24 Jul fK 4/06 Fröhlich
Systematische Selbstreflexion als Alternative zum „Kindergarten-TÜV“
von Klaus Fröhlich-Gildhoff und Daniela Glaubitz
Seit gut zehn Jahren gibt es eine systematische Diskussion um die Qualitätsentwicklung in den Kindertageseinrichtungen. In verschiedenen Zusammenhängen wurden entsprechende Projekte realisiert. Den dabei entwickelten Qualitätsentwicklungs-Systemen lagen unterschiedliche Philosophien zugrunde: so dreht sich eine Grundfrage darum, ob die Qualitätskriterien eher „von außen“ entwickelt und abgeprüft werden sollten oder ob Kriterien aus der Praxis heraus entwickelt werden und deren Realisierung auch dort selbst geprüft werden soll.
Unstrittig ist, dass Soziale Arbeit – und hierzu gehören auch die Institutionen und Fachkräfte der Pädagogik der Frühen Kindheit – ihr Handeln präzise begründen und beschreiben muss. Und ebenso notwendig ist es, die Wirkungen des Handelns systematisch und kontinuierlich zu überprüfen. An dieser Stelle stellt sich dann zugleich die Frage, wie dies erfolgen sollte, damit es den unterschiedlichen Anforderungen der Praxis gerecht werden kann, dass aber auch die Praktiker(innen) unmittelbar in die Prozesse einbezogen werden und Qualitätsentwicklung nicht nur ein „lästiges Übel“ bleibt (so zeigt sich nach den bisherigen Daten des „SERKi“, s.u., dass bestenfalls 50 Prozent der Einrichtungen in Qualitätsentwicklungsprozesse einbezogen sind, und oftmals sind es nur die Einrichtungsleitungen, die hierbei aktiv mitwirken).
Weiterhin stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die Evaluation von außen – als Fremdevaluation (gar mit Zertifizierung) – durchgeführt werden soll, oder ob es gelingt, die Fachkräfte so in die Prozesse einzubinden, ja sie so zu motivieren, dass sie von dem Qualitätsentwicklungsprozess unmittelbar profitieren.
Einen Ausweg kann hier das Prinzip einer systematischen, standardisierten Selbstevaluation bieten. Die Selbstevaluation als Verfahren der Praxisforschung, das der Auseinandersetzung mit dem professionellen bzw. fachlichen Selbstverständnis dient, hat sich mittlerweile als eigenständige Methodik etablieren können. Von Spiegel (1997) formuliert Vorteile der Selbstevaluation, nämlich (1) eine höhere Akzeptanz der Fachkräfte; (2) eine schnellere Rückmeldung an die Fachkräfte; (3) eine unmittelbare Verbindung zwischen Selbstevaluation bzw. Selbstbeobachtung und Selbstreflexion; (4) die Förderung des fachlichen Diskurses im Team durch gemeinsame Teamselbstevaluation.
Als Nachteil wird die Gefahr gesehen, dass insbesondere bei einem nicht systematisch geplanten Vorgehen der eigene Blick eingegrenzt wird: die Konzentration auf einen Sachverhalt führt zu einseitigen Sichtweisen und dadurch kann möglicherweise ein falsches Bild der Situation entstehen. Hier empfiehlt es sich, Vorgehensweisen oder Instrumente zu entwickeln, die einen Abgleich mit Außenkriterien oder anderen Einrichtungen (benchmarking) ermöglichen.
Wenn Prozesse der Selbstevaluation in Einrichtungen der Frühpädagogik umgesetzt werden sollen, so sind folglich (Güte-) Kriterien zu berücksichtigen:
– In den Evaluationsprozess sollten möglichst viele Fachkräfte, am besten das gesamte Team, einbezogen sein.
– Der Prozess sollte regelgeleitet nach einem Kriterienkatalog oder anhand eines Instrumentes erfolgen.
– Es sollten möglichst viele Bereiche des Handelns in der Institution (im Bereich der Kindertagestätten z.B. die Arbeit mit den Kindern, die Arbeit mit den Eltern usw.) breit berücksichtigt werden.
– Die eingesetzten Instrumente sollen handhabbar sein.
– Die Selbstevaluation sollte kontinuierlich erfolgen, damit auch Prozesse und Entwicklungen relativ genau abgebildet werden können.
– Es sollte eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit den Daten bzw. den Ergebnissen anderer ähnlicher Einrichtungen möglich sein.
