24 Juli fK 4/06 Hollmann
Resonanz-Räume der Lernfreude
Mit „S-E-S-A-M-…öffne-dich-Strategien“ die Lern-Kultur in KiTas entwickeln
von Elisabeth Hollmann
Neulich saß ich in einer Runde erregt diskutierender KiTa-Leiter(innen). Anlass ihrer vehementen Kritik war der bildungspolitisch erfolgreiche Slogan ihres Trägers: Wir wandeln unsere KiTas von Betreuungs- zu Bildungseinrichtungen! „Als ob wir nicht schon immer Kinder gebildet hätten“, sagten sie, und in ihren Verteidigungsargumenten schwang neben heller Empörung deutlich ein dunkler Unterton von Kränkung. Viele der Leiter(innen) fühlten sich nach ihrem Jahre langen Engagement für eine qualitätsvolle Bildungsarbeit massiv abgewertet. Das Erleben von Abwertung ist aber die denkbar schlechteste Voraussetzung, um Reformprozesse gestalten zu können!
Seitdem es Bildungs- und Rahmenpläne in allen Bundesländern gibt, ringen Träger und Pädagog(inn)en in KiTas um neue Standards. Da richten Pädagog(inn)en Lern-Inseln ein und beginnen, Lerngeschichten der Kinder zu dokumentieren,… alles wunderbar! Aber viele Pädagog(inn)en spüren auch, dass ihre Aktivitäten wie „aufgetopft“ und eingepasst in vorhandene Strukturen wirken. In ihrer Selbstwahrnehmung – und gespiegelt durch die Reaktionen der Öffentlichkeit – fühlen sich die meisten Erzieher(innen) und ihre Leitungskräfte zur Zeit als ungenügende, zu belehrende Fachkräfte. Die Gefahr besteht, dass sich in KiTas ein an den Schwächen orientiertes Bildungsverständnis manifestiert.
Parallel zur Entwicklung von Qualitätsstandards gilt es, die Kultur in den KiTas zu wandeln – die KiTa darf das Lernen lernen! Wissend, dass Kinder ihre Lernfreude als Entwicklungsmotor in sich tragen, benötigen sie eine dialogfähige KiTa als Resonanzraum. Eine von beziehungsfähigen Pädagog(inn)en inszenierte, begeisternde Lernwelt – eine Umgebung, die Lernfreude in sich selbst ausstrahlt. Spiegelt die KiTa als Institution den Kindern, was deren ureigene Kompetenz ist: nämlich Lernfähigkeit, dann fördert und fordert sie mit ihren inspirierenden Impulsen Kinder und Erwachsene, aber sie lernt und entwickelt sich auch aus der Interaktion mit ihnen. Die systemische Theorie nennt solche Art gegenseitiger Wirkungsbeeinflussung in Organisationen Lernen in Rückkopplungs- oder Spiegelungsprozessen.
Kleine und große Menschen reagieren mit ihren feinfühligen „Antennen“ wie ein Seismograph auf die Kultur der KiTa in ihrer Gesamtheit. Diese speist sich aus einem komplexen Zusammenspiel vielerlei Faktoren. Im besten Sinne sind das die selbsttätigen Kinder und ihre zugewandten, lernbegierigen Erzieher(innen); weiter: ein Verlässlichkeit bietendes, entspanntes Betriebsklima und die Kooperationsfähigkeit unter allen Beteiligten; dann: eine lernanregende, vielfältige Raum-Bildung; und: eine flexible, funktionierende Ablauforganisation im gesamten KiTa-System. Menschen lernen auch in demotivierenden Wechsel-Wirkungsprozessen, sie lernen immer – fraglich ist nur: was? Von problemhaften Zeichen in einer KiTa lernen sie dennoch Konstruktives, wenn die Pädagog(inn)en ihre Konflikte glaubhaft als Chancen für Lösungen begreifen und sich entsprechend verhalten.
Kinder, aber auch Erzieher(innen) verbringen heute an jedem Wochentag – über viele Jahre hinweg – ihre wertvolle Lern- und Entwicklungszeit im Bildungsraum KiTa. Bedenklich ist, dass sich viele von ihnen über einen langen Zeitraum hinweg ausschließlich in einer so genannten „festen“ Gruppe aufhalten. Es gilt, die KiTa „vom Keller bis zum Dach“ mit all ihren beteiligten Menschen und deren unterschiedlichen Interessen als vernetztes offenes System zu begreifen. „Kinder brauchen ein ganzes Dorf, um ihre Identität entwickeln zu können“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Also dürfen Kinder in einem offenen KiTa-System neue Strukturen erleben und Pädagog(inn)en wie Eltern, die ihnen Orientierung geben, aber sie auch teilhaben lassen an ihren unterschiedlichen Kompetenzen. Und das wichtigste: sich gegenseitig Unterstützung geben in Selbst-Bildungs-Prozessen.
Wie entwickelt sich in KiTas ein lernfreudiges System?
