25 Jun fK 3/09 Anderfuhren
Neugierige Schritte in Spielräume
von Toni Anderfuhren
Verspüren Sie auch Lust auf einen Spaziergang quer durch eine bewegte Spiellandschaft? Ich möchte mich mit Ihnen auf eine Reise über den Spielplatz begeben und mich dabei immer mal wieder an der Nase nehmen. Ich möchte mir Gedanken zu den Teilen eines Spielraums machen, über deren Sinn nachdenken. Dazu vergleiche ich den alltäglichen Spielraum auch mit teuren Abenteuerparks oder mit dem Zoo, spaziere mit Ihnen in die Vergangenheit und stelle immer mal wieder ungewohnte Fragen.
Begeben wir uns also auf eine Expedition in die Welt der Kinder! – Entschuldigung, so einfach geht das aber nicht! Kinder betreten ihr Gelände nur ungern durchs offene Tor. Sie schleichen sich an, klettern über den Zaun, warten auf Kumpels, verwandeln sich in Seebären, oder sie versuchen sich an die richtigen Worte zu erinnern, die unbedingt gesprochen werden müssen, um die magische Linie ohne Schaden zu übertreten!
Sie glauben mir nicht? – Verschieben wir unsere Beobachtungsstation kurz in den Zoo und schauen uns an, was dessen Planer(innen) sich einfallen lassen, um die Menschen ‚richtig‘ an Tiere heranzuführen. Klar, dort macht man sich diese Gedanken seit längerem, denn schließlich sind Tiere ein wertvoller Teil unserer Welt und das Geld der Gäste Motor des Unternehmens Zoo! Anscheinend sind Kinder für unsere Gesellschaft weniger wichtig, denn wer macht sich schon solch kreative Gedanken zu Kinderspielräumen?
So läuft unsere Welt. Ich hab immer gedacht, dass sei auf dem Spielplatz anders, bis ich Menschen kennen lernte, die nicht nur Zoos konzipieren und als erfolgreiche Unternehmen im Markt platzieren, sondern auch kommerzielle Abenteuerparks und Indoor-Spielanlagen. Deren Unternehmen können nur funktionieren, wenn sie sich voll auf Kinder konzentrieren, so dass sie und ihre Familien hier alles antreffen, was sie wirklich brauchen. Ob sie das aber alles brauchen, ist natürlich eine ganz andere Frage.
Ich weiss nun, weshalb die letzten Meter vor dem Wolfsgehege aus kantig wilden Steinen gebaut sind, über die man sich nur schwierig der Beobachtungslücke nähern kann. Da stehen viele Überlegungen dahinter: Mit aktivierten Bewegungssensoren in den Fußsohlen, beim unsicheren Tritt, werden wir wieder zu Jägern, gespannt lauernd, beobachtend, nur mäßig enttäuscht, wenn es uns im ersten Anlauf nicht gelungen ist, die Beute zu erspähen. Der Zoo hat uns ganzheitlich ernst genommen, wir durften für ein kurzes Wegstück viele unserer Sinne gleichzeitig einsetzen – leben. Ein gutes Gefühl belohnt uns und – ich vermute mal – dieses Spiel läuft mit Menschen schon seit hunderttausend Jahren so. Weshalb also stellen wir Kindern so gedankenlos Spielgelände zur Verfügung, auf die sie einfach reinlatschen können, ohne dass dabei ihre Sinne geweckt werden?!
Unterwegs zum Spielplatz
Weshalb lassen wir es zu, dass immer mehr Kinder den Weg zu ihrem Spielraum nicht mehr zu Fuß gehen? Stört es uns wirklich nicht, dass sie Alltagswege auf dem Hintersitz des Autos zurücklegen und dafür den Spielplatz unaufgewärmt erreichen? Zumindest mich stört das sehr, aber Bewegungsachsen durch Lebensräume, echte Spielwege oder Spielmöglichkeiten in Baulücken, Zwischenräumen oder an Übergängen zwischen Arealen sollen hier nicht primäre Themen sein, auch wenn sie Kindern auf deren Alltagswegen die wohl besten bewegungsfördernden Hindernisse in den Weg legen könnten! Vergessen wir aber nicht, dass sich in vielen Spielräumen eher Kinder herumtreiben, die es eigentlich am wenigsten nötig hätten. – ihre unbewegten Altersgenossen bleiben häufig auf der Strecke und erreichen geeignete Spielräume erst gar nicht!
