25 Juni fK 3/09 Kinderrechte aktuell
Am 20. November 1989 wurde in der 44. Vollversammlung der Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte des Kindes einstimmig verabschiedet. Sie ist insofern einmalig, als sie die bisher größte Bandbreite fundamentaler Menschenrechte – ökonomische, soziale, kulturelle, zivile und politische – in einem einzigen Vertragswerk zusammenbindet.
Die in den 54 Artikeln dargelegten völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards haben zum Ziel, weltweit die Würde, das Überleben und die Entwicklung von Kindern und damit von mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung sicherzustellen.
Inzwischen wurde die Konvention von 193 Staaten ratifiziert. Dies sind mehr, als die Vereinten Nationen Mitglieder haben. Sie ist damit das erfolgreichste Menschenrechtsabkommen überhaupt. In Deutschland trat die Konvention 1992 in Kraft. In loser Folge stellen wir einzelne Artikel der UN-Kinderrechtskonvention vor und kommentieren ihre Bedeutung vor dem Hintergrund aktueller Debatten um die Rechte des Kindes.
Kinder brauchen Freiräume
von Jörg Maywald
Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention (Beteiligung an Freizeit, kulturellem und künstlerischem Leben; staatliche Förderung)
(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. (2) Die Vertragsstaaten achten und fördern das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und fördern die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung.
Gemäß Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention erkennen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung zu fördern.
Den vier Begriffen „Ruhe“, „Freizeit“, „Spiel“ und „Erholung“ ist gemeinsam, dass sie sich gegenüber allen Formen der „Arbeit“ und des „Unterrichts“ abgrenzen. Dabei bezieht sich „Ruhe“ auf die Notwendigkeit körperlicher und geistiger Erholung und ausreichenden Schlafes. „Freizeit“ zielt auf das Bedürfnis ab, Zeit zur freien Verfügung zu haben. „Spiel“ beinhaltet eine große Bandbreite selbst bestimmter, nicht durch Erwachsene kontrollierter kindlicher Aktivitäten. „Altersgemäße aktive Erholung“ schließlich umfasst Tätigkeiten u. a. in den Bereichen Sport sowie kreativer Ausdruck und Gestaltung.
Mit dem ebenfalls in Artikel 31 Abs. 1 enthaltenen Recht des Kindes auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben ist sowohl der Zugang zu altersgerechten kulturellen und künstlerischen Veranstaltungen gemeint als auch das Recht der Kinder, selbst derartige Veranstaltungen durchzuführen.
Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang das Recht des Kindes auf Spiel, das bisweilen als „vergessenes Recht“ bezeichnet wird, möglicherweise weil Spielen aus Sicht der Erwachsenen als Luxus und nicht als „Lebensnotwendigkeit“ erscheint und vielleicht auch, weil Kinder selbst unter erbärmlichsten Umständen Mittel und Wege finden, um zu spielen. Gegenüber einer verbreiteten Missachtung des Spiels durch Erwachsene muss betont werden, welche unverzichtbare Rolle dem Spiel für eine gesunde Entwicklung des Kindes zukommt, und welcher Mangel an personalen und sozialen Fertigkeiten entsteht, wenn Kinder keine ausreichende Gelegenheit zu spielen erhalten.
Das Recht auf Ruhe und Freizeit
Ausreichende Ruhezeiten sind für Kinder ebenso wichtig wie Ernährung, Unterkunft, Erziehung, Unterricht und Gesundheitsfürsorge. Übermüdete Kinder sind häufig nicht in der Lage zu lernen. Darüber hinaus besteht bei ihnen weitaus mehr als bei ausgeschlafenen, wachen Kindern die Gefahr, dass ihre Gesundheit Schaden erleidet. Eine Verpflichtung der Vertragsstaaten besteht daher darin, dafür Sorge zu tragen, dass arbeitenden bzw. auszubildenden Kindern und Jugendlichen ausreichend Zeit für Schlaf und Entspannung zur Verfügung steht. Das „Übereinkommen zur Nachtarbeit junger Menschen“ der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) schützt Kinder und Jugendliche vor Nachtarbeit. Kinder bis 14 Jahre sollen dieser Konvention zufolge mindestens 14 Stunden täglich ununterbrochene Ruhezeit (darunter die Zeit zwischen acht Uhr abends und acht Uhr morgens) haben, Jugendliche bis 16 Jahre zwölf Stunden und Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren mindestens sieben Stunden täglich.