Als beschwörende Öffnungsformel kennen wir den Ausruf „Sesam – öffne dich“ aus dem Märchen „Ali Baba und die vierzig Räuber“. In dieser Kraftformel steckt die Faszination, Verschlossenes öffnen zu können, dass etwas geschehen mag, was noch nicht denkbar ist oder nicht mehr erwartet wird. In einer Zeit, in der sich viele KiTas gesellschaftlich vernachlässigt fühlen, bzw. sich mitunter die Pädagog(inn)en darin selbst vernachlässigen, gilt es, in den KiTas eine Kultur zu entwickeln, in der die Einrichtungen ihre Schätze frei geben können. Das sind zum einen Pädagog(inn)en und Eltern mit ihren Fähigkeiten, aber in besonderer Weise die Kinder mit ihrer Lernlust und -begabung. Den Begriff „S-E-S-A-M-…öffne-dich-Strategien“ möchte ich als Metapher verstanden wissen für die Schätze, die wir in uns tragen, oft verborgen.
Die einzelnen Strategien beginnen jeweils mit dem Buchstaben, aus dem sich das Wort S-E-S-A-M ergibt. Ich ermuntere Sie (alle Führungskräfte, Fachberater(innen) und Fortbildner(innen), KiTas mit einer zutrauenden Haltung zu führen und zu entwickeln – aus der Erfahrung heraus, dass sowohl Sie selbst als auch alle Beteiligten ihre motivierende Kraft im gegenseitigen Resonanzverfahren mobilisieren bzw. wiedergewinnen. Die Strategien wirken nicht im Nacheinander, sondern im dialogischen Sinne gleichzeitig. Unerheblich, wo Sie beginnen, im Zusammenwirken aller Strategien multipliziert sich die Lernfreude im KiTa-System.
Schätze heben
Nehmen Sie Erzieher(innen) mit ihren unterschiedlichen Geschichten, Begabungen und Fähigkeiten wahr. Unterstützen Sie sie darin, sich zu zeigen, auf kreative Weise etwas herzustellen, dies oder sich selbst zu präsentieren. Suchen Sie mit den Pädagog(inn)en nach den Stärken der KiTa, nach ihrer Geschichte, ihrem Profil. Unterstützen Sie die Pädagog(inn)en darin, ihre Arbeit öffentlichkeitswirksam darzustellen. Erkunden Sie gemeinsam neue Erkenntnisse der Hirnforschung und der Lernpsychologie und betrachten Sie auf dem Hintergrund des neuen Wissens die Kinder.
Entwicklungs-Netz aktivieren
Reflektieren Sie auf vier verschiedenen Ebenen das System der KiTa mit den Erzieher(innen) und beziehen Sie dabei Kinder, Eltern und Trägerpersonen ein. Es gilt, überall „Wirkungs-Injektionen“ zu setzen, die sich gegenseitig konstruktiv beeinflussen. Im einzelnen sind dies:
– auf der Ebene des Individuums (bei kleinen und großen Menschen): inspirative Zu-Mutungen zur Steigerung ihrer Selbst-Bildungskompetenz
– auf der Ebene der Beziehungen: ein Schätze-Marketing zur Förderung ihrer Fähigkeiten und zur Stärkung der Kommunikation
– auf der Ebene der Räume: eine funktionale Ästhetik zur Gestaltung von Vielfalt
– auf der Ebene der Ablaufgestaltungen: viele Ermöglichungs-Regelungen für Chancen zu mehr Flexibilität
Sinne erfreuen
Wenn Sie mit dem Pädagog(inn)en-Team arbeiten, achten Sie auf eine inspirierende Lernumgebung, in der es stimulierende Reize für Augen, Ohren, Nase und Mund gibt. Mit Bewegungselementen können Sie den Körper lockern, was auch den Kopf zu neuem Denken anregt. Malen und andere Gestaltungsmittel regen die Erwachsenen an, ihre Lernwege und Ergebnisse darzustellen. Pause zu machen ist wichtig, etwas Gesundes zu essen, aber auch in geordneten Zimmern zu arbeiten.
Anforderungen stellen
Stellen Sie sich selbst, aber ebenso im Pädagog(inn)en-Team immer wieder Fragen. Offerieren Sie ausgewählte Literatur, stellen Sie Arbeitsmittel zur Moderation bereit, geben Sie Hilfestellungen… und treffen Sie eine Zeitvereinbarung, bis wann, wer, zu welchem Thema die Ergebnisse vorlegt. Zeitvereinbarungen sind wichtig. Initiieren Sie Feedback-Prozesse, so viel wie möglich.
Mut machen
Pflegen Sie folgende Haltungen: Du kannst es! Du weißt es! Wir unterstützen uns! Wir können es meistern! Wir machen Fehler! Wir haben immer Ideen, um etwas zu verändern!
Elisabeth Hollmann ist Dipl.-Pädagogin, Organisationsberaterin und Supervisorin (DGSv) in Offenbach.
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