Der Zoo ist den Tieren Ersatz für verschwindende Lebensräume, der Spielplatz ist Kindern Ersatz für eine Welt, die ihnen einst mit allen Herausforderungen viel Platz bot, um geschickter und größer zu werden, mit unendlichen Möglichkeiten, aus Fehlern lernen zu dürfen, mit tüchtigen Portionen an Gefahren und Abenteuern.
Spielräume unserer Kindheit
Ich begleite immer wieder Erwachsene auf Gedankenspaziergängen in ihre Kindheit und lasse sie von Lebensräumen, Plätzen und Spielorten erzählen. Ich frage jeweils nach Jahreszeiten und schlechtem Wetter, nach Menschen, die mit dabei waren, nach Gerüchen, Tönen, Oberflächen. Erste Gedankenbruchstücke öffnen Türen, rufen nach weiteren Erinnerungen. Szenen tauchen plötzlich wieder auf, ihre Spiele, Menschen, die sie begleitet haben.
Ahnen Sie schon, worauf ich hinaus will? Kaum eine Erinnerung knüpft an einen ‚richtigen‘ Spielplatz an. Hinterhöfe, Dachböden, Keller, Gärten, Brachflächen, der Bauer, Waldränder, Ufer oder Tobel kommen zuerst. Erzählt wird von Lebensräumen, die zu Streifzügen eingeladen haben, von ihren Merkmalen, die sich fest eingeprägt haben: Der Gittercontainer voller Holzreste, die dichte Hecke, der gefährliche Zaun zum Überklettern, die Deponie mit ihren Schätzen, Gerüchen, schwelenden Feuern, ja, sogar der Bagger mit dem vergessenen Zündschlüssel taucht wieder auf. Dazu Bilder von Erwachsenen, die ihren Kindern viel Freiheit gelassen haben, sie nicht dauern beaufsichtigen und kontrollieren wollten.
Ja, und diese Erinnerungen haben, geschlechtsunabhängig, viel mit intensiven Erlebnissen zu tun. Intensiv steht hier auch für die Qualität der Freundschaften, gemeinsam durchlittenen Gefahren, echte Abenteuer der Kindheit – kein Wunder, denn die damaligen Spielplätze mit dem eckigen Klettergerüst aus Metallstangen (oder war’s bei Ihnen die Variante aus Stangen mit waagrechten Ringen?) waren ja auch nicht wirklich attraktiv! Gut, an den Rundlauf, an die Stunden zuoberst auf der Kletterstange der Turnanlage erinnere ich mich gerne. Die ließen ja auch gewagte Spiele zu.
Viele heutige Spielanlagen sind nicht wirklich besser. Sie erfüllen schärfere Vorschriften, sind eher mal aus Holz gebaut, weisen verschiedene Bodenbeläge und originelle Ansätze für ein breites Feld von Bewegungserfahrungen auf. Doch die meisten von ihnen sind nach zwanzig Spielminuten ausgekundschaftet. Und dann?
Sie erwähnen nun zu Recht die Abenteuerspielplätze, von denen noch längst nicht alle eingeschlafen sind. Wollen wir hier beginnen, die Bewegungen spielender Kinder auszukundschaften? Oder wir können auch vor unserem inneren Auge eine lebendige Traum-Landschaft mit vielen verschiedenen Komponenten schaffen, dass wir daraus eine Vielzahl von Bewegungen ableiten können!