In Ergänzung zum Recht des Kindes auf Ruhe erinnert das Recht auf Freizeit daran, dass Kinder und Jugendliche Zeiträume für sich selbst benötigen, die weder Arbeits- noch Unterrichtszeiten sind, und in denen sie selbst gewählten und selbst bestimmten Tätigkeiten nachgehen. In engem Zusammenhang mit dem Recht auf Freizeit steht das in Artikel 16 niedergelegte Recht jedes Kindes auf Schutz seiner Privatsphäre.
Das Recht auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung
Spiel und Erholung ist gemeinsam, dass sie freiwillig gewählt werden und nicht verpflichtend sein dürfen. Während das Spiel mannigfaltig, wenig strukturiert und unabhängig von erwachsener Leitung (aber bisweilen durchaus von Erwachsenen angeregt und durch sie beaufsichtigt) stattfindet, zeichnen sich Freizeit- und Erholungsangebote wie zum Beispiel sportliche oder kreative Tätigkeiten in der Regel durch curriculare Strukturen aus, die häufig von Erwachsenen festgelegt und kontrolliert werden.
Die Voraussetzungen, die vorhanden sein müssen, damit Kinder spielen können, sind einfach: Kinder benötigen einen sicheren und für sie zugänglichen Raum, der Möglichkeiten enthält, Dinge zu verändern und kreativ zu gestalten. Aber gerade diese Voraussetzungen sind in der Welt von heute für viele Kinder nicht selbstverständlich vorhanden. Dies mag daran liegen, dass der willkürliche, anarchische Charakter des Spiels ökonomischen Kriterien rationeller Planung zuwiderläuft und das Spiel den Erwachsenen daher als nutzlos und überflüssig erscheinen kann. Demgegenüber muss betont werden, dass das nicht kontrollierte, von Erwachsenen unabhängige Spiel unter Kindern für die körperliche und seelische Gesundheit unabdingbar ist und einen wichtigen Beitrag leistet zum Erwerb emotionaler und sozialer Kompetenzen wie zum Beispiel Empathie und Anteilnahme, Aushandlungsvermögen und Selbstkontrolle.
Das Recht auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben
Das Recht auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben bezieht sich gleichermaßen auf Kinder als Konsumenten wie auch als Produzenten von Kunst und Kultur. Auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen ausgerichtete Angebote sind dabei ebenso inbegriffen wie diejenigen, bei denen Kinder zusammen mit Erwachsenen an entsprechenden Ereignissen (Ausstellungen, Musik- und Theateraufführungen etc.) teilnehmen.
Einschränkungen sind für diejenigen Fälle möglich und sinnvoll, in denen die Angebote nicht altersgerecht sind und daher bei Kindern seelische Schäden hervorrufen können oder wenn die Veranstaltung (z. B. ein Konzert) durch die Anwesenheit junger Kinder gestört werden würde.
Das Recht auf freie Teilnahme an Kunst und Kultur steht in engem Zusammenhang mit den Rechten des Kindes auf freie Meinungsäußerung (Artikel 13), Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (Artikel 15), Zugang zu den Medien (Artikel 17) und Schutz von (ethnischen, religiösen oder sprachlichen) Minderheiten (Artikel 30).
Angesichts der mit Artikel 31 untrennbar verbundenen Freiwilligkeit kommt außerdem der in Artikel 12 festgelegten „Berücksichtigung des Kindeswillens“ eine hohe Bedeutung zu.
Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Förderung der Rechte des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben
Da Kinder nicht über ausreichend Macht und Geld verfügen, um sich Zugang zu sportlichen, kulturellen und anderen Freizeitangeboten zu verschaffen, benötigen sie erwachsene – unter anderem staatliche – Unterstützung. Dies gilt in besonderer Weise für Kinder aus armen und bildungsfernen Familien, die in wenig anregungsreichen Wohnumgebungen leben. Kindern unterschiedlicher Herkunft und unabhängig von ihrem sozialen Status ein hohes Maß an Zugangs- und damit Chancengleichheit zu verschaffen, muss gemäß Artikel 31 Abs. 2 der UN-Kinderrechtskonvention ein zentrales Ziel staatlicher Kulturpolitik für Kinder sein.
Dr. Jörg Maywald ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind und Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
Literatur
Bundesministerium für Familie,Senioren, Frauen und Jugend (Hg.)
Übereinkommen über die Rechte des Kindes.
UN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien
Bonn 2000
UNICEF (Hg.)
Implementation Handbook for the Convention on the Rights of the Child
(2. völlig überarbeitete Auflage)
Genf 2002.
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