, zur neuen Erzieherin und zu neuen Räumlichkeiten.
Es bilden sich neue Freundschaften, die Bindung zur Erzieherin vertieft sich und schafft Sicherheit, die neuen Räumlichkeiten bieten neue Herausforderungen für das ehemalige Krippenkind. Es muss sich auf einen neuen Zeitrhythmus einstellen und lernt neue Regeln kennen. Bei dem Übergang von der Krippe in den Elementarbereich ist eine positive, unterstützende Grundhaltung der Erzieherin absolut erforderlich.
Auch Beziehungen innerhalb der Familie können sich verändern, da das Kind nun selbstbewusster, selbständiger und unabhängiger wird.
Das Kind zeigt neue Verhaltensmuster und erweitert seine Kompetenz im Umgang mit anderen Personen.
Die Anforderungen an das Kind beim Wechsel sind also sehr komplex.

Reaktionen richtig einschätzen
Informationen von Eltern über Verhaltensweisen und Befindlichkeiten der Kinder nach dem Gruppenwechsel erweitern für die Erzieherin den Blickwinkel über den Verlauf der Eingewöhnung.
Durch genaue Beobachtung, wie sich das Kind während der Eingewöhnung verhält, erfährt die Erzieherin alles über den aktuellen Befindlichkeitsstand des Kindes. Sie kann gegebenenfalls auf bestimmte Situationen und Aktionen Einfluss nehmen und dementsprechend angemessen auf die Bedürfnisse reagieren.

Emotionen
Von großer Wichtigkeit beim Wechsel von der Krippe in den Elementarbereich ist eine gute Vorbereitung der Kinder auf die neue Situation, so dass sie sich mit viel Vorfreude und Neugier auf das Neue einlassen können.
Durch diese Möglichkeit erleben die Kinder, dass sich für sie völlig neue Handlungsmuster eröffnen. Auch dieser Vorgang sollte pädagogisch von allen Beteiligten achtsam begleitet werden.

Beim Übergang von der Krippe in den Elementarbereich sollen die Kinder sich als aktive Übergänger erleben, auf deren Bedürfnisse geachtet wird und auf deren Befindlichkeiten Rücksicht genommen wird. So wird ein Übergang eher gelingen und erfolgreich sein, als wenn sich die Kinder wenig unterstützt fühlen und sich somit einer unsicheren, unbekannten Umgebung ausgesetzt sehen, in der sie sich nun irgendwie zurecht finden sollen.
Optimal ist es, wenn auch die Erzieherinnen mit viel Freude und Neugier auf die neuen Kinder und Familien zugehen können.

Die pädagogischen Fachkräfte sollten sich dieses immer wieder bewusst machen und ihre Arbeit auch auf diesen, überaus wichtigen Punkt der Übergänge reflektieren.

Im Folgenden möchte ich zum einen den Übergang von einer reinen Krippe in den Elementarbereich einer anderen Einrichtung, und zum anderen den Übergang von der Krippe in den Elementarbereich derselben Einrichtung beschreiben. Bei beiden Übergängen gibt es Unterschiede und Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen werde ich versuchen die optimale Situation für das Kind darzustellen. Dies ist sicherlich nicht immer möglich aber es sollte bei der Planung von Übergängen einen hohen Stellenwert haben.

Übergang von der reinen Krippe in den Elementarbereich einer anderen Einrichtung:
Wünschenswert wäre es, wenn es eine Zusammenarbeit aller in einer Region liegenden Kitas gäbe. So könnte man auf Leitungsebene der verschieden Einrichtungen besprechen wann und wie der Wechsel gut stattfinden könnte. Ganz praktisch könnten bei dieser Zusammenarbeit die Kinder und Mitarbeiter der reinen Krippe die neue Einrichtung besuchen und umgekehrt. So würden die Kinder Kontakt zu den beteiligten Personen (andere Kinder, Erzieher) aufbauen. Die Kinder würden die neuen Räumlichkeiten kennen lernen und hätten dadurch einen sanfteren Übergang.
Eine gute Gelegenheit zur Kontaktaufnahme bieten auch gemeinsame Ausflüge die beide Kitas gemeinsam planen und durchführen könnten.
Hierbei würden sich auch alle beteiligten näher kennen lernen.
Die Eltern bekommen von den Erziehern die Möglichkeit eines Abschlussgespräches und werden bei diesem Wechsel begleitet und unterstützt. Denn auch für die Eltern ist der Übergang in einen neuen Bereich ein Neuanfang.
Für das Kind gestalten wir den Abschied mit bestimmten Ritualen, z. B. bekommt jedes Kind ein selbst genähtes kleines Kissen zum Abschied. Die Eltern berichten uns immer wieder, dass die Kinder diese Kissen noch längere Zeit mit sich herumtragen und ihnen Sicherheit beim Übergang geben.

Jedes Kind bekommt eine Abschiedsfeier, die wenn möglich am letzten Tag des Kindes in der Einrichtung stattfinden sollte. So versteht das Kind, das die Zeit in der Krippe nun endgültig vorbei ist.

Beim Übergang in die neue Einrichtung ist es besonders wichtig, dass diese jungen Kinder eine Bezugsperson haben, die sie behutsam in die neue Umgebung einführt und auch emotional jederzeit für die Kinder ansprechbar ist. Daher sollte diese Bezugsperson auch einige Wochen nach der Eingewöhnung den Kindern und Eltern zur Verfügung stehen und somit nicht gleich nach der Eingewöhnung z. B in Urlaub gehen.