Das kinderfrohe Spielplatz-Tor
Ein enges Loch im Gitterzaun, eine Kriechpassage unter der Baracke, ein balancierendes Zaunübersteigen, ohne Löcher in die Hose zu reißen, und das vom leicht wankenden Fahrradsattel aus, eine Kletterübung vom Abfall-Container auf den Baumast und schließlich über dem Zaun. Oder durchs angelehnte Fenster des Spielplatzhauses, vom dichten Haselbusch über das Dach, inklusive gewagtem Dreimeter-Sprung auf den Kiesplatz? Keine dieser Varianten ist erfunden. Ich habe sie alle als Leiter des Abenteuerspielplatzes Holzwurm in Uster immer wieder erlebt. Zum Glück gibt es dort seit einigen Jahren einen Hintereingang: ein riesengroßer Drache, durch den man vom angrenzenden Areal auf schmalem Steg schlussendlich beinahe zwischen den Drachenzähnen auf den Spielplatz gespuckt wird.
Unterwegs zu neuen Spielraumkonzepten thematisiere ich Zaun und Tor gerne als wichtige Motive und beobachte die Kinder dann, wie sie ihre Modelle entwerfen und bauen: Das unterirdische Irrwegsystem mit mehreren Gängen, die Palisadenlandschaft, das Katapult, welches Kinder über den Zaun spickt, der reißende Wildbach mit zwei Trittsteinen, die Felswand, eine Seilbahn und so weiter. Kinder zeigen uns, dass einfache Durchgänge oder widerstandslose Passagen nicht zu ihren Favoriten gehören. Etwas abenteuerlich darf es schon sein. Schließlich wünschen sich Kinder auch Spielräume, in denen sie nicht dauernd ausgestellt sind und Erwachsene nicht immer Einblick haben.
Welche Bewegungen sich aus solchen Pforten ergeben? Ich bin sicher, dass Sie problemlos fünfzehn unterschiedliche Arten finden, von Purzeln, Spreizen, Strecken bis hin zum ‚den Kopf anschlagen‘!
Die Sache mit dem Zaun
„Was diese Kinder wohl angestellt haben, damit sie am schulfreien Nachmittag hinter Gittern spielen müssen?“ Dieser halbironischen Frage hatte ich mich als Leiter des Abenteuerspielplatzes mehrmals zu stellen. Der Maschenzaun schützt vor dem reißenden Wasser im brennesselgesäumten Kanal, vor dem Hundekot an seinem Ufer. Die andere Spielplatzseite war jahrelang schlecht kontrollierter Schleichweg für LKWs, die ihre Route verbotenerweise abkürzten. Auch da hat ein Gitterzaun durchaus schützende und lebensrettende Vorteile. Ob aber ein Abenteuerspielplatz durchweg umzäunt sein muss, das ist ein Fragekreis, der über Generationen und Regionen unterschiedlich beantwortet wird.
Neben dem Schutz vor Gefahren außerhalb des Spielbereichs hat der Zaun auch Schutzfunktionen zugunsten der Außenwelt: Vernagelte Bretter, ausufernde Gerümpel-Paradiese, Annexion fremder Grundstücke durch bautolle Kinderbanden werden so in Schranken gehalten. Ob das richtig ist? Diese Antwort habe ich als Spielplatzleiter jahrelang aus vollem Herzen bejaht, mich dabei aber auch unsicher gefühlt und zwischendurch ebenso vehement die Meinung vertreten, die Welt der Kinder soll überall möglich sein, ihre lebendigen Lernorte für den Umgang mit der Welt dürften doch nicht nur hinter Gittern zu finden sein. Bei Plädoyers schützender Zäune für die Welt der Kinder stehen traurige Erfahrungen mit Einbrüchen, brutalen Zerstörungen großartiger Kinderbauten und die Angst vor Brandstiftern Pate.