– Es sollte eine Auseinandersetzung über das professionelle bzw. fachliche Selbstverständnis (im Team) ermöglicht werden.
Aus diesen Grundüberlegungen heraus wurde im „Zentrum für Kinder- und Jugendforschung“ an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg ein „Fragebogen zur Selbstevaluation und -reflexion in Kindertageseinrichtungen (SERKi)“ entwickelt. Dieser kann/sollte von den Teams der jeweiligen Einrichtung bearbeitet werden; die Bearbeitungszeit umfasst etwa 2,5 Stunden. Das Instrument ist mit offenen und geschlossenen Fragen aufgebaut, so dass zum einen allgemeine Vergleiche möglich sind und zum anderen aber auch die spezifische Situation, vor allem die besonderen Stärken und Schwächen der jeweiligen Einrichtung erfasst werden können.
Die Vorteile dieses Instrumentes sind: (1) Durch die klare Struktur ist eine Orientierung für den Selbstreflexionsprozess der Fachkräfte gegeben. (2) Die Strukturierung bzw. Standardisierung des Instrumentes erlaubt, dass es kontinuierlich d.h. zu mehreren Zeitpunkten einsetzbar ist und sich dadurch Entwicklungen abbilden lassen. (3) Zum dritten können die Daten der einzelnen Einrichtungen in ein Verhältnis zur Gesamtstichprobe, zu einer Gesamt-Vergleichsgruppe von Kindertageseinrichtungen gesetzt werden. So kann die einzelne Einrichtung relativ präzise eine Rückmeldung über ihren Stand im Vergleich zu anderen Kindertageseinrichtungen erhalten.
Der Fragebogen umfasst sechs Blöcke zu folgenden Themen:
– Basisdaten (Größe der Einrichtung, Anzahl der Kinder, Qualifikation der Fachkräfte, Sozialstruktur des Umfeldes usw.)
– Konzeption (Erfassung pädagogischer Schwerpunkte und Besonderheiten)
– Arbeit mit den Kindern (pädagogischer Alltag, pädagogische Besonderheiten, Bildungsbereiche)
– Elternarbeit (Formen der Elternarbeit, Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Eltern usw.)
– Umgang mit Interkulturalität
– Kooperation und Vernetzung mit anderen Institutionen und dem Sozialraum.
Der Fragebogen wurde bereits in 150 Kindertageseinrichtungen eingesetzt, die Erfahrungen der Teams waren mit wenigen Ausnahmen positiv. In den Rückmeldungen wurde insbesondere betont, dass zwar ein größerer Zeitaufwand zur Bearbeitung nötig ist, andererseits aber wichtige Diskussionen im Team angestoßen werden und sich unmittelbar Entwicklungsfragen ergeben.
Der Fragebogen wurde bisher eingesetzt bei der Selbstreflexion von Teams, bei der Beratung einzelner Träger aber auch zur Bestandsaufnahme der Situation in den Kindertagesstätten insgesamt in einer größeren Kommune – gerade hier zeigten sich im Vergleich zu anderen ähnlichen Gebietskörperschaften Schwerpunkte, aber auch mögliche Entwicklungsbedarfe durch die Vergleichsmöglichkeiten.
Es ist geplant, das Instrument noch breiter einzusetzen, um möglichst zu einer repräsentativen Normierung zu kommen, so dass die einzelnen Einrichtungen für sich die Möglichkeit haben, noch ein dezidierteres Feedback zu erhalten. Mit dem Instrument kann einerseits ein gut handhabbares Instrument zur Selbstevaluation zur Verfügung gestellt werden, das andererseits relativ unkompliziert Vergleichsmöglichkeiten erlaubt.
Bei allen Vorbehalten gegenüber einer möglichen Quantifizierung von Handlungsansätzen im Bereich der Sozialen Arbeit zeigen die Erfahrungen, dass – auch für die einzelnen Einrichtungen – die Möglichkeit zu einer klar fassbaren Vergleichsrückmeldung hilfreich ist.
Die vollständige Fassung einschließlich der Literaturangaben ist über die Geschäftsstelle erhältlich.
Der Fragebogen kann angefordert werden bei froehlich-gildhoff@efh-freiburg.de.
Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff ist Hochschullehrer für Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie und Leiter des BA Studiengangs Pädagogik der Frühen Kindheit an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg.
Daniela Glaubitz ist Erzieherin und Studentin an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg.
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