Aber der wichtigste Punkt für Kinder ist das die neue Einrichtung ein ähnliches Konzept hat wie die alte Einrichtung. Wenn ein Kind während der Krippenzeit ein verlässliches Konzept erlebt hat und in der neuen Einrichtung auf ein völlig anderes Konzept trifft, wird die Verunsicherung beim Übergang erheblich sein. Dies gilt im übrigen auch für die Eltern.

Übergang von der Krippe in den Elementarbereich derselben Einrichtung:
Beim Übergang von der Krippe in den Elementarbereich derselben Einrichtung sollte man darauf achten, möglichst kein einzelnes Kind sondern kleine Gruppen wechseln zu lassen. Zusammen lässt sich ein Übergang leichter bewältigen. Um den Übergang für das Kind zu erleichtern sind hier Punkte wie Kontinuität, Sicherheit und Zuverlässigkeit von entscheidender Bedeutung.
Das Kind soll natürlich von seiner Erzieherin, die den Übergang begleitet, auf diesen Wechsel vorbereitet werden. Das heißt, sie thematisiert einige Zeit vor dem Wechsel diese Situation, erklärt die Vorgehensweise und lässt das Kind an Vorbereitungen teilhaben.
Für die Kollegen aus beiden Bereichen ist es wichtig, feste Zeiten für die Eingewöhnung abzusprechen und einzuhalten.

Bei den ersten Besuchen im Elementarbereich wird das Kind von seiner bisherigen Erzieherin begleitet.
Später holt die neue Erzieherin mit einigen Kindern, der so genannten „Empfangsgruppe“ das Kind aus seiner alten Gruppe ab.
Im Morgenkreis des Elementarbereiches sollte darauf geachtet werden, dass die Gruppe auf die neuen Kinder vorbereitet wird.
Hierbei können sich z. B. ältere Kinder als Patenkind zur Verfügung stellen, und sich besonders um das neue Kind zu kümmern.
Von erheblicher Wichtigkeit ist es, dass die neue Bezugserzieherin dem neuen Kind intensiv die Räume und Regeln des neuen Bereiches erklärt. Oft wird innerhalb einer Einrichtung davon ausgegangen das alles bekannt ist.
Auf jeden Fall sollten für das neue Kind im neuen Bereich schon ein eigenes Eigentumsfach und ein eigener Garderobenplatz zur Verfügung stehen. Das signalisiert dem Kind – hier habe ich meinen Platz.
Eine gute Möglichkeit der ersten Annäherung an das neue Kind, bietet sich z. B. bei gemeinsamen Treffen auf dem Außengelände, Spielplatz etc.. Auch gemeinsame Ausflüge können zur ersten Kontaktaufnahme genutzt werden. Dadurch ist die neue Erzieherin dem Kind nicht völlig unbekannt, was wiederum den Übergang erleichtern kann.

Optimale Bedingungen
Optimale Bedingungen bedeuten, Möglichkeiten für den Übergang des Kindes zu schaffen, die vielleicht nicht immer in jeder Kindertagesstätte umsetzbar sind, aber wünschenswert wären.
Eine Möglichkeit, die allerdings nicht planbar ist, wäre wenn das Kind sich seine neue Erzieherin selbst aussuchen könnte. Hierzu müsste das Kind diesen Wunsch natürlich äußern („ich will zu Barbara“).
Außerdem wäre es gut wenn das Kind den endgültigen Zeitpunkt des Wechsels bestimmen könnte, inklusive der endgültigen Abschiedsfeier.

Das morgendliche Ankommen, das einen besonders sensiblen Bereich darstellt, sollte auch für eine Übergangszeit in der alten Gruppe möglich sein. So findet das Kind sicher in den Tag.

Das Schlafen und Wickeln sind ebenfall sehr sensible Bereiche. Daher sollte auch dieses, für eine Übergangszeit, in der Ursprungsgruppe ermöglicht werden. Das Kind soll eigenständig entscheiden von welcher Erzieherin es gewickelt werden möchte. Da die älteren Kinder im Elementarbereich keine Windeln mehr tragen, könnte es für neue Kinder unangenehm sein dort gewickelt zu werden. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass die Möglichkeit besteht in der alten Gruppe gewickelt zu werden. So entfällt auch die Notwendigkeit eines Wickeltisches im Elementarbereich.
Die Möglichkeit von Besuchen in der Ursprungsgruppe sollte während der gesamten Zeit in der Kindertagesstätte nach Absprache durchgeführt werden können. Gemeinsame Projekte im „Vorwege“ des Übergangs zwischen Elementarkindern und älteren Krippenkindern tragen zu einem positiven kennen lernen bei. Der Übergang von der Krippe in den Elementarbereich sollte genauso gut geplant und einfühlsam gestaltet werden wie die Eingewöhnung in der Krippe. Um all dies zu ermöglichen und für die Kinder einen optimalen Übergang zu gestalten, bedarf es einer sehr guten Absprache und Zusammenarbeit zwischen Erziehern der Krippe und des Elementarbereiches.

Torsten Lübke ist Leiter der Kita Tornquiststraße in Hamburg.

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