Und heute – meine Zeit als Spielplatzleiter ist abgelaufen, ich nenne mich nun SPIELTRÄUMER – heute plädiere ich für die Entwicklung neuer Gedanken rund um Spielzäune: Installationen, die Kinder reizen, zu Sinneserfahrungen anregen, sie aber auch vor Gefahren schützen. Einverstanden, der Spielzaun braucht Platz. Drei oder auch acht Meter kann er schon in die Breite gehen. Und er braucht viel Abwechslung. Gebaut wird er aus unterschiedlichen Materialien, in gestalterischen Varianten, voller verspielter Elemente. Mit Farben, Klängen, Pflanzen, Buschwerk, Schatten, Durchblicken, Einsichten, Hochsitzen oder Fallgruben schlängelt er sich durch Gräben über Hügelzüge und Strassen entlang. Er trennt Sport- und Spielzonen, schafft vielfältige Nischen, regt zum bewegten Kindsein an.
Eine lang gezogene Zone, die unterschiedlichste Bewegungsarten ermöglicht, so soll ein Spielzaun sein. Also ein Ort zum Spähen, Beobachten, Innehalten; zum Horchen, Spüren, Abwägen; selbstverständlich zum Klettern, Steckenbleiben, Verschwinden, Sich-in-der-Höhe-Präsentieren. Sind das nicht vielfältige Bewegungsarten? Ich sehe vor mir ein Nummerngirl im Zirkus, den Sieger auf dem Podest, Präsentationen auf dem Laufsteg. Stolzes Stehen, fließendes Gehen, spielerisches Vorführen.
Wie vernetzen sich ‚Bewegung‘ und ‚Haltung‘? In einem gescheiten Buch bin ich über eine Bemerkung gestolpert, die hier weitere Gedanken aktivieren könnte: Ein Kind, das sich täglich einmal als Königin oder König fühlt, tankt daraus Energien, bringt seine besten Gefühle auf Hochglanz, stärkt sich fürs Leben, streckt sich, atmet tief durch. Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass dazu nur auf wenigen Spielplätzen geeignete Throne bereit stehen?
Gestaltete Plätze
Was bei vielen Menschen nach Design riecht, ist bei einem lebendigen Spielraum weit mehr als eine umfassende gestalterische Konzeption von idealen Spielgeräten. Die gewünschte Dichte an Erlebnisqualität basiert für Spielraumgestalter(innen) eher im topografischen Konzept der ganzen Anlage. Sie gehen sicher mit mir einig, dass ein flacher Spielplatz zwar gut zum Rennen ist, doch niemand lernt im flachen Gelände ‚richtig‘ zu stolpern. Deshalb braucht es viel Abwechslung im Gelände und seinen Böden.
Hand aufs Herz – kreisrunde Spielplatzhügel mit dem alles umfassenden Wall, die stammen noch aus Feldherren-Zeiten. Stellt man heute dem neuen Spielraum ein Leitthema zur Seite, das weder ‚Burg‘ noch ‚Wildwest-Fort‘ heißt, dann beginnt daraus die Entwicklung neuer Traumlandschaften. ‚Das Tal der Drachen‘, ‚hinter den sieben Bergen‘, ‚Zwergen-Heimat‘, ‚Steinbruch‘,‚das Dorf am Fluss‘, ‚Schiffe im Sturm‘, ‚die Farm der Kinder‘ oder ‚das Zauber-Schloss’. Viele Leitthemen stützen sich auf alte Flurnamen, zeigen sich in der Geschichte und leiten sich aus Geschichten ab, wachsen rund um Initiativgruppen.
Es lohnt sich, diese Leitthemen herauszuschälen und sie zuallererst in ein gestalterisches Konzept für die Landschaft zu integrieren. Eine Bachlandschaft mit Quellen, frei fließendem Wasser, einer Insel, Matschzonen, steilen Prallhängen, sanften Uferzonen, Steinhaufen, Felswänden, Hinkelsteinen, Sitzsteinen, einer Felsbarriere bei der Stromschnelle, mit einem höhlendurchfressenen Gebirge voller Gefahren, Verstecken, lohnenden Zielen und Aussichtspunkten ist eine gute Basis mit einer beträchtlichen Fülle ‚natürlicher‘ Spielqualitäten.
Nun braucht es etwas Infrastruktur wie zum Beispiel Wasser, Strom, Wege, Stege, Brücken, Aussichtspunkte, Hexenhaus, wetterfester Unterstand und so weiter. Je nach Zielsetzung, örtlicher Einbettung, Nutzerstrukturen oder Dauer von Spielzeiten braucht es mehr oder weniger davon. Erst jetzt stellt sich die Frage nach den Spielinstallationen, allerdings nicht unbedingt nach den Beispielen aus dem Katalog. Hier vertiefen wir das Leitthema weiter und suchen nach Lösungen, die es sinnvoll ergänzen!
Nun bleiben noch drei große Bereiche: (1) Die Bepflanzung mit Schatten spendenden Bäumen, das Anlegen von Hecken, Blumenwiese, freibleibenden Brachen, Rasen. Damit verbunden ist die Frage nach der Beschaffenheit der Böden. Wo dampfen Holz-Schnitzel, wo bremst Rundkies den schnellen Lauf? Gibt es mehr als zwei Sandarten, hat es gekieste Zonen, Sportbeläge, Fallschutzplatten, wackelnde Stufen oder Platten, die knirschen? (2) Was sollen Erwachsene hier erleben und wie wollen wir das ein wenig steuern? Freies Kinderspiel bewegt! Sind Erwachsene dabei, wird vieles abgebremst! (3) Bekommen Kinder Zeug, mit dem sie spielen können? Zum Beispiel Bretter und Balken, Stecken und Rundholz, Steine und Schotter, Räder und Rollen, Seile, Schnur, Tücher, Farbe, Werkzeug etc. Die Frage nach der Spielqualität und möglichen Bewegungen hängt entscheidend von dieser dritten Frage ab.
Bewegte Spiele
Ist uns ein wirklich spannendes Gelände gelungen, so ist Bewegung garantiert! Ich weiß aus vielen Spielplatzferien, dass Betreuerinnen und Betreuer am Abend jeweils hundemüde sind. Nicht nur wegen der vielen Fragen, die Kinder unendlich häufig zu stellen wissen. Auch aus x-facher Notwendigkeit, rasch mal da oder dorthin zu gehen, ein Werkzeug zu holen, eine Türe aufzuschließen, ein Seil zu verräumen, ein Pflaster zu kleben, einen Kaffee zu trinken, ein Kind auf den Schultern reiten zu lassen, ein Konstruktionsteil zu überprüfen, den versteckten Wasserhahn zu öffnen, mitspielen, helfen, unterstützen, begleiten, anleiten und so weiter. Da kommen Kilometer zusammen in anspruchsvollem Gelände über schmierige Hügelflanken, zwischen nagelstrotzenden Bretterwüsten, auf Baumstämmen balancierend, in engen Kinderbauten kletternd, die Rutschbahn nutzend, einen Fahrradanhänger ziehend oder die Schubkarre (mit plattem Reifen) stoßend!
Wichtig ist zu wissen, dass Spielplatzkinder nicht so faul sind wie ihre Betreuer(innen). Sie tun mindestens gleich viele Gänge quer durchs Gelände. Nur – sie sind halt Kinder! Sie gehen nie den kürzesten Weg, machen lieber Sprünge, Zwischenschritte, Umwege, Schlenker – sie spielen Bewegung. Und das nicht zu knapp! Sie setzen dabei mehr als nur ihren ganzen Körper ein: Sie entwickeln eine bewegte Intuition für Qualitäten und Risiken eines Spielplatzes! Die wenigsten Kinder treten mehr als einmal in einen Nagel. Und das, obwohl sie selten auf den Boden schauen. Einmal aufgewärmt, auf dem Platz heimisch, vertrauen sie ihren Sensoren, die sie gemeinsam mit Schutzengel und Lebenslust auf der positiven Seite des Lebens turnen lassen.
Erst die gereifte Sicht Erwachsener sieht an einem Baum den brechenden Ast, bei der Schaukel das reißende Seil, bei einer Fußangel das Hinfallen, bei einem Sturz brechende Knochen. Setzen sich Erwachsene wohl deshalb für eine Welt ein, in der Kindern nichts passieren kann? – Seltsamerweise vertreten auch diejenigen Erwachsenen dieses Anliegen, die uns eben noch mit leuchtenden Augen aus ihrer Kindheit erzählt haben! Von Sachen, die ihnen passiert sind. – Die unterschiedliche Sichtweise von Erwachsenen (Gefahr) und Kindern (Lebenslust) können wir auf die Formel ‚LEBENSGEFAHR AUF SPIELPLÄTZEN‘ bringen: Hier besteht die Gefahr, lebendig zu werden.
Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte stimmt mich nachdenklich. Aus Initiativen für abenteuerliche Spielorte sind Vorstöße zur höheren Sicherheit geworden. Das ist leicht nachzuvollziehen: Im gleichen Zeitraum hat sich die Gesellschaftsvision ‚Sparen’ als höchstes aller Ziele entwickelt.
‚Bewegte Spiele‘, ‚bewegte Spielräume‘ stehen als Leitthemen über meinen Ausführungen. Es will mir nicht gelingen, Ihnen einen einfachen Einblick in Bewegungsarten auf dem Spielplatz zu vermitteln. Meine Erfahrungen drehen meine Optik immer wieder um: Ich entwickle Ihnen Spielräume, um darin dem Spiel Raum zu geben, Bewegungen zu ermöglichen. Ich zeichne Rahmen für Erfahrungsfelder, bringe Qualitäten ins Spiel und vertrete die Ansicht, Bewegung entstehe erst aus ihnen.
Grundlagen aller Bewegungen auf dem Spielplatz sind somit die gestaltete Umgebung und ‚Zeug zum Spielen‘. Dazu kommt ein Drittes: Kinder! Zum Beispiel:
– Kinder: Mädchen und Jungen;
– Kinder: alleine, in Gruppen, jüngere, ältere, im gleichen Alter;
– Kinder, denen immer wieder etwas zu tun einfällt;
– Kinder, die gerne spielen;
– Kinder, die zu Freundinnen und Freunden werden; Freundschaften für Abenteuer, Gefahren, gemeinsame Erlebnisse.
So, nun ist wohl alles angetönt, was Kinder auf Spielplätzen in Bewegung bringt. Zeit, den Blickwinkel zu wechseln: Was passiert mit der Vielfalt an Bewegungen spielender Kinder, wenn ihnen einzelne dieser Qualitäten genommen werden?
Spielqualität minus eins
Nimmt man den Kindern das ‚Zeug zum Spielen‘ – die Beseitigung von Gerümpel, Schmutz und Unordnung sind häufig Leitgedanken von Erwachsenen, wenn Spielräume an Farbe verlieren – so schränken wir bereits wichtige Bewegungskomponenten ein. Die Einladung zum Spiel präsentiert sich nun etwas eingeschränkter, Kreativität steht nicht mehr im Zentrum, Kinder sind stärker gefordert.
Was bleibt ihnen zu tun? Das Gelände mit seinen Qualitäten und Installationen zu bespielen. Wasser pumpen, die Brücke besetzen, Seilbahn fahren, die Höhle erkunden, Rollen wechseln – noch immer sind Spiele und Bewegungen vielfältig möglich. Doch die Kinder können nun keine Landschaften für Zwerge mehr bauen. Die Burg kann nicht mehr wachsen, Reize schwinden. Anstelle der Kreativität kommt bald die Lust auf Zerstörung.
Spielqualität minus zwei, minus drei
Pflegt man den Spielplatz noch besser, so sind einzelne Steine plötzlich mit Mörtel fixiert, vielleicht ganz weg. Es liegt kein totes Holz mehr unter Büschen, Sand wird nicht mehr erneuert, die Pumpe bleibt abgestellt. – Was hier düster tönt ist Alltagsgeschichte vieler Spielräume. Einst lebendige Topografien erstarren zu toten Kunstlandschaften. Die wenigen Spielgeräte werden nach fünf bis zehn Jahren nicht mehr erneuert und abgebrochen. So kehrt langsam Ruhe ein und diese Ruhe verbreitet tödliche Gifte. Kinderlärm wird verboten, engagierte Eltern getrauen sich nicht mehr, eine eigene Schaukel an der alten Stange zu montieren, Unterschriften zur Abschaffung des Spielplatzes sammeln sich bei der Verwaltung.
‚Zahn um Zahn‘ und ‚Feuer und Flamme‘
Erinnern Sie sich an die große Bildergeschichte vom Dorf, das sich mit ewig fressendem Baggerzahn zur Vorstadtöde wandelt? Erinnern Sie sich an diese Mahnbilder der 1970er Jahre, die Fortschritt kritisch hinterfragten? Wagen Sie nun einen Blick auf die Spielplatzgeschichten der letzten dreißig Jahre? Erkennen Sie den Einstellungswandel vom Abenteuerspielplatz hin zum sicheren Spielgerät?
Sie glauben mir nicht und denken ich übertreibe? – Ich freue mich auf Ihre Meldungen über funktionierende Feuerstellen auf dem Spielplatz in Ihrer Umgebung! Worauf ich hinaus will, fragen Sie nun sicher. Also: Feuer, Erde, Wasser und Luft, aus diesen Elementen besteht die Welt. Sie sind die wichtigsten Elemente des Spiels. Vom Wasser haben wir kurz geredet. Zur Erde gehören Topografie, Steine, Sand, Natur. Über die Luft haben wir auch schon gesprochen: Über das Recht des Kindes ‚zu Laut‘ zu kommen, Stimmungen, die zum Träumen einladen oder die Luft, die Spiele verdirbt. Über ihre abwürgenden Komponenten, dem Verbot von Kinderlärm etwa oder über schädliche Wirkungen der Luft, wäre noch viel zu reden.
Und nun zum Feuer: Seit hunderttausenden von Jahren begleitet Feuer den Menschen. Seit knapp zwei Generationen verschwindet es schleichend im Hintergrund, heizt ‚irgendwie‘ Wohnungen, treibt Autos an, zerstört brutal. Als Fachmann des Spiels plädiere ich für die Kultivierung von Werkplätzen, die Kindern den Umgang mit Feuer näher bringen, die Erfahrungen möglich machen, auf dass sie gewappnet sind, wenn sie sich die Finger verbrennen, die Flamme zu nähren wissen, wenn ihnen eine zündende Idee kommt, sich an heißer Liebe die Gesundheit nicht verderben, frühzeitig Nielen qualmen, auf dass sie als Jugendliche der Werbung eigene Erfahrungen entgegenhalten können.
Etwas zum Schluss?
Ich kenne einen Lärmschutzbeauftragten, der sich weigert, bei Kinderlärm auszurücken. Kinderlärm sei natürlich wie ein Gewitter, höhere Gewalt eben. Bewegte Kinder brauchen viele solche Menschen, die sich auf allen Ebenen für ihre Welt einsetzen. Und so bleibe ich weiter SPIELTRÄUMER, konzentriere mich auf lustbetonte gemeinsame Wege hin zu neuen Spielgeländen, will noch immer kinderfreundliche Hauswarte auszeichnen und staune immer wieder über die Vielfalt der Herausforderungen, die mich täglich anlachen.
Toni Anderfuhren ist SPIELTRÄUMER und freiberuflicher Gestalter von kindergerechten Spielräumen in Bauma (Schweiz).
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